Fastenzeit: Nach Gott Ausschau halten!

Hirtenbrief von Bischof Joachim Wanke zur österlichen Bußzeit 2004

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn!


Die leistungsstarken Teleskope der modernen Astronomie befinden sich meist in wüstenähnlichen Gegenden unserer Erde, oft auch auf hohen Bergen, weit weg vom Licht und Dunst der städtischen Ballungsgebiete. Der Grund dafür ist einsichtig: Die Sterne kann man nur erforschen, wenn man sich störenden irdischen Einflüssen entzieht.


Ob das nicht so ähnlich auch derjenige machen muss, der nach Gott Ausschau halten will? Die Evangelisten berichten uns, Jesus habe sich zu Beginn seines öffentlichen Wirkens - und auch immer wieder später - in die Einsamkeit zurückgezogen. Er wollte auf seinen himmlischen Vater schauen. Er wollte ihm nahe sein. Dort in der Wüste hat Jesus dem Versucher widerstanden. Dort fiel seine große Lebensentscheidung, ganz und ungeteilt dem Vater gehorsam zu sein - bis in die Stunde seines Sterbens hinein.


Es gibt Menschen, die verhindern durch ihr eigenes Verhalten, Gott in den Blick zu bekommen. Ihre Augen sind geblendet vom Licht der Welt. Wer unter einer Straßenlaterne nach den Sternen schauen will, sieht nichts.


Die vor uns liegende Fastenzeit ist eine Einladung, neu nach Gott Ausschau zu halten. Wir brauchen die Fastenzeit. Wir brauchen den gelegentlichen Rückzug in die Wüste, um neu unseren Blick, unser inneres Ohr, unsere geistlichen Sinne zu schärfen für jene Wirklichkeit, die uns im Lärm und Getümmel des Alltags unterzugehen droht: Gottes schweigende und doch so beredte Gegenwart.


Liebe Schwestern und Brüder! Wenn wir ehrlich sind müssen wir sagen: Die Hektik hat die meisten von uns fest im Griff. Ob jung oder alt: Die Leistungsgesellschaft ist unerbittlich. Der Wachstumsgötze verlangt seine Opfer. Mitmachen, Mitrennen, Mit-Haben- und Mit-Genießen-Wollen ist die Devise. Wie schnell bleibt da der innere Mensch auf der Strecke! Wie schnell gerät Gott aus dem Blick! Die "Gottesverdunkelung", auch die im eigenen Herzen, ist eine ständige Gefahr.


Was tun, um der Gefahr geistlicher Blindheit zu wehren? Schauen wir auf Jesus Christus, wie er in der Wüste dem Versucher Paroli geboten hat.



Aufmerksam sein für das, was unser Leben reich macht


Der Teufel zeigt dem hungrigen Jesus das verlockende Brot. Die Sättigung des Magens soll ihn ablenken von der Sättigung, nach der sich unser Herz sehnt und zu der Brot allein nicht ausreicht.


Ein lateinisches Sprichwort sagt: Plenus venter non studet libenter. "Ein voller Bauch studiert nicht gern!" Es gibt eine falsche Absättigung, die für andere Lebensgüter stumpf und unempfänglich macht. Es gibt eine Herzensverfettung, die für Gott und seine Verheißungen blind macht.


Unsere Gesellschaft suggeriert uns: "Du kannst alles haben. Lass dir nichts entgehen! Sei nicht dumm! Genieße nur und sei happy!" Die wachsende Zahl der Suchtkranken und Abhängigen ist ein Menetekel für unsere Zeit: Die vorschnelle Sättigung um jeden Preis, auch um den der Kriminalität, zerstört unser Leben. Sie macht unsere Gesellschaft krank.


Wie reagiert Jesus auf die Versuchung der schnellen Sättigung? Er sagt: "Der Mensch lebt nicht vom Brot allein!" Jesus weist auf die Nahrung hin, die jenseits des Brotes für unser Leben wichtig ist. Wohlgemerkt: Jesus redet nicht schlecht vom irdischen Brot. Er lehrt uns ja, um das tägliche Brot zu bitten. Aber er sagt uns auch: Der Mensch lebt von mehr als vom Brot.


