Ein Bischof im Dienste der Einheit

Predigt von Bischof Neymeyr bei der Feier des 40-jährigen Bischofsweihejubiläums von Bischof em. Dr. Joachim Wanke am 26. November 2020

Bischof em. Joachim Wanke

Sehr geehrter, lieber Mitbruder Bischof Joachim Wanke, meine lieben Schwestern und Brüder im Herrn,
die Feier eines 40-jährigen Bischofsweihejubiläums ist selten geworden. Es werden heute eher Männer zu Bischöfen geweiht, die älter als 50 Jahre sind. Umso dankbarer schauen wir mit Bischof Joachim auf vier Jahrzehnte seines bischöflichen Wirkens in Thüringen zurück.

Der Dienst des Bischofs ist in erster Linie ein Dienst an der Einheit. Zunächst und zuerst ist es die Aufgabe des Bischofs, die ihm Anvertrauten – und natürlich auch sich selbst – in lebendiger Einheit mit dem Dreifaltigen Gott zu bewahren und viele Menschen einzuladen, sich auf ein Leben in Gemeinschaft mit dem Dreifaltigen Gott einzulassen. Dieser Dienst ist bei Bischof Joachim immer inspiriert aus dem Geist und den Texten des Neuen Testamentes. Das verwundert nicht weiter, da er vor 40 Jahren frisch gebackener Professor für Neues Testament am Philosophisch-Theologischen Studium in Erfurt war. Das Neue Testament ist für Bischof Joachim nicht ein Geschichtsbuch oder ein Steinbruch für theologische Erkenntnisse, sondern eine lebendige Quelle der Inspiration für die Deutung dessen, was uns heute aufgetragen ist. Um es mit dem Satz der Lesung aus dem Buch Jesus Sirach zu sagen, den wir gerade gehört haben: Bischof Joachim ist redekundig durch seine Kenntnis der Schrift. (Sir, 44,4)

Bischof Joachim hat sich in vielfältiger Weise um die Einheit gesorgt. Einige Aspekte möchte ich gerne aufzählen. Er hat sich um die Einheit mit der Geschichte bemüht, was in der Geschichte des Bischöflichen Amtes Erfurt-Meiningen eine große Herausforderung war. An seiner Bischofsweihe konnte Bischof Hugo Aufderbeck wegen seiner Erkrankung nicht teilnehmen. Schon am 17. Januar 1981 ist er verstorben. Und Bischof Joachim trat als Koadjutor sofort seine Nachfolge an, was eine riesengroße Herausforderung bedeutete.

Bischof Aufderbeck war ein überaus engagierter und beliebter Bischof, dessen Ansehen nach seinem Tod übergroß wurde. Vielen ist er in Erinnerung als ein Bischof, der ständig in Thüringen unterwegs war nicht nur zu Firmungen und Festgottesdiensten, sondern auch zu persönlichen Gesprächen mit Priestern und zu Begegnungen mit den Gläubigen. Zugleich stand er im Ruf, ständig im Bischofshaus erreichbar gewesen zu sein. Viele, die ihn im Bischofshaus besuchten, berichteten zudem, dass sie ihn stets betend im Bischofsgarten trafen. Es war eine große Kraftanstrengung für Bischof Joachim, einem Bischof nachzufolgen, der in solchem Ansehen stand.

Bischof Joachim sorgte sich aber nicht nur um die Einheit mit der Geschichte des Bistums, sondern auch mit der Zeitgeschichte. Vor 40 Jahren waren seine Schafe mitten unter den Wölfen, wie es im Evangelium hieß. (Lk 10,7) Vor 40 Jahren zeichnete sich aber schon ab, dass es politische Veränderungen geben würde. Zu Beginn seines Pontifikats am 22. Oktober 1978 hatte Papst Johannes Paul II. gesagt: „Habt keine Angst! Öffnet, ja reißt die Tore weit auf für Christus! Öffnet die Grenzen der Staaten, die wirtschaftlichen und politischen Systeme, die weiten Bereiche der Kultur, der Zivilisation und des Fortschritts! Habt keine Angst! Christus weiß, was im Innern des Menschen ist.“ Diese Worte erzielten eine enorme Wirkung. Am 26. November 1980, dem Tag der Bischofsweihe von Bischof Joachim, bat SED-Generalsekretär Erich Honecker seinen sowjetischen Kollegen Breschnew um die Einberufung eines Treffens der Generalsekretäre in Moskau, „um kollektive Hilfemaßnahmen für die polnischen Freunde bei der Überwindung der Krise auszuarbeiten“.

Die politischen Veränderungen waren eine große Herausforderung in der Amtszeit von Bischof Joachim. Die wachsende Unzufriedenheit entlud sich in der friedlichen Revolution. Die Bischöfe mussten sorgsam entscheiden, ob und wie diese Umbrüche von den Kirchen mitgestaltet werden sollen. Es war eine große Herausforderung, die Einheit der Herde zu wahren. Wie die beiden Heiligen des heutigen Tages, der Hl. Konrad und der Hl. Gebhard, die im 10. Jahrhundert Bischöfe von Konstanz waren und miterlebten, wie das Reich aus den deutschen Stämmen zusammenwuchs, ist die Einheit des Landes auch ein Teil des Lebens von Bischof Joachim. Den Tag der Wiedervereinigung Deutschlands am 3. Oktober 1990 bezeichnet er als den schönsten Tag seines Lebens. Genauso herausfordernd wie das erste Jahrzehnt seines bischöflichen Wirkens wurden die folgenden Jahre der Umstellung auf eine freiheitliche Gesellschaft. Bischof Joachim hat mir das Diktum bestätigt, dass ihm bei der ersten Gesamtdeutschen Bischofskonferenz ein westdeutscher Kollege auf die Schulter klopfte und sagte: „Nun seid ihr alle Sorgen los.“ Darauf antwortete Bischof Joachim: „Dafür haben wir jetzt eure.“

