"Erschaffe mir Gott ein reines Herz"

Mit den Psalmen den Sinn der Heiligen Schrift erschließen. Predigt zum 3. Fastensonntag von Domkapitular Gregor Arndt





Beten mit der Heiligen Schrift - das ist der "rote" Faden für die diesjährigen Predigten zur Fastenzeit. Schauen wir daher einmal genau auf die biblischen Texte zu den Sonntagen auf dem Weg zum Osterfest.


1. Biblische Texte sind unterschiedlich

Vorigen Sonntag sind wir mit den Jüngern auf den Berg Tabor gegangen. Wir durften Christus in neuem Licht sehen. Aus der Wolke erging die Aufforderung, auf ihn zu hören. Heute begegnen wir Mose auf dem Sinai. Zwischen Berg und Wolke trifft uns in beiden Erzählungen die Gegenwart Gottes. Assoziationen und Querverbindungen zeigen dabei die Bibel als ein dialogisches Buch. Biblische Bilder aber auch Personen ergänzen einander: Der friedvolle Garten Eden steht inhaltlich in Spannung zur Geschichte um Adam und Eva. Die wunderschöne Weihnachtserzählung des Lukas wird formal durch eine theologische Kurzformel des Evangelisten Johannes auf den Punkt gebracht: Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt. Der Rechtstext der Zehn Gebote - den wir heute gehört haben - besitzt einen ganz anderen Klang als die Lyrik, mit der Gott um sein Volk Israel wirbt. Die Bibel lädt so ein, Worte und Bilder, Personen und Geschichten miteinander in Bezug zu setzen. Es entstehen Sprachräume, in denen Erkenntnis wachsen und Gottes Botschaft deutlicher wird. Dabei erscheint uns die Bibel oft wie ein Bilderbuch, das unsere Phantasie anregt: Vom barmherzigen Samariter oder vom kleinen David gegenüber dem riesigen Goliath besitzt bestimmt jeder ein inneres Bild.

Anderseits kommt die Heilige Schrift manchmal uns wie eine Spruchsammlung entgegen. Mit dichten, kurzen Worten bringt sie die Botschaft auf den Punkt. Dabei spielt die Sammlung der 150 Psalmen eine besondere Rolle. Da ist zum einen die Konzentration der Gedanken auf wenige Worte. Der Rhythmus der Sprache hilft beim Lernen und Wiederholen. Und nicht zu unterschätzen ist die Erkenntnis, dass auch Jesus die Psalmen als die Sprache seines Betens genutzt hat. So hören wir ihn am Kreuz mit den Worten des Psalm 22 rufen: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen. Für viele Christen ist wiederum der Psalm 23 ein tiefer Trost in den Worten: Der Herr ist mein Hirte, nichts wird mir fehlen. Die Psalmen und andere poetische Texte der Bibel besitzen nicht selten die Kraft, in Kirche und Gesellschaft hineinzuwirken. Die Aufmerksamkeit von Ochs und Esel in einem Text des Propheten Jesaja übernahm die Kirche in die Darstellung der weihnachtlichen Krippe. Das Bild von den aus Schwertern umgeschmiedeten Pflugscharen wurde zum Motto der Friedensdekade und zum politischen Protestspruch der friedlichen Revolution 1989. Biblische Bilder und Worte sind so Sprachhilfen und Antworten auf die Zeichen der Zeit.

Die Psalmen können eine Hilfe sein, ins Gebet zu kommen. Sie helfen uns, andere biblische Texte besser zu verstehen.


