Caritas-Präsident beschreibt den gemeinsamen Auftrag von verbandlicher Caritas und Pastoral
Vortrag gehalten auf dem Caritastag anlässlich des Elisabeth-Jahres im Bistum Erfurt am 16. Juni 2007:
Es freut mich sehr, dass das Bistum Erfurt das Elisabethjahr zum Anlass nimmt, sich auf die eigenen Quellen zu besinnen und nach dem Auftrag der Kirche und ihrer Caritas heute zu fragen. Herzlichen Dank für Ihre Einladung zu diesem Caritastag unter dem Titel "Elisabeth bewegt - zur Liebe, die verkündet". In diesem Titel stecken bereits die Fragen, mit denen ich mich auseinandersetzen will:
1. Der Dienst der Caritas als Auftrag der ganzen Kirche
2. Die Caritas: Gemeinde und Verband
3. Die Caritas in den neuen Seelsorgeräumen
4. Das christliche Profil der organisierten Caritas
5. Eine Kirche der Zukunft mit dem Mut der Hl. Elisabeth
1. Der Dienst der Caritas als Auftrag der ganzen Kirche
Einen entscheidenden Impuls für den Dienst der kirchlichen Caritas hat Papst Benedikt XVI. mit seiner ersten Enzyklika "Deus Caritas est" gesetzt. Dieses Dokument begründet und beschreibt den Dienst der Sorge um den Menschen als Auftrag der Kirche in eindrucksvoller Weise. So ist der Dienst der Caritas untrennbar mit der Liturgie und der Verkündigung verbunden.
"Die in der Gottesliebe verankerte Nächstenliebe ist zunächst ein Auftrag an jeden einzelnen Gläubigen, aber sie ist ebenfalls ein Auftrag an die gesamte kirchliche Gemeinschaft." (20) Weiter heißt es: "Die Kirche kann den Liebesdienst so wenig ausfallen lassen wie Sakrament und Wort." (22) Mit dieser Aussage setzt Papst Benedikt ein nachdrückliches Zeichen. Die Kirche realisiert sich nur dann, wenn sie alle drei Wesensformen zum Ausdruck bringt und lebt. Die Caritas ist nach der Enzyklika nicht delegierbar und keine Nebentätigkeit, die in Krisen wegfallen könnte. Diese Aussage ist eine Bestärkung für alle, die sich für die Caritas engagieren und die versuchen, diese kirchliche Arbeit auch in Spar- und Umstrukturierungsprozessen aufrecht zu erhalten. Denn letztlich übt jede kirchliche Einrichtung wie ein katholisches Krankenhaus, eine katholische Pflegeeinrichtung oder Sozialstation einen kirchlichen Dienst aus, hat Teil an der kirchlichen Sendung und ist damit Kirche. So ist "Caritas - Kirche mittendrin", wie es im Slogan ihrer Caritas heißt.
Eine außergewöhnliche Aussage wird in Nr. 31 der Enzyklika getroffen: "Der Christ weiß, wann es Zeit ist, von Gott zu sprechen, und wann es recht ist, von ihm zu schweigen und nur einfach die Liebe reden zu lassen." Weiter heißt es: "Wer im Namen der Kirche karitativ wirkt, wird niemals dem anderen den Glauben der Kirche aufzudrängen versuchen." Der Dienst der Caritas erweist sich damit insbesondere in der absichtslosen Tat und Begegnung. Damit wird anerkannt, dass die Caritas eigentlich nicht ein "mehr" braucht, um wirklich kirchlicher Dienst und Ausdruck des Glaubens zu sein. Vielmehr ist der Dienst am Nächsten in seinen vielen Formen selbst Ausdruck des Glaubens und der kirchlichen Sendung. Die Enzyklika hebt ausdrücklich hervor, dass sich der Dienst am Nächsten an alle Menschen richtet, egal welcher Religion, Kultur oder Herkunft.
Dezidiert dankt der Papst allen beruflich und ehrenamtlich/freiwillig Mitarbeitenden der Caritas. Hervorgehoben wird in der Enzyklika die Notwendigkeit professioneller Kompetenz für den Caritasdienst. Gleichzeitig weist die Enzyklika darauf hin, dass die organisierte Caritas auch für die Herzensbildung der Mitarbeitenden zu sorgen hat. Besonders wichtig ist der dahinter stehende Gedanke, dass Fragen der Leitbild- und Identitätsvermittlung Aufgaben und Pflicht der Organisation und damit der Führung sind. Die Organisation selbst muss den Mitarbeitenden Instrumente, sowie Formen der Fort- und Weiterbildung zur Verfügung stellen, damit sie sich mit der Identität und den Quellen der Caritas auseinandersetzen können.
