Vortrag von Bischof Joachim Wanke...
Gehalten beim beim öffentlichen Hintergrundgespräch "Das Leben der heiligen Elisabeth - Anfrage an evangelische und katholische Christen heute", veranstaltet vom Katholischen und vom Evangelischen Büro Erfurt im Erfurter Augustinerkloster.
Vielen Menschen weit über Thüringen hinaus ist der Name der Thüringer Landgräfin Elisabeth ein Begriff. Die Wartburg in Eisenach fehlt auf keinem Besuchsprogramm von Gästen, die Thüringen und seine Geschichte näher kennen lernen wollen. Wir katholische Christen in Thüringen gedenken dieser großen Frau und Heiligen natürlich vor allem deshalb, weil sie unsere Bistumspatronin ist. Als 1994 das Bistum Erfurt (wieder)begründet wurde, sind ihm drei Patrone zugeteilt worden: Elisabeth als Hauptpatronin, Bonifatius und Kilian als Nebenpatrone - also drei Heilige mit einem lokalen Bezug zur thüringischen Landschaft (mit Verbindungslinien nach Franken und Hessen).
Elisabeth von Thüringen - eine Heilige, die der ganzen Christenheit gehört
Freilich: Diese Heiligen gehören nicht nur uns katholischen Christen. Sie sind Heilige der noch ungeteilten Christenheit. Daher freue ich mich sehr, dass auch die evangelischen Kirchen und Christen Thüringens das Gedenken an die hl. Elisabeth im kommenden Jahr mit vielen Veranstaltungen und Gottesdiensten begehen werden, ein Teil davon auch unter ökumenischem Vorzeichen.
Die alten Vorbehalte evangelischer Christen gegenüber der katholischen Heiligenverehrung sind gottlob heute weithin entschärft. Auch der katholische Glaube bekennt eindeutig, dass Heilige niemals Erlösungsmittler im eigentlichen Sinne sein können. Heilige sind in Gott vollendete Menschen, helfende Vorbilder im Glauben, im Hoffen, in der Gottes- und Nächstenliebe. Sie sind exemplarisch geglückte christliche Existenz in je ihrer Zeit und erinnern uns daran, dass auch wir zur Heiligkeit gerufen sind - auch wenn wir vermutlich nicht in den Heiligenkalender aufgenommen werden! Strittig bleibt sicher noch zwischen den Konfessionen, ob man die Heiligen um Fürbitte anrufen kann, was wir katholische Christen unbefangen nach alter Tradition tun. Evangelische Christen werden der Heiligen lieber allein im Gebet an Gott bzw. Christus gedenken - aber wo sind die Heiligen anders als in der Wirklichkeit Gottes?
Doch darf heute gelten: Selbst wenn es zwischen den Konfessionen Unterschiede in der Art und Weise der Heiligenverehrung gibt, so sind diese nicht kirchentrennend. In dem im Jahr 2000 veröffentlichten Dokument evangelischer und katholischer Theologen "Communio sanctorum" (Die Kirche als Gemeinschaft der Heiligen) heißt es: "Die Heiligenverehrung weist alle Formen und Weisen menschlich-konkreter Liebe auf und ist damit stets zeit- und kulturverhaftet. Sie wird in den Kirchen auf sehr unterschiedliche Weise verwirklicht. Deshalb kann ihre Form weder für alle Christen verpflichtend gemacht, noch von partikularen Traditionen aus grundsätzlich in Frage gestellt werden" (Nr. 245). Ü;brigens hat Papst Johannes Paul II., als er im Jubiläumsjahr 2000 die Märtyrer der Neuzeit hervorhob, immer auch mit Hochachtung und Verehrung auf die Blutzeugen der evangelischen Christenheit hingewiesen. Man kann sagen: Die Heiligen sind ein Geschenk für die Ökumene. Das wird sich auch beim Gedenken an die hl. Elisabeth in den kommenden Monaten zeigen.
Die Fremdheit der Heiligen
Gedenkjahre an bekannte Persönlichkeiten sind dazu angetan, Biographien der Vergangenheit in ihre Zeit einzubetten und aus ihrer Zeit heraus neu bzw. vertieft zu verstehen. Wie könnte es auch anders sein, wenn man Zugang zu einer Person der Geschichte gewinnen will.
