Bei der derzeitigen Diskussion über Flüchtlinge und Willkommenskultur wird häufig vergessen, dass unser Land nach dem Zweiten Weltkrieg mit einer ähnlichen Situation konfrontiert war. Von den zwölf Millionen Heimatvertriebenen aus den ehemals deutschen Ostgebieten fanden über 600.000 Menschen in Thüringen eine neue Heimat. Ist die Situation heutiger Flüchtlinge nicht vergleichbar? Das fragte eine Veranstaltung des Katholischen Forums, die unter dem Thema stand: "Wir kamen mit nur einem Koffer", in Erfurt.
"Vertreibung und Flucht, damals und heute, da gibt’s keine Unterschiede", so Dr. Horst Müller aus Mühlhausen. Er wurde nach Ende des Zweiten Weltkriegs aus dem Sudentenland vertrieben. Auch Beate Platzdasch aus Erfurt erzählte sehr bewegend vom langen und beschwerlichen Weg nach Thüringen.
Ähnlich klingen die Berichte der beiden Flüchtlinge, Qaiser Al Obaidi aus dem Irak und Yaman Saour aus Syrien: Die Unsicherheit daheim, Kämpfe, politische Verfolgung. Wie für die Heimatvertriebenen war für sie das erste Gefühl in Deutschland die Sicherheit.
Einigkeit zwischen den beiden Generationen bestand auch darin, dass trotz mancher Schwierigkeiten, Spannungen und Konflikte, die allermeisten Menschen in Thüringen ihnen das Ankommen leicht gemacht haben. Horst Müller meinte: "Im Großen und Ganzen, muss ich sagen, lief die Integration recht gut. Und ich bin froh, dass das auch heute so ist, dass die Integration in Deutschland so viele Helfer hat."
Das zivilgesellschaftliche Engagement lobte auch der Thüringer Migrationsminister Dieter Lauinger (Bündnis 90/Die Grünen). In seinem Ü;berblick über die derzeitige Situation im Freistaat nannte er die große Zahl der Flüchtlinge eine große Herausforderung, betonte aber nachdrücklich seine feste Ü;berzeugung, "dass wir das schaffen können."
Große Sorge bereite ihm allerdings das Klima der politischen wie gesellschaftlichen Diskussion zu diesem Thema. Möglichst viele Menschen auf dem Weg der Integration mitzunehmen, sei eine nicht minder große Herausforderung, so der Minister, der gleichzeitig die Chancen der Zuwanderung nach Thüringen hervorhob. "Begegnung ist immer das wirkungsvollste Mittel gegen Angst und Fremdenfeindlichkeit", so Lauinger.
Mehr Kontakt zwischen Einheimischen und Zugewanderten wünscht sich auch Qaiser Al Obaidi. Der Abend hat gezeigt, wie bereichernd solche Begegnungen für alle sind.
Einen Bericht über die Veranstaltung im Deutschlandfunk (18.11.2015) finden Sie hier als Podcast.
Claudio Kullmann
19.11.2015