Als Jesus nach seiner Auferstehung seinen Jüngerinnen und Jüngern erschienen ist, hat er zwei wichtige Worte des Grußes gesagt: „Fürchtet euch nicht!“ und „Der Friede sei mit euch!“
Die Furcht, die Jesus mit seinem Gruß vertreiben wollte, ist keine Angst oder Sorge, sondern die Reaktion des Menschen auf die Begegnung mit Beeindruckendem, Großem, das eigene Vermögen Übersteigendem. Wir haben im Deutschen für diese Reaktion das schöne Wort „Ehrfurcht“, die wir etwa empfinden angesichts der Lebensleistung eines Menschen oder der überwältigenden Schönheit eines Naturphänomens. Die Begegnung mit dem auferstandenen Herrn weckt eine besondere Ehrfurcht, nämlich die Gottesfurcht.
Gottesfurcht ist etwas anderes als Angst vor Gott, etwa weil Gott Anfang und Ende des Lebens bestimmt, weil unser Schicksal in seiner Hand liegt oder weil er uns für unsere Sünden bestrafen könnte. Die Tradition der Kirche nennt diese Angst vor Gott „timor servilis“, knechtliche Furcht. Diese Form der Gottesfurcht hat durchaus ihre Berechtigung gerade in einer Zeit, in der der Mensch sich anmaßt, Anfang und Ende des Lebens selbst bestimmen zu können, oder in einer Zeit des Sicherheitswahns, der glaubt, alle Lebensrisiken ausschließen zu können, oder in einer Zeit, die meint, letztlich niemandem Rechenschaft schuldig zu sein.
Aber solche knechtliche Furcht ist nicht das Ziel christlicher Gottesverehrung, wie Paulus schon im Römerbrief schreibt: „Ihr habt nicht einen Geist der Knechtschaft empfangen, so dass ihr immer noch Furcht haben müsstet, sondern ihr habt den Geist der Kindschaft empfangen, in dem wir rufen: Abba,Vater!“. (Röm 8,15) In den Evangelien wird deutlich, dass die Furcht bei der Epiphanie Jesu Christi hinführt zu Verehrung und Anbetung. So berichtet der Evangelist Matthäus, dass sich die Jünger bei der Verklärung Christi auf dem Berg mit dem Gesicht zu Boden warfen (Mt 17,6) und dass die Frauen am Ostermorgen vor dem auferstandenen Jesus Christus niederfielen. (Mt 28,9) Auch die Sterndeuter aus dem Osten fielen vor dem neugeborenen Jesuskind nieder. (Mt 2,11) und beteten an. Solche Anbetung ist Ausdruck der reinen Gottesfurcht, die als eine der sieben Gaben des Hl. Geistes über die Empfänger der Firmung erbeten wird und die die Tradition der Theologie als timor filialis bezeichnet, als kindliche Furcht, die Gottes Größe und Unbegreiflichkeit und Allmacht respektiert, die Gott Gott sein lässt und sich ihm mit der ganzen Existenz anvertraut. Im ersten Johannesbrief heißt es: „Furcht gibt es in der Liebe nicht, sondern die vollkommene Liebe vertreibt die Furcht“. (1 Joh 4,18)
Das andere Begrüßungswort, dass der auferstandene Jesus zu seinen Jüngerinnen und Jüngern sagt, ist nicht nur heute aktuell: „Der Friede sei mit euch!“ In den Abschiedsreden Jesu im Johannesevangelium sind die Worte überliefert, die in jeder Hl. Messe wiederholt werden: „Frieden hinterlasse ich euch; meinen Frieden gebe ich euch; nicht einen Frieden, wie die Welt ihn gibt, gebe ich euch.“ (Joh 14,27) Das Zweite Vatikanische Konzil beschreibt in seiner Pastoralkonstitution „Die Kirche in der Welt von heute“ beide Formen des Friedens: Der Friede, wie die Welt ihn gibt, „besteht nicht darin, dass kein Krieg ist; er lässt sich auch nicht bloß durch das Gleichgewicht entgegengesetzter Kräfte sichern; er entspringt ferner nicht dem Machtgebot eines Starken; er heißt vielmehr mit Recht und eigentlich ein "Werk der Gerechtigkeit" (Jes 32,17). Er ist die Frucht der Ordnung, die ihr göttlicher Gründer selbst in die menschliche Gesellschaft eingestiftet hat und die von den Menschen durch stetes Streben nach immer vollkommenerer Gerechtigkeit verwirklicht werden muss. (…) Dieser Friede kann auf Erden nicht erreicht werden ohne Sicherheit für das Wohl der Person und ohne dass die Menschen frei und vertrauensvoll die Reichtümer ihres Geistes und Herzens miteinander teilen. Der feste Wille, andere Menschen und Völker und ihre Würde zu achten, gepaart mit einsatzbereiter und tätiger Brüderlichkeit - das sind unerlässliche Voraussetzungen für den Aufbau des Friedens.“ (Nr.78)
Den Frieden, den Jesus hinterlassen hat, beschreibt das Zweite Vatikanische Konzil als den Frieden, „den Christus gebracht hat und der von Gott dem Vater ausgeht. Dieser menschgewordene Sohn, der Friedensfürst, hat nämlich durch sein Kreuz alle Menschen mit Gott versöhnt und die Einheit aller in einem Volk und in einem Leib wiederhergestellt. Er hat den Hass an seinem eigenen Leib getötet, und durch seine Auferstehung erhöht, hat er den Geist der Liebe in die Herzen der Menschen ausgegossen.“ (Nr. 78) Das österliche Geschehen von Tod und Auferstehung Jesu Christi ist als die Quelle des Friedens, den er uns hinterlassen hat. Christus ist mit seiner Bereitschaft, den Weg der Gewaltlosigkeit und der Versöhnung bis zum radikalen Ende zu gehen, nicht nur Vorbild, sondern in der lebendigen Beziehung zum auferstandenen Herrn Jesus Christus erwächst den Christen die Bereitschaft zur Versöhnung, wird in ihnen nicht nur die Kraft zur Gerechtigkeit, sondern auch zur Barmherzigkeit gestärkt und sehen sie alle Menschen mit den Augen des lebendigen Gottes, dessen Geschöpf sie sind.
Dieser Frieden, den Jesus Christus gebracht hat, und der irdische Frieden sind miteinander verknüpft. Das Zweite Vatikanische Konzil lehrt: „Der irdische Friede, der seinen Ursprung in der Liebe zum Nächsten hat, ist (…) Abbild und Wirkung des Friedens, den Christus gebracht hat und der von Gott dem Vater ausgeht. (…) Insofern die Menschen Sünder sind, droht ihnen die Gefahr des Krieges, und sie wird ihnen drohen bis zur Ankunft Christi. Soweit aber die Menschen sich in Liebe vereinen und so die Sünde überwinden, überwinden sie auch die Gewaltsamkeit, bis sich einmal die Worte erfüllen: "Zu Pflügen schmieden sie ihre Schwerter um, zu Winzermessern ihre Lanzen. Kein Volk zückt mehr gegen das andere das Schwert. Das Kriegshandwerk gibt es nicht mehr" (Jes 2,4). (Nr. 78)
Unsere christliche Friedenshoffnung und unser Engagement für den Frieden gründen im Erlösungs- und Versöhnungswerk Jesu Christi, das wir an Ostern feiern, und der Hoffnung auf das messianische Friedensreich. Deswegen können wir wie Juden im Psalm 37 beten: „Zukunft hat der Mensch des Friedens.“ (Ps 37,37)