"Er ist der Abglanz der göttlichen Herrlichkeit"

Predigt am 1. Weihnachtstag 2012 von Diözesanadministrator Reinhard Hauke im Erfurter Dom St. Marien

Wie sieht Gott

aus?

"Wie sieht

Gott aus?" diese Frage stellen Kinder, die einmal versuchen, ein Bild zu

malen, bei dem Gott dargestellt werden soll. In den Kirchen sehen die Kinder

z.B. einen Gnadenstuhl, bei dem Gottvater mit langem Bart, Jesus Christus am

Kreuz und der Heilige Geist in Gestalt einer Taube abgebildet ist. In

Barockkirchen, die z.B. das Patrozinium der Gottesmutter Maria tragen, kann man

möglicherweise die drei göttlichen Personen in ähnlicher Form dargestellt

sehen, aber sie halten zusätzlich die Krone für Maria breit, um sie nach ihrer

Aufnahme in den Himmel damit zu krönen. Gott ist hier anschaulich geworden,

auch wenn er eigentlich nicht anschaulich ist. Im Judentum wurde jegliche

Darstellung Gottes verboten, was sich ja ausgewirkt hat bis auf die Sabbatampel

hier im Erfurter Dom aus dem 12. Jahrhundert, bei der sogar sämtliche biblische

Personen kein Gesicht haben. Es erreicht uns damit die Botschaft: Gott ist

unvorstellbar und alles menschliche Reden von ihm ist bruchstückhaft und

unvollkommen. Vielleicht können Bilder helfen, die wir Menschen haben, um das

Wirken Gottes auszudrücken. Die Gleichnisse Jesu liefern uns Bilder: z.B. das

Bild vom barmherzigen Vater oder vom König, der für seinen Sohn das

Hochzeitsfest vorbereitet hat und die geladenen Gäste informiert, dass das Fest

jetzt beginnt, aber sie haben alle keine Zeit und keine Lust. Michelangelo malt

Gott den Schöpfer in der Sixtinischen Kapelle als kraftvollen Mann, der mit

einem Fingerzeit den Menschen zum Leben bringt. Dieses Bild wird uns in einem

Jahr im neuen Gotteslob als eines der drei Farbbilder begegnen und an das

Wirken Gottes als Schöpfer erinnern.

Aber reicht das

aus, um sich von Gott eine Vorstellung zu machen, wenn wir sagen: Gott ist

unsichtbar und vielleicht erahnbar im Handeln eines barmherzigen Vaters,

besorgten Königs oder Schöpfers der Welt?

Das neue Gottesbild

im Hebräerbrief

Das

Weihnachtsfest bringt uns in einer neuen Weise durch die Menschwerdung seines

Sohnes Jesus Christus ein Bild von Gott. Der große Beter und Theologe, dessen

Namen wir nicht kennen und der uns den Hebräerbrief unter dem Namen des Apostels

Paulus geschrieben hat, beschreibt Gott in der eben gehörten Weise:

"In dieser

Endzeit aber hat er zu uns gesprochen durch den Sohn, den er zum Erben des Alls

eingesetzt und durch den er auch die Welt erschaffen hat; er ist der Abglanz

seiner Herrlichkeit und das Abbild seines Wesens" (Hebr 1, 2f).

Das Wort Gottes

an die Menschen findet seinen Höhepunkt in den Worten Jesu Christi zu uns, der

Erbe der Welt ist und in dem die Herrlichkeit Gottes erkennbar ist. In diesen

Worten des  biblischen Schriftstellers

steckt hohe Theologie, die aus dem Nachsinnen über Gott und sein heilbringendes

Wirken für uns Menschen entstanden sein muss. Die Herrlichkeit Gottes leuchtet

auf im Sohn Jesus Christus! In ihm erkennen wir das Wesen des Vatergottes.

