Predigt von Bischof Wanke bei der Frauenwallfahrt zum Kerbschen Berg.
Im Folgenden lesen Sie die Predigt von Bischof Wanke bei der Frauenwallfahrt zum Kerbschen Berg/Dingelstädt am 20. Mai 2007
Würden wir ein Evangelium so anfangen lassen - mit einer Weingeschichte? Der vierte Evangelist, Johannes, macht das. Das erste Zeichen Jesu gilt einer Hochzeitsgesellschaft in Kana, der der Wein ausging.
Ist das wirklich eine Not, die des Eingreifens unseres Herrn bedarf? Nun, für einen antiken Brautvater war das schon ein peinlicher Vorfall, und er wäre das wohl auch heute.
Aber wäre es nicht angemessener, Maria hätte ihren Sohn um etwas anderes gebeten als um Nachschub beim Wein? Etwa um Treue für die beiden Eheleute, oder um Gottes Segen und Schutz für deren Familien, oder um Frömmigkeit und religiöse Wachheit für Braut und Bräutigam, dass sie über ihrem persönlichen Glück nicht Gott vergessen?
Aber nichts dergleichen. "Da sagte die Mutter Jesu zu ihm: Sie haben keinen Wein mehr!"
Ich vermute einmal, Elisabeth hätte dafür Verständnis gehabt. Ü;berhaupt hätte sie die Geschichte gleich so verstanden, wie der Evangelist sie gemeint hat. Hier wird nicht einer menschlichen Verlegenheit abgeholfen, sondern hier wird von Jesus gesagt, dass er einen Gott der Lebensfülle offenbart, nicht einen sparsamen Gott, nicht einen knauserigen Gott, nicht einen Gott, der uns seine Gaben in Einzelraten gibt und ständig danach schaut, ob wir ihrer auch würdig sind.
Diese Hochzeitsgeschichte mit der unerwartet geschenkten Weinfülle ist Christusoffenbarung. 6 mal 100 Liter kostbarer Wein - Johannes hat sicherlich selbst etwas gelächelt, als er uns diese Geschichte aufschrieb. Seht da - das will uns Jesus von Gott sagen. Gott ist Fülle, er ist Leben, er ist Freude und seliges Schenken ohne Rückversicherung, ohne Angst, sich zu verausgaben.
Das ist Geist vom Geist der hl. Elisabeth, deren Geburtstag wir in diesem Jahr feiern. Und diesen Geist verstehen auch viele nichtchristliche Menschen. Sie sind angerührt von diesem Leben, das durch überschwängliche Liebe ausgezeichnet ist - die Liebe Elisabeths zu ihrem Ludwig war schon damals den Zeitgenossen aufgefallen. Die Menschen heute ahnen, dass Elisabeths Barmherzigkeit zu den Kranken und Armen aus einer Haltung stammt, die nicht durch Tugendschweiß angesäuert ist. Hier steht eine Existenz vor unseren Augen, die in mancher Hinsicht unbegreiflich, aber doch im Letzten so anziehend und durchweg sympathisch ist: ein Leben aus der Hingabe ohne Angst um sich selbst, ein Leben aus einer Fülle des Sich-beschenkt-Wissens, das äußerste Armut auf sich nimmt und Dinge loslässt, worauf ein Mensch an sich ein Anrecht hat.
Ja, das Evangelium ist passend für diesen Gottesdienst ausgewählt, und auch das wunderschöne Hohe Lied der Liebe, das uns der Apostel Paulus überliefert. Ohne die Liebe ist Elisabeths Leben nicht zu verstehen - so wie Jesus nicht zu verstehen ist ohne seine Liebe zum Vater im Himmel, und noch mehr: Ohne dessen Liebe zu seinem Sohn und in ihm zu jedem von uns.
Liebe Wallfahrerinnen,
Eigentlich dürften wir alle, auch wir Männer, den Namen Elisabeths tragen. Mein Gott ist Lebensfülle, so kann man ja den hebräischen Namen Eli-schäba ins Deutsche übersetzen. Jedem Getauften und Gefirmten, jedem von Gott geliebten Menschen gilt das Wort, dass Jesus über seine Lebenssendung geschrieben hat: "Dazu bin ich gekommen, damit sie das Leben haben - und es in Fülle haben" (Joh 10,10).
Aber, und immer wieder aber: Warum merken wir so wenig davon? Zugegeben: Ab und zu merken wir schon, dass es eine Fülle geben muss, die unser im Normalfall oft so kümmerliches Leben überschreitet.
