Erfurt, 25.10.2002
Das gestellte Thema macht unsicher, und zwar in doppelter Hinsicht. Da ist zum einen der Begriff "Unternehmer". Selbst derjenige, der in den vergangenen Wochen und Monaten nur oberflächlich die Medien verfolgt hat, wird bemerkt haben, dass kaum ein Wort in den Wirtschaftsnachrichten so häufig Verwendung fand wie der Begriff "Vertrauenskrise".
War in der Vergangenheit die Wahrnehmung von Wirtschaft eher durch anonyme Strukturen und Abläufe gekennzeichnet, so ist derzeit eine zunehmende Aufmerksamkeit für Personen nicht zu übersehen. Immer mehr rückt wieder der einzelne Unternehmer in das Blickfeld. Seine Fehlentscheidung, aber auch sein kriminelles Handeln, etwa eine Bilanzfälschung, und nicht zuletzt die Mentalität der Selbstbedienung, erweisen sich als die Ursache wirtschaftlicher Einbrüche. Dabei fällt auch dem Zufallsbetrachter auf, dass sich diese Vorgänge häufen und in ihrer Schwere und Bedeutung vergrößern.
Da ist der Energieriese ENRON, der als das siebtgrößte Unternehmen der USA galt, da ist die Telefonfirma WORLDCOM, der zweitgrößte Telekommunikationskonzern der USA und da ist der auch weltweit agierende Kopiergerätehersteller XEROX zu nennen.
Beispiele für Missmanagement aber ebenso für das Fehlverhalten Einzelner lassen sich auch in Deutschland finden. Die Geschehnisse z. B. um Babcock, Kirch oder Holzmann sind heutzutage Medienereignisse. Dabei werden die "kleinen Zusammenbrüche" oft gar nicht mehr wahrgenommen. Die Folgen, die der Zusammenbruch eines Handelsbetriebes oder eines mittelständischen Unternehmens für eine Region oder eine Stadt hat, werden kaum von der großen Öffentlichkeit registriert.
Dagegen, ob regional, national oder global, bleibt festzuhalten, was Bundespräsident Rau in seiner Berliner Rede vom 13. Mai 2002 gesagt hat: "Korruption und Misswirtschaft sind schlimme Ursachen der dramatischen Situation vieler Länder".
Wieder einmal haben also Begriffe wie Fairness, Vertrauen und Ehrlichkeit Hochkonjunktur. Wenn es stimmt, was Adam Smith 1776 in seiner Abhandlung über den Wohlstand der Nationen gesagt hat, dass nicht die Menschenliebe, sondern die Eigenliebe die Triebkraft wirtschaftlicher Entwicklung ist, dann stellt sich die Frage, wie viel Eigenliebe für die Allgemeinheit von Vorteil ist. Wann geraten die Dinge außer Kontrolle? Wann schlägt Ehrgeiz in Gier um? Wann wird aus Selbstbewusstsein Hybris und wann tritt an die Stelle seriösen Wirtschaftens und ehrlicher Buchführung das Spiel mit den Zahlen?
Wäre hier eigentlich nicht mehr der Jurist oder ein Fachmann für Korruptionsverhinderung gefragt, nicht so sehr der Theologe?
Aber auch das zweite Stichwort lässt mich unruhig werden. Das Stichwort Christ scheint auf den ersten Blick zu signalisieren, das christliche Ethik und Moral hier Wegweisendes zu sagen hat. Selbst wenn das so ist - darüber sind sich christliche Wirtschafts- und Sozialethiker durchaus nicht einig - dann stellt sich immer noch die Frage, wie dies in unsere Gesellschaft hinein vermittelbar ist. Die Erfahrungen, die die Kirchen mit dem Echo auf ihr Wort zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland (1997) in den letzten Jahren gemacht haben, sind durchaus ambivalent.
