Das Elisabethjahr bringt uns in Bewegung - heute hierher nach Erfurt zum Caritastag. Dieser Tag trägt die Ü;berschrift: Elisabeth bewegt - zur Liebe, die verkündet. Diesen Caritastag müssen wir mit dem Pastoraltag des Bistums zusammensehen, der am 27./28. April ebenfalls hier im Comcenter bzw. im Mariendom stattgefunden hat. Dieser Tag im April hatte die Ü;berschrift: Elisabeth bewegt - zum Glauben, der liebt. Beide Tage bilden zusammen eine Einheit. Sie sollen sich ergänzen. Ja, sie gehören zusammen in dem einen Grundanliegen: Der Glaube muss sich in der Liebe ausweisen, und die Liebe soll helfen, neuen Glauben und Vertrauen auf Gott zu wecken.
Ich möchte es noch einfacher sagen: Unsere Gemeinden müssen caritativ bleiben und unsere Caritas (als e.V.!) muss in Gott verankert bleiben. Es geht um das Gotteszeugnis der Caritas. Die Caritas, auch als e.V., als Sozialverband, hat einen Auftrag, Gott zu bezeugen. Nicht durch Formulare, nicht allein durch die Kreuze in den Caritaseinrichtungen und Büros.
Es geht um die Gottesverbundenheit des einzelnen Mitarbeiters, der einzelnen Mitarbeiterin in der Caritas. Die kann und wird sprechen, wenn sie echt und authentisch ist. Und es geht mir um das gemeinschaftliche Zeugnis des Verbandes für Gottes Liebe. Ein Beispiel dafür war gestern die gelungene öffentliche Präsentation von Caritasaktivitäten auf dem Bahnhofsvorplatz.
Caritas ist Kirche - und Kirche ohne Caritas mit glaubenden und in Gott verwurzelten Mitabeitern wäre nicht richtig Kirche.
I.
Ich wiederhole - in einem ersten Gedankengang - zunächst einmal, was wir alle wissen: Gottesverehrung, Frömmigkeit und Liturgie bedürfen der Zuwendung zum Mitmenschen
Darin sind wir uns wohl alle einig: Ein Christ, der nur Glaubensbekenntnisse rezitiert, aber die Liebe zum Nächsten vergisst, wird vom Herrn kein Lob erfahren! Eine Gemeinde, die nur Gottesdienst feiert, aber die Caritas vergisst (oder diese allein dem Caritasverband überlässt), vernachlässigt, was ihr eigentlich aufgetragen ist.
Glaube und Liebe sind nicht zu trennen. Gottesliebe, die aus dem Glauben entspringt, und Nächstenliebe, die eine praktische Tat ist und keine Gefühlsduselei, gehen ineinander. Beide Gebote, die Aufforderung zur Gottesliebe und die Aufforderung zur Nächstenliebe sind letztlich ein Gebot. Dafür steht unsere große Patronin Elisabeth. Sie vereint in ihrer Person das, was scheinbar zwei getrennte Dinge sind: sich Gott zuzuwenden - und gleichzeitig sich dem Nächsten in seiner Not zu öffnen.
Warum gehören eigentlich diese beiden Dinge zusammen? Weil wir durch die Liebe zu Gott einerseits sensibel werden für die Liebe zum Mitmenschen und andererseits durch diese Zuwendung zum anderen neben mir Gott tiefer erkennen und lieben lernen. Beides verstärkt und intensiviert sich gegenseitig.
Das ist - um einen Vergleich aus unserem Lebensalltag zu gebrauchen - wie bei einer Freundschaft, einer wachsenden geistigen Verwandtschaft unter zwei Menschen. Da wächst einer in die Interessen, in die Vorlieben eines anderen immer tiefer hinein, eben - weil er ihn gern hat. Er fühlt sich gleichsam ein in das, was dem anderen wichtig ist. Und das hilft ihm, den anderen auch als Person besser zu erkennen und zu verstehen. Und umgekehrt: Je mehr ich in der Freundschaft, in der Zuneigung zu dem anderen wachse, desto mehr interessiert mich auch das, was ihn "umtreibt". Ich fange an, in der Perspektive des anderen Menschen die Welt, die Dinge um mich herum, auch die anderen Menschen zu sehen. Ich lerne zu beachten, zu verstehen, zu lieben, was auch dem anderen am Herzen liegt - und lerne ihn so immer besser und tiefer kennen usw.