Es ist so, als ob Gott uns ab und zu schon einmal in die Weihnachtsstube der Ewigkeit hineinschauen lässt - um dann schnell wieder die Tür zuzumachen. Das gibt es schon: Glücksmomente menschlicher Liebe, Freude an den Kindern, Dankbarkeit für das, was gut gelungen ist, Erfüllung und Seligkeit, wenn uns schöne Dinge begegnen, in der Natur, in der Musik, in Tagen der Erholung und unbeschwerten Zusammenseins mit guten Menschen.
Nein, das kann niemand behaupten, dass unser Leben nur Mühsal und Beschwernis ist. Aber es ist es doch zum größten Teil. Und ich erspare mir, dies hier vor euch auszubreiten. Eigentlich ist es doch etwas - gelinde gesagt - hinterhältig von Gott, uns solch eine Sehnsucht nach Lebensfülle ins Herz zu senken, uns ab und zu einmal daran nippen zu lassen - um dann zu sagen: Nein, jetzt erst einmal Schluss. Jetzt erst einmal, was weniger erfreulich, ja manchmal sogar ein Kreuzweg ist.
Elisabeth würde das anders sehen. Sie nahm an der Verborgenheit, an dem Noch-Ausstehen des Heiles keinen Anstoß. Sie bekam das zusammen: Geliebt zu werden und die Mühsal des Lebens unter Schmerzen aushalten. Warum? Elsabeth hat verstanden, was das Hohe Lied der Liebe, das wir soeben gehört haben, uns sagen will.
1. Es kommt auf die Liebe an.
Also nicht auf Erkenntnis und Weisheit, auf Glaubenskraft und Tugendübungen, noch nicht einmal auf das, was wir an Elisabeth so bewundern: "die ganze Habe verschenken". Wer auf diese Dinge setzt, um sich gleichsam bei Gott Pluspunkte zu erwerben, fängt bald zu scheppern an - wie eine gesprungene Glocke. Gott schaut nicht auf das, was wir ihm bringen, sondern ob wir selbst uns ihm bringen.
Es kommt auf die Liebe an. Wenn das stimmt, und nichts anderes sagt uns die Heilige Schrift vom Weg zum Leben, dann kann es nicht anders sein: Dann bleibt uns das Leid und das Ertragen von Schmerzen nicht erspart. Denn dann muss ich mich selbst loslassen, meinen alten Adam in mir abtöten. Dann kann ich Unrecht und Lieblosigkeit nicht mehr mit gleicher Münze zurückzahlen. Dann muss ich ein anderer Mensch werden.
Es gibt keine Liebe ohne Leiden. Ein Herz, das sich einem anderen aussetzt, wird notwendig verwundet. Sonst müssten wir uns das Herz mit einem Stahlpanzer umkleiden. Es gibt ja solche Leute, die nichts und niemanden an sich heranlassen - aber um welchen Preis, letztlich um den Preis der Einsamkeit.
Wir gewinnen nur Leben, wenn wir bereit sind, uns verwunden zu lassen. Denkt an eure Zuneigung zu den Kindern und Enkelkindern. Diese Liebe ist so kostbar, weil sie durch Schmerzen und Leiden stark geworden ist. Denkt an eure Ehe: Gerade wenn sie durchträgt und hält, lässt sie das Herz nicht ohne Wunden, ohne Narben. Und wenn du durch Untreue und Scheidung oder durch andere dunkle Stunden im Leben hindurchgehen musstest: Du wärest nicht stark und selbstständig und fähig zu einem Neuanfang geworden ohne die Bereitschaft, Lasten nicht abzuschütteln, sondern tapfer zu tragen.
Wirkliche Liebe trägt Narben. Sie hält allem stand. Das lässt auch Gott zu bei denen, die ihn lieben wollen. Das ließ er zu bei seinem geliebten Sohn Jesus, dessen durchbohrtes Herz wir verehren, das ließ er zu bei Elisabeth, die zwar beim Tode ihres geliebten Ludwig trauerte, aber sich nicht im Schmerz verlor. Solche Erfahrungen erspart Gott auch uns nicht, wiewohl er jeden seinen besonderen Weg führt. Auf die durch Leid erprobte und bewährte Liebe kommt es an.
Einen zweiten Hinweis würde uns Elisabeth geben.
2. Die Liebe sucht nicht ihren Vorteil.
Das ist das Faszinierende am Leben Elisabeths: Sie hat keine Hintergedanken. Wir würden heute sagen: Sie kennt keine Tricks, um doch um zwei, drei Ecken zu dem zu kommen, was ihr nützt. Hier steht ein Mensch vor uns, der glaubhaft lauter und selbstlos ist - um Gottes willen.