In den Biographien der Heiligen, auch der hl. Elisabeth, begegnen uns manch befremdliche Dinge. Reinhold Schneider hat das in seinem Essay "Elisabeth von Thüringen", das 1997 im Insel Verlag neu aufgelegt wurde, betont: "Sie ist eine in gewisser Hinsicht befremdende, bestürzende Existenz." (Schneider 14). Man muss sie zunächst einmal in ihrer Fremdheit stehen lassen. Manches kann man nur verstehen, wenn man einen Zugang zu den Frömmigkeitsformen der Zeit findet, etwa zur speziellen Frauenfrömmigkeit der Beginen jener Zeit oder zu dem Armutsideal des hl. Franziskus und seiner Ordensbewegung. Doch selbst wenn man solche Verstehenshilfen in Anspruch nimmt: Es bleibt ein harter Kern an Fremdheit, der sich nicht allein aus der jeweiligen Zeit erklären lässt. In jeder Heiligenbiographie, ja in jedem wirklich authentisch christlichen Leben zeigt sich, dass hier jemand aus einem überzeitlichen Horizont heraus, aus dem Gotteshorizont heraus sein Leben und damit seine Zeit prägt. Elisabeth ist letztlich nur zu verstehen, wenn man ihre Christusfrömmigkeit als Quellgrund ihrer Menschenliebe zu würdigen weiß.
Die Entschiedenheit, mit der Elisabeth den Weg der Christusnachfolge ernst nahm und für sich im eigenen Leben konkret werden ließ, ist eine Anfrage, ja eine heilsame Herausforderung für uns Christen, aber auch für die säkulare Gesellschaft heute. Zu beiden Gesichtspunkten einige Ü;berlegungen.
Hat Elisabeth auch eine Botschaft für Nichtchristen?
Gedenkjahre christlicher Persönlichkeiten finden durchaus auch das Interesse der nichtchristlichen Öffentlichkeit. Das ist angesichts der nichtchristlichen Bevölkerungsmehrheit erstaunlich. Ich denke an die Gedenkjahre der letzten Jahre, etwa das Gedenken an Johann Sebastian Bach (2000), an Martin Luther (2001), an Meister Eckardt (2003), an Bonifatius (2004). Am 24. September dieses Jahres wurde eine Radegundis-Ausstellung im Erfurter Stadtmuseum in Erfurt eröffnet. Es ist also zu erwarten, dass über Elisabeth, die ja gleichsam eine Identifikationsfigur für Thüringen darstellt, im kommenden Jahr in der Öffentlichkeit viel geschrieben, gesprochen und auch über das Fernsehen vermittelt werden wird. Das Programm des Gedenkjahres ist reich gefüllt, nicht nur durch kirchliche Beiträge.
Wie mögen Menschen, die keinen inneren Zugang zum christlichen Glauben haben, das Leben dieser Frau bewerten? Es war ja zwar ein intensives, aber doch ein kurzes Leben von nur 24 Jahren, spannungsvoll und extrem entbehrungsreich und selbstlos.
Ich lese gerade das Buch des Bamberger Soziologen Gerhard Schulze "Die Sünde. Das schöne Leben und seine Feinde", ein Buch, das sich als Loblied auf die "Moral der Selbstentfaltung" versteht. In scharfer Kontraststellung, ja geradezu in einer Karikatur christlicher Moralvorstellungen preist Schulze als Alternative den Willen zum selbstbestimmten, "schönen" Leben. Es sei für den Westen und seine Wertvorstellungen wichtig - so der Autor - , das Augenmerk auf das Privatleben zu lenken und es als Quelle des Selbstbewusstseins zu erschließen. Das Leben dürfe kein "Vorspiel" sein (wie für den mittelalterlichen Menschen), sondern dieses irdische Leben müsse die Hauptsache bleiben, die sinngebende Größe schlechthin. Schulze predigt sicher nicht einfach einen primitiven Hedonismus. Es geht ihm um Selbstentfaltung, um Steigerung des Lebensgenusses, und dazu gehört nach ihm durchaus auch Verantwortung, auch ggf. der Verzicht und die Selbstbegrenzung - aber eben um einer gesteigerten Selbsterfahrung willen. Sicher: Schulze weiß auch, dass es nicht einfach ist, noch Wünsche zu haben, wenn man sich alle erfüllen kann. Er kann die Paradoxien und Ungereimtheiten des modernen Lebens sehr amüsant beschreiben. Doch bleibt es dabei: Für ihn kann nur der Mensch selbst die einzige Quelle einer Ethik der Moderne sein, alles andere sei Fremdbestimmung und führe in falsche Abhängigkeit, ja das führe zu Fanatismus und Gewalt gegen andere. Dieser Verdacht eines latenten Fundamentalismus gegenüber einer sich christlich verstehenden Lebensführung wird heute ja häufig geäußert.