Fastenzeit meint ja nicht nur Verzicht. Sie ist auch eine Einladung, durch den Verzicht auf Gewohntes und scheinbar Unverzichtbares andere, wichtige Lebensgüter neu zu entdecken. Ich nenne einige:


    - die Liebe und Fürsorge guter Menschen an meiner Seite,

    - die Gelassenheit des Herzens inmitten aller Hektik,

    - die Freude an der Natur, an guter Musik, an einem guten Buch,

    - die gemeinsame Zeit mit dem Ehepartner, mit den Kindern,

    - das Geschenk einer Freundschaft.


Die Fastenzeit ist eine Chance, neu aufmerksam zu werden für die guten Lebensgaben Gottes mitten in meinem Alltag. Nehmt dieses Wort mit in die kommenden Wochen: "Der Mensch lebt nicht vom Brot allein!" Werdet aufmerksam für das, was unserem Leben Qualität gibt!



Gott allein anbeten


Der Teufel zeigt Jesus die Reiche der Welt samt ihren Herrlichkeiten. Dieses Vorzeigen geschieht auch heute. Der Glimmer und Glanz des großen und kleinen Lebensluxus wird vor uns ausgebreitet.


Die Reklame lockt und schmeichelt uns. "Das alles kannst du haben, wenn ...!" Ja, wenn! Wenn du rackerst und schaffst, bis du umfällst! Bei den Kindern fängt es an. "Was, du hast nicht die Markenschuhe, die heute <in> sind?" "Was, du kannst dir das nicht leisten?" Keiner fragt: Muss ich mir das eigentlich leisten können - oder würde ich nicht auch mit weniger Dingen gut und hinreichend und vor allem - weniger stressig - leben? Angebetet wird heute weniger in Kirchen, als vielmehr in Warenhäusern, vor Reise-Katalogen und bei Auto-Messen.


Die Antwort Jesu ist einfach und klar. Er sagt uns: Anbetung, also die Ü;bereignung des eigenen Lebens, gebührt allein Gott. Gott zu gehören bewahrt uns davor, unsere Seele zu verkaufen.


Frage dich in dieser Fastenzeit, ob du Dinge, Anliegen, Wünsche hast, die dich völlig besetzen! Ich meine nicht die existentiellen Lebenssorgen, die wahrhaft den Menschen umtreiben, ja ängstigen können. Nein: Ich meine die Gier nach dem, was nicht unbedingt sein müsste, wovon du aber meinst, es zu deinem Glück unbedingt haben zu müssen. Sich davon frei zu machen ist Sinn der Fastenzeit. Nimm das mit als Frage in die kommenden Wochen: "Wem gehört mein Herz?" "Was bete ich an?" "Ist es wirklich Gott allein?"


Ein solches Fragen erfordert geistliche Wachheit. Und die gewinne ich im Gebet. Darum meine Einladung: Ü;be bewusst und treu das Gebet! Es ist auch in deinem Alltag möglich. Fang in der Fastenzeit wieder neu an, wenn es dir entglitten ist. "Herr, zeig dich mir! Sprich zu mir! Lass mich Dein Angesicht sehen! Sag mir, was Du von mir willst!"


Halte am Tagesanfang, am Tagesende inne, um dich vor Gottes Angesicht zu besinnen! Bleib darin treu, auch wenn sich keine großen Gefühle einstellen. Greife zum Wort der Heiligen Schrift! Suche die Nähe und die Vergebung Gottes im Bußsakrament! Neu anfangen zu dürfen ist nicht selbstverständlich. Es ist ein Geschenk.


Bestärken wir einander in dieser Fastenzeit auch durch gemeinsames geistliches Tun! "Frühschichten" der Jugend, Glaubensabende, Schriftkreise, Einkehrtage, Bußgottesdienste - das alles sind bewährte Möglichkeiten, unsere Gottesbeziehung zu vertiefen. Vergesst auch nicht, euer Herz und Geldbeutel den Armen aufzutun. Selbstlose Nächstenliebe ist Ausdruck von Gottesliebe.


Helfen wir einander, Menschen des Gebetes zu werden und zu bleiben. Hier sind wir Priester, Diakone, Ordensleute, Gemeindereferentinnen und -referenten gefragt. Bei allen Aufgaben, die heute auf uns Seelsorger warten, dürfen wir diese nicht vernachlässigen: Wir sollen Vorbeter in den Gemeinden sein.


