Ich könnte mir diesen Vortrag leicht machen, indem ich sage: Sorgen wir für eine evangelisierende Kirche - und wir werden wissen, wie unser priesterlicher Dienst auszusehen hat
Manche Dinge ergeben sich in der Tat von selbst. Wer gern wandert, merkt bald, was bei einer längeren Wanderung nützlich ist, etwa gar bei einer Hochgebirgswanderung. Profile erwachsen aus Herausforderungen - und nicht alles, was sich kluge Leute an Schreibtischen ausdenken, muss sich auch in der Praxis als sinnvoll erweisen.
Ich weise also zunächst einmal die Erwartung ab, man könne in einigen Merkpunkten säuberlich erfassen und auflisten, was den Priester in einer "evangelisierenden Kirche" kennzeichnen sollte. Auch in Zukunft wird es - gottlob - sehr unterschiedliche Priesterpersönlichkeiten geben.
Ich erinnere an das Berlin der Zwischenkriegszeit: Da lebten in dieser Großstadt an der Spree ein Carl Sonnenschein, ein Romano Guardini (von dem Sonnenschein übrigens nicht viel hielt!) und an St. Hedwig der Dompfarrer und spätere Dompropst Bernhard Lichtenberg. Unterschiedlicher könnten charakterliche Prägungen und priesterliches Selbstverständnis nicht sein als die dieser drei Männer. Da ist der Großstadtapostel mit seinem Einsatz für alle Schwachen und Benachteiligten, für die er Tag und Nacht da war, da ist der Professorpriester, der einer hochmütigen, sich selbst genügenden Universität begegnet und dort kaum wahrgenommen wird, da ist ein Würdenträger der Kirche mit einem traditionellen Amtsverständnis, der freilich im Empfinden für das Unrecht der Judenverfolgung über sich hinauswächst und sein Leben riskiert.
Wer von diesen dreien hat am wirkungsvollsten dem Evangelium Jesu Christi in der Stadt Berlin die Tore geöffnet? Wer kann das beurteilen?
Solche Ü;berlegungen machen also bescheiden. Dennoch bleibt die Fragestellung interessant: Welche Konturen sollte ein Priester haben, der in einer evangelisierenden Kirche seinen Dienst verrichtet? Auch wenn beide Größen aufeinander zu beziehen sind: Das eine gibt dem anderen Kontur - eben: Profil. - Zuvor noch drei weitere Vorbemerkungen:
1. Ich möchte zunächst sagen, wie ich das Wort evangelisierend hier verstehe. Ich interpretiere das Wort sehr allgemein, also als Kennzeichen einer Kirche, in der der Wille und die Fähigkeit zu einer missionarischen Präsenz ausgeprägt ist. Beides ist mir wichtig: Der Wille, die Bereitschaft derer, die in der Mitte der Gemeinden Kirche sein wollen, aber auch deren Fähigkeit, deren Geschick, deren Phantasie, dem Evangelium Jesu Christi in der Gesellschaft Aufmerksamkeit zu verschaffen.
Die drei genannten Priester im Berlin der 20er und 30er Jahre haben das je auf ihre Weise getan. Ich wüsste nicht, welchem Zeugnis ich den Vorzug geben sollte. Vermutlich ist es so: Die Kirche braucht alle drei Priestertypen - und noch viel mehr an Gaben und Fähigkeiten bei Priestern und allen Christenmenschen für eine Zeit, in der es nicht selbstverständlich sein wird, ein Christ zu sein.
2. Was zu den Konstanten des priesterlichen Dienstes gehört, ist an dieser Stelle nicht auszufalten. Der Herr hat dem Gottesvolk für seinen Weg durch die Geschichte das Amt gegeben, um durch den Dienst der Amtsträger (und mancher, die ihnen dabei assistieren!) "die Heiligen für die Erfüllung ihres Dienstes zu rüsten, für den Aufbau des Leibes Christi" (vgl. Eph 4,12).
Wie diese Konstanten presbyteralen Dienstes konkret in Erscheinung treten, stellt sich freilich im Ablauf der Kirchengeschichte sehr unterschiedlich dar. Der Einsatz Leo d. Großen vor den Toren Roms, als er den plündernden Vandalen Einhalt gebot, war das eine. Der Einsatz unseres gegenwärtigen Papstes beim Eindämmen des ideologischen Kommunismus ist das andere. Oder gibt es da doch Vergleichspunkte in der Sache?
Wortverkündigung, sakramentaler Dienst, Anstiftung zur Caritas und der Gemeindeaufbau insgesamt bilden die Konstanten des priesterlichen Dienstes. Auch wenn die Formen und Vorgehensweisen sich ändern - der Klerus tut gut daran, möglichst immer neu sich an diesen Grundaufgaben auszurichten, damit er sich nicht in alle möglichen Beschäftigungen verläuft. Die politischen Prälaten waren nicht nur eine Verirrung in den Jahren der Weimarer Republik!
Eine eigene Frage wäre noch einmal, über das je unterschiedliche Profil der derzeitigen (auch nichtpriesterlichen) seelsorglichen Berufe in der Kirche nachzudenken. Es geht derzeit für die anstehenden Aufgaben in Seelsorge und Gemeindeaufbau, speziell auch für die Aufgabe einer missionarischen Präsenz von Kirche viel Kraft durch diverse Profilierungsversuche der jeweiligen Berufsgruppen verloren.
