Pressemitteilung des 3. Internationalen Orgelwettbewerbs zu Erfurt und der 11. Internationalen Orgelkonzerte 2005 Dom zu Erfurt
Im Rahmen des "3. Internationalen Orgelwettbewerbes zu Erfurt" und der 11. Internationalen Orgelkonzerte spielt Erfurts Domorganist Silvius von Kessel am Samstag, 23. Juli um 19.30 Uhr ein außergewöhnliches Programm: Es handelt sich um eine "Ü;bersetzung" der 3. Symphonie d-moll von Anton Bruckner (1824 - 1896) auf die Orgel. Diese Symphonie ist an sich für Orchester geschrieben; Silvius v. Kessel spielt dagegen - direkt aus der Orchesterpartitur - eine freie Nachzeichnung dieser Symphonie auf den beiden Domorgeln. Dieses ehrgeizige und auch spieltechnisch sehr anspruchsvolle Projekt hat der Domorganist inzwischen schon in manchen Konzerten auswärts vorgestellt, und es stieß bei der Fachkritik auf eine überragende Resonanz, so zuletzt im Passauer Dom, als diese Symphonie an der dortigen Passauer Domorgel, der größten Kirchenorgel Europas, von Silvius v. Kessel gespielt wurde. Der Eintritt des Konzertes ist frei, Es wird um eine großzügige Spende (z.B. 5 ?) am Ausgang zur Deckung der Kosten der Internationalen Orgelkonzerte 2005 gebeten.
Programm
(1824 - 1896)
Symphonie Nr. 3 d-moll
Fassung von 1889 - in einer freien Bearbeitung für die Orgel
(eingerichtet von Silvius v. Kessel)
1. Satz: Mehr langsam. Misterioso
D r e i M i n u t e n P a u s e w e g e n R e g i s t r i e r u n g
2. Satz: Adagio, bewegt, quasi Andante
3. Satz: (Scherzo): Ziemlich schnell
4. Satz (Finale): Allegro
Domorganist Silvius von Kessel zum Programm:
Diese freie Bearbeitung der 3. Symphonie Anton Bruckners ist keine vorher aufgeschriebene Transkription dieses Werkes, sondern ein direkt aus der Partitur von mir gespieltes, gleichsam frei nachgezeichnetes al-fresco-Gemälde für die Orgel, mithin also ein in gewisser Weise "neues" Orgelwerk, welches der Akustik des Domes und den großen klanglichen Möglichkeiten, aber auch Grenzen der Haupt- und Chororgel des Domes Rechnung trägt. Somit sollen auf eine ganz eigene Weise Aspekte Brucknerscher Symphonik an dieser heiligen Stätte erlebbar werden.
Man hat Bruckners Symphonien in hoher Bewunderung auch als "Kathedralen" bezeichnet, sie werden in ebendiesen auch gern von den Orchestern aufgeführt. - Die Architektur der Symphonik Bruckners ist in ihrer Weiträumigkeit durchaus mit einer Kathedrale zu vergeichen: die symphonischen Wellen dieser Musik schwingen sich in großen Steigerungszügen auf zum (gothischen) Sternenzelt-Gewölbe des Mittelschiffes und verlieren sich andererseits auch in zarten Nebenläufen in zahlreichen kleinen Kapellen des Seitenschiffes. Alles jedoch ist erkennbar von einer genialen Groß-Architektur geordnet, die das Wesen dieser Symphonik ausmacht.
Sosehr jedes thematische Detail ausgefeilt ist, einschließlich einer höchst gekonnten Instrumentierung, sowenig ist es doch die Analyse dieses Details, die Bruckners Symphonien eigentlich erschließt. Es sind im wahrsten Sinne des Wortes "Symphonien", also wirklich keine Kammermusik. Hierin liegt sicher auch ein Wesens-Unterschied (weniger ein formaler Unterschied, der ist vergleichsweise klein) zu den Brahmsschen Symphonien, die sich oft aus kammermusikalischer Quelle speisen. (Eine Ausnahme bildet da sicher der symphonisch-weiträumige Gestus des Beginns der 1. Symphonie von Brahms, der große Skrupel hegte, "nach Beethoven" noch eine Symphonie zu "wagen".)
Bruckner, der große symphonische Nachfolger Beethovens, begann dagegen relativ unbekümmert mit der Komposition seiner neun Symphonien. Und so wurde er mehr zu einem Gegenüber Beethovens, dessen motivisch-thematische Arbeit er zwar auch kennt, die jedoch für seine Symphonien nicht eigentlich kennzeichnend ist.