Es ist leider Realität, dass das Christentum in unserer Gesellschaft nicht nur an öffentlichem Einfluss verliert, sondern offensichtlich immer weniger auch Richtschnur für das Handeln des Einzelnen ist. Dies gilt natürlich besonders hier im Osten Deutschlands, wo eine Mehrheit der Bevölkerung kirchen- und christentumsdistanziert lebt, und das oft schon seit mehreren Generationen, aber das gilt wohl auch zunehmend bundesweit. In ganz Deutschland gehören nicht einmal mehr zwei Drittel der Bundesbürger einer der zwei großen christlichen Kirchen an. Unter diesen wiederum ist nur für einen kleinen Teil der Glaube eine lebensbestimmende Kraft.
Zudem fallen in unserer immer stärker sich differenzierenden Gesellschaft viele Bereiche aus dem Einfluss religiöser Deutung und Normierung heraus. Sei es, weil die vielfach komplizierten Abläufe scheinbar keine klaren Antworten zulassen oder sei es, weil die bewusste Gewissensentscheidung des Einzelnen sich auch gegen kirchliche oder allgemein christliche Vorgaben richten kann. Die Bioethikdebatte der jüngsten Zeit ist ein Beispiel für beides.
Noch vor wenigen Generationen war dies durchaus anders, lassen wir einmal die spezifische Situation im ideologisch bestimmten Osten Deutschlands außer Acht. Christen und der kleinere Bevölkerungsanteil an Nichtgetauften lebten und handelten im Rahmen einer wie selbstverständlich durch das Christentum bestimmten Gesellschaft. Das Tun und Lassen der Menschen in ihrem Lebensalltag vollzog sich mehr oder weniger auf einer einheitlichen und umfassenden Wertegrundlage. Man wusste in etwa, was richtig und was falsch, was gut und böse ist, auch wenn man sich im Einzelnen nicht unbedingt danach richtete. Diese "christentumsförmige" Kultur und Wertegrundlage bestimmte und durchdrang die Sozialstrukturen und gab Anforderungen für das Handeln des Einzelnen vor, ob bewusst oder unbewusst.
Heute erfordern die ausdifferenzierten Teilbereiche des gesellschaftlichen Lebens ihre je eigenen Werteorientierungen (z. B. Leistungsbereitschaft, Durchsetzungsvermögen). Entsprechend dem jeweiligen gesellschaftlichen Segment gibt es spezifische Werthaltungen, beinahe so etwas wie Menschenbilder (etwa der "homo oeconomicus"), ja sogar spezifische Welt- und Lebensanschauungen. Diese Entwicklung hat dazu beigetragen, dass sich die Biografien der Menschen vom allgemeinen, von allen akzeptierten Sittengesetz gelöst haben. Der Einzelne steht vor der Aufgabe, sich in der jeweiligen gesellschaftlichen Wirklichkeit, in der er sich bewegt, seine Ethik zurechtzubasteln. Es gibt sozusagen so etwas wie einen vielgestaltigen Kosmos von sittlichen Richtigkeiten, die miteinander nicht unbedingt harmonieren. Die "Normalbiografie" mit ihren sittlichen Konstanten verwandelt sich in eine "Wahlbiografie" mit "Bastelethik". (Bei der Bioethik-Debatte z. B. hat man oftmals gemerkt, wie die der Wissenschaft verpflichteten Politiker anders diskutierten als Sozialpolitiker!)
Wie soll auf diesem Hintergrund ein Theologe ein christliches oder gar speziell katholisches Unternehmerbild zeichnen?
1. Anforderungen an den modernen Unternehmer:
ökonomische und moralische Kompetenz
Wie Sie sehen, wage ich es zunächst nicht, vom christlichen Unternehmer zu sprechen. Dennoch glaube ich, dass der enge - ja unlösbare - Zusammenhang von Ökonomie und Moral als Grundlage unternehmerischen Handelns auch eine Basis dafür bietet, über christlich fundierte Handlungsmotive miteinander ins Gespräch zu kommen.
Es lohnt sich daher für katholische Unternehmer immer wieder, sich um die Vermittlung dieser scheinbar widersprüchlichen Disziplinen Moral und Ökonomie zu bemühen und über das Verhältnis von ökonomischer Logik und moralischem Anspruch mit anderen gesellschaftlichen Gruppen zu diskutieren und nachzudenken.
Wenn ich es richtig sehe, bieten sich dafür in der christlichen Sozial- und Wirtschaftsethik für die aktuelle Diskussion drei unterschiedliche Ansätze an.
