Erfurt (BiP) Auf persönliche Einladung von Bischof Dr. Joachim Wanke fand am Abend des 8. Oktobers ein Empfang für Persönlichkeiten aus den Bereichen Kunst und Kultur im Coelicum über dem Kreuzgang des Erfurter Domes statt. Nach einem Empfang für Vertreter aus Kultur und Wissenschaft im Kulturstadtjahr 1999 war es der zweite Kulturempfang des Bistums Erfurt. Im Mittelpunkt des Abends stand ein Vortrag des Präsidenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Professor Dr. Hans Joachim Meyer, zum Thema "Begegnungen auf dem Wege zum Menschen. Zum Verhältnis von Kirche und Kultur". Im Folgenden ist das Grußwort von Bischof Wanke zur Eröffnung des Kulturempfangs dokumentiert:
Sehr geehrter Herr Präsident Prof. Dr. Meyer,
sehr geehrter Herr Staatssekretär Dr. Aretz,
sehr geehrte Damen und Herren,
ich begrüße Sie herzlich an diesem, für unser Bistum so wichtigen Ort. Der Domberg ist gleichsam das Herz unserer Kirche. Das wurde vor kurzem erst wieder deutlich, als sich Wallfahrer aus unseren Thüringer Pfarreien zur Bistumswallfahrt auf dem Domplatz und dem Domberg versammelt haben. Sie haben Gott gedankt und um seine Hilfe gebeten, auch stellvertretend für die Menschen in unserem Land.
Der Domberg ist seit dem Mittelalter auch Ort der Wissenschaft und der geistigen Auseinandersetzung mit Themen und Problemen, die die jeweilige Gesellschaft und damit auch die Kirche herausfordern.
Der Domberg ist aber zugleich ein Stück "steingewordene Kultur", nicht tot sondern in seiner Ausstrahlung lebendig und herausfordernd. Hier ist gleichsam die spannungsvolle Geschichte von Kunst und Religion mit Händen zu greifen. Bis heute wird dies deutlich, wenn z. B. die Domstufen-Festspiele den Anforderungen einer solch mächtigen Kulisse gerecht werden müssen. Ist es z. B. nicht auch interessant, über den Spannungsbogen zwischen dem Christopherusbild (1499) im Erfurter Dom und dem Christophorus (1987) von Horst Sakul?wski (zur Zeit in der Kunsthalle Erfurt), nachzudenken?
Ich bin froh, dass ein solcher Ort den Rahmen geben kann, Ihnen, die an so unterschiedlichen Orten der Thüringer Kulturlandschaft tätig sind, für Ihr Wirken und Engagement zu danken. Ich möchte Ihnen, stellvertretend für die Vielen, den Dank unserer katholischen Kirche in Thüringen übermitteln und bitte Sie, diesen Dank an Ihre Kolleginnen, Kollegen und Freunde im Land weiterzugeben.
Unsere offene und plurale Gesellschaft wäre nicht nur ärmer, sondern ihr wäre gleichsam der Boden unter den Füßen entzogen, wenn es nicht dieses spannungsvolle und in seiner Lebendigkeit - und auch Gegensätzlichkeit - gemeinschaftsschaffende Fundament der Kultur geben würde. Tradition und Innovation, elitäres Denken und Breitenwirkung, Provokation und Beruhigung, viele solcher Spannungsbögen ließen sich noch nennen.
Diese Widersprüche, die durch keine Gesellschaftsideologie aufhebbar sind, haben auch mitgeholfen, die ach so einfachen Antworten einer politischen Ideologie 1989 ad absurdum zu führen. Manche sind darüber vielleicht selbst erschrocken. Die Ü;berführung innerer Freiheit in die Freiheit und Unsicherheit einer offenen Gesellschaft kann Angst machen, auch die Kirchen haben dies erlebt. Das Ausfüllen von Ersatzfunktionen ist nicht mehr nötig. Das gilt für Theologen ebenso wie für Künstler. Vielleicht sollten wir uns von manchen romantischen Rückblicken lösen. So war die DDR gar nicht das Buchleseland, was wir uns manchmal einreden. Ganz sicher aber war sie ein Buchkaufland, da wir nie wussten, ob der Autor später noch in den Buchhandlungen zu finden ist.
Der "Normalfall" ist gleichsam wieder hergestellt. Deswegen ist aber unsere kulturelle Landschaft nicht ärmer geworden, im Gegenteil. Dies gilt sicher auch dort, wo die Zwänge der Finanzplanung Begrenzungen bedeuten, vielleicht aber auch neue Möglichkeiten eröffnen. (Ein Bischof, der über die Pfarreiplanung der kommenden Jahre nachdenken muss, weiß wovon er redet und kann sich denken, woran ein Theaterintendant leidet.) Dies alles bedeutet aber nur, dass sich Kirche und Kunst auf ihre Aufgaben besinnen müssen. Ihre Aufgaben sind unterschiedlich, keiner darf dabei den anderen bevormunden. Bei aller berechtigten Eigenständigkeit der Kunst lohnt sich aber die Frage, ob nicht Kunst und Kirche vor der gemeinsamen Herausforderung einer "drohenden Banalität des Daseins stehen, das kein Geheimnis mehr kennt" (Georg Moser). Lassen Sie mich zwei dieser Heraus-forderungen benennen. Herausforderungen, die sowohl einer kulturellen als auch einer religiösen Antwort bedürfen.
