Fragt man nach der Bedeutung des Ortes Rustenfelde, wird sofort auf die barocke Ausstattung der Kirche St. Peter und Paul hingewiesen. Die Ortschronisten berichten, dass die Brüder Wilhelm und Lorenz Osburg dazu vor 250 Jahren das Geld gesponsert haben. Weil sie auch den Kindergarten stifteten, sind ihre Herzen im Gebäude des Kindergartens aufbewahrt. Das gibt es nirgends im Eichsfeld und ist als Alleinstellungsmerkmal durchaus zu erwähnen.
Wir feiern heute den Gottesdienst heute hier auf dem Platz und nicht in der Kirche mit der wunderbaren barocken Ausstattung. Dennoch ist wohl den meisten von Ihnen in Erinnerung, was dort zu sehen ist oder ich mache neugierig darauf, etwas näher anzuschauen, was man sonst eben als gegeben und normal erwartet.
Um 1766 wurden der Altar und die Kanzel in der Kirche geschnitzt. Im Zentrum ist das gemalte Kreuzigungsbild zu sehen und rechts und links als Skulpturen Maria und Johannes, der Lieblingsjünger Jesu. Zwischen den freistehenden Säulen sind die beiden Kirchenpatrone zu sehen: der hl. Apostel Petrus und der hl. Apostel Paulus. Beide weisen auf den Gekreuzigten hin. Petrus trägt die Schlüssel in der Hand, die seine Bedeutung als denjenigen in der Kirche bezeichnen, der eine Schlüsselposition im Kreis der Apostel innehat. Der Apostel Paulus hat einen Strahlenkranz mit dem Christuszeichen in der Hand, der an seine Erfahrung vor Damaskus erinnern soll, die seine Bekehrung bewirkte, weil ihn der Auferstandene persönlich angesprochen hatte.
Im oberen Bereich des Altares wird der auferstandene Christus vom hl. Johannes Nepomuk flankiert, dem ein Engel ein Schloss zureicht, um anzudeuten, dass der Mund des Heiligen wegen der Bewahrung des Beichtgeheimnisses wie mit einem Schloss gesichert war und deshalb der Heilige das Martyrium erlitten hat. Auf der anderen Seite steht der heilige Bernhard von Clairvaux, dessen Gedenktag wir morgen, am 20. August, begehen. Ihm reicht ein Engel einen Bischofsstab um darauf hinzuweisen, dass dem Heiligen dreimal ein Bischofsstuhl angeboten wurde und er dreimal abgelehnt hat.
Ganz ungewöhnlich ist die Darstellung der Allerheiligsten Dreifaltigkeit in der Bekrönung des Altars, denn Gottvater und Christus sitzen auf Thronen und der Heilige Geist in Gestalt der Taube strahlt über ihnen. Durch den dunkel gehaltenen Hintergrund strahlen die Figuren und können gut erkannt werden.
Petrus und Paulus sind in ihrer Bedeutung betont worden, denn sie haben die gleiche Größe wie Maria und Johannes. Sie stehen fast wie Maria und Johannes unter dem Kreuz. Die Hände der beiden Apostel weisen auf den Gekreuzigten hin, als ob damit zum Ausdruck gebracht werden soll: Christus, der Gekreuzigte, ist die Mitte des Geschehens. Ihm allein gebührt alle Ehre und Beachtung.
Beim 700jährigen Ortsjubiläum von Rustenfelde heute haben wir die Lesungen des Festes der Kirchenpatrone Petrus und Paulus gehört. In der Lesung aus der Apostelgeschichte wurde uns in Erinnerung gebracht, dass Petrus wegen seiner Freundschaft zu Jesus Christus und wegen seines Verkündigungsdienstes durch König Herodes Antipas ins Gefängnis geworfen wurde und die Situation lebensbedrohlich war, da ja schon vorher der Apostel Jakobus als der Gemeindeleiter der Christengemeinde von Jerusalem hingerichtet worden war.
