Kopf hoch! Gott liebt dich.
"Geh und sündige fortan nicht mehr!"
Predigt zum 5. Fastensonntag von Kaplan Timo Gothe, Erfurt...
Ein Würfel, der auf Kippe steht - das zählt nicht. Ein heruntergefallener Würfel - das zählt nicht. Würfel noch mal!
Im Spiel räumen wir dem anderen in brenzligen Situationen eine zweite Chance ein. Im Stadion wird nach einem Fehlstart ein neuer Versuch gestartet.
Im Leben jedoch sind wir oft nicht so großherzig. Wie sieht es da aus mit neuem Versuch und zweiter Chance? Wir schnüren uns gegenseitig ein, verbauen uns die Ausgänge, geben keinen Spielraum mehr.
Für die Frau im Evangelium sind die Würfel gefallen. Man hat sie in flagranti beim Ehebruch erwischt. Alles andere zählt nicht. Nach dem Gesetz muss sie gesteinigt werden. Mit dieser Situation wird Jesus konfrontiert. Er sagt und tut nicht viel. Am Ende geschieht das Unerhörte: Jesus entlässt sie mit den Worten: "Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr". Die Frau schweigt angesichts dieser Wendung und die Ältesten und Pharisäer, die eben noch hartnäckig Jesus bedrängten, sind verstummt und gegangen.
Zählt Gott anders?
Liebe Schwestern und Brüder, die Frage so stellen heißt, das Motto des heutigen Misereor-Sonntags auf die eben gehörten biblischen Texte zu übertragen:
"Entdecke, was zählt", lädt uns Misereor ein, und ein erstes was mir aufscheint:
1. Ich sehe mich im Lichte Gottes
Jesus setzt ein Zeichen. Er kniet nieder und schreibt mit dem Finger auf die Erde. Eine Zeichenhandlung, die den Propheten Jeremia aufgreift: "Alle, die sich von dir abwenden, werden in den Staub geschrieben, denn sie haben den Herrn verlassen, den Quell lebendigen Wassers" (Jer 17,13). Doch die Dabeistehenden verstehen das Zeichen nicht, so wird es untermauert mit den Worten: "Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als erster einen Stein auf sie". Wer kann da noch stehen bleiben? Jesus verweist uns darauf, unser Leben, unser Tun, unseren Umgang mit den Menschen im Lichte Gottes zu betrachten. Das führt zur Einsicht und zur Umkehr. "Als sie seine Antwort gehört hatten, ging einer nach dem anderen fort, zuerst die Ältesten". Die Ältesten, die mit der längsten Lebensgeschichte, sie sehen am deutlichsten, wie es um sie steht. Und ihnen gleich ergeht es uns im Licht dieser Worte: Eigentlich ahnen wir, wo es bei uns im Argen liegt, davon kündet ja nicht nur die Stimme des Gewissens. Davon künden Hoffnungen, Träume - die nach Frieden und Harmonie in unseren Beziehungen, die nach Wahrhaftigkeit, die nach einem erfüllten Herzen voll Liebe zu Gott und dem Nächsten. Vieles wäre hier zu nennen. Jeder hat eigene. Aber eine Erfahrung teilen wir alle: Unser Leben bleibt hinter unserer Sehnsucht zurück und wir ahnen: Auch ich habe meinen schuldhaften Anteil daran. Aber dann fehlt uns doch der Mut, das tatsächlich auch ins Licht Gottes zu halten. Der tägliche Gewissensspiegel, die Zwiesprache mit Gott, das Bußsakrament, da liegen die Chancen für einen ehrlichen Blick auf sich selbst im Lichte Gottes.
2. Es zählt der Mensch
Von der hl. Elisabeth wird berichtet, dass sie einmal einen Bach überqueren wollte, der nur mit flachen Steinen ausgelegt war. Da kam ihr eine alte Bettlerin entgegen und stieß sie in den Schmutz: "Da liegst du gut. Wolltest du keine Landgräfin sein, als du es warst, so liege nun arm im Dreck".