Da gibt es die "ökonomische Theorie der Moral", die den Zugang zur Moral nicht gegen, sondern über den Weg des ökonomischen Vorteils sucht. Fundament des Ansatzes ist das bekannte Zitat von Adam Smith aus seinem Werk "Der Wohlstand der Nationen" (1776): " ... nicht vom Wohlwollen des Metzgers, Brauers und Bäckers erwarten wir das, was wir zum Essen brauchen, sondern davon, dass sie ihre eigenen Interessen wahrnehmen. Wir wenden uns nicht an ihre Menschen-, sondern an ihre Eigenliebe, und wir erwähnen nicht die eigenen Bedürfnisse, sondern sprechen von ihrem Vorteil."
Dieser Ansatz billigt nicht nur dem persönlichen Vorteilsdenken eine moralische Qualität zu, sondern hält dieses Streben sogar für den eigentlichen Kern allen menschlichen Tuns und damit allen moralischen Handelns. Es gibt hier gleichsam so etwas wie eine Hoffnung auf einen moralischen Automatismus, etwa, wenn gesagt wird "Moral ist zu begreifen als eine Investition in größere individuelle Vorteile."
Ich persönlich bin gegenüber solchem Optimismus in die Ethik von Institutionen sehr kritisch.
Ein zweiter Denkansatz der Gegenwart bemüht sich um Anerkennung und stärkere Betonung der Individualethik und deren Bedeutung für das menschliche Handeln, ohne dies als moralische Vorverurteilung des individuellen Vorteilsstrebens zu verstehen. Jeder soll sich durchaus zunächst um das eigene Wohl bemühen.
Es geht bei diesem Ansatz freilich darum, dass im gesellschaftlichen und moralischen Konfliktfall die Erfolgsorientierung des Einzelnen dem gerechten Zusammenleben einer Gesellschaft unterstellt ist. Beispielsweise: Der Unternehmer darf sich nicht um des schnellen Gewinns willen seiner Steuerpflicht in seinem Heimatland entziehen, etwa durch Verlagerung der Produktion ins Ausland.
Ein dritter Ansatz betont stärker die Eigenständigkeit von Politik, Markt und Moral, wobei aber zugleich besonders in den Blick genommen wird, dass diese Bereiche miteinander auf Gedeih und Verderb verflochten sind. Im Mittelpunkt steht der Mensch in seiner persönlichen Freiheit, aber eben auch als soziales Wesen. Aus dieser Gleichzeitigkeit erwächst die Verantwortung für eine überindividuelle, gemeinsame Entwicklung aller. Der individuelle Freiheitsraum wird zum Ermöglichungsraum von gleichen Lebenschancen für alle. Die politische Steuerung hat dabei für die richtige Balance zu sorgen.
Nach dieser Auffassung hängt der Erfolg des Marktsystems für den Einzelnen von einer optimalen Vernetzung unterschiedlicher gesellschaftlicher Institutionen ab, von denen der Markt nur eine ist. Die Politik, der Staat beispielsweise dürfen nicht außen vor bleiben. Die Realisierung dieses Ansatzes setzt voraus, dass - auch unter globalen Bedingungen - eine gemeinsame Verständigung über die Lösung grundlegender Probleme möglich ist. Der augenblickliche Streit um die Agrarsubventionen in der künftig erweiterten EU ist ein Beispiel für dieses Miteinander von Eigennutz und Rationalität.
Diese drei wirtschaftsethischen Ansätze, die weitgehend auch die Diskussion der gegenwärtigen christlichen Gesellschaftswissenschaften bestimmen, basieren jeweils auf der unterschiedlichen Akzentuierung zweier Menschenbilder, für die sich interessanterweise auch Belege beim Urvater der Wirtschaftsethik - Adam Smith - finden.
Da gibt es bei ihm Hinweise auf das Bild des Menschen als "homo oeconomicus", also als strikt eigennützig handelndes Wesen, und zum anderen gibt es bei ihm Hinweise auf ein integratives Menschenbild, in dem Sympathie und Mitleid als ursprüngliche Empfindungen des Menschen mitberücksichtigt werden und damit Vorteilsstreben durch Gerechtigkeitsempfinden begrenzt wird.
