Christus ist gegenwärtig

Predigt von Bischof Neymeyr beim Gesamttreffen der Diakonatshelfer am 13.04.2019 und bei der Missa chrismatis (Dies sacerdotalis) am 16.04.2019

Symbolbild Bild: Peter Weidemann In: Pfarrbriefservice.de

Meine lieben Schwestern und Brüder im Herrn,

im Urlaub erlebte ich im Sonntagsgottesdienst eine kleine Überraschung. Der Priester zog mit den Messdienerinnen und Messdienern ein und machte wie gewohnt eine Kniebeuge vor dem Tabernakel. Dann aber drehten sich der Priester und seine Begleitung um und verneigten sich vor der Gemeinde. Das ist keine schlechte Idee, so dachte ich, denn der Herr ist ja nicht nur in den konsekrierten Hostien im Tabernakel gegenwärtig, sondern auch in der versammelten Gemeinde. So heißt es in der Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils: Christus ist gegenwärtig, „wenn die Kirche betet und singt, er der versprochen hat: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen. (Mt 18,20)“ (Nr. 7). Allerdings hat nach der Verneigung des Priesters vor der Gemeinde etwas Wichtiges gefehlt: Die Gemeinde hätte sich auch vor dem Priester verneigen müssen. Es heißt im selben Kapitel der Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils: „Gegenwärtig ist er (Christus) im Opfer der Messe sowohl in der Person dessen, der den priesterlichen Dienst vollzieht (…) wie vor allem unter den eucharistischen Gestalten.“ (Nr. 7)
Über das rechte Verständnis des sakramentalen Priestertum wird zur Zeit viel diskutiert und gerungen. Manche behaupten: „Man will das sakramentale Priestertum mit der Missbrauchskrise aus den Angeln heben.“ (Gerhard Ludwig Kardinal Müller) Diese Debatte gründet in der Erkenntnis, dass die Kinder und Jugendlichen, die von Priestern missbraucht wurden, nicht nur Opfer einer erwachsenen Vertrauensperson wurden, sondern auch Opfer eines „Heiligen Mannes“. Aus meiner Sicht geht es jetzt weder darum, das sakramentale Priestertum in unserer Kirche abzuschaffen, noch es mit aller Härte zu verteidigen. Vielmehr ist es wichtig, dass alle in unserer Kirche das Verständnis des Priesteramtes neu bedenken. Deswegen halte ich diese Predigt sowohl beim Gesamttreffen der Diakonatshelfer als auch bei der Missa chrismatis am Priestertag.

In der Frühzeit der Kirche verwendeten die Christen keine Begriffe aus der Sakralsprache. Sie wollten sich von den religiösen Kulten ihrer Umgebung absetzen. Sie sprachen nicht davon, dass Priester geweiht werden, sondern dass Älteste (Presbyter) eingesetzt werden. Erst im 3. Jahrhundert sprach Cyprian von Karthago vom sacramentum ordinationis, vom Weihesakrament. Von Anfang an geschah aber die Einsetzung bzw. Weihe der Bischöfe, Presbyter und Diakone durch das Zeichen der geistverleihenden Handauflegung, die zur Verkündigung, Heiligung und Leitung der Kirche befähigt und beauftragt in der Vollmacht Christi, des Hauptes der Kirche. Das II. Vatikanische Konzil knüpft an dieses Verständnis an. Die erste und wichtigste Aufgabe, zu der das Weihesakrament beauftragt und befähigt, ist die Verkündigung. An zweiter Stelle folgt die Heiligung, d.h. die Sakramentenspendung und an dritter Stelle die Leitung der Kirche, die das II. Vatikanische Konzil als den Dienst an der Einheit der Kirche bezeichnet. In einem Artikel im Lexikon für Theologie und Kirche (Band 10, Spalte 1009) fasst Gerhard Ludwig Müller zusammen: „Auf diese Weise übt der Priester den Dienst Christi, des Herrn und Hauptes seiner Kirche aus. Das mit dem Weihesakrament übertragene Amt ist die sakramentale Vergegenwärtigung der Hauptesfunktion Christi an seinem Leib, der Kirche.“ Dieses Verständnis des sakramentalen Priestertums unterscheidet sich wesentlich vom evangelischen Amtsverständnis. Die Ordinierten werden dort ausschließlich von der kirchlichen Gemeinschaft beauftragt. Sie können diese Beauftragung beenden. Nach katholischem Verständnis werden die Geweihten von Jesus Christus selbst berufen, beauftragt und bevollmächtigt. Diese Qualifikation durch Jesus Christus bleibt lebenslang bestehen, ja ich bin auf meinem Weg zur Primiz in meiner Heimatgemeinde durch eine Ehrenpforte geschritten, auf der geschrieben stand: „Du  bist Priester auf ewiglich nach der Ordnung des Melchisedek.“ Ich wusste allerdings, dass mit dieser Verheißung nicht ich gemeint war, sondern Jesus Christus. Ich wusste aber auch, dass mich Jesus Christus durch die Diakonen- und Priesterweihe in seinen Dienst genommen hatte und dass mich dies mein Leben lang prägen wird. Das griechische Wort für den Prägestempel bei der Münzherstellung ist „charakter“. So hat sich in unserer Kirche der Glaube herausgebildet, dass das Weihesakrament eine unauslöschliche, unzerstörbare Prägung durch Jesus Christus bewirkt, die mit dem lateinischen Begriff „character indelebilis“ bezeichnet wird. Dieses Verständnis begründet die Würde derer, die das Weihesakrament empfangen haben. Früher sprach man von „Hochwürden“. Nachdem ich nun die Würde des sakramentalen Priestertums beschrieben habe, kommen jetzt einige weiterführende Überlegungen.