Und dann schauen

wir auf diesen Sohn Jesus Christus, wie er in der Krippe liegt und am Kreuz

hängt und erinnern uns an diese Worte vom "Abglanz der Herrlichkeit und

dem Abbild des göttlichen Wesens". Nicht nur die Kinder werden sich

wundern, sondern jeder, der große Erwartungen an Gott gerichtet hat, der sich

Gott als vergoldeten Herrscher auf goldenem Thron vorgestellt hat, wie manche

Religionen ihrer Götter darstellen, um damit zu imponieren und die Feinde

einzuschüchtern. Ich kann die Zweifel der Apostel, der Jünger und der

Zeitgenossen Jesu gut verstehen. Ich behaupte, dass es uns nicht anders gehen

würde, wenn die erste Ankunft des Messias sich heute im Jahr 2012 ereignen

würde - vielleicht in einem Slum in Rio, Nairobi oder Kalkutta. Gott zu

entdecken ist eine hohe Kunst, die mit Herzenserkenntnis allein möglich ist.

"Man sieht nur mit dem Herzen gut!" - sagt der kleine Prinz im

Weisheitskinderbuch von Exupèry. Darum allein konnte Maria in Nazareth ihr Ja

sagen zum Plan Gottes und darum allein konnte Josef seine Zustimmung zu Gottes

Willen geben. Auch der greise Simeon erahnte die verborgene Herrlichkeit Gottes

genauso wie die alte Hanna im Tempel von Jerusalem aufgrund der

Herzenserkenntnis. Die Hirten und Könige in Bethlehem spürten, dass hinter der

Armseligkeit der Wohnsituation der heiligen Familie eine große Wirklichkeit

steckt, die das bloße Auge nicht sehen kann. Alle, die von dieser verborgenen

Herrlichkeit Zeugnis gaben und bis heute geben, müssen sich gefallen lassen,

ausgelacht oder sogar im Leben bedroht zu werden. Das ist das Schicksal Gottes

und aller, die sich zu ihm bekennen. Wir haben zwar 1,2 Milliarden katholische

Gleichgesinnte auf der ganzen Welt und können uns in der Diasporasituation an

diesem Gedanken aufrichten, aber es bleibt dann doch vor Ort die Not des

Einzelkämpfers und Einzelbekenners, wenn er herausgefordert wird im Bekenntnis

zu Gott, der Mensch geworden ist und sich hat kreuzigen lassen.

Das Licht und

seine Botschaft

Das

Weihnachtsfest ist in unserer deutschen Tradition geprägt von der Lichtsymbolik

am Christbaum und den Kerzen auf den Tischen beim festlichen Essen. Selbst in

einem Altenheim, in dem kein lebendiges Licht aus Sicherheitsgründen angezündet

werden darf, versuchen die Bewohner mittels einer LED-Leuchte diese

Lichtsymbolik herzustellen. Auch in der Art, wie wir uns als Christen das

Weihnachtsfest vorstellen, soll etwas Lichtvolles und Frohes erkennbar und

spürbar sein. Niemand wird sagen. Zum Weihnachtsfest gehören Krach, finstere

Gestalten, Teufel und Dinosaurier. Wir wünschen gegenseitig den Frieden im

Miteinander, wenn er auch manchmal an diesen Tagen anstrengend sein kann, weil

er auch sonst nicht besteht oder herstellbar ist. Auf dem Hintergrund dieser

Wünsche sind die Tatsachen des Amoklaufes in Newtown mit den 20 toten Kindern

und 7 Erwachsenen aufgrund einer Gewalttat eines 20jährigen noch tragischer und

entsetzlicher. Wir wünschen uns Frieden und erleben Terror und Gewalt. Wo ist

hier der Gott, den wir uns doch so mächtig und herrlich vorstellen? Wer mit

seiner Herzenserkenntnis die Herrlichkeit Gottes in Bethlehem und auf dem Berg

Golgatha zu erkennen weiß, wird wohl auch in diesen schrecklichen Ereignissen

die Anwesenheit Gottes erahnen können.