Natürlich ist darüber nachzudenken, was Priester, Diakone, Pastoral- und Gemeindereferenten/innen und weitere Spezialdienste (etwa im sozialpädagogischen Bereich, im Bildungs- im Beratungsbereich etc) jeweils unterscheidet. Aber man sollte nicht allzu viel Energie darauf verwenden. Vieles wird die Praxis regeln.
Wenn man etwas "theoretisieren" will, halte ich es z.B. für bedenkenswert, ob man den Presbyter- (und Episkopen-)Dienst besonders (hier einmal biblisch formuliert) im Bereich des "Nährens" (also Wort-Verkündigung und Dienst an den Sakramenten) und des "Wachens" ( der Einsatz gegen die Falschlehre, die episkope im engeren Sinn) ansiedeln sollte. Den Diakon, der (meist) durch eigene Ehe- und Familienerfahrung und oft auch durch einen säkularen Berufshintergrund geprägt ist, könnte man dem Bereich der "Verwaltung und Diakonie" (was ja eng zusammenhängt!) zuordnen. Das entspräche auch dem altkirchlichen Diakonenprofil. Die Laiendienste in der Seelsorge könne man besonders durch die Verben "inspirieren" und "begleiten" charakterisieren. Diese Dienste haben natürlich auch in den oben genannten Arbeitsbereichen Anteil, aber ihre "Einfärbung" könnte gerade darin bestehen, die Mitchristen für die heute anstehenden Ausprägungen der Nachfolge Christi inspirierend und begleitend zu unterstützen.
3. Zudem sei noch dies als Vorbemerkung gesagt: Eine evangelisierende Kirche wird als Ganze evangelisierend sein - oder überhaupt nicht. Es gibt in dieser Aufgabe keine Arbeitsteilung in dem Sinne, als sei Evangelisierung (als Erstverkündigung) bzw. die Profilierung der missionarischen Präsenz des Evangeliums in der Gesellschaft nur Sache der Geistlichkeit. Es spricht im Gegenteil viel dafür, dass dies gerade nicht hauptsächlich das Aufgabenfeld des Klerus sein wird - so sehr dieser sich diesem Anspruch nicht entziehen darf.
Das Evangelium ist in der Frühzeit der Kirche seinen Weg den Handelsstraßen entlang gegangen. Das Evangelium wurde in den Küchen und Kinderzimmern weitergesagt. Soldaten, Kaufleute und Beamte nahmen den Christusglauben mit in andere Provinzen des römischen Reiches, lange bevor systematische Missionsexpeditionen organisiert wurden. Freilich: Dabei fehlten nicht kundige und profilierte Presbyter und Ordensleute, wie etwa der Mönch Augustinus und seine Gefährten, die Gregor mit genauen Instruktionen Ende des 6. Jahrhunderts zu den Angelsachsen schickte.
Diese Instruktionen sind übrigens sehr interessant: Die Mönche wurden angewiesen, an bestehende vorchristliche Bräuche anzuknüpfen, heidnische Heiligtümer in Kirchen umzuwidmen, also nicht zu zerstören. Lokale Kultfeste sollten in Martyrerfeste umgestaltet werden. Denn - so ein Wort dieses weitblickenden Papstes aus einem Brief: "Wer einen Gipfel erklimmen will, tut dies langsam, schrittweise, nicht in Sprüngen." (Vgl. LThK 3.Auflg. Bd. IV, 1012). Ich überlege, was das für die Ausbreitung des Evangeliums in den jungen Bundesländern bedeuten könnte!
Damit sind wir schon bei unserem Thema: Priester in einer evangelisierenden Kirche - worauf wird es ankommen? Ich nenne vier Anforderungsprofile:
1. Das Evangelium "aufschließen" können
Eine Kirche mit dem Willen und der Fähigkeit, inmitten der Menschen das Evangelium auf den Leuchter zu stellen, braucht Priester, die die Herzmitte des Evangelums begriffen haben, in diese eingedrungen sind und aus ihr heraus zu leben versuchen.
Bonifatius hat auf seinen mühseligen Missionswegen unhandliche Bücher mitgeschleppt - nicht nur die biblischen Texte, sondern auch seinen Augustinus und andere Väterschriften. Die Missionare errichteten Kirchen - und zeitgleich richteten sie Bibliotheken ein. Das Christentum ist eine Religion, in der das Fragen nach dem Grund unserer Hoffnung, die Bereitschaft zur Rechenschaft über den Glauben tief eingewurzelt ist.
Zeiten der Infragestellung des christlichen Glauben bringen einen vermehrten Bedarf an theologischer Reflexion mit sich. Ich verstehe hier unter theologischer Reflexion nicht die größtmögliche Ansammlung fachmethodisch gespeicherten Wissens. Ich verstehe vielmehr darunter die Gabe einer tiefen, existentiell "gegengelesenen" Einsicht in das Geheimnis unserer Erlösung, welches die Mitte unseres Christ- und Kirche-Seins ausmacht. Charles de Foucauld hat einmal gesagt: "Man versteht das Evangelium nur, wenn man es tut." Man könnte auch sagen: Die Kirche wird Priester brauchen (aber eben nicht nur Priester allein!), die die Gabe der Glaubenselementarisierung besitzen, also die Fähigkeit, das, worum es beim Christ-Sein, bei der Annahme des Evangeliums eigentlich geht, kurz und verständlich auf den Punkt zu bringen.
