Bürgerantrag, Volksbegehren, Volksentscheid

Stellungnahme des Katholischen Büros Erfurt in der öffentlichen Anhörung am 6.6.2002

Erfurt (BiP). Grundsätzlich positiv würdigt der Leiter des Katholischen Büros Erfurt, Ordinariatsrat Winfried Weinrich, die vorliegenden Gesetzesentwürfe zur Förderung der direkten Demokratie in Thüringen. Zwei Entwürfe gibt es, der eine stammt von der Thüringer Landesregierung, den anderen haben die Landtagsfraktionen von SPD und PDS gemeinsam erarbeitet. Es sei zu begrüßen, so Weinrich, dass mit diesen Gesetzesentwürfen "dem Anliegen nach mehr direkter Beteiligung der Bürger an der Gesetzgebung des Landes Rechnung getragen werden soll". Volksentscheide zu Verfassungsänderungen sollten aber auch weiterhin von der Mehrheit der Stimmberechtigten getragen werden, heißt es in der Stellungnahme des Katholischen Büros zur öffentlichen Anhörung vor dem Justizausschuss des Thüringer Landtages am 6. Juni 2002.


Im Detail befürwortet und kritisiert Weinrich Elemente in beiden Gesetzesentwürfen. Der Wegfall der Flächenklausel beim Bürgerantrag und die Senkung der Unterschriftenzahl, wie in beiden Gesetzesentwürfen vorgesehen, werden unterstützt. Was den Modus der Unterschriftensammlung auf der Landesebene betrifft, spricht sich Weinrich generell für die Sammlung in amtlichen Räumen aus und folgt dabei dem Entwurf der Landesregierung. Die von der Regierung vorgesehene Frist von zwei Wochen ist ihm allerdings zu kurz. Dieser Zeitraum solle verlängert oder aber die Mindestzahl der Unterzeichner noch weiter gesenkt werden.


Für Volksbegehren hält Weinrich ein Unterstützungsquorum von 10 Prozent der Stimmberechtigten für ausreichend und schlägt für Volksentscheide über einfache Gesetze die Prüfung vor, ob die Zustimmung von 25 Prozent der Stimmberechtigten ausreichend sei. Die Landesregierung fordert dagegen ein Drittel der Stimmberechtigten, der SPD/PDS-Entwurf sieht die Mehrheit der abgegebenen Stimmen vor.


Bei Volksentscheiden über Verfassungsänderungen genügt PDS und SPD die Zustimmung von 25 Prozent der Stimmberechtigten. Weinrich ist dies - wie der Landesregierung - zu wenig. Er fordert bei Verfassungsänderungen die Mehrheit der Stimmberechtigten "zur Gewährleistung eines breiten gesellschaftlichen Konsenses und zur Wahrung des erhöhten Bestandschutzes" der Verfassung.



Anlage:



Stellungnahme des Kommissariates der Bischöfe in Thüringen


  • zum Gesetzentwurf der Thüringer Landesregierung zur Änderung der Verfassung des Freistaates Thüringen, Drucksache 3 / 2237

  • zum Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und PDS zur Änderung der Verfassung des Freistaates Thüringen (Gesetz zur Entwicklung direkter Demokratie im Freistaat Thüringen) Drucksache 3 / 1911


im Rahmen einer öffentlichen Anhörung vor dem Justizausschuss des Thüringer Landtages am 06. Juni 2002



Vorbemerkung:


Auf dem Hintergrund des Volksbegehrens "Mehr Demokratie in Thüringen" und des Urteils des Thüringer Verfassungsgerichtes vom 19. September 2001 ist es zu begrüßen, dass mit den jeweils vorliegenden Gesetzentwürfen der Thüringer Landesregierung und der Fraktionen von SPD und PDS zur Änderung der Verfassung des Freistaates Thüringen dem Anliegen nach mehr direkter Beteiligung der Bürger an der Gesetzgebung des Landes Rechnung getragen werden soll.


Bezug nehmend auf die Stellungnahme des Katholischen Büros im Rahmen der öffentlichen Anhörung vor dem Justizausschuss am 07. Juni 2001 sei nochmals auf die Position der Kirchen aus der Entstehungszeit der Thüringer Verfassung aus dem Jahre 1992 verwiesen, in der es zu den vorgeschlagenen Plebisziten heißt:



    "Ausgehend von der Tatsache, dass eine Landesverfassung nicht gegen tragende Prinzipien des Grundgesetzes verstoßen darf, ferner die langjährige positive Erfahrung mit dem Grundgesetz beobachtend, halten wir die Beibehaltung des Vorranges der repräsentativen Demokratie für sinnvoll . . .