2. Eine Gewissenserforschung mit der Heiligen Schrift

Die heutige Lesung mit den Zehn Geboten bietet sich für eine besondere Betrachtung an. Der Text ist klar gegliedert und in seiner Forderung eindeutig und gut zu merken. In dieser Form ist er Magna Charta des Weltethos und zugleich Weltliteratur geworden. Allerdings birgt die Klarheit des Textes auch eine Falle in sich. Die eindeutige Benennung der Grenzen und Forderungen übergeht die Grauzonen unseres Handelns, in denen wir nicht selten auch schuldig werden. Natürlich haben die Meisten von uns keinen Mord begangen. Wo aber ist im staatlichen Recht die genaue Grenze zwischen Sicherheit und Folter? Wo ist persönlich die Grenze zwischen Kritik und Mobbing? Die Objektivität der Zehn Gebote bedarf zwingend der subjektiven Bereitschaft, sich anfragen zu lassen. Psalm 51, den wir gerade gebetet haben, mag uns helfen, diese Bereitschaft zu wecken. Er baut Brücken zur persönlichen Gewissenserforschung. Er kann uns zu tieferem Verständnis der Zehn Gebote helfen. Betrachten wir einige Verse genauer.

Wasch meine Schuld von mir ab, und mach mich rein von meiner Sünde. (V 4)

Dieser Vers des Psalms geht selbstverständlich davon aus, dass Grenzen und Schuld zum Leben dazugehören. Er lädt ein, nicht zu verdrängen, sondern sich immer wieder einmal einer ehrlichen Gewissenserforschung zu stellen. Mit Blick auf die Zehn Gebote bedeutet das, sich nicht selbstsicher auf die Schulter zu klopfen und festzuhalten, dass man weder Dieb noch Ehebrecher ist. Vielmehr heißt es, sich den in den Geboten umschriebenen Lebensfeldern zu stellen: Wie gehe ich zum Beispiel mit Eigentum und mit meiner Familie um? Im Anschauen meiner schlechten Gewohnheiten und konkreten Fehler kann das Gebet erwachsen: Wasch meine Schuld von mir ab! Ich kann mein Versagen feststellen, Gott kann Vergebung schenken.

Erschaffe mir, Gott, ein reines Herz. (V 12)

Nach dem Eingeständnis der eigenen Begrenztheit lädt dieser Vers aus dem Psalm ein, mit Wahrhaftigkeit, Phantasie und Gottvertrauen nicht nur zu seinen Grenzen zu stehen, sondern das Leben neu zu gestalten. Der erste Schritt gilt dem guten Willen, Anfänge zu setzen: ein reines Herz gegenüber der eigenen Familie aber auch gegenüber dem Finanzamt; ein reines Herz gegenüber den eigenen vielleicht schwierigen Eltern aber auch angesichts persönlicher Begierden. Manchmal ist ein ehrliches Gespräch gefragt, manchmal barmherziges Schweigen. In der einen Situation geht es um demütiges Annehmen eigener oder fremder Gewohnheiten, in einer anderen um eine beherzte Anstrengung. All dies aber ist getragen von Gottes Entgegenkommen. ER kann ein reines Herz schaffen. Mit seiner Hilfe, kann ich mich bemühen, meine Umgebung in seinem Sinn zu gestalten.

Mach mich wieder froh mit deinem Heil. (V 14)

Die Zehn Gebote wollen die Menschen nicht knechten, sondern Gemeinschaft ermöglichen. Sie weisen auf Geschenke hin, auf kostbare Gaben, die Gott für uns bereithält: den Frieden mit ihm selbst und mit anderen. Was sie schützen wollen, ist durch unsere Schuld gefährdet. Nicht selten aber stehen Ge- und Verbote in der Gefahr, anderen ein schlechtes Gewissen einzureden oder den Anderen klein zu machen. Hier fordert der Vers aus dem Psalm auf, Wege der Gewissenserforschung, der Umkehr und des Neubeginns in Gottes barmherzige Hand zu legen. Gerade in diesen Tagen der Vorbereitung auf Ostern bietet uns das Bußsakrament die Möglichkeit des Neubeginns mit Gott an. Vor ihm brauchen wir nicht perfekt sein. Gott, sich selbst und den anderen nicht bequem, aber barmherzig zu begegnen, gehört zum Geist der Zehn Gebote und von Psalm 51.


Quelle: Predigthilfe des Erfurter Seelsorgeamtes für die Fastenzeit 2012. Domkapitular Gregor Arndt ist Leiter des Seelsorgeamtes.