Früchte christlichen Glaubens und Handelns

Predigt von Weihbischof Reinhard Hauke am Erntedanksonntag (29. September 2019) im Erfurter Dom

Zur Bistumswallfahrt hatten die Jugendlichen aus Helmsdorf im Dom einen wunderschönen Teppich aus Früchten und Blüten gelegt. In ihrem Heimatort ist es so Brauch, zu besonderen Gelegenheiten Blumenteppiche zu gestalten. Besucher des Domes fragten, ob denn das schon für Erntedank sei. Wir mussten sie aufklären, dass ja erst einmal das Bistumsjubiläum zu feiern ist und das Erntedankfest später kommt, aber bis dahin der Teppich wieder abgebaut werden muss.

Von diesem Teppich haben Kindergartenkinder Früchte zum Basteln „geerntet“ und damit abgebaut – eigentlich leider zerstört. Mir wurde damit deutlich: Früchte sind auch vergänglich. Vielleicht halten Kastanien und Hagebutten lange Zeit, aber irgendwann sind auch sie nicht mehr zu gebrauchen, wenn man sie nicht vorher in die Erde eingebacht hat, damit daraus etwas Neues wächst. Früchte müssen gebraucht und verbraucht werden. Sie sind kein bleibender Besitz.


Und dennoch haben wir Grund, dafür zu danken, dass wir auch in diesem Jahr nicht nur aus der Überfülle schöne Teppiche mit Früchten auslegen können, sondern zu unserer Ernährung reichlich Früchte zu Verfügung stehen. Der Erntedanksonntag richtet unseren Blick auf die Lebensmittel, die in großer Vielfalt zur Dekoration in den Kirchen aufgestellt werden.

Dabei denken wir an die Mühe der Frauen und Männer, die sich um die Früchte gesorgt haben – besonders, wenn der Regen nicht zu üppig war und die Früchte klein blieben. Wir denken aber auch an den Schöpfer dieser guten Gaben, der uns Menschen in Dienst nimmt, damit die Früchte wachsen, gedeihen, geerntet und auch verzehrt werden.

Es ist eine besondere Aufgabe der Gläubigen, diesen Aspekt beim Thema „Ernte“ einzubringen, denn ohne Gottesbezug bleibt dieser ja aus und alles erscheint als reines Menschenwerk. Wie sehr der Mensch in der Verantwortung im Umgang mit der Schöpfung steht, wird uns ja durch viele Berichte über Umweltkatastrophen vor Augen gestellt.


Dass sich menschliches Sorgen und Handeln in einem Gottesbezug anders gestaltet, wissen wir als Christen und wünschen es uns für alle, die in der Meinung leben, dass sie allein ohne die Notwendigkeit, einmal Rechenschaft abgeben zu müssen, die Welt gebrauchen, als sei sie nur allein für sie und die eigene Generation da. Die Demonstrationen junger Menschen an den Freitagen und an anderen Terminen machen uns deutlich, dass an die Zukunft zu denken ist, wenn für heute entschieden wird.


Ich empfinde die heutige Weltsituation als bedrohlich und der Jubel kommt nicht so schnell über meine Lippen. Spannungen in der Weltpolitik, in der Kirche und in den Familien scheinen mir zu wachsen. Die deutschen Bischöfe haben versucht, in ihren Verhandlungen bei der Bischofskonferenz Schritte in die Zukunft zu gehen. Es wurden Gesprächstermine im synodalen Prozess vereinbart und es wurden neue Überlegungen angestellt, wie man zu neuem Vertrauen in der Kirche kommen kann.

Entschädigungsleistungen sind dabei ein Baustein, aber wichtiger noch erscheint es mir, den Mehrwert des Glaubens neu zu erkennen. Dieser Mehrwert zeigt sich unter anderem auch in der Art, wie wir mit den Früchten der Erde umgehen. Er zeigt sich darüber hinaus darin, wie wir über die Bedeutung des Menschen reden und alles tun, dass seine Würde durch nichts in Frage gestellt wird.

Mit großer Wachsamkeit schauen wir auf Gesetzgebungen, die sich mit Transplantationen beschäftigen. Darf der Mensch selbst entscheiden, ob er Organspender sein will oder wird über ihn entschieden, wenn er sich nicht ausdrücklich dagegen entscheidet? Sind Untersuchungen in der Schwangerschaft, die die Gesundheit des ungeborenen Kindes feststellen sollen, zwingend nötig? Ich bin dankbar für Entscheidungen, die Menschenleben an den Grenzen Europas retten können und den Hilfesuchenden eine Perspektive geben. Ich bin dankbar für alle persönlichen Aktivitäten in der Integration von Fremden, die ein neues Zuhause suchen.