Der Tag für das Gericht über Petrus war schon festgelegt. Das Gebet der Gemeinde von Jerusalem wurde aber erhört und Petrus wurde auf wunderbare Weise aus dem Gefängnis gerettet. Petrus wollte dem Glauben an Jesus Christus ein konkretes Gesicht geben: das Gesicht eines Freundes Jesu, der durch den Verrat gereift ist und nun dazu bereit ist, mit Christus zu leiden, um mit ihm auch zum neuen Leben aufzuerstehen. Es ist das Gesicht eines durch Reue und Leid geläuterten Christen. Wenn wir an Jesus Christus denken, dann wissen wir um seine Vergebungsbereitschaft gegenüber dem Menschen, der sein Versagen bekennt und einen Neuanfang wagen will.
Wir verehren nicht Christen, die vom Beginn ihrer Freundschaft mit Christus an die großen und starken Verkünder des Evangeliums gewesen sind, sondern Menschen, die auf diesem Weg gereift sind – manchmal auch durch großes Leid. Im Evangelium hörten wir vom Bekenntnis des heiligen Petrus zu Jesus Christus und der Zusage Jesu: Du bist Petrus – der Fels. Ihm wird die Binde- und Lösegewalt für alle Schuld anvertraut. Über dieses Vertrauen konnte sich der heilige Apostel freuen oder auch erschrecken, was ihm Christus zumutet und zutraut.
Wir schauen auch auf den heiligen Völkerapostel Paulus. In der Lesung an seinen Schüler Timotheus bringt Paulus seinen großen Glauben an die Macht Gottes zum Ausdruck, die ihn durch alle Kämpfe hindurch begleitet und gestärkt hat. Er spricht vom „Rachen des Löwen“, dem er entrissen wurde. Ob er damit den Teufel oder die weltlichen Herrscher gemeint hat, ist nicht sicher. In jedem Fall war es lebensbedrohlich, was er erfahren und erlitten hat. Die Zuversicht des himmlischen Lohnes aber hat ihm Mut gemacht, diese Gefahren auszuhalten, zu bestehen und dadurch zu reifen.
Wir sind heute diejenigen, die durch Taufe und Firmung gerufen sind, das Gesicht Jesu Christi in der heutigen Zeit und an diesem Ort zu sein. Das Evangelium Jesu Christi hat die 700jährige Geschichte des Ortes wesentlich mitgeprägt. Unser Glaubensbekenntnis heute aber erscheint in einem anderen Gesicht und Gewand als das unserer Vorfahren. Es ist nicht das Gesicht des Christen, der durch Not und Leid aufgrund Verfolgung seines Bekenntnisses hindurchgegangen ist. Wenn auch so mancher hier im ehemaligen Grenzgebiet Repressalien auszuhalten hatte, dann aber nicht unbedingt zuerst wegen seines Glaubens, sondern wegen seines Wohnsitzes an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze. Natürlich gab es auch bis 1989 Repressalien bei den Schülern der 8. Klasse, wenn es um die Frage nach der Jugendweihe ging. Natürlich konnte so mancher sich nicht seinen Berufswunsch erfüllen, weil er wusste, dass er dann den Kirchenaustritt erklären musste. Dieses Unrecht muss auch weiterhin genannt und aufgearbeitet werden. Alle, die es leugnen oder verharmlosen, begehen Geschichtsfälschung und das dient nicht der Reifung einer Gesellschaft.
Bis heute geschieht Unrecht im Namen der kommunistischen Ideologie in der Welt, die kein Verständnis hat für den Wunsch der Menschen nach einer ganzheitlichen und freien Erziehung und Bildung. Mein Besuch in Bolivien im Juli hat mich wieder bestärkt in der Meinung, dass die kommunistische Ideologie dem Wohl des Menschen schadet, weil sie christliche Werte nicht gebührend anerkennt, obwohl das ganze Land in Lateinamerika doch vom Christentum geprägt ist.