Der Epheserbrief (Eph 1,18f) sagt das so: "(Gott) gebe euch, dass ihr mit dem Herzen sehen könnt, zu welcher Zukunft ihr berufen seid und wie reich das herrliche Erbe der Christen und wie groß seine Macht ist, an der wir im Glauben Anteil haben" (Das Neue Testament und frühchristliche Schriften, übersetzt und kommentiert von K. Berger und Ch. Nord, Frankfurt a. M. und Leipzig 1999, 215)
Die Debatte um die gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre, die 1999 in Augsburg vom Lutherischen Weltbund und unserer Kirche unterzeichnet wurde, hat den entscheidenden Mangel deutlich gemacht, den unser hiesiges Christentum kennzeichnet: Wir sind "sprachlos" geworden. Wir sind weithin nicht fähig, einem normalen gutwillig hörenden Zeitgenossen verständlich zu machen, worum es bei der Aussage: "Rechtfertigung des Sünders aus Gnade" eigentlich geht.
Uns fehlt die Kraft zu einer Sprache, die im Horizont unseres (zugegebenermaßen) einseitigen naturwissenschaftlich geprägten Weltbildes verdeutlichen kann, was Kern und Mitte der christlichen Botschaft ist.
Ich behaupte nicht, dass die Fähigkeit zu einer solchen Verkündigungssprache alle Menschen zu überzeugten Christen machen würde. Das Christ-Werden, also die Ü;bernahme einer österlichen Welt- und Lebenssicht inmitten einer von Sünde und Tod gekennzeichneten Welt für die eigene Existenz hat andere Beweggründe als jene, die durch Nachdenken und eigene Einsicht allein gewonnen werden können. Christ wird man nicht dadurch, dass man sich eine Bibel kauft und sich für den Kircheneintritt entscheidet. Paulus ist der Ü;berzeugung, dass er durch den Lichtglanz des Auferstandenen, der sich ihm offenbart hat, zum Glauben gekommen ist. Die Taufe mit dem Hl. Geist ist für ihn die Grundlage seiner neuen Existenz. Die Wasser-Taufe ist nur ein Zeichen, eben ein Sakrament dieses Vorgangs, welcher der Sache nach ganz von Gott, von Christus ausgeht. Paulus fühlt sich als von Gott "überwältigt", von ihm "ergriffen". Und das gilt von jedem Christ-Werden, auch heute. Im Epheserbrief lesen wir: "Weil ihr zu ihm (sc. zu Jesus Christus) gehört [und dafür kann man bekanntlich nichts tun!], seid ihr gläubig geworden und habt den Heiligen Geist empfangen" (Eph 1,13 in der Ü;bersetzung von K. Berger und Ch. Nord, a.a.O. 215).
Alle Verkündigung ist letztlich Vorfeld-Arbeit, die dem Kommen Gottes, dem Kommen seines Geistes in das Leben der Menschen den Weg bereitet. Oder anders gesagt: Im Geschehen der Christus-Verkündigung ist das Wort Christi selbst am Werk. Er ist es, der in die Biographie eindringt, der die Herzen verwandelt und fähig macht zur Ü;berwindung des alten Adam in uns und zur Auslieferung der eigenen Existenz an Gottes heiligen Willen. Es gilt, was Paulus in 1 Thess 2,13 so ausdrückt: "Wir danken Gott immer wieder, dass ihr unsere Botschaft nicht als Menschenwort, sondern wirklich als das, was sie ist, nämlich als Gottes Wort angenommen habt" (Ü;bersetzung von K. Berger und Ch. Nord, a.a.O. 43).
Diese Grundeinsicht in den gnadenhaften Charakter unserer Berufung vorausgesetzt, ergibt sich dies als Anforderungsprofil für den Priester in einer Kirche mit Missionswillen: Er sollte die Fähigkeit haben, in seinem Reden und Leben die Mitte des Evangeliums aufleuchten zu lassen, den Horizont des Gottesreiches erschließen zu können, dessen sichere "Beitrittskandidaten" wir geworden sind. Er muss die Gabe haben, eine Gesamtsicht des christlichen Glaubens zu entwerfen, von der her sich Einzelheiten des Glaubensgebäudes und zeitgebundene Ausprägungen christlichen Lebens richtig einordnen lassen; ansonsten bleibt der christliche Glaube ein unübersichtlicher Wald, in dem man die Durchsicht verliert, eine Ansammlung von Kuriositäten, die je nach Geschmackslage interessant oder auch abstoßend sein können, aber letztlich unverständlich bleiben.
Eine evangelisierende Kirche braucht Priester mit theologischem Durchblick. Mehr als in Zeiten der Selbstverständlichkeit, der Plausibilität des Christlichen wird es in Zukunft Verkünder des Evangeliums brauchen, die zu dessen Herzmitte führen können - in Worten und Lebenszeichen, die das unauslotbare Geheimnis der Erlösung zu meinem je eigenen Lebensgeheimnis machen. Wir sollten einmal genau hinhören, was vormals ungläubige Erwachsene zur Taufe und zum Mitleben in der Kirche motiviert: "Ich bin mir gewiss geworden, dass ich geliebt bin." "Eine quälende Lebensphase von Sinn- und Ziellosigkeit ist für mich überwunden." "Ich habe die Schuld in mir nicht nur gesichtet und eingeordnet und verarbeitet, mir ist verziehen worden." "Ich habe eine Heilung meines Lebens erfahren, die für mich wie eine Neugeburt ist."
Das sind Basiserfahrungen, aus denen alles andere sich ableitet. Wer voll Freude ist über das, was er sein darf, kann spielend leicht handeln, selbst bei so einschneidenden Dingen wie Veränderung von Lebensprioritäten und Abbau alter, liebgewordener Gewohnheiten.