Zunächst zitiere ich wieder Gerhard Ludwig Müller in seinem Artikel über das Weihesakrament im Lexikon für Theologie und Kirche (Band 10, Spalte 1010). „Die in der Weihe geschenkte Gnade dient nicht vornehmlich der persönlichen Heiligung, sondern dem Aufbau der Kirche durch den Dienst an Wort und Sakrament.“ Der „character indelebilis“ ist also weniger eine Würde als vielmehr eine Bürde, im Namen und Auftrag Jesu Christi sein Wort zu verkünden und seine Sakramente zu spenden sowie seine Kirche aufzubauen. Außerdem bleibt es eine lebenslange Herausforderung für die Priester, Jesus Christus nicht nur bei der Feier der Heiligen Messe und der anderen Sakramente zu repräsentieren, sondern jeden Tag von morgens bis abends. Da spüren alle Geweihten, wie wichtig der Gebetstag für geistliche Berufe ist, an dem wir ja nicht nur um neue geistliche Berufungen beten, sondern auch für diejenigen, die die Berufung durch Jesus Christus angenommen haben.

In Zeiten, in denen die Zahl der katholischen Priester in Deutschland geringer wird, wachsen die Ansprüche an die Priester. Wir kommen von einem sehr hohen Niveau, auf dem es in Deutschland möglich war, dass die Pfarrer sich nahezu um alles in der Kirchengemeinde gekümmert haben. Nicht nur um die Verkündigung und Sakramentenspendung, sondern auch um die Heizung im Kindergarten und das Loch im Kirchendach. Wir müssen wieder sehen, dass ein „character indelebilis“ nicht nur beim Weihesakrament durch Jesus Christus unauslöschlich eingeprägt wird, sondern auch bei der Taufe und bei der Firmung, also bei allen Sakramenten, die nur einmal im Leben empfangen werden können und unter dem Zeichen der Chrisamsalbung gespendet werden. Die Getauften und Gefirmten sind nicht nur zum christlichen Glaubens- und Lebenszeugnis in der Familie und in der Gesellschaft berufen, sondern auch zum Aufbau des Volkes Gottes und der Kirche. Wir werden in unserem Bistum erleben, dass Kirchorte nur dann leben, wenn Getaufte und Gefirmte dort Kirche leben und mitgestalten. Nicht nur als Diakonats- und Kommunionhelfer oder als Beauftragter für den Bestattungsdienst, sondern in vielfältigen anderen Aufgaben wie bei der Vorbereitung auf den Empfang der Sakramente oder bei Angeboten in der Kinder- und Jugendarbeit, in der Familienpastoral oder bei der Seniorenbetreuung. Pfarrer sind weder Finanzfachleute noch Baufachleute. Sicher gehört zum Leitungsdienst auch die Sorge um Finanzen, Bauten und Personal. Kirche lebt nicht im luftleeren Raum. Sie ist inkarniert in unsere regelungs- und gesetzesfreudige Gesellschaft. Aber ein Pfarrer kann heute nicht mehr alle diese Dinge erledigen. Er braucht die Unterstützung der Getauften und Gefirmten. Die finanzielle Mittel unseres Bistums reichen nicht aus, um alle nötigen Dienste zu bezahlen.
Nachdem nun die Berufung aller Getauften und Gefirmten durch Jesus Christus so konkret geworden ist, möchte ich mit einer geistlichen Anregung für die Heilige Woche schließen. Die sprachliche Herleitung des „character indelebilis“ als Prägestempel für Münzen ist Anspruch und Zuspruch zugleich. Wir sind keine Münze, die in einem Museum ausgestellt ist oder in einer Münzsammlung stolz präsentiert wird. Wir sind Münzen, die im Umlauf sind. Wir stehen für eine Währung, nämlich für Jesus Christus und sein Evangelium. Damit mischen wir uns ein in unsere Gesellschaft und geben Zeugnis von dem, was sich bewährt hat und was währt. Diesem Anspruch brauchen wir nicht nur aus eigener Kraft gerecht zu werden. Jesus Christus hat uns in den Sakramenten entsprechend geprägt. In der Heiligen Woche begleiten wir ihn und frischen die Prägung wieder auf, die er unserem Leben gegeben hat. In der Heiligen Woche wird uns aber auch wieder bewusst, dass diese Prägung ein großes Geschenk ist. Wir können uns die Erlösung nicht verdienen, wir brauchen sie uns auch nicht zu verdienen, weil sie uns geschenkt ist. Christus will unser ganzes Leben prägen und verwandeln. In der Heiligen Woche begleiten wir ihn und er begleitet uns.