Ob dieser Autor etwas mit dem Leben der hl. Elisabeth anfangen kann?
Wer Elisabeth von Thüringen ehren und ihrer gedenken will, muss die ganze Elisabeth in den Blick nehmen. Und dazu gehört nicht nur ihre barmherzige Zuwendung zu den Armen und Kranken, dazu gehört nicht nur ihr Ausbrechen aus Standesschranken und ihre Kritik an der Ungerechtigkeit damaliger gesellschaftlicher Verhältnisse - dazu gehört auch ihr Leben in einer durchhaltenden, tragenden Gottesgegenwart, in einer intensiven Christusfrömmigkeit. Die entsprechenden Hinweise in ihrer Biographie sind eindeutig und überzeugend belegt.
Ob unser Autor das Leben der hl. Elisabeth als gelungenes, als "geglücktes Leben" ansehen könnte? Ich vermute einmal: nein. Und viele Zeitgenossen, die keinen Zugang zur Gotteswirklichkeit haben, werden wohl auch auf das kurze Leben dieser jungen Frau mit einem gewissen Bedauern schauen und sich denken: Sie hat ja nichts vom Leben gehabt. Eigentlich schade um dieses Leben! Sie hätte wohl mehr an sich als an andere denken sollen!
Und damit berühren wir eine der Herausforderungen, die das Leben dieser Heiligen dem heutigen, säkularen Denken stellt: Wie kann das gehen - sich innerlich ganz an Gott zu binden und dabei frei zu werden? Wie ist das möglich - nicht vordergründig nach sich und seinen Lebenswünschen zu fragen und dennoch froh und glücklich zu sein?
Elisabeths Biographie wirft die Frage auf, aus welchen Quellen sich das Selbstverständnis des Menschen letztlich speist. Es gibt scheinbar doch mehr als nur diese Alternative: Fremdbestimmung oder Selbstbestimmung; aufgezwungene Moral, zumindest von außen her auferlegte Moral, oder "Ethik der Selbstentfaltung", also eine Lebenssicht, die sich in einer nur irdischen, ausschließlich innerweltlichen Sicht des menschlichen Daseins erschöpft. Es gibt offensichtlich ein Leben, dass gerade durch seinen Gotteshorizont in seiner Vitalität, in seiner Intensität und Liebenswürdigkeit gesteigert werden kann. Es scheint das zu geben, dass man "mit dem zweiten Auge", dem religiösen Auge "mehr sieht", als man denkt.
Das Elisabeth-Gedenkjahr als Chance, den christlichen Grundwasserspiegel in Thüringen anzuheben
Es wäre interessant, wenn es unter deutschen Katholiken einmal eine religiöse PISA-Studie gäbe, eine Untersuchung nicht darüber, ob wir ordentlich lesen und klug kombinieren können, sondern ob wir begriffen haben, was das heutzutage heißt: Leben aus der Freiheit der Kinder Gottes. Ein Nichtchrist fängt an Elisabeth zu verstehen, wenn er zumindest ansatzweise unter heutigen Menschen, unter uns Christen eine ähnlich von Gott her motivierte Freiheit und sich selbst bindende Verantwortlichkeit für andere entdeckt.
Ich nenne in diesem Zusammenhang einmal bewusst eine Haltung den Nichtglaubenden gegenüber, die von eigener religiöser Entschiedenheit und gleichzeitig von Vornehmheit und Respekt vor dem Mitmenschen und seinen Ü;berzeugungen gekennzeichnet ist: eine Haltung der Sehnsucht, sich in der Liebe zu Gott immer tiefer zu verwurzeln. Vielleicht bringt ein Wort, das Mutter Theresa zugeschrieben wird, das auf den Punkt, was ich meine. Sie hat einmal gesagt: "Spricht nie mit einem anderen über deinen Glauben, wenn du nicht gefragt wirst. Aber lebe so, dass du gefragt wirst!"
Wir, die Glaubenden haben Gott nicht zur Verfügung wie einen Markenartikel. Wir können freilich durch unsere Lebensführung und unser Verhalten die Menschen auf das Gottesgeheimnis hinweisen, aus dem wir selbst Hoffnung und Kraft schöpfen. Uns ist ja dieser Gott durch Jesus Christus offenbart worden, und zwar als ein Gott der Liebe und des Erbarmens, als ein Gott, der uns Würde und Freiheit schenkt. Ein solches Lebenszeugnis, das für andere zum Anlass des Fragens, des Nachdenkens wird, braucht freilich geistliche Wachsamkeit, eine Offenheit für Gott im Alltag, ja ich möchte sagen: Thüringen braucht Gottsucher.