Adam Smith sagt in seinem großen Werk "Die Theorie der ethischen Gefühle": "... Man mag den Menschen für noch so egoistisch halten, es liegen doch offenbar gewisse Prinzipien in seiner Natur, die ihn dazu bestimmen, am Schicksal anderer teilzunehmen, und die ihm selbst die Glückseligkeit dieser anderen zum Bedürfnis machen, obwohl er keinen anderen Vorteil daraus zieht als das Vergnügen, Zeuge davon zu sein ..."
Wenn dies so ist, dass also wirtschaftliches Handeln nicht nur einseitig durch Vorteile z. B. durch monetäre Anreize bestimmt wird, dann ist es durchaus möglich, auch in modernen arbeitsteiligen Gesellschaften normativen Ansprüchen einen von der Ökonomie unabhängigen Eigenwert zuzugestehen. Moral muss dann nicht mehr ökonomisch begründet werden, sondern ist selbständige Motivation des Handelns.
Das bedeutet: Eine Gesellschaft, besonders eine stark arbeitsteilige, braucht daher auch weiterhin eine auf normative Kriterien beruhende Rahmenordnung, um persönliche wie kollektive Vorteile zu ermöglichen. Anders gesagt: Es wird für uns alle keine Zukunft geben, auch keine wirtschaftlich erfolgreiche Zukunft, ohne einen vorgegebenen normativen Wertehorizont.
Die Frage nach solcher wie auch immer gearteten Moral wird auch in der heutigen gesellschaftlichen Diskussion leider nur dann laut, wenn der gesellschaftliche Schaden durch die sogannten "Schwarzfahrer" besonders groß ist, d. h., wenn einige den eigenen Vorteil durch den Verstoß gegen bestehende Regeln oder durch die Nichteinhaltung von Verabredungen kurzfristig maximieren wollen. Man müsste sich verständigt haben, bevor es zum Missbrauch kommt! Aber es gilt wohl die alte Erfahrung: Nur aus Schaden kann man klug werden.
Die drei kurz skizzierten Entwürfe betonen durchaus - wenn auch unterschiedlich stark - die Bedeutung einer solchen ethisch grundierten Rahmenordnung, lassen aber die Frage offen, wie der Prozess der Rahmenbildung organisiert sein soll, welche Sanktionsmöglichkeiten bestehen müssen und welche Kriterien einer möglichen gemeinsamen Entscheidungsfindung zu Grunde liegen sollen. Modelle, die einer Kooperation zum wechselseitigen Vorteil das Wort reden, wirken freilich oft idealisiert und scheinen der Realität nur unzureichend gerecht zu werden. Man muss wohl stärker noch als bisher mit Sanktionen arbeiten. Der Missbrauch darf sich nicht lohnen! Es ist eben so: Die Interessen der Armen, der weniger Leistungsfähigen oder auch der nachfolgenden Generationen fallen mit dem "wohlverstandenen Eigeninteresse" doch selten zusammen.
Die katholische Kirche betont daher in der Diskussion neben dem Bemühen, eine Institutionenethik zu entwickeln, neuerdings wieder verstärkt die Bedeutung einer tragfähigen Individualethik. Beide Akzentuierungen finden in den klassischen Prinzipien der katholischen Soziallehre, im Prinzip der Solidarität und im Prinzip der Subsidiarität ihren Niederschlag. Im "Gemeinsamen Wort der Kirchen zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland" von 1997 sind beide Prinzipien noch einmal ausdrücklich betont und zugleich, das ist das Neue am Sozialwort, durch das Prinzip der Gegenseitigkeit miteinander verbunden. Der Einzelne hat durchaus ein Recht darauf, dass die Gesellschaft ihm hilft, aber er ist auch verpflichtet, sein ihm Mögliches für die Gesellschaft zu leisten. Das muss beispielsweise etwa bei den Leistungen für Arbeitslose eine Rolle spielen. Der Arbeitslose oder Sozialhilfeempfänger kann nicht nur empfangen, er muss auch etwas geben. Zitat aus dem Sozialwort: "Es gibt nicht nur eine Sozialpflichtigkeit des Eigentums, sondern auch eine Sozialpflicht des Einzelnen ..."