Das Evangelium aufschließen können so, dass es zur freudigen Ü;berraschung wird - das bringt am besten ins Wort, was ich als Gabe meiner priesterlichen Mitbrüder für ihren Dienst wünsche.
2. Wache Zeitgenossenschaft praktizieren
Unverkennbar ist, dass die Krise unseres christlichen Selbstbewusstseins in Deutschland mit tiefgreifenden Veränderungen unserer geistigen Landschaft zu tun hat. Verbreitet ist ja die Sichtweise, die derzeitige Entwicklung als eine Verfallsgeschichte des Christentums in unserem Land zu lesen. Auch in der säkularen Debatte über die Frage des Werte-Erhalts in der Gesellschaft findet sich dieses Kontrastschema: Kulturpessimismus auf der einen Seite, also die Ü;berzeugung vom Gesetz der schiefen Ebene, in der alles stetig aber sicher bergab geht - und Zivilisationsoptimismus auf der anderen Seite, der die Probleme freilich gern bagatellisiert und auf Selbstheilungskräfte vertraut, die angeblich automatisch wirken sollen.
Die Wahrheit liegt wohl eher in der Mitte. Es gibt keine Korrosion des Christlichen als Selbstläufer, aber es gibt auch keine Neubesinnung auf das Evangelium ohne Bereitschaft zu Umkehr und Neuanfang. Die Soziologen und Kulturphilosophen sagen: Die Bedingungen für Wertebegründungen und Werteerhalt haben sich grundlegend geändert. Auf unser Thema angewendet: Dem Christ-Sein ist der Charakter des Selbstverständlichen genommen.
Ich gebrauche dafür einmal den Begriff "Kontingenz". Kontingent ist eine Sache, die weder notwendig noch unmöglich ist. Es gibt etwas, aber es muss nicht sein, dass es das gibt! Der Korrespondenzbegriff zu Kontingenz ist der Begriff Notwendigkeit. Auf unser Thema hin gewendet: Der Kernpunkt unserer gegenwärtigen Verunsicherung als Christen und Kirche(n) liegt in der sprunghaften Zunahme von Kontingenzerfahrungen im Blick auf die religiöse Deutung des Lebens und der Welt.
Ich mache das einmal etwas anschaulich in einem Bild. Ein Ehemann entdeckt, dass es außer seiner Frau noch hunderte anderer liebenswerter Frauen gibt. Die Ursprungserfahrung einer Liebe, die sein JA und seine anhaltende Treue zu dieser konkreten Partnerin begründet hat, weitet sich zu einer Kontingenzerfahrung: Hier stehe ich - aber ich könnte auch ganz anders!
Nun ist die bloße Konfrontation mit der Tatsache, dass es neben der christlichen Religion auch andere Religionen bzw. säkulare Lebensdeutungen gibt, noch kein hinreichender Grund, meine persönliche Bindung an den christlichen Glauben zu erschüttern. Freilich: Die existenzielle Erfahrung gestiegener Kontingenz meiner religiösen Lebensoption verändert die Qualität, die Art der Bindung. Ohne eine Einbeziehung dieser Infragestellungen meiner Entscheidung durch das Verhalten anderer bleibt meine Entscheidung, meine Bindung nicht überlebensfähig.
Genau in diesem Prozess einer Vertiefung, einer qualitativen Verdichtung bzw. Steigerung unseres Gottesglaubens stehen wir heute. Der geweitete Erfahrungsraum für den Einzelnen hat eine Ausweitung des Freiheitsraumes, und damit eine Vervielfältigung der Handlungsoptionen mit sich gebracht. Wie dieser Wandlung der Rahmenbedingungen für einen verantwortbaren religiösen Glauben in der Moderne zu begegnen ist, bleibt die Grundherausforderung einer wachen zeitgenössischen christlichen Spiritualität. Der Priester der Zukunft wird auf der Suche nach der Gestalt einer solchen selbstreflexiven Frömmigkeit ein Pionier, ein Pfadfinder sein müssen.
Wir spüren im Innenraum der Kirche, wie diese hier kurz skizzierte geistige Horizonterweiterung der Moderne viele verunsichern. Die einen sagen: Festhalten an allem, was die alten Sicherheiten stützen kann! In der Tat: Wer nur das Eigene kennt, wird dieses für das Einzige halten. Das nenne ich den "Dogmatismus der Wenig-Gereisten", der Rückzug in ein geistiges Getto, der Weg der Abschottung, des geistigen Mauerbaus. Das hat freilich auf Dauer gesehen keine Zukunft. Die (oft mit viel Einsatz und Leid erkauften) Freisetzungen des Menschen zu größeren Handlungsmöglichkeiten liegen m. E. in der Intention der Geschichte Gottes mit uns Menschen. Diese Freisetzung ist - bei allem, was dadurch auch an Ü;berforderung, an Orientierungsnotstand und Irritationen entstehen kann - trotz allem also ein hohes Gut, eine Chance. Gott mutet uns aus gutem Grund Freiheit zu. Was nicht in Freiheit gedeiht, gedeiht überhaupt nicht! Das ist für mich eine wichtige Einsicht der DDR-Jahre, und ich meine das nicht nur politisch.