Natürlich braucht es dabei auch eine neue Aufmerksamkeit für Gefahren, aber diese Sorge soll uns nicht blind machen für die Sorge, die wir im Innern unserer Gesellschaft haben. Mit unserer Stimme am 27. Oktober haben wir es in der Hand, das Gesicht unseres Landes zu prägen. Mit allen Menschen guten Willens hoffe ich auf ein Gesicht der Offenheit, Zuversicht, Freundlichkeit und des Mutes, Neues zu wagen, das dem Wohl des ganzen Volkes dient.

Ich hoffe, dass es dann noch einmal ein Erntedankfest geben kann, bei dem die Früchte der Mühe um Solidarität mit den Armen und Hilfebedürftigen geerntet werden können, denn zu keinem anderen Zweck benötigen wir gesellschaftliche Macht als zur Solidarität der Reichen mit den Armen und der Starken mit den Hilfebedürftigen.


In dieser Woche gedenken wir des heiligen Franz von Assisi und damit eines Mannes, der diese Solidarität gelebt hat. Mit ihm haben viele Menschen sich solidarisiert und bis heute engagieren sich Männer und Frauen in seinem Geist. Papst Franziskus hat nicht ohne Grund in der heutigen Zeit den Namen Franziskus gewählt, der für ihn ein Programm ist, denn nichts schmerzt den Papst mehr als Ungerechtigkeit, Krieg und Armut in der Welt. Wer sich einmal die Zeit von 92 Minuten gegönnt hat, den Film von Wim Wenders über Papst Franziskus zu sehen, der lernt den Papst als Christen kennen, dem nichts anderes wichtiger ist als die Hoffnung auf eine erneuerte Welt im Geist der Nächsten- und Gottesliebe.


Was geschieht, wenn wir diesen Geist der Gottes- und Nächstenliebe praktizieren? Im Buch Deuteronomium wird geregelt, was mit den Erstlingsfrüchten zu tun ist. Sie sollen eine Gabe des Dankes an Gott für die gelungene Ernte sein, damit der Mensch nicht meint, dass er alles allein geschaffen hat. Das klingt alles so einfach, aber wir kennen auch die Folgen, wenn dieses Denken ausfällt. Pfarrer Oskar Brüsewitz , der sich aus Protest gegen die DDR-Diktatur am 18. August 1976 selbst verbrannte, antwortete auf die Losung der Kommunisten: „Ohne Gott und Sonnenschein bringen wir die Ernte ein!“ mit der Parole: „Ohne Regen, ohne Gott, geht die ganze Welt bankrott“. Wenn der Mensch sich zum Gott und letztem Maßstab macht, dann sind Korruption und Unterdrückung nicht weit.


Mit der Feier eines Erntedankes in der Kirche oder an anderen heiligen Orten stellt sich der Mensch an die Stelle, die er meistern kann, ohne zu sündigen. Er stellt sich dar als dankbares Geschöpf eines guten Gottes. Er erhält damit einen realistischen Blick für sein Leben und das seiner Mitmenschen. Nichts anderes erwartet der heilige Apostel Paulus von seinem Schüler Timotheus, wenn er schreibt: „Die Wurzel allen Übels ist die Habsucht.... flieh vor all dem. Strebe unermüdlich nach Gerechtigkeit, Frömmigkeit, Glauben, Liebe, Standhaftigkeit und Sanftmut.“ Paulus ist kein Verächter der schönen Dinge dieser Welt, aber erkann sie einordnen in ihrer Werthaftigkeit und er weiß um die Gefahren, die den Menschen umgeben.

Wir feiern Erntedank und geben damit unserem Denken eine klare Richtung. Wir ordnen uns neu in diese Schöpfung ein und geben dem Schöpfer die Ehre. Wir werden dabei groß im Denken über die Schöpfung und Welt.

Wir erkennen neu unsere Verantwortung, diese Welt behutsam zu behandeln. Von Herzen hoffe ich, dass dieses Denken der Gottes- und Nächstenliebe um sich greift und die Menschen verändert – durch unsere Worte und mehr noch durch unsere Taten.

Vielleicht ist es immer nur einer, der zurückkehrt und für das Heil dankt – wie es Jesus Christus erlebt hat -, aber die Mühe des Zuspruchs und der Liebe war nicht ganz umsonst. Mit diesem Ergebnis musste Jesus Christus leben und müssen es auch wir. Dennoch gilt für uns: „Steh auf, und geh! Dein Glaube hat dir geholfen.“ Amen.