Vielleicht wurde bei dieser Diskussion bisher der Frage zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt, wie die Bereiche der individuellen Moral einerseits und die der Institutionenethik andererseits zu verknüpfen sind. Das Wort der Kirchen zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland weist darauf hin, wenn es in Nr. 156 formuliert: Es "droht in Vergessenheit zu geraten, dass gesellschaftliche Gruppen und Institutionen, die weder dem Staat noch dem Bereich des Marktes zuzuordnen sind, einen eigenständigen Beitrag zur Erhöhung der gesellschaftlichen Wohlfahrt leisten." Das Papier der Kirchen nennt solche Bereiche jenseits von Staat und Markt, etwa die Familie und andere Formen assoziativer Selbsthilfe, geht aber nicht näher darauf ein. Diese Bereiche, die gegenwärtig zunehmend an Bedeutung gewinnen, müssen mehr in den Blick kommen. Es handelt sich dabei über die Familie hinaus um gesellschaftliche Bereiche und kollektive Akteure wie Gewerkschaften, Unternehmerverbände, soziale Bewegungen, Nichtregierungsorganisationen wie Greenpeace und Attac, aber auch Lobbyistenvereinigungen u. a.
Hier geschieht eine wechselseitige Beeinflussung unterschiedlicher Ebenen, die in der wirtschaftsethischen Diskussion noch zu wenig reflektiert wird. Die sich hier bildenden kollektiven Akteure benötigen ebenso wie die einzelnen Führungskräfte in Unternehmen und Politik der ethischen Reflexion. Dies ist auch deswegen notwendig, weil in Zeiten wirtschaftlicher und technologischer Veränderungen rechtliche Regulierungen dem beschleunigten technologischen Fortschritt und der Globalisierung der Wirtschaft meist hinterherhinken. Freiwillige Verhaltenskodizes, basisnahe Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten können hier ihren Ort haben. Ein konkretes Beispiel dafür: Zusammen mit dem Kinderkanal des Fernsehens versuchen die Kirchen und andere gemeinsam einen "Net-Code", eine Art Gütesiegel für saubere Angebote im Internet für Kinder und Jugendliche zu etablieren. Also: dem Missbrauch steuern durch Hervorhebung und Auszeichnung des Wertvollen.
2. Wo bleibt nun der christliche Unternehmer?
Sicher gibt es keine spezifisch christlichen oder gar katholischen Handlungsanweisungen für Unternehmer als Unternehmer, ebensowenig wie es diese für Politiker, Wissenschaftler, Mediziner, Juristen oder Künstler gibt. Unternehmer leben und wirken aber im Dunstkreis einer Kultur und einer alltäglichen Lebenswelt, deren Veränderungen sehr schnell auf andere Teilbereiche der Gesellschaft durchschlagen.
Es sollte uns nachdenklich machen, dass einer der geistigen Väter der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland, Alfred Müller-Armack, in diesem Zusammenhang den Rang des Religiösen außerordentlich betont. Er warnt vor Idolbildungen und Ersatzmetaphysiken. Seiner Meinung nach kompensiert der Mensch einen metaphysischen Verlust durch diesseitige Befriedigungen. Zu den Folgen eines Glaubensabfalles gehört seiner Meinung nach auch ein Normen- und Werteverlust, weshalb aus seiner Sicht eine wirtschaftliche Erneuerung ohne eine Wiederbelebung des Glaubens nicht möglich ist.
Wir spüren die Defizite unserer Gesellschaft nicht nur in diesem durch eine spezifische Geschichte geprägten ostdeutschen Raum. Vielleicht wird hier nur exemplarisch deutlich, welchen bedrohlichen Entwicklungsstand unsere abendländisch-europäische Gesellschaft erreicht hat. Gerade in einer Zeit, in der durch die zunehmende Beschleunigung der Technologisierung und durch die Globalisierung der Weltwirtschaft neue Herausforderungen für Wirtschaft und Unternehmer entstehen, macht sich die Zaghaftigkeit der Wertediskussion in unserer Gesellschaft negativ bemerkbar.