2. Die Caritas: Gemeinde und Verband
Die Enzyklika betont, dass der Caritasdienst der Kirche in vielfältiger Form realisiert wird. Sie nennt die caritativen Aktivitäten der Gemeinden, caritative Gruppen und Initiativen und die caritativen Organisationen der Kirche. Erstmalig wird in einer päpstlichen Enzyklika die organisierte Caritas, also die Caritasverbände und ihre Dienste und Einrichtungen, als Ausdruck des kirchlichen Auftrages begründet. Damit unterstreicht die Enzyklika, dass der Caritasdienst weder allein durch die verbandliche Caritas noch allein durch die Gemeinden oder bestimmte Gruppen zu leben ist. Alle sind dazu berufen und beauftragt.
In der Praxis sieht das so aus, dass es in vielen Gemeinden caritative Initiativen gibt und sich viele Menschen in den Gemeinden ehrenamtlich caritativ engagieren. Aus gemeindlichen Initiativen sind organisierte Formen der Caritas entstanden wie z.B. Sozialstationen oder Kindertageseinrichtungen. Die Dienste und Einrichtungen der verbandlichen Caritas leisten mit ihren beruflich und ehrenamtlich/freiwillig tätigen Mitarbeitenden eine hoch qualifizierte und dringend notwendige Arbeit für Menschen unterschiedlichster Bedarfe. An vielen Orten gibt es zwischen den Gemeinden und den Einrichtungen und Diensten der verbandlichen Caritas einen guten Kontakt und eine enge Zusammenarbeit.
An manchen Orten haben allerdings die Dienste und Einrichtungen der Caritas und die Gemeinden nur wenige Beziehungen. Viele Gemeinden sind eher von der Mittelschicht geprägt. Die Einrichtungen und Dienste der Caritas haben dagegen oft mit Menschen in ganz anderen Lebenslagen zu tun. Teilweise ist in Gemeinden eine Diakonievergessenheit zu beobachten, teilweise in den Verbänden eine zu geringe Gemeindeorientierung. Manche Gemeinden sind sehr stark auf die Liturgie oder beispielsweise die Katechese für Erstkommunion und Firmung konzentriert. Die Caritasverbände wiederum sind durch die sozialpolitischen Bedingungen und Finanzierungsfragen geprägt. Sie haben Mitarbeitende, die nicht alle katholisch oder hier im Osten überhaupt getauft sind. Auf der anderen Seite stellen viele Gemeinden fest, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen kaum einen Zugang zu ihnen finden. Meine These ist, wenn die verbandliche Caritas und die Gemeinden, bzw. die ganze Pastoral, wieder stärker ihre gemeinsamen Quellen und ihren gemeinsamen Auftrag entdeckten, lägen darin Chancen und Perspektiven einer wirklich missionarischen Kirche.
3. Die Caritas in den neuen Seelsorgeräumen
Viele Gemeinden befinden sich in einer Umbruchsituation. In den meisten Bistümern entstehen neue pastorale Räume. Aufgrund des Priestermangels werden Gemeinden zusammengelegt bzw. kooperieren stärker. Pastoralteams auf der Ebene von Seelsorgeeinheiten werden gegründet. Häufig ist nur noch ein Pfarrer für mehrere Gemeinden zuständig. Für die Gemeinden und ihre pastoralen Mitarbeitenden sind diese Prozesse anstrengend und herausfordernd. Vieles muss geklärt werden - von der Gottesdienstordnung bis zur Frage, wie eine gemeinsame Firmvorbereitung organisiert wird. Abschiede sind notwendig. Gleichzeitig entstehen neue Möglichkeiten. Was eine Pfarrgemeinde vielleicht bisher überfordert hat, kann jetzt auf der Ebene des Seelsorgeraumes neu organisiert werden.
