Wie sieht Gott
aus?
"Wie sieht
Gott aus?" diese Frage stellen Kinder, die einmal versuchen, ein Bild zu
malen, bei dem Gott dargestellt werden soll. In den Kirchen sehen die Kinder
z.B. einen Gnadenstuhl, bei dem Gottvater mit langem Bart, Jesus Christus am
Kreuz und der Heilige Geist in Gestalt einer Taube abgebildet ist. In
Barockkirchen, die z.B. das Patrozinium der Gottesmutter Maria tragen, kann man
möglicherweise die drei göttlichen Personen in ähnlicher Form dargestellt
sehen, aber sie halten zusätzlich die Krone für Maria breit, um sie nach ihrer
Aufnahme in den Himmel damit zu krönen. Gott ist hier anschaulich geworden,
auch wenn er eigentlich nicht anschaulich ist. Im Judentum wurde jegliche
Darstellung Gottes verboten, was sich ja ausgewirkt hat bis auf die Sabbatampel
hier im Erfurter Dom aus dem 12. Jahrhundert, bei der sogar sämtliche biblische
Personen kein Gesicht haben. Es erreicht uns damit die Botschaft: Gott ist
unvorstellbar und alles menschliche Reden von ihm ist bruchstückhaft und
unvollkommen. Vielleicht können Bilder helfen, die wir Menschen haben, um das
Wirken Gottes auszudrücken. Die Gleichnisse Jesu liefern uns Bilder: z.B. das
Bild vom barmherzigen Vater oder vom König, der für seinen Sohn das
Hochzeitsfest vorbereitet hat und die geladenen Gäste informiert, dass das Fest
jetzt beginnt, aber sie haben alle keine Zeit und keine Lust. Michelangelo malt
Gott den Schöpfer in der Sixtinischen Kapelle als kraftvollen Mann, der mit
einem Fingerzeit den Menschen zum Leben bringt. Dieses Bild wird uns in einem
Jahr im neuen Gotteslob als eines der drei Farbbilder begegnen und an das
Wirken Gottes als Schöpfer erinnern.
Aber reicht das
aus, um sich von Gott eine Vorstellung zu machen, wenn wir sagen: Gott ist
unsichtbar und vielleicht erahnbar im Handeln eines barmherzigen Vaters,
besorgten Königs oder Schöpfers der Welt?
Das neue Gottesbild
im Hebräerbrief
Das
Weihnachtsfest bringt uns in einer neuen Weise durch die Menschwerdung seines
Sohnes Jesus Christus ein Bild von Gott. Der große Beter und Theologe, dessen
Namen wir nicht kennen und der uns den Hebräerbrief unter dem Namen des Apostels
Paulus geschrieben hat, beschreibt Gott in der eben gehörten Weise:
"In dieser
Endzeit aber hat er zu uns gesprochen durch den Sohn, den er zum Erben des Alls
eingesetzt und durch den er auch die Welt erschaffen hat; er ist der Abglanz
seiner Herrlichkeit und das Abbild seines Wesens" (Hebr 1, 2f).
Das Wort Gottes
an die Menschen findet seinen Höhepunkt in den Worten Jesu Christi zu uns, der
Erbe der Welt ist und in dem die Herrlichkeit Gottes erkennbar ist. In diesen
Worten des biblischen Schriftstellers
steckt hohe Theologie, die aus dem Nachsinnen über Gott und sein heilbringendes
Wirken für uns Menschen entstanden sein muss. Die Herrlichkeit Gottes leuchtet
auf im Sohn Jesus Christus! In ihm erkennen wir das Wesen des Vatergottes.