Zu erwähnen ist Bruckners berühmte große melodische Erfindungskraft, der thematische Einfall als solcher, der bei ihm ungemein wichtig ist, ebenso wichtig wie dessen Durchführung. Hier zeigt sich sein großes Improvisationstalent, sein unerschöpflicher Einfallsreichtum. Bruckner wurde zu seinen Lebzeiten als (improvisierender) Orgelvirtuose gefeiert: Er ließ sich in ganz Europa, so z.B. in der Kathedrale Notre-Dame in Paris in Improvisationskonzerten an der Orgel hören und erfuhr dabei höchste Anerkennung und Begeisterung.
In seiner Harmonik ist Bruckner ebenso wie in seiner Kontrapunktik ein unübertroffener Meister geblieben: Seine teilweise sehr kühne, aber immer meisterhaft beherrschte Harmonik war nicht mehr generalbaßorientiert wie es die "traditionellere" Brahmssche Harmonik eigentlich noch war. In Bezug auf die Kunst des Kontrapunkts ist bezeichnend, daß er, der bekanntermaßen große Meister aller möglichen kontrapunktischen Techniken, diese jedoch nur sehr dosiert einsetzte. Nur, wenn es der Architektur seiner Musik diente, demonstrierte er diese hohe, alte Kunst.
Natürlich kannte er Bachs "Kunst der Fuge", und er verinnerlichte diese. Und wenn er dann eine Fuge oder Doppelfuge schrieb, verbunden mit einem Choralthema o.ä. (wie z.B. im Finale der 5. Symphonie), dann ist diese so souverän und makellos wie Bachs große Fugen. (In der 3. Symphonie kommt übrigens keine Fuge vor.) - Das ist u.a. das Große an Bruckners Kunst: derjenige, der als Professor in Wien äußerst streng Harmonik und Kontrapunkt lehrte, nahm sich alle Freiheiten von dieser Strenge und stellte alles in den Dienst einer übergeordneten Vision seiner Musik, der Großarchitektur seiner innerlichen Kathedrale: denn auf die Kathedrale kam es ihm an, nicht auf die Zurschaustellung der einzelnen Bausteine. Daher konnte er durchaus auch mit verschiedenen Lösungen zum Ziel gelangen, wenn er seine Symphonien umschrieb - teilweise auf Kritik reagierend, manches auch aus eigenem Streben.
Das ist keine Schwäche - es ist eine Größe und eine andere Sicht auf die Musik. Es ist also keine Musik, die wie eine Dominostein-Reihe so und nicht anders verlaufen kann, wenn sie einmal begonnen hat. Zum Vergleich: Bach konnte ohne Bedenken z.B. Kantaten umschreiben, neu gruppieren, teilweise wiederverwenden unter Anfügung neukomponierter Teile etc.. Manchem war dies ein Makel, der nicht nachvollziehen konnte, wie man musikalische Bausteine in einen neuen Zusammenhang stellen kann und dann noch Zusätze dazu schreibt. Zu Bachs Zeiten war das Tradition, nicht ungewöhnlich. Zu Bruckners Zeiten war es ungewöhnlich.
Die Instrumentation Bruckners hat man bisweilen mit der Praxis des Organisten verglichen, Registergruppen zu ziehen, da seine Instrumentierung teilweise blockhaft erscheint: Holzbläser, Blechbläser und Streicher können sich wie Gruppen gegenüberstehen, und diese "Terrassendynamik" erinnert an die Orgel. Allerdings ist damit über die Instrumentierung nur ein Anfang gesagt, eine Facette. Es gibt ungleich mehr Facetten.
Um einen ganz kurzen Abriß der Richard Wagner gewidmeten dritten Symphonie zu geben: Im ersten Satz erscheint das Hauptthema, aber es ist nicht gleich da, sondern es wird "geboren", wie so oft bei Bruckners Symphonie-Hauptsätzen. Und es erscheint am Horizont. Das zweite Thema, in F-dur anhebend, ist elegisch-kantabel, das für Bruckners Sonatenhauptsätze typische (zusätliche) dritte Thema ist kräftig-markant, in f-moll beginnend. Nach Durchführung und Reprise "triumphiert" in der Coda das Hauptthema in d-moll. (Oft, wenn man bei Bruckner von einem "Thema" spricht, muß man eigentlich "Themengruppe" sagen, da es aus mehreren Elementen besteht.)
Der langsame zweite Satz ist eine Variationengruppe über ein ruhiges, sehr sangliches Thema in Es-dur. Der dritte Satz ist ein typisch Brucknersches Scherzo: sehr lebensfroh, markant, quirlig - in den Trios glaubt man oft, ländliche Weisen seiner Heimat zu hören. Das Finale hebt mit einem Hauptthema an, welches dem Hauptthema des ersten Satzes (und der ganzen Symphonie) verwandt ist. Wiederum gibt es mehrere Themengruppen. Die Symphonie schließt in feierlichem D-dur mit dem Hauptthema des ersten Satzes.