In dieser Aufgabe sind aber auch andere gefragt, die Väter und Mütter beispielsweise, die Kindern und Kindeskindern helfen können, in der Schule des Gebets voranzuschreiten. Auch die Kranken, die Alleinlebenden bitte ich um ihr Gebet, besonders in dem Anliegen um Priester- und Ordensberufe.


Bei all dem vergesst nicht: Selbst im Schmerz, in einer Bitterkeit, in einer großen Dunkelheit kann Gott uns begegnen, kann er uns trösten und stärken. Er will auch dort, ja gerade dort mit uns gehen, wo das Licht am Ende des Tunnels noch nicht zu sehen ist.



Demütig bleiben


Der Teufel hat noch sublimere Versuchungen in seinem Arsenal. Eine der raffiniertesten ist die Versuchung, Gott auf die Probe zu stellen. Es läuft darauf hinaus, selbst sein zu wollen wie Gott.


Ein Sturz von der Zinne des Tempels konnte nur tödlich ausgehen. Das war jedem, der die Geschichte damals hörte, klar. Der heutige Teufel lockt vielleicht so: "Lass dich doch mal auf Drogen ein! Den Kick solltest du dir nicht entgehen lassen! Und zudem: Irgendein gesellschaftlicher Schutzengel wird dich schon auffangen, wenn es unliebsame Folgen gibt!"


Was antwortet der Herr dem Versucher? "Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht auf die Probe stellen!" Es ist vermessen zu meinen, Gott halte für jedes Fehlverhalten in meinem persönlichen Leben ein Auffangnetz bereit.


Oder nehmen wir ein noch anderes, sehr aktuelles Beispiel. Manche sagen: "Geben wir doch der Wissenschaft das Experimentieren mit menschlichen Embryonen frei! Es wird schon irgendeine Ethik-Kommission dafür sorgen, dass nichts schief geht!" Das nenne ich Vermessenheit. Eine Menschheit, die sein will - wie Gott!


Was uns der Herr mit der Abwehr der dritten Versuchung sagen will ist dies: Nur der Demütige wird Leben und Zukunft gewinnen. Wer Grenzen des sittlich Erlaubten anerkennt, ist nicht feige, sondern weise. Nicht, dass wir den Forscherdrang eindämmen und die Wissenschaft verteufeln wollen. Das sei ferne! Gott selbst hat uns den Verstand geschenkt und uns aufgetragen, die Welt zu gestalten. Ich meine freilich: sie zu gestalten - und nicht zu verunstalten.


Wir brauchen eine menschengerechte Forschung, keine Wissenschaft, die menschliches Leben vernichtet. Eine menschliche Intelligenz, die ABC-Waffen ausdenkt und einsatzbereit hält, ist pervertierte Intelligenz. Vor solcher Vermessenheit ist auch religiöses Denken nicht gefeit, wenn z.B. Terrorismus oder Krieg mit einem angeblichen Willen Gottes begründet wird.


"Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht auf die Probe stellen!" Beide, die Religion und die Vernunft müssen ihre Grenzen kennen. Dort, wo der Mensch sich selbst auf Gottes Thron setzen will, geht er dem Teufel auf den Leim.



Liebe Brüder und Schwestern,

die Versuchungen Christi sind auch unsere Versuchungen. Unser Herr zeigt uns, wie man in Versuchungen bestehen kann:


    - Aufmerksam sein und bleiben für das, was unser Leben wahrhaft reich macht.

    - Bereit zu sein, die falschen Götter im eigenen Leben zu entthronen und:

    - Demütig zu bleiben. Nur so sind wir fähig, Grenzen zu erkennen und anzuerkennen. Nur so bleibt unser Leben menschlich.

Das Evangelium von den drei Versuchungen Christi ist das Fastenzeit-Programm auch für uns heute. Ich wüsste nichts Heilsameres. Ü;brigens auch für Nichtchristen!


Es segne und behüte euch der dreifaltige Gott: der Vater und der Sohn und der Heilige Geist. Amen.


Euer Bischof Joachim Wanke




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