Die Debatte um die Möglichkeiten der Biotechnologie ist nicht nur ein Feld der Naturwissenschaftler, Mediziner oder Politiker. Schon lange stehen diese Möglichkeiten im Mittelpunkt kultureller Diskurse. Dabei geht es zunächst noch nicht einmal um die Freude am Ausleben eigener Phantasien, wie sie in vielen Sciencefictionfilmen und -büchern deutlich wird. In vielen Bereichen ist das bereits zum Kultthema geworden. Kulturphilosophen wie Peter Sloterdijk und mit ihm manch anderer europäischer und amerikanischer Schriftsteller, stellen die selbst-verant-wortete Veränderung, ja Neuschaffung des Menschen und seine technische Machbarkeit in den Mittelpunkt. Die Faszination des technisch Machbaren ist nicht neu. Der englische Maler und Dichter William Blake (1757 - 1827) prophezeite einst mit Blick auf die Faszination der industriellen Revolution in England: "Wer nur die Ratio sieht, sieht nur sich selbst." Wir könnten auch so sagen: Wer alles durchschaut, sieht am Ende gar nichts mehr! Verlieren wir in der Konzentration auf die Frage, was uns bestimmte Entwicklungen nutzen, das Ganze des Humanum aus dem Blick?
Wenn Moral etwas wird, was je nach gesellschaftlicher Interessenlage verhandelbar ist, dann steht die Identität des Einzelnen, seine Eigenverantwortung und seine Kreativität auf dem Spiel. Wenn jeder z. B. mit Wahrheit oder Freiheit etwas anderes meint, kommt kein Gespräch mehr zustande. Darüber, über die Rahmenbedingungen und Grundlagen von humaner Kultur einen kulturellen Diskurs zu führen ist aller Anstrengung wert.
Es stimmt, was der Münchner Bildhauer und Theologe Thomas Lehnerer (1955 - 1995) in seiner Habilitationsschrift "Methode der Kunst" (Würzburg 1995) schreibt: "Themen wie ... Tod, Leid, Leben ... sind Fragen von so grundsätzlicher Natur, dass sie nicht in der Kirche allein behandelt werden können und dürfen, sondern wieder Themen der Kunst werden müssen". Und sie sind es längst!
Auch der 11. September d. J. konfrontiert Religion, Kunst und Kultur mit existenziellen Fragen. Vordergründige Verweise auf religiöse Fanatiker und auf einen möglichen Krieg der Kulturen greifen zu kurz. Wenn jetzt verstärkt nach dem Wesen der islamischen Religion und nach ihrer Auswirkung auf Kultur und Politik islamischer Länder gefragt wird, so ist dies verständlich und sicher unumgänglich. Dies darf uns aber nicht von der Aufgabe entlasten, immer wieder über die Religion (z. B. das Christentum) nachzudenken, mit deren Geschichte wir verbunden sind, und über die von ihr geprägte Kultur zu reflektieren. Die Erinnerung an unsere eigene Geschichte, zu der auch die Kreuzzüge des Mittelalters und das Buchenwald der Nazizeit gehören, ist wichtig. Wir müssen unsere eigene religiöse und kulturelle Prägung immer wieder bedenken. Wer sich in den notwendigen Diskurs mit Menschen- und Weltbildern anderer Kulturen einlässt, braucht die Besinnung auf und das Verständnis der eigenen religiösen Weltbilder, auch mit ihren sicher vorhandenen Defiziten und dunklen Seiten. Nur von einer profilierten Position aus lässt sich ein Dialog mit einiger Aussicht auf Fortschritt im gegenseitigen Verstehen führen.
Dabei können wir erleben, dass Religion und Kultur in unserer Geschichte nicht auseinander zu dividieren sind. Deshalb sind Theologen und Künstler aufeinander angewiesen, nicht im Sinne historisch überholter Einheitssehnsucht, sondern im Sinne notwendiger und fruchtbringender Auseinandersetzung.
Große Ziele! Aber sie lassen sich auch in kleinen Schritten realisieren. Ich nenne zum Beispiel die Annäherung von Theologie und Theater, sei es im Zusammenhang mit den Domstufen-Festspielen oder bei der Aufführung des "Rings" in Meiningen; ich nenne die Diskussionen in Galerien und Museen und nicht zuletzt sind unsere Gespräche hier und heute auch ein solcher Schritt. Auf seiner ersten Deutschlandreise hat Papst Johannes Paul II. 1980 in München von der Partnerschaft von Kirche und Kunst, von Kirche und Publizistik gesprochen. Er schloss mit den Worten: "Die Kirche braucht die Kunst." Dem haben wir in Erfurt nichts hinzuzufügen.
Zum Vortrag des ZdK-Präsidenten Prof. Meyer bitte hier klicken
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