Unsere Stimme müssen wir aber auch erheben gegen alle Bestrebungen von rechts, die davon sprechen, dass nur das Deutsche allein gefördert werden darf und die Ereignisse der Geschichte, die aufgrund eines engen Denkens Tod und Krieg gebracht haben, nicht wahr sind. Wie schon wir in den Familien die Vielgestaltigkeit der Menschheit darstellen, so ist sie in einem weit größerem Maß in der Weltgemeinschaft.
Das Gesicht Jesu Christi ist für mich heute vielgestaltig. Wir haben nicht erst durch Papst Franziskus gemerkt, dass Christentum nicht mehr allein und bestimmend von Europa her geprägt wird. Die Flüchtlinge aus aller Welt bringen uns zugleich auch die vielen Formen des christlichen Lebens ins Land, die wir bisher vielleicht nur aus Büchern oder Fernsehberichten kannten:
- Am letzten Sonntag z.B. war eine große Gruppe eritreischer Christen in der Severikirche zum Gesang und zur Katechese versammelt. Ihr Gottesdienst dauert 2-3 Stunden an jedem Sonntag und das ist für sie normal.
- In La Paz geht einen ganzen Tag lang eine Prozession zur Ehre der Gottesmutter vom Berg Karmel und alle beten inständig vor ihrem Bild.
- Polnische und slowakische Katholiken fragen nach Beichtgelegenheit vor dem Gottesdienst und wundern sich, dass sie dabei allein sind.
- Bei der Bistumswallfahrt wird ein Kardinal dabei sein, der einem unierten Ritus der katholischen Kirche angehört.
- Die Neugründung der Pfarrei Arenshausen bedeutet, dass sich die einzelnen Orte auf die Gewohnheiten und Traditionen der Nachbarorte einstellen müssen, wenn das Miteinander gelingen soll.
Was schon immer Realität gewesen ist und beim 2. Vatikanischen Konzil besprochen und berücksichtigt wurde, ist heute vielfach erst als Realität anerkannt und mit Freude angenommen worden. Das Gesicht Christi heute ist nicht mehr europäisch und auch nicht allein deutsch. Es ist auch nicht allein so, wie man es in Rustenfelde oder den Nachbarorten findet. Ich spüre den Geist Gottes an vielen Stellen der Kirche unseres Bistums und ich freue mich, dass er uns nicht in Ruhe lässt, sondern zu neuem Denken anregt.
Ich wünsche mir, dass der Geist Gottes uns neugierig macht auf die Vielgestaltigkeit der Gesichter Christi in der heutigen Zeit.
Ich wünsche mir, dass er uns offen macht für Veränderungen, die vielleicht viele als Verarmung empfinden, weil die Dinge nicht mehr so sind wie früher und dabei nicht sehen, dass sich das Wesentliche neu zeigt. Wenn es z.B. notwendig ist, von einem zum anderen Ort zu fahren, um am Gottesdienst, dem Erstkommunion- oder Firmunterricht teilnehmen zu können, dann erscheint das erst einmal als umständlich, aber die Kinder und Jugendlichen entdecken: „Es ist gut, dass wir eine größere Gruppe sind, die nach dem Profil ihres Glaubens sucht.“ Auch ältere Gemeindemitglieder entdecken die Nachbarorte als Orte des Glaubens in eigener Prägung.
Der heilige Petrus und der heilige Paulus waren neugierig auf das Heil, das durch sie zu den Mitmenschen kommen sollte. Heute sind wir die Zeugen des Evangeliums und als Eltern und Paten, als Freunde und Freundinnen, als Seelsorger und Seelsorgerinnen gefragt, welches Gesicht wir der Kirche geben.
Wie Petrus und Paulus immer wieder umkehren und neu beginnen mussten, sollten auch wir uns nicht vor dem Neuanfang scheuen, wenn wir vielleicht enttäuscht wurden von der Kirche oder von uns selbst. Das ist das großartige am christlichen Glauben: Wir können immer wieder neu anfangen! Amen.