    Wir befürworten die Aufnahme eines Volksentscheides über die Verfassung selbst und halten die Aufnahme der Möglichkeit des Volksbegehrens für empfehlenswert . . .

    Wir raten jedoch zu einer genauen und vorsichtigen Interessenabwägung bei der Möglichkeit des Volkes als gesetzgebende Gewalt, nicht zuletzt auf Grund der in Europa wachsenden Zahl von Anhängern radikaler Gruppen . . ."



Die plebiszitären Mitwirkungsrechte sollten unter Beachtung des Vorranges der parlamentarischen Demokratie dazu dienen, das parlamentarische System zu ergänzen und auch auf diesem Weg Partizipation der Bürger zu ermöglichen.


In diesem Sinne werden die vorliegenden Gesetzentwürfe daran zu messen sein, inwieweit im Interesse unseres Gemeinwesens und unter Beachtung der abgegebenen Stimmen für das Volksbegehren "Mehr Demokratie in Thüringen" in sensibler und ausgewogener Art und Weise Wege für eine geeignete Fassung der direkten Partizipation der Bürger im Prozess der politischen Willens- und Entscheidungsfindung beschritten werden.



Zu den einzelnen Bestimmungen der Gesetzentwürfe


1. Zu Artikel 68 Absatz 3 - Bürgerantrag


Die Neufassung des Bürgerantrages in beiden Entwürfen trägt unter Wegfall der Flächenklausel und der Senkung der Unterschriftenzahl zur Ausweitung der politischen Partizipation des Bürgers bei.

Die vorgesehene amtliche Sammlung im Gesetzentwurf der Landesregierung wird mit Hinweis auf die Rechtssprechung des Thüringer Verfassungsgerichtshofes vom 19. September 2001 unterstützt, jedoch sollte der im Gesetzentwurf der Landesregierung vorgesehene Zeitraum für die erforderliche Eintragung in die amtlich ausgelegten Listen verlängert bzw. die Mindestzahl der Unterzeichner gesenkt werden.



2. Zu Artikel 82 - Volksbegehren und Volksentscheid über einfache Gesetze


Sowohl die Aufnahme der bisherigen Regelung zum erforderlichen Quorum beim Antrag auf Zulassung eines Volksbegehrens in die Verfassung in beiden Gesetzentwürfen als auch die Vorverlagerung der gerichtlichen Ü;berprüfung der inhaltlichen Zulässigkeit eines Volksbegehrens im Gesetzentwurf der Landesregierung, werden begrüßt.


Das in den Gesetzentwürfen vorgesehene Unterstützungsquorum für ein Volksbegehren von 10 v. H. der Stimmberechtigen stellt in seiner Höhe eine ausgewogene Fassung der direkten Partizipation der Bürger im Prozess der politischen Willens- und Entscheidungsfindung dar. Allerdings sollte auch hier der Zeitraum für die erforderliche Eintragung in die amtlich ausgelegten Listen im Gesetzentwurf der Landesregierung verlängert werden.


Die bisherige Regelung der Verpflichtung des Landtages, das Volksbegehren innerhalb von 6 Monaten nach Feststellung seines Zustandekommens zu behandeln, in die Verfassung aufzunehmen, wird unterstützt (vgl. Absatz 4 Satz 1 der Drucksache 3 / 2237).


Die in beiden Entwürfen vorliegenden Quoren beim Volksentscheid über einfache Gesetzentwürfe sollten im Kontext der vorgesehenen Neuregelungen (Quorum für das Volksbegehren, Fristen für die Eintragung und amtliche Sammlung) noch einmal dahin gehend überprüft werden, inwieweit etwa 25 v. H. der Stimmberechtigten ein angemessenes Zustimmungsquorum darstellen könnte.



3. Zu Artikel 83 - Volksentscheid über Verfassungsänderungen


Mit dem Volksentscheid über die Verfassung am 16. Oktober 1994 hat sich die Mehrheit der Stimmberechtigten für die Annahme der Verfassung ausgesprochen. Um den gegenüber einem einfachen Gesetz erhöhten Bestandsschutz der Verfassung zu gewährleisten, kann der Landtag nur mit einer Mehrheit von zwei Drittel seiner Mitglieder die Verfassung ändern.

Zur Gewährleistung eines breiten gesellschaftlichen Konsenses und zur Wahrung des erhöhten Bestandschutzes sollten Volksentscheide über Verfassungsänderungen weiterhin von der Mehrheit der Stimmberechtigten getragen werden.



gez.


Ordinariatsrat Winfried Weinrich

Leiter des Katholischen Büros



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