Und dann schauen
wir auf diesen Sohn Jesus Christus, wie er in der Krippe liegt und am Kreuz
hängt und erinnern uns an diese Worte vom "Abglanz der Herrlichkeit und
dem Abbild des göttlichen Wesens". Nicht nur die Kinder werden sich
wundern, sondern jeder, der große Erwartungen an Gott gerichtet hat, der sich
Gott als vergoldeten Herrscher auf goldenem Thron vorgestellt hat, wie manche
Religionen ihrer Götter darstellen, um damit zu imponieren und die Feinde
einzuschüchtern. Ich kann die Zweifel der Apostel, der Jünger und der
Zeitgenossen Jesu gut verstehen. Ich behaupte, dass es uns nicht anders gehen
würde, wenn die erste Ankunft des Messias sich heute im Jahr 2012 ereignen
würde - vielleicht in einem Slum in Rio, Nairobi oder Kalkutta. Gott zu
entdecken ist eine hohe Kunst, die mit Herzenserkenntnis allein möglich ist.
"Man sieht nur mit dem Herzen gut!" - sagt der kleine Prinz im
Weisheitskinderbuch von Exupèry. Darum allein konnte Maria in Nazareth ihr Ja
sagen zum Plan Gottes und darum allein konnte Josef seine Zustimmung zu Gottes
Willen geben. Auch der greise Simeon erahnte die verborgene Herrlichkeit Gottes
genauso wie die alte Hanna im Tempel von Jerusalem aufgrund der
Herzenserkenntnis. Die Hirten und Könige in Bethlehem spürten, dass hinter der
Armseligkeit der Wohnsituation der heiligen Familie eine große Wirklichkeit
steckt, die das bloße Auge nicht sehen kann. Alle, die von dieser verborgenen
Herrlichkeit Zeugnis gaben und bis heute geben, müssen sich gefallen lassen,
ausgelacht oder sogar im Leben bedroht zu werden. Das ist das Schicksal Gottes
und aller, die sich zu ihm bekennen. Wir haben zwar 1,2 Milliarden katholische
Gleichgesinnte auf der ganzen Welt und können uns in der Diasporasituation an
diesem Gedanken aufrichten, aber es bleibt dann doch vor Ort die Not des
Einzelkämpfers und Einzelbekenners, wenn er herausgefordert wird im Bekenntnis
zu Gott, der Mensch geworden ist und sich hat kreuzigen lassen.
Das Licht und
seine Botschaft
Das
Weihnachtsfest ist in unserer deutschen Tradition geprägt von der Lichtsymbolik
am Christbaum und den Kerzen auf den Tischen beim festlichen Essen. Selbst in
einem Altenheim, in dem kein lebendiges Licht aus Sicherheitsgründen angezündet
werden darf, versuchen die Bewohner mittels einer LED-Leuchte diese
Lichtsymbolik herzustellen. Auch in der Art, wie wir uns als Christen das
Weihnachtsfest vorstellen, soll etwas Lichtvolles und Frohes erkennbar und
spürbar sein. Niemand wird sagen. Zum Weihnachtsfest gehören Krach, finstere
Gestalten, Teufel und Dinosaurier. Wir wünschen gegenseitig den Frieden im
Miteinander, wenn er auch manchmal an diesen Tagen anstrengend sein kann, weil
er auch sonst nicht besteht oder herstellbar ist. Auf dem Hintergrund dieser
Wünsche sind die Tatsachen des Amoklaufes in Newtown mit den 20 toten Kindern
und 7 Erwachsenen aufgrund einer Gewalttat eines 20jährigen noch tragischer und
entsetzlicher. Wir wünschen uns Frieden und erleben Terror und Gewalt. Wo ist
hier der Gott, den wir uns doch so mächtig und herrlich vorstellen? Wer mit
seiner Herzenserkenntnis die Herrlichkeit Gottes in Bethlehem und auf dem Berg
Golgatha zu erkennen weiß, wird wohl auch in diesen schrecklichen Ereignissen
die Anwesenheit Gottes erahnen können.