Was "treibt" Gott um? Seit Jesus gekommen ist, wissen wir das: Gott treibt um die Sorge um sein Geschöpf, die Sorge um den Menschen. Er will für uns ein Gott des Lebens sein. Die ganze Sendung Jesu lässt sich darin zusammenfassen. Er ist gekommen, damit wir das Leben haben, es in Fülle haben - wie Johannes, der 4. Evangelist sagt. Diesen Gott gilt es kennen zu lernen, ihn gilt es bekannt zu machen. Von ihm sollen wir reden - aber eben nicht nur reden, sondern in seiner Zuwendung zu uns Menschen nachahmen. Beispielsweise: durch unseren Einsatz im Caritasverband - durch das, was ich dort Tag für Tag tue, und wenn es eine Tätigkeit im Büro wäre!
So ergibt sich auf einmal eine Umkehrung der Perspektive. Und das ist mein anderer Gedankengang.
II.
Wenn wir Gottes Nachahmer in seiner Liebe zum Menschen werden, werden wir wie von allein Menschen, die Gott bekannt machen, die auf ihn verweisen, die anderen Mut machen, sich ihm anzuvertrauen. Unser Berufseinsatz für die Mitmenschen wird zur Verkündigung - mit und ohne Worte.
Manche werden kritisch fragen: Warum Mitmenschlichkeit mit Gott vermengen? Oder anders gefragt: Was hat Zuwendung zum Nächsten mit Gott zu tun, was Mitmenschlichkeit mit Religion? Sollten wir "Karitäter" nicht alle Anstrengung darauf verlegen, ein guter Sozialverband sein und dort gute Arbeit zu leisten? Geht es nicht vornehmlich darum, effektiv und nachhaltig zu helfen - wo und wie immer das möglich ist? Ist nicht Frömmigkeit und die Rede von Gott nur so etwas wie eine fromme Soße, die über das Ganze unserer Sozialarbeit gegossen wird, die aber eigentlich auch ausfallen könnte?
Ich frage einmal - statt einer langen Antwort - zurück: Könnten wir uns Elisabeth ohne Christusfrömmigkeit vorstellen? An ihrer Person wird klar, warum es doch sehr heilsam ist, die Gottesquelle auch im eigenen Leben als Caritasfrau, als Caritasmann offen zu halten. Ich nenne einmal einige Gründe:
- Ohne die Besinnung auf Gott könnte es sein, dass uns angesichts der Realitäten des Lebens der Atem ausgeht.
- Ohne Gott könnte es sein, dass der Umgang mit fremdem Leid uns selbst hart macht.
- Ohne Gott könnte es sein, dass man sauer wird, wenn Anerkennung und Belobigung ausfallen.
- Ohne Gott ist es vielleicht ganz unmöglich, sogar Feinden Gutes zu tun.
- Ohne Gott wird unsere menschliche Liebe an ihre Grenzen kommen - so hochherzig sich jemand auch für andere einsetzen mag.
Das sind fünf Gründe, warum es gut ist, dass ein Caritasmitarbeiter eine solide Frömmigkeitsgrundlage hat. Er oder sie wird sie brauchen. Mehr als man meint! Elisabeth hat diese Grundlage auch gebraucht. Mehr noch: Sie hat davon gezehrt und sich immer neu daraus Kraft geholt.
Unser Papst hat dieses Ineinander von Nächstenliebe und Gottesliebe sehr gut in seinem ersten Sendschreiben, der Enzyklika DEUS CARITAS EST zusammengefasst. Dieses Schreiben ist gleichsam eine Steilvorlage für unser Elisabethjahr, auch für den heutigen Caritastag.