Gotteserkenntnis

im Gefängnis

Wenn es wahr ist,

dass der Abglanz der Herrlichkeit Gottes und das Abbild des göttlichen Wesens

im Kind von Bethlehem und im Christus am Kreuz erkennbar sind, müssen wir uns

fragen lassen, ob wir einen ausreichenden Blick haben für die Gegenwart Gottes

in unserer Welt. Ich sehe Möglichkeiten der Erfahrung mit Gott in den Armen

unserer Stadt - in den seelisch und leiblich Armen. Mit großer Dankbarkeit

konnte ich einen Gottesdienst mit den körperlich und geistig Behinderten des

Christophoruswerkes in der Thomaskirche feiern. In großer Spontaneität haben

sich die Teilnehmer am Gottesdienst zum Krippenspiel geäußert, wie man das bei

geistig Behinderten kennt und mich immer zutiefst berührt. Die Freude an dieser

wunderbaren Lukasgeschichte kann einem erwachsenen Christen durchaus schon

abhanden kommen. Hier aber spüre ich, wie gut die Nachricht ist, dass Gott als

Kind zu uns gekommen ist. Ein Weihnachtsgottesdienst im Gefängnis Untermaßfeld,

den ich mit 30 Straffälligen gestern gefeiert habe, lässt mich ebenfalls

erahnen, welche Kraft das Weihnachtsfest und seine Botschaft hat, dass es sogar

straffällig Gewordene, die keine große Gottesdienstpraxis haben, an diesem

Abend zum Gottesdienst führt. Das nächtliche Weihnachtslob am gestrigen Abend

war für mich wiederum eine große Herausforderung und zugleich Freude, da ich

wusste: Hier kommen Menschen aus unserer Stadt, die sich mit der Erfahrung von

Gottesdienst beschenken lassen wollen und sich 45 Minuten Zeit nehmen, um das

Weihnachtsevangelium zu hören, in dem die Botschaft zu hören ist: "Ein

Licht zur Erleuchtung der Heiden ist aufgeleuchtet."

Chancen zum

Nachdenklichmachen in der Familie und anderswo

Wir werden an

diesen Tagen mit unseren Familienangehörigen, Freunden und Bekannten

zusammensein und Weihnachten feiern, wie es in den Familien Brauch ist. Vielleicht

gibt es auch fremde christliche Traditionen, die aus Afrika oder Lateinamerika,

aus Polen und Spanien bei uns Einzug gehalten haben, z.B. dass es die Geschenke

erst am heutigen Weihnachtstag gibt. Bisweilen stehen dann Familienangehörige

neben uns, die nicht mitsingen können oder wollen, weil ihnen der christliche

Glaube fremd oder abhanden gekommen ist. Ich möchte dazu ermutigen, sich durch

ihre Anwesenheit nicht einschüchtern zu lassen, sondern die Freude zu bekennen,

die uns der Glaube an diese eigentümliche Weise der Herrlichkeit Gottes gibt.

Wir werden nicht immer und sofort eine Bekehrung erleben, aber es kann sein,

dass die inneren Augen aufgehen, die zumindest erahnen, welche verborgene

Herrlichkeit uns bekannt geworden ist und unser Leben prägt. Ich rechne nicht

in Untermaßfeld, nicht nach dem Nächtlichen Weihnachtslob und auch nicht nach

der Familienfeier am 2. Feiertag in meiner Wohnstube mit der Bekehrung der

Bekannten und Verwandten, denen Kirche und Gottesdienst fremd sind. Ich möchte

aber dafür sorgen, dass die Menschen in Thüringen, in unserer Stadt und in

meiner Familie zum Nachdenken kommen, ob es nicht doch einen Abglanz der

Herrlichkeit Gottes geben kann, der das Leben und Sterben leichter macht.

Selbst ein festlicher Gottesdienst mit Choralgesang oder Mozartmesse verkündet

die Menschwerdung Gottes in aller Armut des Stalls von Bethlehem und den Tod

des Herrn, bis er wieder kommt. "Erlösung" ist der Wille Gottes für

alle Thüringer, die einmal vor Gott stehen werden. Niemand soll dann sagen

müssen: "Ich kenne dich, Gott, nicht. Niemand hat mir von dir

erzählt." Geben wir denen, die uns am Herzen liegen und die uns Gott über

den Weg geschickt hat, die Chance, seine Herrlichkeit zu erkennen und froh zu

werden. Amen.

21.12.2012