Ich sehe in diesen Umbruchsprozessen eine wirkliche Chance, dass sich die Gemeinden wieder neu mit ihrem diakonischen Grundauftrag auseinandersetzen. Wichtig ist, dass der neue pastorale Raum nicht nur verwaltungs-, personal- und gebäudetechnisch organisiert wird. Entscheidend ist eine inhaltliche Reflexion und Füllung dieser neuen pastoralen Räume. In diese Prozesse können und sollten sich die Caritasverbände und ihre Dienste und Einrichtungen aktiv einbringen. Die Caritas kann z.B. ihre Kompetenzen in der Moderation solcher Prozesse zur Verfügung stellen. Eine große Chance sehe ich darin, wenn sich Seelsorgeeinheiten mit den Lebenssituationen der Menschen, die in diesem Raum leben, auseinandersetzen. Eine so genannte Sozialraumanalyse könnte ein gemeinsames Projekt von Pfarrgemeinde und Caritas werden. Die verbandliche Caritas könnte auch die Firmvorbereitung unterstützen, indem gemeinsame Patenprojekte für benachteiligte Jugendliche entwickelt oder sozialpolitische Fragen des Ortes zusammen diskutiert werden. Ganz wichtig ist mir persönlich, dass die sozialen Einrichtungen und die Gemeinden sich gegenseitig neu wertschätzen. Beispielsweise ein katholisches Krankenhaus als ein ausdrücklich geistlicher Ort im pastoralen Raum. Es könnten Netzwerke entstehen, wo Caritasdienste und Gemeinden mit ihren sozial-diakonischen Belangen ineinander greifen. Gleichzeitig könnten sich die Dienste öffnen. Liturgie und Verkündigung würden diakonischer und gleichzeitig die organisierte Caritas wieder stärker ihren gemeindlichen Bezug entdecken.
Mir ist bewusst, dass die Gemeinden, die Mitarbeitenden der Pastoral und der Caritas zur Zeit mit vielen Dingen und Herausforderungen beschäftigt sind. Ich will ihnen keine zusätzliche Last auflegen. Mir geht es wesentlich stärker um eine Besinnung auf die Chancen einer diakonisch ausgerichteten Pastoral und um die Möglichkeiten eines gemeinsamen Auftrages. Die Caritas kann und sollte entlasten, indem sie ihre Kompetenzen anbietet. Dabei denke ich beispielsweise auch an die Aus- und Weiterbildung von Ehrenamtskoordinatoren oder an die Fortbildung von Pfarrsekretärinnen, die oft die ersten Ansprechpartnerinnen sind, wenn jemand in Not am Pfarrhaus klingelt. Die Caritas könnte auch Beratungsdienste in den Pfarrzentren anbieten. Damit würden die Pfarrzentren für Menschen erlebbar, die sonst keinen Gemeindebezug haben. In den Pastoralteams sollte die diakonische Aufgabe durch ehrenamtliche oder berufliche Mitarbeitende vertreten sein. Sie sind wichtige Ansprechpartner und Multiplikatoren. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.
4. Das christliche Profil der organisierten Caritas
Papst Benedikt macht in seiner Enzyklika darauf aufmerksam, dass das spezifische christliche Profil der Einrichtungen und Dienste der Caritas erkennbar sein muss. Er betont ausdrücklich die kirchliche Sendung dieser Einrichtungen und Dienste. Häufig wird die Frage gestellt: Woran unterscheidet sich nun eine Einrichtung der Caritas von einer Einrichtung eines anderen nicht kirchlichen Trägers? Zunächst ist es entscheidend, dass in beiden Einrichtungen Menschen gut betreut und beraten werden. Eine Zuwendung aus christlichem Geist findet nicht nur in kirchlichen Einrichtungen statt - zum Glück. Der Unterschied besteht aber darin, dass sich die Einrichtungen und Dienste der Caritas gestärkt, motiviert und gesendet fühlen durch die Botschaft des Evangeliums. Die ganze Einrichtung, das Krankenhaus, der Beratungsdienst und sein Träger verstehen sich als kirchliche Einrichtung mit einem spezifischen Auftrag.
Das Christentum umfasst das Wortzeugnis, also die Verkündigung des Wortes Gottes. Genauso umfasst es aber auch das Tatzeugnis, die Sorge für die Kranken, die Unterstützung von arbeitslosen Menschen oder benachteiligten Kindern und Jugendlichen. Jesus hat eben nicht nur gepredigt, sondern er hat Kranke geheilt und Leben gerettet. Zum Tatzeugnis gehört auch das anwaltschaftliche Engagement. Jesus hat Ungerechtigkeit angeprangert und Gerechtigkeit eingefordert. Das christliche Zeugnis bedeutet also z.B. nicht nur die Pflege von Menschen mit Demenzerkrankungen. Es bedeutet auch den Einsatz für einen gesetzlichen Rahmen, der sich an der Menschenwürde orientiert und für finanzielle Rahmenbedingungen, damit eine gute Betreuung möglich ist.