Mir scheint: Eng war es nicht nur über den Bach, eng war es im Herzen der Bettlerin. Sie konnte und wollte den Lebenswandel Elisabeths nicht verstehen. Sie wollte die Fürstin sehen, wollte, dass Elisabeth ihre Rolle spielt. Sie sah die ihr unverständlichen Taten Elisabeths - den Menschen Elisabeth sah sie nicht.
Fragen wir uns: Wie oft habe ich Menschen auf ein bestimmtes Klischee festgelegt? Wie oft habe ich Menschen - verbal vielleicht - in den Dreck gestoßen, wenn sie mit ihrem Lebenswandel meinen Erwartungen zuwider gelaufen sind?
Wie anders ist die Begegnung zwischen Jesus und der Ehebrecherin. Was Jesus von der Tat hält, wird hier nicht ausgesprochen. An anderen Stellen hat er sich deutlich dazu geäußert. In der Mitte steht nicht die Tat, in der Mitte steht ein Mensch. Das zählt. Gott ist Mensch geworden, er ist in unsere Welt gekommen, die Sünder zu suchen und zu retten. Bei all unseren Taten und Vergehen, wir bleiben eine Person, wir bleiben in Jesu Augen ein Kind Gottes.
Gottes Umgang mit dem Menschen, mit seinen Kindern, ist die Liebe. Echte Liebe aber, schreibt die Philosophin Hannah Arendt, ist ein so unvergleichlicher Blick für die Person, "dass sie mit Blindheit geschlagen ist in bezug auf alles, was die geliebte Person an Vorzügen, Talenten und Mängeln besitzen oder an Leistungen und Versagen aufzuweisen mag".
3. Zukunft entdecken
Mit der Erfahrung der Vergebung wird ein neuer Anfang gesetzt. Hier gibt es wieder Luft zum Atmen. Das ist befreiend, das führt uns aus den Sackgassen des Lebens heraus in eine von Gott geschenkte Zukunft.
Die Frau im Evangelium hat so etwas von Jesus hören dürfen. Eine neue Zukunft: "Geh und sündige von jetzt an nicht mehr". Am vergangenen Sonntag in der Geschichte vom verlorenen Sohn und barmherzigen Vater ging es um die Rückkehr. Der Sohn erkennt, wie weit er sich entfernt hat, er kehrt um und wirft sich in die Arme des Vaters. Heute steht am Ende die Bewegung nach draußen. Neue Freiheit ist dir geschenkt. Du darfst wagen neu anzufangen. Geh!
Die von Gott geschenkte Zukunft erweist sich am radikalsten in der österlichen Auferstehungsbotschaft. Mit einem Blick auf die zweite Lesung des heutigen Sonntags wird das deutlich. Wenn alles der Macht des Todes verfällt, dann sind ein paar Jahre mehr oder weniger hier auf Erden ein schwacher Trost. Doch Paulus schreibt: "So hoffe ich, auch zur Auferstehung von den Toten zu gelangen" (Phil 3,11). "Ich vergesse, was hinter mir liegt, und strecke mich nach dem aus, was vor mir ist" (Phil 3,13). Das treibt ihn an. Das ist seine Perspektive, die ihn alle irdischen Widrigkeiten überwinden lässt. Seine Erfahrung ist die: Ich bin von Christus ergriffen worden (Phil 3,12). Von daher bekommt sein Leben Zukunft.
Gottes verheißene Zukunft für mein Leben. Eine Zukunft, die weiter geht und stärker ist als der Tod. Lässt uns das nicht neu großherzig und gütig werden, weil ich Zukunft wünsche - auch dem anderen und weil ich mich und den anderen von Christus erlöst weiß?
Beispielhaft sei im Elisabethjahr aufgegriffen: "Ich rede gut von Dir". Ich will Dir nicht Deine schlechten Taten nachtragen, vorhalten und Dich darauf fixieren. Ich will Dich sehen als Menschen, für den Christus zum Bruder und Retter geworden ist.
Liebe Schwestern und Brüder: In unserm Leben sind die Würfel noch längst nicht gefallen. Das gilt auch für den Umgang untereinander. Das geht mir auf im Lichte Gottes: Bei ihm zählt der Mensch und er eröffnet Zukunft.
Predigtreihe zur Fastenzeit: Mit den Augen Gottes sehen lernen