Andere freilich schütten angesichts der Herausforderungen der Gegenwart das Kind mit dem Bade aus. Sie machen die Freiheit zur Beliebigkeit. Es ist - im Unterschied zum "Dogmatismus der Wenig-Gereisten" die Blasiertheit derer, die überall schon gewesen sind, die aber nichts mehr "erfahren". Sie sind unfähig zum Erkennen des Eigenen, weil das Fremde ihnen nichts mehr zu sagen hat. Ihnen fehlt auf andere Weise wie den Dogmatisten die Kraft zur Empathie, zur wirklichen Wahrnehmung des Anderen und der Anderen, um von dieser Blickrichtung her den Wert und die Kostbarkeit der eigenen Lebensoption (sei es die Entscheidung für einen geliebten Partner oder jene für den Gott und Vater Jesu Christi) neu zu erfahren.
Was ich hier mit dürren Worten zu beschreiben suche, ist die meines Erachtens unabdingbare Voraussetzung für priesterlich-seelsorgliches Wirken in der geistlichen Luft unserer westeuropäischen Kultur: die Bereitschaft zu einer wachen, kritischen aber vor allem auch selbstkritischen Zeitgenossenschaft.
Eine evangelisierende Kirche braucht Priester (aber eben auch andere Christen), welche die Freiheit nicht wegen des in ihr enthaltenen Risikos verketzern, die den Balanceakt eines Glaubensweges wagen, der Zumutungen bereithält, der mit Irritationen und gelegentlichen Ü;berforderungen verbunden sein wird. Es wird zum Profil eines Priesters morgen gehören, seinen Gottesglauben zu leben angesichts der Vielfalt anderer, durchaus respektabler Lebensentwürfe, religiöser und nichtreligiöser. Der Priester wird in der Lage sein müssen, es zu ertragen, dass er mit seinem Glauben im Gespräch der Religionen und Weltanschauungen keine automatisch vorgegebene exklusive Rolle spielen kann. Er wird mühselig lernen müssen, seine Entschiedenheit für Gott tiefer und besser zu begründen. Er muss sein JA-Wort gleichsam immer wieder neu sprechen, in einer größere Kontingenz hinein, in eine größere Freiheit hinein. Diese Entscheidung kann zwar nachträglich reflektiert und auch argumentativ verteidigt werden, aber niemals anderen andemonstriert werden. Kurz: Der Priester als Zeuge Gottes, der von sich wie Paulus sagen kann: "Der alte Paulus lebt nicht mehr, und mein neues Leben ist so durch und durch von Christus bestimmt, dass ich sagen kann: In mir lebt Christus. Noch lebe ich als sterblicher Mensch, aber mein wirkliches Leben besteht im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sein Leben für mich gegeben hat" (Gal 2,20 in der Ü;bersetzung von K.Berger und Ch.Nord, a.a.O. 139).
Ich stelle diesem existentiellen Zeugnis des Apostels einmal ein Zitat eines heutigen Soziologen gegenüber, Hans Joas. In einem Vortrag aus dem Jahr 2001 geht er der Frage nach, wie unter heutigen Bedingungen Bindung an Werte (und die Bindung an das Evangelium ist ja auch eine Wertbindung!) glücken kann. Er spricht von "einer Fähigkeit zur reflexiven Distanzierung von sich selbst, zur flexiblen Verinnerlichung und kreativen Artikulation". Und er fährt fort:
"Solche reflexive Distanzierungsfähigkeit ist aber keineswegs .... als kühle Distanz, solche flexible Verinnerlichung nicht als bloß schwächliche Verinnerlichung unter Vorbehalt misszuverstehen. Zutreffender wäre es, ein höheres Maß an Freiheit in der Bindung zu erkennen - wie dies auch auf die neuen Formen sozialer Bindung zutrifft (Anm. Wanke: Joas denkt hier an neue Formen ehrenamtlichen Engagements in der Gesellschaft). Ohne solche Freiheit in der Bindung, welche die Stärke dieser Bindung mit dem Bewusstsein ihrer Kontingenz balanciert und insofern immer erneute Einwilligung in schon bestehende Bindung erfordert, ist Handeln unter Bedingungen hoher Kontingenz unmöglich." (in: Die Zukunft der Bildung, hrsg. von N. Killius u.a., Frankfurt a.M. 2002, 72).
Im Wissen um diese geistige Situation hat der Priester sein Glaubenszeugnis zu geben und andere dazu anzustiften. Er darf sich selbst nicht an der Teilhabe an dieser geistigen Kontingenzerfahrung vorbeidrücken. Er muss den Menschen von heute in dieser Hinsicht wirklich gleichzeitig sein, ohne sich in allem ihnen gleich zu machen. Sein Sprechen, Denken, Empfinden, der eigene Lebensstil, die eigene Sympathie- und Empathiefähigkeit, letztlich die Grundeinstellung einer tiefen Solidarität mit den Menschen von heute werden diese Einstellung beglaubigen. Nur mit einer solchen Haltung wird der Priester die Ohren und Herzen der Menschen erreichen können.
3. Zur Kirche in Einheit zusammenführen können
Ein in die nachapostolische Zeit zu datierender Brief aus Rom nach Korinth, der 1. Klemensbrief, berührt bei heutiger Lektüre merkwürdig. Dieser Brief wurde in der syrischen Kirche zeitweilig zum Kanon der Heiligen Schriften gerechnet. Es geht in diesem frühchristlichen Schreiben um einen Streit in Korinth. Dort waren die ordnungsgemäß eingesetzten Presbyter von jüngeren Gemeindemitgliedern an den Rand gedrängt und in einem Gemeindetumult abgesetzt worden.