Bemerkbar macht sich auch, dass die großen Kirchen und die Religionsgemeinschaften nicht über jene blitzschnelle Reaktionsfähigkeit verfügen, die notwendig wäre, um sich an den vielen aufbrechenden Diskussionen in unterschiedlichen Bereichen unserer Gesellschaft zu beteiligen. Das ist nebenbei gesagt nicht immer nur ein Nachteil. Darum sind die Kirchen hier auf das sachkompetente Engagement ihrer Mitglieder angewiesen. Wir leben in einer Welt, die - jedenfalls solange nicht an ihren Grundfesten gerüttelt wird - scheinbar sehr gut ohne Gott funktioniert. Wir leben in einer Gesellschaft, die nicht unbedingt durch kämpferischen Atheismus geprägt ist, aber weitgehend durch anonyme Mechanismen gesteuert wird. Zu diesen Mechanismen gehören: der Markt mit seiner unsichtbaren Hand als Lenker einer arbeitsteiligen Gesellschaft, die Demokratie mit dem Prinzip der geheimen Wahl der Regierenden auf begrenzte Zeit und das naturwissenschaftlich-technische Denken und Forschen, dass sich nur ans Berechenbare und Funktionierende hält, vom konkreten Menschen mit seinen Hoffnungen und Ängsten aber absieht. Für das instrumentelle und zweckrationale Denken, das all diese Bereiche durchwaltet, stellt sich diese Frage nach Gott nicht und muss sich vielleicht auch nicht stellen.
Mit der Feststellung, dass christliche Werte in unserer Gesellschaft nicht mehr einfach als Grundlage des alltäglichen Lebens eingefordert werden können, ist nicht Rückzug und Resignation das Wort geredet, sondern im Gegenteil das selbstbewusste, offensive, gesprächsbereite Leben aus dem Glauben, zu dem jeder Einzelne aufgefordert ist.
Ich bin fest davon überzeugt, dass aus der Ü;berzeugungskraft einer Lebensweise, die in einem christlichen Welt-, Menschen- und Lebensverständnis gründet, eine attraktive Kraft entstehen kann. Auf diese Weise können wichtige Werte als lebensförderlich einleuchtend und nachahmenswert werden. Dort wo ein Verband wie der BKU oder ein christlicher Unternehmer am gesellschaftlichen Diskurs über das Verhältnis von Ethik und Technik, über das Verhältnis von Freiheit und sozialer Gerechtigkeit, über das Verhältnis von Ökologie und Ökonomie teilnimmt, handelt er aus seiner Kompetenz als Unternehmer und als Christ heraus.
In besonderer Weise verbinde ich mit der Vorstellung vom "christlichen Unternehmer" den Begriff "Verantwortung" und zwar in doppelter Hinsicht: Verantwortung vor Gott und vor (und für) den Menschen. Die zwei Typen von Verwaltern im Gleichnis Jesu vom anvertrauten Geld (Mt 25,14-30) sind gute Beispiele für gelungene und verweigerte Verantwortung. Verweigerte Verantwortung ist letztlich nichts anderes als die Verweigerung von Vertrauen auf Gott. Das ist es, woran der letzte Verwalter scheitert: am Vertrauen auf Gott. Er "vergräbt", womit er eigentlich "wuchern" sollte.
Die Verantwortung für den Menschen hat ihr letztes Fundament in der Verantwortung vor Gott. Wer diese Verantwortung ernst nimmt, kann sich nicht mit Hinweis auf die anonymen Sachzwänge oder Strukturen herausreden. Der christliche Unternehmer hat keine Ausrede, wenn es um Verantwortung geht, aber er darf sich auch in der ganzen Gebrochenheit und Unvollkommenheit der Verantwortung angenommen wissen, wie die beiden ersten Verwalter in unserer Bibelstelle.
