Einfach himmlisch

6. Dezember - Nikolaus

Aufregung am frühen Morgen. Und das im Himmel. Eine kleine Traube Heiliger hat sich um Nikolaus gescharrt. Der sitzt, völlig erschöpft, beide Füße in einer großen Emailleschüssel warmen Wassers, auf dem alten Holzschemel, einem Gesellenstück Josefs. Diese Nachtschicht hatte es in sich gehabt. Ihm tun alle Knochen weh, er hat Blasen an den Füßen und ist k.o. 

Was waren das noch für Zeiten, als die Nikolausgeschenke in einem Kinderschuh Platz hatten. Ein paar Nüsse, Mandarinen oder Äpfel oder auch beides, und etwas Schokolade. Naja, Zeiten ändern sich. Also hatte er zu schleppen. Wenn er auch nicht mehr der Jüngste war, sollte niemand sagen können, er ginge nicht mit der Zeit. Aber jetzt taten ihm einfach die Füße weh. Ein bisschen Ächzen und Stöhnen bewirkte, dass einige Heilige Mitleid zeigten. Aber eher die männlichen; die weiblichen nickten ihm mit dem Wird-schon-wieder-Blick aufmunternd zu und dachten sich  im Stillen ihren Teil.

Die Engel, die gerade keine Chorprobe hatten, konnten nur den Kopf schütteln. Wegen einer einzigen Nacht im Jahr und der paar Blasen an den Füßen so ein Gewese. Alle Heiligen hatten ja keine Ahnung, was es bedeutete, tagein, tagaus und auch des Nachts auf Anordnung des Allmächtigen hin bei den Menschen zu sein. Die ja dann doch machten, was sie wollten. Sie liefen bei Rot über die Straße, hörten selten auf sie, obwohl sie nur ihr Bestes wollten und waren gegen das Tempolimit auf den Autobahnen. Da konnten einem schon mal die Flügel lahm werden. Aber das sah hier ja keiner.

Stattdessen ging es hier nur um Nikolaus. Na gut, an seinem Tag konnte man das schon mal durchgehen lassen. Nikolaus erzählte, wie er von Haus zu Haus ging, um dort die Gaben zu verteilen. "In jedes Haus?", fragte Elisabeth verwundert. "Auch bei den Reichen?", schob sie mit einer gewissen Irritation hinterher. Also irgendetwas schien da unten  schief zu laufen, dass den Reichen, die doch sowieso schon so viel hatten, noch etwas draufgegeben wurde. Aber vielleicht verhielt es sich ja ganz anders; sie musste, wenn Nikolaus wieder besser drauf war, noch mal nachhaken.

Doch dieser hatte jetzt Durst. Klar: Reden macht durstig. Aber es war nur noch Wein da. Der hätte ihm den Rest gegeben und er wäre auf der Stelle eingeschlafen. "Willste ne Cola?", fragte ihn jemand. "Um Himmels willen!", rief die Bingenerin Hildegard dazwischen. "Damit ruinierst Du Dir Deine Gesundheit. Mal abgesehen von Deinem BMI. Das Zeug hat viel zu viel Zucker!"
Doch bevor Nikolaus auch nur einen Schluck davon hätte nehmen können, polterte Petrus los: "Wer hat den Clown mit der Knollennase und dem albernen roten Kostüm hier reingelassen? Der hat hier nichts verloren." "Stimmt", pflichtete Bonifatius ihm eifrig bei: "Weihnachtsmannfreie Zone."

"Das war ich", ließ Nikolaus sich mit fester Stimme vernehmen, "wir haben uns getroffen, und er hat mir leid getan". Rückenstärkung bekam er von Matthäus, der sogleich Jesus höchstselbst zitierte: "Ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen." Und überhaupt wäre ja noch reichlich Platz vorhanden, worauf Cäcilia den Kanon "Der Himmel geht über allen auf" anstimmte und Martha in die Küche lief, um dem Fremden, der sich schon sehr heimisch fühlte, ein Frühstück zu richten.

Der Allmächtige, dem das alles nicht entgangen war, sah mit Wohlwollen auf seine Himmelsschar und war richtig stolz auf sie. Ein bisschen machte er sich auch Sorgen, ob sie sich manchmal nicht übernähmen. Vielleicht sollte er ihnen vorschlagen, mal am Stück auszuspannen, ein Sabbatjahr bis in alle Ewigkeit sozusagen. Doch er kannte ihre Antwort schon im Voraus. "Um Himmels willen nein", würden sie einstimmig rufen, "es wäre schlimm, nicht mehr gebraucht zu werden".

Und deshalb wird es auch im nächsten Jahr wieder so sein, dass uns  etwas in die Schuhe geschoben wird...

Andrea Wilke