In 65 langen Kapiteln versucht nun der Autor, die korinthische Gemeinde zur Ordnung zu rufen und die Wiedereinsetzung der Presbyter zu erreichen. Er bemüht dabei alle biblischen und naturphilosophischen Argumente, um zu zeigen: Zum christlichen Leben gehört das Einhalten einer rechten Ordnung. Neid ist die Wurzel allen Ü;bels. Aus ihm erwachsen Streit und Zwietracht, Zorn und Eifersucht. Sogar das Martyrium des Petrus wird auf Eifersucht zurückgeführt - also nicht einer ungerechten Obrigkeit zugeschrieben. Die "Hauptfeinde", mit denen Paulus zu kämpfen hatte, waren nach 1 Klem 5 nicht die Judaisten, sondern Eifersucht und Streit!
Das aufwändige Bemühen des Briefschreibers ist erstaunlich. Ob sein Einsatz erfolgreich war, wissen wir nicht. Nur eines bezeugt dieser Brief, der in modernen Ausgaben ca. 37 enge Druckseiten umfasst: Die Ü;berwindung von Zwietracht und Streit sieht der römische Presbyter Klemens als seine wichtigste Aufgabe an. Darum mischt er sich in die Verhältnisse im weit entfernten Korinth ein. Freilich: Diese Prioritätensetzung kennen auch andere neutestamentliche Autoren. Auch bei ihnen wird der Mahnung zur Einheit und zur Ordnung in der Kirche breiter Raum gegeben.
Was ergibt sich daraus als Schlussfolgerung? Eine evangelisierende Kirche muss der Welt das Zeugnis der Einheit und der Liebe geben. Mit Recht wird immer wieder darauf verwiesen, dass die missionarische Lähmung der Kirche ihre wesentliche Ursache in der Spaltung der Christenheit hat. Kircheneinheit meint nicht eine uniforme Einheit. Das versteht sich von selbst. Doch das Ringen um Einheit in Wahrheit und Liebe ist keine Nebensache, auf die man auch verzichten könnte. Die Kirche kann nichts anderes sein als der eine in sich geordnete Leib Christi, und zwar nicht bloß als unsichtbare, nur geistliche Wirklichkeit, sondern in der Konkretheit und Sichtbarkeit, in der Gott selbst in der Menschwerdung Jesu Christi sich uns konkret und sichtbar gezeigt hat.
Von diesem Ü;berzeugung her sehe ich als ein wichtiges, unerlässliches Dienstprofil des Priesters seine Bereitschaft und seine Fähigkeit, zum Aufbau der Gemeinde Jesu Christi in Wahrheit und Liebe beizutragen. Einer der ansprechendsten Titel des römischen Bischofs ist pontifex - Brückenbauer. Jeder Priester muss auf seine Weise ein Brückenbauer sein können, um den Zustand der Separiertheit, in dem Menschen sich naturgemäß und aufgrund erbsündlicher Belastung und eigener Schuld vorfinden, auf die Einheit in Christus hin zu überwinden.
Ich betrachte dieses Anliegen noch einmal aus einem anderen Blickwinkel. Die Soziologen machen uns auf die sogenannten Milieubildungen in unserer Gesellschaft aufmerksam. Da wird nach Alter und Beruf, nach Neigung und Vorlieben, nach Bildung und sozialem Herkommen unterschieden. Gottlob ist die Wirklichkeit immer noch anders als die soziologische Theorie. Aber es leuchtet schon ein, dass es nicht selbstverständlich ist, wenn ein Vertreter des "Selbstverwirklichungsmilieus" zusammen mit einem biederen Vertreter des "Harmoniemilieus" am Sonntag beim Gottesdienst in der gleichen Bank kniet. Dass so viele unterschiedliche Menschen aus dem gleichen Gesangbuch singen, ist eigentlich ein soziologisches Wunder.
Menschen zur Begegnung führen, untereinander und darin zu Gott; Menschen vernetzen können, ohne sie zu gängeln, ohne dabei sublime Herrschaft auszuüben; Gemeinden zu formen, die tragfähig und weitmaschig zugleich sind - tragfähig, um die Schwachen darin aufzufangen, und weitmaschig, um die Starken nicht in ihrem Gewissen zu verletzen - das ist das Charisma der "Kybernetik", des "Vorstehens", der "Mahnung", des "Sich-Mühens" im Weinberg des Herrn (vgl. 1 Thess 5,12), das sind Gaben des Geistes für Gottes Volk, die nur recht äußerlich mit kirchlichen Rechtsnormen umschrieben werden können.
Diese Gabe der Verortung der Glaubenden in Gemeinschaft, in "Kirche" ist so wichtig, weil der einzelne Gläubige in der pluralistischen Welt von morgen nicht überleben kann ohne eine solche Einbindung in die Kirche. Wir brauchen dringend ein erneuertes Verständnis von Kirche, kein triumphalistisches, aber doch ein Verständnis, das nicht nur ein theologisches Abstraktum ist, sondern das Herz erwärmt!
Es schmerzt mich zutiefst, wenn ich erlebe, dass Menschen, die im Auftrag und Namen der Kirche arbeiten, die Kirche nicht lieben. Bei allem Wissen um Versagen und Schuld auch innerhalb der Kirche wird der Priester von morgen nur als ein lebendiges Werkzeug des totus Christus seinen Dienst verrichten können, also des ganzen Christus, der nicht nur Haupt des "Kirchenleibes" ist, sondern eben auch in seinem Leib, in seiner Kirche in Zeit und Geschichte konkret unter uns gegenwärtig sein und wirken will.