Aufgabe des Bischofs ist es auch, die Einheit mit der Weltkirche zu bewahren. Dies war die Herausforderung für die Berliner Bischofskonferenz und ihr gemeinsames Engagement in Erfurt in der Priesterausbildung und in der kirchlichen Gerichtsbarkeit. Nach der Wiedervereinigung galt es, auf Wunsch von Papst Johannes Paul II., die gemeinsame Deutsche Bischofskonferenz zu gestalten. Außerdem wurden Kontakte zur Weltkirche ungehindert möglich. Die Bistumsgründung im Jahre 1994 war ein diplomatischer Drahtseilakt des Ausgleiches der Interessen des Heiligen Stuhls und der Bistümer, die Gebietsanteile in Thüringen haben. Der Dienst der Einheit erforderte Kompromisse, was die Katholiken in der Thüringischen Rhön bis heute bedauern.
 
Herausfordernde Aufgabe des Dienstes an der Einheit ist es auch für den Bischof, die Einheit der Priester und Gläubigen zu wahren. Dies erfordert unendlich viel Geduld, viele Briefe und viele vermittelnde Gespräche. Nach der Wende galt es, eine neue Pastoral zu gestalten, die nicht nur von den Priestern getragen wird, sondern in der die Gläubigen Subjekte der Pastoral sind. Es kamen Priester und Gläubige aus dem Westen mit neuen Ideen. In all dem brauchte es den Dienst der Einheit, den Bischof Joachim geduldig ausübte, immer inspiriert aus dem Geist des Neuen Testamentes und immer getragen von dem Bemühen, den „geistlichen Grundwasserspiegel zu heben“, den Gläubigen zu erschließen, in welchem Maß die Liebe Gottes ausgegossen ist in ihre Herzen durch den Heiligen Geist, der in ihnen wohnt. (Römer 5,5)

Bischof Joachim leistete auch unermüdlich den Dienst an der Einheit mit den Zeitgenossen. Seine Worte wurden und werden gehört in der Gesellschaft und in der Politik. Die Begegnungen mit Menschen anderer Weltanschauungen und die umfangreiche Lektüre von Zeitungen, Zeitschriften und Büchern, verbunden mit der lebendigen Inspiration aus dem Evangelium, gaben und geben den Worten von Bischof Joachim Gewicht.

Ich möchte noch kurz auf einen kleinen, aber für mich wichtigen Aspekt der Sorge um die Einheit eingehen, nämlich der Sorge um die Einheit Bischof Joachims mit mir, seinem Nachfolger. Ich möchte mich dafür ganz herzlich bedanken. An dem Tag, als ich Propst Arndt zugesagt hatte, als Bischof nach Erfurt zu kommen, rief abends Bischof Joachim an, um mir zu sagen, dass er sich darüber freut und um mir Gottes Segen zu wünschen. Vielen Dank auch dafür, lieber Joachim.

Am Schluss steht ein herzliches Vergelt`s Gott im Namen des Bistums nicht für Bischof Joachim, sondern auch für alle, die seinen bischöflichen Dienst aufopferungsvoll unterstützt und ermöglicht haben. An erster Stelle stehen Sie, liebe Frau Haase, die Bischof Joachim während seines gesamten bischöflichen Dienstes selbstlos unterstützen und von vielen Sorgen des Alltags befreien.

Ohne Generalvikar Dr. Georg Jelich, der dreißig Jahre lang Bischof Joachim viel Arbeit, viele Sorgen und viel Ärger abgenommen hat, und ohne Generalvikar Raimund Beck, der gleich zu Beginn seiner Amtszeit die Feuertaufe des Papstbesuches bestehen musste, hätte Bischof Joachim nicht so als Bischof wirken können, wie es ihm mit dieser Unterstützung möglich war.

Die Weihbischöfe Hans-Reinhard Koch und Dr. Reinhard Hauke waren und sind unersetzliche Stützen für den Dienst des Bischofs durch die Übernahme von Pontifikalgottesdiensten und die Sorge um die Priester und die Diakone sowie den Caritasverband für das Bistum Erfurt.

Durch denselben Bischofsweihetag ist Weihbischof Reinhard besonders mit Bischof Joachim verbunden und wirft durch sein heutiges 15-jähriges Bischofsweihejubiläum zusätzliches Licht auf das Jubiläum von Bischof Joachim. Lieber Reinhard, auch ich danke Dir für die großartige Unterstützung in den vergangenen sechs Jahren unseres gemeinsamen bischöflichen Dienstes im Bistum Erfurt.

Schließlich sei allen gedankt, die Bischof Joachim in seinem Dienst unterstützt habe in den Pfarreien, im Bischöflichen Ordinariat, in den Einrichtungen des Bistums und im Caritasverband. Wir alle rufen Bischof Joachim zu: Ad multos annos! Auf viele Jahre!