Wer Gott nicht sucht, der kann ihn nicht finden. Gott liegt nicht auf den Ramschtischen unserer Warenhäuser herum. Er ist kein Billigprodukt. Er ist vielmehr anspruchsvoll. Er ist der ganz Andere. Er kann durchaus verunsichern. Er führt auf ungewohntes Terrain. Aber er führt ins Weite. Er lässt Grenzen überschreiten. Er vermag zu heilen bis in die Wurzel unserer Existenz. "Gott, du mein Gott, dich suche ich, meine Seele dürstet nach dir!" so betet der Psalmist. Psalm 63 ist ein Text, der auch Zweiflern und Agnostikern etwas sagen kann. Können wir das aus ganzem Herzen mit dem Psalmisten mitsprechen? Das Grundwasser der Gottessehnsucht muss unter uns Christen steigen. Dann kann vieles auch in diesem säkularen Land wieder religiös wachsen und zum Blühen kommen.
Als Bischof und Seelsorger sehe ich darum das kommende Gedenkjahr als eine große Chance an. Ich bin überzeugt: Wer unvoreingenommen und offen sich dieser großen Heiligen unseres Landes nähert, nähert sich Gott. Darum kann für mich das zentrale Anliegen dieses Jahres auf die Formel gebracht werden: Elisabeth so in den Blick rücken, dass wir und möglichst viele andere in unserem Freistaat an ihrem Lebenszeugnis tiefer begreifen, wie sehr der Gottesglaube eine Gabe, eine Herausforderung zu gelingendem Leben ist. Menschenfreundlichkeit und Gottesliebe gehören untrennbar zusammen. Gewalt macht Religion unglaubwürdig, ja sie widerspricht dem Wesen Gottes und der Würde des Menschen. Papst Benedikt wird nicht müde, dass immer wieder zu betonen. In einer Welt, in der religiös motivierter Terrorismus Angst und Schrecken verbreitet, ist diese Einsicht sehr aktuell. "Elisabeth ist ein einziges Flehen um Gnade für eine von Kämpfen aufgewühlte Welt" (Schneider 30), dies galt damals und das gilt heute.
Sicher muss für uns Christen und Kirchen auch eine weitere Herausforderung genannt werden. Ich möchte sie so formulieren: Hinschauen statt wegsehen. Das Gedenkjahr soll uns veranlassen, mit den Augen der hl. Elisabeth auf unsere Zeit und ihre Nöte zu schauen. In Kurzform: Die beste Form des Gedenkens an die hl. Elisabeth ist - das genaue Hinschauen. Unsere Zeit hat andere Nöte und Herausforderungen als jene des mittelalterlichen Feudalstaates, in dem Elisabeth zur Hocharistokratie gehörte. Was Elisabeth von ihren Standesgenossen unterschied, war ihre Bereitschaft, angesichts des Elends ihrer Zeit nicht wegzuschauen. Um genau dieses Anliegen wird es uns auch in diesem Jahr gehen: Hinschauen, möglichst genau und konkret. Es gilt, die Nöte unserer Zeit beim Namen zu nennen. Dazu wollen wir die Gemeinden sensibilisieren, unsere katholischen Verbände und Gemeinschaften, aber auch die Öffentlichkeit und nicht zuletzt auch die Politik.
Und schließlich gilt auch dieses Anliegen: Handeln statt Reden. Aus dem Hinschauen soll und muss ein Handeln werden. Das wird in vielen Fällen nur zeichenhaft und beispielhaft sein können, aber das wird nicht ohne Wirkung bleiben. Unsere Gesellschaft braucht mehr als Gerechtigkeit. So notwendig diese auch ist - auf dem Fundament der Gerechtigkeit braucht unser gesellschaftliches Haus auch Barmherzigkeit und Solidarität für jene, die allein nicht mit dem Leben zurecht kommen. Gerade im Bereich zwischenmenschlicher Beziehungen gilt es, der gesellschaftlich anzutreffenden Kälte zu widerstehen und Räume zu bewahren und auszubauen, in denen der Mensch Zuwendung und Wärme empfangen kann. Hier öffnet sich übrigens ein weites Feld der Zusammenarbeit von Christen und Nichtchristen für ein Thüringen "mit Herz", ganz im Sinne der hl. Elisabeth.
Erfurt, 1. Dezember 2006
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