Es bedarf also einer neuen Spiritualität von Kirche-Sein, um Menschen für das Evangelium gewinnen zu können. Der Papst hat dazu in seinem Schreiben "Novo millennio ineunte" (vom 6. Januar 2000) sehr überzeugend (und auch - wie ich meine - mit Herzblut) geschrieben. Ich zitiere einen längeren Passus aus diesem Schreiben:
"Die Kirche zum Haus und zur Schule der Gemeinschaft machen, darin liegt die große Herausforderung, die in dem beginnenden Jahrtausend vor uns steht, wenn wir dem Plan Gottes treu sein und auch den tiefgreifenden Erwartungen der Welt entsprechen wollen.
Was bedeutet das konkret? Auch hier könnte die Rede sofort praktisch werden, doch es wäre falsch, einem solchen Anstoß nachzugeben. Vor der Planung konkreter Initiativen gilt es, eine Spiritualität der Gemeinschaft zu fördern, indem man sie überall dort als Erziehungsprinzip herausstellt, wo man den Menschen und Christen formt, wo man die geweihten Amtsträger und Ordensleute und die Mitarbeiter in der Seelsorge ausbildet, wo man die Familien und Gemeinden aufbaut. Spiritualität der Gemeinschaft bedeutet vor allem, den Blick des Herzens auf das Geheimnis der Dreifaltigkeit zu lenken, das in uns wohnt und dessen Licht auch auf dem Angesicht der Brüder und Schwestern neben uns wahrgenommen werden muss. Spiritualität der Gemeinschaft bedeutet zudem die Fähigkeit, den Bruder und die Schwester im Glauben in der tiefen Einheit des mystischen Leibes zu erkennen, d. h. es geht um "einen, der zu mir gehört", damit ich seine Freuden und seine Leiden teilen, seine Wünsche erahnen und mich seiner Bedürfnisse annehmen und ihm schließlich echte, tiefe Freundschaft anbieten kann. Spiritualität der Gemeinschaft ist auch die Fähigkeit, vor allem das Positive im anderen zu sehen, um es als Gottesgeschenk anzunehmen und zu schätzen: nicht nur ein Geschenk für den anderen, der es direkt empfangen hat, sondern auch ein "Geschenk für mich". Spiritualität der Gemeinschaft heißt schließlich, dem Bruder "Platz machen" können, indem "einer des anderen Last trägt" (Gal 6,2) und den egoistischen Versuchungen widersteht, die uns dauernd bedrohen und Rivalität, Karrierismus, Misstrauen und Eifersüchteleien erzeugen. Machen wir uns keine lllusionen: Ohne diesen geistlichen Weg würden die äußeren Mittel der Gemeinschaft recht wenig nützen. Sie würden zu seelenlosen Apparaten werden, eher Masken der Gemeinschaft als Möglichkeiten, dass diese sich ausdrücken und wachsen kann" (Apostolisches Schreiben Novo Millennio ineunte. Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 150, hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2001, Nr. 43).
Ein solcher Text zeigt mir, dass unserer Papst wohl doch sehr wach wahrnimmt, was auch den Alltag in unserer Kirche bestimmt! - Ich komme zu einem letzten Anforderungsprofil des Priesters in einer evangelisierenden Kirche:
4. Anstifter zur Danksagung werden
Ich sage nicht umstürzend Neues, wenn ich den Priester an seiner Bereitschaft messe, Vorbeter für die Gemeinde und stellvertretend mit dieser zusammen für alle Menschen zu sein. Die Diakone werden vor der Weihe gefragt, ob sie bereit sind, Männer des Gebetes zu werden - zusammen mit dem Volk Gottes und für dieses Volk, aber eben darin für die ganze Welt. Diese Frage hebt auf das Breviergebet ab - zielt aber letztlich auf die ganze Lebensform.
Paulus hat das Nachdenken über seine apostolische Arbeit, die von mancherlei Todeszeichen gekennzeichnet war, so zusammengefasst: "Das alles tun wir euretwegen, damit immer mehr Menschen aufgrund der überreich gewordenen Gnade - den Dank vervielfachen, Gott zur Ehre" (2 Kor 4,15).
Diese Bereitschaft, sich von Gottes überreich gewordener Gnade nicht beschämen zu lassen, sondern nun selbst in den Dank der Vervielfältigung der "Kircheneucharistie" zu treten, ist nach Paulus die Herzmitte einer missionarischen Spiritualität. Ähnliches ist von Jesus selbst zu sagen. Der Ruf Jesu nach Arbeitern für die eschatologische Ernte Gottes ist ein Jubelruf über die Fülle und den Reichtum des Gnadenhandelns Gottes - die Scheuern reichen nicht, die Arbeiter reichen nicht: so unendlich groß ist die Ernte. Das ist eine hoffnungsvolle Vision, kein Lamento über ausbleibende Jünger- oder gar Priesterberufe.
Uns sind die Visionen ausgegangen, darum sind wir so kleinmütig geworden. Uns fehlt die Eucharistie des Lebens, darum bleibt die Eucharistie auf den Altären so resonanzlos. Wir feiern die Eucharistie zu oft liturgisch und wir leben sie zu wenig im Alltag.
Die Priester - und ich beziehe hier auch einmal ausdrücklich die größeren und kleineren Gemeinschaften der Priester ein, die in Zukunft immer wichtiger werden dürften - die Priester werden evangelisierend arbeiten können, wenn sie eine Kompetenz gewinnen, ihr eigenes Leben, ihren eigenen Alltag, vom Computereinsatz bis hin zum Krankenbesuch, als geistliches Hingabegeschehen zu verstehen.