Ich erinnere an Zeiten, da uns die Zugehörigkeit zur Kirche Bedrängnisse und Schwierigkeiten brachte. Unsere Erfahrung war: Die Entschiedenheit, mit der man sich Katholik bekannte, brachte Konflikte mit sich, Ärger in der Schule, Zurücksetzung im Betrieb. Aber auf Dauer war das klare Bekennen die beste Lösung. Wer trickste, wer doch auf Umwegen seinen Vorteil suchte, wer Zugeständnisse machte in der Hoffnung, davonzukommen, dem blieb die Erpressung auf Dauer nicht erspart - oder er gab auf.
Wer so in Klarheit und Entschiedenheit seinen Weg ging, ohne sich um sein Vorankommen, seine Karriere Gedanken zu machen, der spürte mit der Zeit sogar Entlastung. Er oder sie wuchs in eine innere Freiheit hinein, in eine geistige Unabhängigkeit, die souverän machte und angstfrei werden ließ. Es gibt einen merkwürdigen Zusammenhang von Glaubensmut und Furchtlosigkeit.
Ich möchte diese Erfahrung auch zur Illustration für unser Verhältnis zu Gott heranziehen. Meister Eckart, der große mittelalterliche Mystiker, hat einmal einen drastischen Vergleich gebraucht. In einer Predigt sagte er: Manche Leute sehen in Gott eine Art Milchkuh. Sie erwarten von Gott Milch und Käse und wegen mir auch einen saftigen Braten. Gott wird zu einem Teil ihres Lebenskalküls. Sie fragen: Was hab ich davon, religiös zu sein, fromm zu sein, zur Kirche zu gehen? usw. Es geht ihnen nicht um Gott selbst - um eine Liebe, die allein ihn sucht und nichts anderes.
Der Weg zur Fülle des Lebens in Gott ist ein Weg wachsenden Absehens von sich selbst. Wir müssen ein ganzes Leben lang lernen mit Christus zu beten: Herr, nicht wie ich will - wie Du willst. Was dir richtig erscheint, das tue. Wie du führen willst, so führe. Ich versteh dich manchmal nicht. Ich hadere mit dir. Aber - auch dort, wo es weh tut, wo es schmerzt: Ich stimme dir zu.
So wachsen wir auf Gott zu, allein ihn im Blick - und nicht anderes. So werden wir reif für seine Liebe, die uns verwandeln und uns neu schaffen wird.
Und das wäre eine 3. Antwort, für die Elisabeth einsteht:
Die Liebe zu Gott erweist ihre Wahrhaftigkeit in der Liebe zum Nächsten, also in der Güte, in dem Erbarmen, in der Solidarität, die wir unseren Mitmenschen schenken. Und das macht bekanntlich nicht immer nur Freude! Also, auch wenn uns das nicht immer passt: Gottesliebe und Nächstenliebe gehören zusammen wie die zwei Seiten einer Münze.
Von dieser Lackmus-Probe unserer Gottesliebe in konkreter Nächstenliebe ist in diesem Elisabeth-Jahr oft die Rede. Ich erinnere nur an den Weg der Elisabethfigur durch unsere Gemeinden, wo sich Körbe mit Taten der Barmherzigkeit füllen. Ich denke mit Freude an den Pastoraltag zurück, bei dem an die zweihundert Frauen und Männer aus unseren Gemeinden nachgedacht haben, wie wir als Gemeinden barmherzig bleiben können, ohne alle Behebung von Nöten der Caritas zuzuschieben. Es bleibt auch für uns, für jeden Einzelnen genügend zu tun - und Dank gerade euch Frauen und Müttern für diese Alltagsbarmherzigkeit, die nicht im Rampenlicht steht, aber ohne die es in unserer Welt bald finster wäre.
Gott sucht Mitliebende, deren Liebe belastbar ist. Er sucht Nachahmer seines geliebten Sohnes, "der gütig und von Herzen demütig ist" (Mt 11,29) und dennoch kraftvoll und stark bleibt, und der darum die Geplagten und die Lastträger dieser Welt in seine Nähe rufen kann, um sie zu stärken.
Und lasst mich auch darauf aufmerksam machen: Wenn einer dem anderen zum Leben hilft, auch wenn ihm das aufs erste Mühe macht und belastet, so wird doch sein eigenes Leben darin weit und reich. Wahre Fülle ist nicht jene, die ich selbst allein für mich zusammenraffe - die bleibt notwendig kümmerlich und karg. Wahre Fülle schenkt sich uns, sie kommt unverhofft, sie ist eine Ü;berraschung und sie gelingt am besten dort, wo ich mich selbst vergesse.
