Auf dem 2. ökumenischen Kirchentag in München wurde im Jahr 2010 die Einführung eines christlichen Schöpfungstages proklamiert. Damit wurde eine Anregung der 3. europäischen ökumenischen Versammlung im rumänischen Sibiu (Hermannstadt) aufgegriffen, die sich dafür ausgesprochen hatte, in den christlichen Kirchen einen Schöpfungstag einzuführen, der in der Zeit zwischen dem 1. September, dem orthodoxen Schöpfungstag, und dem 4. Oktober, dem Gedenktag des Hl. Franz von Assisi, begangen werden soll. Der ökumenische Erntedankgottesdienst des Thüringer Bauernverbandes greift dieses Anliegen auf.
Es ist eine gute und wichtige Tradition, dass Sie als Verband von Bauern sich jedes Jahr zum Landeserntedankfest versammeln. Auch für Landwirte kann das Bewusstsein dafür schwinden, dass alles, was geerntet wird, verdankt ist. Die vielen technischen Gerätschaften in der Landwirtschaft ersetzen eine mühsame körperliche Arbeit, die mitunter auch gesundheitsschädlich war. Die vielen technischen Geräte in der Landwirtschaft haben aber auch dazu geführt, dass sich der Sprachgebrauch etablierte, von landwirtschaftlichen Produkten zu sprechen. Nun ist das, was auf Feldern und Bäumen gereift ist, nicht Ergebnis einer industriellen Produktion. Die Kunst des Landwirts produziert nichts, sondern schützt und fördert das natürliche Wachstum. Dabei hilft dem Landwirt nicht nur seine Erfahrung, sondern auch viele wissenschaftliche Erkenntnisse, die allerdings auch das Bewusstsein fördern können, es ließen sich Früchte der Erde machen.
Dass Sie sich heute in so großer Zahl zum Landeserntedankfest versammelt haben, zeigt, dass Sie dieser Gefahr nicht erliegen, sondern dass Sie sich bewusst bleiben, dass Sie als Bauern und Winzer zwar pflanzen, die Pflanzen umhegen und schließlich ernten, aber dass Sie nicht etwas wachsen lassen können. Das war auch Jesus bewusst, der viel in der freien Natur unterwegs war. Er hat den Bauern beobachtet und so beschrieben: „Er sät den Samen auf seinen Acker, dann schläft er und steht wieder auf, es wird Nacht und wird Tag, der Samen keimt und wächst und er weiß nicht, wie. Die Erde bringt von selbst ihre Frucht, zuerst den Halm, dann die Ähre, dann das volle Korn in der Ähre.“ (Mk 4,26-28)
Übrigens gilt das auch für das Handwerk der Pfarrer und Bischöfe. Jesus vergleicht nämlich das Wachsen der Saat mit dem Wachsen des Gottesreiches. Auch das können wir nicht machen. Wir können nur säen und den Boden bereiten, wachsen muss die Frucht „von selbst“ wie Jesus sagt – im Griechischen steht da ‚automátä‘.
In einem sehr alten Erntedankgebet aus dem 3. Jahrhundert heißt es: „Wir sagen dir Dank Gott und bringen dir die Erstlinge der Früchte, die du uns gegeben hast, damit wir davon kosten. Sie wurden zur Reife geführt durch dein Wort, das der Erde befohlen hat, Früchte aller Art hervorzubringen zur Freude und zur Nahrung der Menschen und aller Tiere.“ So ist es auch für Sie ein wichtiges Anliegen, Gott für die Früchte der Erde zu danken. Dieses Verständnis Ihrer Arbeit und diese innere Haltung trägt dazu bei, die Natur, die uns umgibt und in der Sie arbeiten, als Schöpfung wahrzunehmen und die Ehrfurcht vor der Schöpfung Gottes nicht zu verlieren.
Schon vor 40 Jahren formulierten die Evangelische und Katholische Kirche in Deutschland in einer gemeinsamen Erklärung: „Nicht allein menschliches, sondern auch tierisches und pflanzliches Leben sowie die unbelebte Natur verdienen Wertschätzung, Achtung und Schutz. Die Ehrfurcht vor dem Leben setzt voraus, dass Leben ein Wert ist und dass es darum eine sittliche Aufgabe ist, diesen Wert zu erhalten. Das Leben ist dem Men-schen vorgegeben. Es ist seine Aufgabe, dieses Leben zu achten und zu bewahren. Es obliegt seiner Verantwortung, Sorge für seine Umwelt zu tragen. Dies erfordert Rücksicht, Selbstbegrenzung und Selbstkontrolle.“ (Verantwortung wahrnehmen für die Schöpfung. Gemeinsame Erklärung der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz, Gütersloh 1985, Nr. 34)
Landeserntedankgottesdienst an einem ungewöhnlichen, aber sehr beliebtem Ort
Fotos: Martin Hoffmeier