Der Gedanke der Begrenztheit und der Unvollkommenheit ist mir wichtig. Zum christlichen Menschenbild gehört es, den Menschen als ein endliches, begrenztes, sozial hilfsbedürftiges und fehlerfähiges Wesen zu sehen. Man kann an einem Lebensprojekt scheitern, auch wenn man sich selbst auf die bestmögliche Weise, nach bestem Wissen und Gewissen bemüht hat. Aus diesem Wissen und aus dem Wissen um Vergebung, Verzeihung und ein vorausgehendes Angenommensein schöpfen Christen aber ihre Kraft und ihre Stärke, die sich in der Ü;bernahme von Verantwortung ausdrücken kann.
Jürgen Habermas hat in seiner Rede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandles im Herbst 2001 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Verzicht auf die Rede von Sünde, von Vergebung und von Hoffnung auf Auferstehung eine spürbare Lücke in unserer Gesellschaft hinterlassen hat, die nicht durch säkulare Sprache, durch juristische Regelungen oder bloße gesellschaftliche Konventionen auszufüllen ist.
Religion und Christlichkeit enthält ein Sinnpotential, dass nur sehr verkürzt in säkulare Sprache zu übersetzen ist. Ohne dieses Sinnpotential wird unsere Gesellschaft nicht nur ärmer, sondern zerstört ihre eigenen Grundlagen.
Wir haben die pastorale Arbeit im Bistum Erfurt mit dem Wort umschrieben "Das Evangelium auf den Leuchter stellen". Die katholische Kirche in Thüringen und damit jeder einzelne Katholik hat den Auftrag, das von Gott eröffnete Heil allen Menschen kundzutun.
Diesem Auftrag werden wir dort gerecht, wo jeder einzelne Christ in seinem Bereich - in Wissenschaft, Politik, Kunst oder eben auch in der Wirtschaft - in Reden und Handeln verantwortungsvoll Zeugnis ablegt von der österlichen Wirklichkeit, aus der er zu leben sucht, nicht als verlängerter Arm der Amtskirche, sondern durchaus selbstbewusst und eigenständig. Dies ist keine Frage der Zahl sondern eine Frage des eigenen Selbstverständnisses und Engagements.
Ich wünsche mir katholische Unternehmer in Thüringen und anderswo, die selbstbewusst ihren christlichen Glauben leben und vertreten. Ich wünsche mir katholische Unternehmer, die die Probleme und Herausforderungen, die in der Wirtschaft anstehen, in unsere Kirche hineintragen. Ich wünsche mir katholische Unternehmer, die auf der Grundlage ihrer Kompetenz als Christen und ihrer Kompetenz als Wirtschaftsfachmänner und -frauen den ethischen Anforderungen gerecht werden, ohne die weder unsere Marktwirtschaft noch unsere offene und freiheitliche Gesellschaft überleben kann.
Nutzen Sie dazu die Möglichkeiten, die unsere zugegeben kleinen kirchlichen Strukturen bieten. Melden Sie sich im Bistum Erfurt zu Wort, sei es, dass Sie auf unseren Wallfahrten auch als Gruppe mit Informationsständen präsent sind, sei es, dass Sie sich in den Veranstaltungen unserer Katholischen Akademie zu Wort melden oder dass Sie auf andere Art und Weise als BKU-Mitglieder unseren Kirchengemeinden, den Medien, der Gesellschaft insgesamt in Thüringen Rede und Antwort stehen.
Ein Rückzug in die Partikularität sowohl des rein Wirtschaftlichen als auch des allein Kirchlichen mit dem damit verbundenen Verzicht auf kirchliche, politische bzw. gesellschaftliche Relevanz und Verantwortung verfehlt den Auftrag, den wir haben: auch in der Welt, in der ein Unternehmer sich bewegt, das Evangelium auf den Leuchter zu stellen.
Anmerkungen
(1) A. Smith, Der Wohlstand der Nationen, München 1978, 17.
(2) Vgl. K. Homann, Marktwirtschaft und Ethik / Vortrag im Jahr 2001 bei der Katholischen Akademie München. Manuskript.
(3) A. Smith, Die Theorie der ethischen Gefühle, Hamburg 1977, 1.
(4) Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit. Wort des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland, Hannover / Bonn 1997, Nr. 155.
(5) A. Müller-Armack, Das Jahrhundert ohne Gott. Zur Kultursoziologie unserer Zeit, 1948.
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