Elisabeths Lebensfülle war von dieser Art, von Gottes Art. Sie wusste, das nicht ein kärgliches Maß auf sie wartet, sondern ein reiches, gehäuftes, überfließendes Maß an Leben, das nur Gott einem geschaffenen Menschen bereiten kann. Darum konnte Elisabeth auch unter Schmerzen großherzig sein.
Seht: Auf diese Liebe kommt es an, auf eine selbstlose Liebe, auf eine sich erbarmende Liebe, die immer mehr sich der Liebe unseres Herrn angleicht, der uns ja auch vom Kreuz her umfangen und an sich gezogen hat.
Also ist es doch recht, wenn Gott uns einen langen, manchmal auch schmerzvollen Weg zu sich und seiner Lebensfülle gehen lässt. Unser Herz muss erst weit und stark genug werden, um sich selbst in Gott festmachen zu können. Lasst uns darum in der Schule der Liebe Gottes bleiben. Es wartet viel auf uns. Der Name unserer großen Patronin, Elisabeth - "mein Gott ist Lebensfülle", "mein Gott schenkt Lebensfülle" - soll uns daran erinnern.
Liebe Wallfahrerinnen,
lasst mich bei dieser Predigt am Schluss noch ein aktuelles Thema ansprechen, das derzeit heftig diskutiert wird, auch innerhalb der Kirche: das Thema Kleinkinderziehung - durch berufstätige oder nicht berufstätige Mütter. Es hat auch etwas mit dem zu tun, was wir eben bedacht haben.
Ich kann und will nicht all das hier ausbreiten, was dazu besonders nach Beruhigung der Gemüter an Gutem und Vernünftigem zum Stichwort Krippenerziehung gesagt wurde.
Wer sein Kind liebt, wird ihm mütterliche und väterliche (!) Zuwendung und Nähe schenken - so gut er kann, gerade am Anfang des jungen Lebens. Es gibt nichts Besseres für ein Kleinstkind als die Nähe der Mutter, die Nähe der Eltern. Mein Plädoyer geht freilich in diese Richtung: Mütter, die ihre Kinder zu Hause erziehen wollen und können, - und das ist, wie ich bei befreundeten Familien konkret erlebe, wahrlich kein Job zum Ausruhen! - bedürfen einer wirklichen, auch finanziellen Unterstützung durch Staat und Gesellschaft, und nicht nur eines verschämten Almosens. Es geht nicht an, berufstätige junge Mutter zum Normalfall zu erklären, wobei ich weiß, dass viele Frauen darauf angewiesen sind, baldmöglichst wieder arbeiten zu können. Kleinstkindkrippen ja, aber nicht mit dem Geld, dass man Familien wegnimmt, in denen Mütter (und vielleicht auch mal Väter) bewusst eine Zeit lang bei ihren Kindern bleiben wollen.
Ich meine: Familien dürfen nicht durch Anreize für nur eine Betreuungsform zu einem einheitlichen Modell der Kinderbetreuung gedrängt werden. Und wer am Schwanken ist, welcher Weg der beste ist, dem rate ich: Orientiert euch am Wohl des Kindes, dann handelt ihr richtig.
Ansonsten sollten Bischöfe nicht allzu detailliert bei dieser Materie Ratschläge geben. Aber eines sollten sie tun: die Zusammengehörigkeit von Ehe und Familie hochhalten. Wenn ich das so sage, diskriminiere ich niemanden, sondern ich wiederhole, was im Grundgesetz unseres Landes steht: "Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung" (GG Art. 6,1). Und noch steht da: Ehe. Ich hoffe, es steht noch lange da. Ich bin mir freilich nicht mehr so sicher.
Hat das, was ich hier sage, nicht auch etwas mit Lebensfülle und mit unserer Hoffnung auf Gott zu tun? Ich meine: Ja. Kinder sind mehr als ein Kostenfaktor, und eine Ehe, in Treue durchgehalten, ist mehr als eine überkommene Gewohnheit, auf die man notfalls auch verzichten könnte. Und selbst wenn eine Ehe scheitert - Gott sieht auf unser Herz, und er erbarmt sich gerade der verletzten und verwundeten Herzen.
Es kommt auf die Liebe an. Jesus hat sich übrigens bei einer Hochzeit als Lebensbringer offenbart. Ob unsere jungen Leute, die heute die Hochzeit nicht sonderlich schätzen, dieses Evangelium doch nicht ganz verstanden haben? Dann bitte ich euch: Erklärt es ihnen. Aber in Liebe.
Amen.
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