Für die Caritas kommt es darauf an, dass sie offen legt, warum sie ihre Arbeit und ihre politischen Positionen so gestaltet, wie sie diese gestaltet. Wir müssen unser Menschenbild und den Maßstab der katholischen Soziallehre deutlich machen und erklären - auch in politischen Diskussionen. Unser christliches Profil und Selbstverständnis zeigen sich gerade in der Haltung, wie wir mit Klientinnen und Klienten, und mit unseren Mitarbeitenden umgehen. Es zeigt sich nicht nur im Gelingen, sondern auch im Scheitern, am Führungsstil und an der Kultur eines Hauses. Dies ist ein hoher Anspruch, der sicherlich nicht immer gelingt. Unser Profil drückt sich aus, indem wir die religiösen Bedürfnisse und Sinnfragen der Menschen, für die wir da sind aufgreifen und Möglichkeiten der Gestaltung anbieten.
Wir dürfen unseren Glauben jedoch niemandem aufdrängen - weder den Hilfebedürftigen noch den Mitarbeitenden. Das wäre Proselytismus, gegen den sich die Enzyklika ausdrücklich wendet. Trotzdem haben die Einrichtungen und Dienste der Caritas den Auftrag, den Mitarbeitenden Möglichkeiten der Glaubenserfahrung zu eröffnen. In unseren Einrichtungen und Diensten arbeiten neben Katholiken und Protestanten auch nicht getaufte Mitarbeitende. In den neuen Bundesländern sind es teilweise über 80 Prozent. Wir brauchen deshalb ganz unterschiedliche und niederschwellige Möglichkeiten der Glaubenserfahrung. Häufig sind es, so zeigen Umfragen, gerade die nicht getauften Mitarbeitenden, die nach der Identität der Caritaseinrichtung fragen und das christliche Profil einfordern. Die Verantwortung für die Profilstärkung und -vermittlung ist an erster Stelle eine Aufgabe und Verantwortung der Organisation, des Trägers und der Leitung. Dazu braucht sie aber auch die Unterstützung der Pastoral und des Bistums.
Das christliche Profil ist nicht allein am Gottesdienstbesuch der Mitarbeitenden festzumachen. Es zeigt sich gerade in der Gestaltung der Arbeit sowie in der Dienstgemeinschaft. Missionarisch und damit verkündigend sind die Einrichtungen und Dienste der Caritas, wenn durch sie Gottes Liebe und Menschenfreundlichkeit Hand und Fuß bekommen.
5. Eine Kirche der Zukunft mit dem Mut der Hl. Elisabeth
Elisabeth hat großen Mut bewiesen. Sie hat mit Konventionen gebrochen und ihr Leben ganz der Gottes- und Nächstenliebe gewidmet. Dadurch hat sie eine Bewegung und eine Begeisterung ausgelöst, die bis heute Menschen motiviert. Als von Gott geliebte Frau konnte sie selbst lieben und so die Nachfolge Christi bis zum Tod radikal leben. In dieser Liebe könnte auch für uns die Kraft dafür liegen, dass wir uns nicht nur mit Konzepten für eine Kirche der Zukunft beschäftigen, sondern sie Tag für Tag von Neuem gestalten.
Papst Benedikt XVI. hat uns mit der Enzyklika aufgerufen, uns auf den Dienst einer kirchlichen Caritas einzulassen und diesen Dienst miteinander zu gestalten. Gewiss sind wir in einer kirchlichen und gesellschaftlichen Umbruchsphase. Darin stecken neben Fragen und Problemen, die nicht klein geredet werden sollen, aber auch viele Chancen. Und diese gilt es gemeinsam als verbandliche Caritas und als Caritas der Gemeinde, als Mitarbeitende und Verantwortliche zu nutzen. Gemeinsam sind wir eingeladen, an unserer Kirche für Gegenwart und Zukunft weiterbauen. Befreiend und ermutigend ist dabei für mich die Perspektive, dass es letztlich um die Zukunft Gottes mit dem Menschen und das Reich Gottes geht, das aber ist bereits angebrochen.