Ich zitiere einmal aus der Enzyklika (Nr. 18): Im Anschluss an den 1. Johannesbrief beschreibt der Papst die enge, gleichsam notwendige Wechselwirkung zwischen Gottes- und Nächstenliebe, und fährt dann fort:
"Wenn die Berührung in meinem Leben mit Gott ganz fehlt, dann kann ich im anderen immer nur den anderen sehen und kann das göttliche Bild in ihm nicht erkennen. Wenn ich aber die Zuwendung zum Nächsten aus meinem Leben ganz weglasse und nur ?fromm? sein möchte, nur meine ?religiösen Pflichten? tun, dann verdorrt auch die Gottesbeziehung. Dann ist sie nur noch ?korrekt?, aber ohne Liebe. Nur meine Bereitschaft, auf den Nächsten zuzugehen, ihm Liebe zu erweisen, macht mich auch fühlsam Gott gegenüber. Nur der Dienst am Nächsten öffnet mir die Augen dafür, was Gott für mich tut und wie er mich liebt."
Und dann erinnert der Papst an die großen Heiligen der Nächstenliebe. Diese Heiligen haben ihre Nächstenliebe aus ihrer Christusverbundenheit heraus gespeist, ob das nun Elisabeth bei ihrem Gebet in der Kapelle der Wartburg war oder Mutter Teresa von Kalkutta, die vor ihrem Dienst an den Sterbenden eucharistische Anbetung hielt. Oder umgekehrt: Der große französische Christ Blaise Pascal ließ sich, als er wegen einer verhängten Exkommunikation nicht kommunizieren konnte, Todkranke auf sein Zimmer bringen, um sie hingebungsvoll zu pflegen. Er wollte so - nichteucharistisch - Christus nahe sein.
Genau das ist das Gotteszeugnis, dass wir in unserem ganz praktischen Caritasalltag ablegen: Wir versuchen - so gut wir können - den anderen, dem wir uns zuwenden, mit den Augen Gottes zu sehen. Und das bleibt nicht ohne Auswirkung. Dadurch geschieht Gottesberührung. Ich möchte Sie alle dazu aufrufen, bei der Begegnung gerade mit nichtgläubigen Menschen eine falsche Zurückhaltung in religiöser Hinsicht abzulegen. Wenn die Situation danach ist, sollte durchaus auch von uns mit einem guten, einfühlsamen Wort Gott zur Sprache kommen.
Können wir das - trotz der vielen Formulare, der gehäuften Bürokratie, die sich zwischen uns und unsere Klienten schiebt? Behalten wir dafür den langen Atem und die durchhaltende Kraft? Wir können es, wenn wir die Gottesquelle, unseren eigenen ganz persönlichen Glauben an den Gott des Lebens in uns am Sprudeln erhalten. Lassen wir auch andere aus dieser Quelle Kraft und Lebenszuversicht tanken.
Darum freue ich mich, wenn ich von vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Caritas weiß: Ihr Gottesglaube ist Fundament auch ihres Dienstes im Verband. Sie leben in und mit der Gemeinde. Sie feiern das Kirchenjahr mit. Sie leben aus der Kraft der Sakramente. Sie sind nicht nur gute Karitäter - sie sind eben auch solide Christenmenschen.
Und hier beziehe ich ganz ausdrücklich die Christen anderer Konfessionen ein, die im Verband mitarbeiten. Sie schöpfen ja auch aus der Quelle des Gottesglaubens. Ja, selbst Menschen ohne religiöses Bekenntnis können uns Koalitionspartner darin sein, in der Caritasarbeit etwas von der Zuwendung Gottes zu uns Menschen erkennbar zu machen.
So bleibt es dabei: Elisabeth bewegt - zu einem Glauben, der liebt, aber ebenso - zu einer Liebe, die verkündet, die sprechend wird in Wort und Tat, die andere zum Gotteslob, zur Lebenseucharistie (d. h. zur Danksagung) führt. Wie wir es heute im Evangelium gehört haben (vgl. Mk 2,12): Die Leute, die das Wunder an dem Gelähmten sahen, priesen Gott und sagten: So etwas - dass einem an Leib und Seele geholfen wurde - haben wir noch nie gesehen.
Liebe Mitarbeiter, liebe Mitarbeiterinnen der Caritas! Das sollte möglichst oft von denen gesagt werden, denen Sie sich in Ihrer Arbeit zuwenden.
Caritastag - Caritas-Präsident Neher: Der Caritasdienst der Kirche