Gotteserkenntnis
im Gefängnis
Wenn es wahr ist,
dass der Abglanz der Herrlichkeit Gottes und das Abbild des göttlichen Wesens
im Kind von Bethlehem und im Christus am Kreuz erkennbar sind, müssen wir uns
fragen lassen, ob wir einen ausreichenden Blick haben für die Gegenwart Gottes
in unserer Welt. Ich sehe Möglichkeiten der Erfahrung mit Gott in den Armen
unserer Stadt - in den seelisch und leiblich Armen. Mit großer Dankbarkeit
konnte ich einen Gottesdienst mit den körperlich und geistig Behinderten des
Christophoruswerkes in der Thomaskirche feiern. In großer Spontaneität haben
sich die Teilnehmer am Gottesdienst zum Krippenspiel geäußert, wie man das bei
geistig Behinderten kennt und mich immer zutiefst berührt. Die Freude an dieser
wunderbaren Lukasgeschichte kann einem erwachsenen Christen durchaus schon
abhanden kommen. Hier aber spüre ich, wie gut die Nachricht ist, dass Gott als
Kind zu uns gekommen ist. Ein Weihnachtsgottesdienst im Gefängnis Untermaßfeld,
den ich mit 30 Straffälligen gestern gefeiert habe, lässt mich ebenfalls
erahnen, welche Kraft das Weihnachtsfest und seine Botschaft hat, dass es sogar
straffällig Gewordene, die keine große Gottesdienstpraxis haben, an diesem
Abend zum Gottesdienst führt. Das nächtliche Weihnachtslob am gestrigen Abend
war für mich wiederum eine große Herausforderung und zugleich Freude, da ich
wusste: Hier kommen Menschen aus unserer Stadt, die sich mit der Erfahrung von
Gottesdienst beschenken lassen wollen und sich 45 Minuten Zeit nehmen, um das
Weihnachtsevangelium zu hören, in dem die Botschaft zu hören ist: "Ein
Licht zur Erleuchtung der Heiden ist aufgeleuchtet."
Chancen zum
Nachdenklichmachen in der Familie und anderswo
Wir werden an
diesen Tagen mit unseren Familienangehörigen, Freunden und Bekannten
zusammensein und Weihnachten feiern, wie es in den Familien Brauch ist. Vielleicht
gibt es auch fremde christliche Traditionen, die aus Afrika oder Lateinamerika,
aus Polen und Spanien bei uns Einzug gehalten haben, z.B. dass es die Geschenke
erst am heutigen Weihnachtstag gibt. Bisweilen stehen dann Familienangehörige
neben uns, die nicht mitsingen können oder wollen, weil ihnen der christliche
Glaube fremd oder abhanden gekommen ist. Ich möchte dazu ermutigen, sich durch
ihre Anwesenheit nicht einschüchtern zu lassen, sondern die Freude zu bekennen,
die uns der Glaube an diese eigentümliche Weise der Herrlichkeit Gottes gibt.
Wir werden nicht immer und sofort eine Bekehrung erleben, aber es kann sein,
dass die inneren Augen aufgehen, die zumindest erahnen, welche verborgene
Herrlichkeit uns bekannt geworden ist und unser Leben prägt. Ich rechne nicht
in Untermaßfeld, nicht nach dem Nächtlichen Weihnachtslob und auch nicht nach
der Familienfeier am 2. Feiertag in meiner Wohnstube mit der Bekehrung der
Bekannten und Verwandten, denen Kirche und Gottesdienst fremd sind. Ich möchte
aber dafür sorgen, dass die Menschen in Thüringen, in unserer Stadt und in
meiner Familie zum Nachdenken kommen, ob es nicht doch einen Abglanz der
Herrlichkeit Gottes geben kann, der das Leben und Sterben leichter macht.
Selbst ein festlicher Gottesdienst mit Choralgesang oder Mozartmesse verkündet
die Menschwerdung Gottes in aller Armut des Stalls von Bethlehem und den Tod
des Herrn, bis er wieder kommt. "Erlösung" ist der Wille Gottes für
alle Thüringer, die einmal vor Gott stehen werden. Niemand soll dann sagen
müssen: "Ich kenne dich, Gott, nicht. Niemand hat mir von dir
erzählt." Geben wir denen, die uns am Herzen liegen und die uns Gott über
den Weg geschickt hat, die Chance, seine Herrlichkeit zu erkennen und froh zu
werden. Amen.
21.12.2012