Für uns Priester besonders gilt, was Paulus in Röm 12,1ff allen Christen empfiehlt: "Ich ermahne euch: Gebt euer Leben, euch selbst, als Opfer, mit dem ihr Gott anerkennt. Weil Gott lebt, gebührt ihm ein lebendiges Opfer, das seid ihr selbst, und so will es Gott. Verändert euch, nicht indem ihr euch dieser Welt anpasst, sondern indem ihr in eurem Innern anders werdet. Lernt zu unterscheiden, was Gott will und was nicht." (Ü;bersetzung nach K.Berger und Ch.Nord, a.a.O. 173f). Und in Phil 4,12 schreibt Paulus, nachdem er sich bei den Philippern für empfangene Gaben bedankt hat: "Ich habe gelernt, mich in jeder Lage zurechtzufinden. Ich weiß Entbehrungen zu ertragen, ich kann im Ü;berfluss leben. In jedes und alles bin ich eingeweiht: in Sattsein und Hungern, Ü;berfluss und Entbehrung. Alles vermag ich durch ihn, der mir Kraft gibt." Das hindert aber Paulus nicht, dennoch für die Gabenpakete aus Philippi dankbar zu sein und auch zu weiteren zu ermuntern!
Evangelisieren heißt ja so viel wie: Das ganze Leben in den Horizont der Osterbotschaft einzuordnen, dem Licht des Auferstandenen auszusetzen. Die Realitäten bleiben. Der christliche Glaube verzaubert nicht, auch nicht die Alltagsarbeit des Priesters. Aber dieser Glaube beleuchtet, er setzt ins rechte Licht, er "fermentiert" das Ganze der Wirklichkeit, damit diese für Gott wohlgefällig und die Menschen schmackhaft wird.
Die Kraft zu einer solchen Welt- und Lebenssicht ist nicht allein durch Worte vermittelbar. Dazu bedarf es existentieller Einweisung - so wie vergleichsweise auch andere Werte und Werthaltungen nie einseitig rational, über den Kopf, durch intellektuelle Durchdringung und Erfassung allein vermittelt werden. Von Werten muss man hingerissen sein - und wenn das durch Kontrasterfahrungen geschieht. "So etwas soll mir nicht noch einmal passieren!" Das ist oft ein wirksamerer Einstieg in eine Lebensänderung als viele gute Vorsätze. Einfache Lebenserfahrungen, konkrete Personen, besonders aber "Zeugen" machen auf Werte aufmerksam und bewirken, dass andere diese für sich übernehmen, aber eben dann nicht in sklavischem Drill, sondern als eigene freie Entscheidung. So und nicht anders wird auch eine vom Evangelium durchtränkte Lebenshaltung weitervermittelt. Der Glaube entzündet sich nicht an Papier, sondern am Glauben anderer neben mir. Meine Fähigkeit zur Danksagung wächst am Vorsprechen der Danksagung in Wort und Lebenstat durch andere.
Als Papst Johannes XXIII noch Patriarch in Venedig war, soll er einen verlotterten Priester einmal aufgesucht und mit der Bitte konfrontiert haben: "Ich will bei dir beichten." Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem ungeistlichen Leben des Priesters und dem ungeistlichen Leben der Getauften und Gefirmten. Aber es gibt auf jeden Fall auch einen solchen Zusammenhang im positiv-geistlichen Sinn: Es gibt Förderung durch (An-)Forderung. Wer andere einweihen darf in ein Leben aus der Kraft der Nachfolge Christi wird daraus immer auch für sich selbst Früchte ernten. Das mag uns in unserer eigenen Schwachheit als Priester trösten.
Ich deute wenigstens noch an, was dieses vierte Anforderungsprofil für die Priester konkret bedeutet. Mehr noch als früher wird in Zukunft der geistlich und menschlich einsame Priester gefährdet sein. Priesterliche Gemeinschaft, Verortung des eigenen Glaubens in einer Weggemeinschaft von Priestern und Laienchristen, Erfahrungen des gegenseitigen Gebens und Nehmens in geistlichen Dingen werden für den Priester überlebensnotwendig. Was bei Ausbildung und Begleitung und der Gestaltung der Rahmenbedingungen der priesterlich-seelsorglichen Arbeit in diesem Sinne verbessert werden kann, muss Bischöfe und Bistumsverantwortliche, aber auch unsere Gemeinden immer wieder neu beschäftigen. Auch im Blick auf die heute so notwendige Kooperationsfähigkeit in der Seelsorge ist diese geistliche Transparenz der Priester für andere, ihre Einbindung in einen personalen WIR-Raum des Glaubens von großem Gewicht.
Ich fasse meine Ü;berlegungen mit dem Hinweis auf Apg 1,15ff zusammen. Bei der Nachwahl für den Kreis der Zwölf wird für den ausgeschiedenen Judas Iskariot ein Mann gesucht, der zusammen mit den übrigen Aposteln Zeuge der Auferstehung sein sollte. Den irdischen Jesus gekannt zu haben, reichte nicht aus. Wer Apostel Jesu Christi sein soll, muss ein Osterzeuge sein. Ich meine, das gilt auch für den Priester.
Mit diesem "Anforderungsprofil" ist eigentlich alles gesagt, was zu dem Thema dieses Vortrags gesagt werden kann. Wenn wir Priester Osterzeugen sind, wird die ganze Kirche österlicher. Und ich wiederhole noch einmal diesen Satz: Wer voll Freude ist über das, was er sein darf, kann spielend leicht handeln - auch als Priester im 21. Jahrhundert.
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