"Bonifatius hat Europa entscheidend mitgeprägt"

Grußwort von Bischof Joachim Wanke auf der Festakademie zur Eröffnung des Erfurter Bonifatiusjahres

Gehalten am Freitag, 23. April 2004 im Coelicum des Erfurter Domes


In der Mitte des Jahres 742 schreibt Erzbischof Bonifatius an Papst Zacharias in Rom einen Brief. Bonifatius ist es wichtig, dass der 741 geweihte Papst seine missionarische Arbeit in Hessen und Thüringen durch die Bestätigung der von ihm geschaffenen Kirchenstrukturen anerkennt. So wird in diesem Brief u. a. Erfurt, als "ehemalige Stadt ackerbautreibender Heiden" erstmalig in einem Schriftstück erwähnt. Erfurt soll neben Würzburg und Büraburg zur Bischofsstadt erhoben werden.


Sicher hat sich seit damals viel gewandelt und Landwirtschaft prägt Erfurt heute nicht mehr unbedingt. Nicht vergessen werden soll aber, dass mit diesem Brief die geschichtliche Bedeutung der Stadt Erfurt für den Thüringer Raum deutlich wird. Zugleich nimmt uns dieser Bonifatiusbrief in ein historisches Geschehen von europäischen Dimensionen hinein, an die zu erinnern im Jahr der Erweiterung der Europäischen Union durchaus angebracht ist.


Das Gedenkjahr des hl. Bonifatius - das in vielen Orten Deutschlands, ich denke hier an Fulda und Mainz, in besonderer Weise begangen wird - macht uns darauf aufmerksam, dass Europa nicht nur aus dem Wirken großer Politiker, Philosophen und Wissenschaftler entstanden ist, sondern auch aus dem Wirken und dem Gebet seiner Heiligen.


In den Heiligen werden die "christlichen Werte" Europas konkret, die wir immer wieder einfordern. In ihren Biografien bekommen sie ein Gesicht. Die Heiligen werden zum Symbol für die Verbindung von Christentum und europäischer Geschichte. In ihnen verbindet sich die jeweilige Regionalgeschichte mit dem abendländischen Kontext. Neben Bonifatius sei hier z. B. an die hl. Radegundis, den hl. Martin, den hl. Stephan und die hl. Elisabeth erinnert.


Wir dürfen freilich nicht vergessen, dass es in der Kirchengeschichte mancherlei Schuld und Versagen gab. Die Schwächen und Fehler der in der Geschichte handelnden Personen gehören auch zu unserer Geschichte. Mit der von fränkischen Herrschern betriebenen Sachsenmission z. B., die erst nach dem Tod von Bonifatius 754, um 773 beginnt, verbinden sich in unserer Erinnerung Massentaufen (schon um 777) aber auch die berühmt berüchtigte "Capitulatio de partibus Saxoniae" (782). Dass diese Form der Mission (wenn man dies überhaupt als Mission bezeichnen kann) auch damals schon von Theologen in Frage gestellt wurde - ich erinnere an Abt Alkuin (730-804) - entbindet uns nicht von der Last der Geschichte. Das Wissen darum verhindert, die Vergangenheit wie im Glorienschein zu sehen. Dennoch aber bleibt es dabei: Gerade die großen europäischen Heiligen sind Zeugen dafür, dass unsere profane Geschichte auch Teil der Geschichte Gottes mit den Menschen ist.


Bonifatius ist ein solcher Zeuge in wichtiger Zeit. Mit dem Ü;bergang der Macht von den Merowingern zu den Karolingern wird das Fundament der europäischen Entwicklung gelegt. Es ist die Zeit, in der der Islam in Europa politisch und kulturell prägend präsent ist. Byzanz im Osten konzentriert sich auf seine eigenen Themen, hier nehmen große Missionsbewegungen mit Cyrill und Methodius um 850 ihren Anfang, die z. B. die orthodoxe Prägung in großen Gebieten Europas bis heute bestimmen.


Bonifatius wirkt in einer Zeit des Umbruchs. Manche seiner kirchlichen Gründungen überleben nicht, sein Einfluss auf die damalige Politik scheint auf den ersten Blick gering. Dennoch hat Bonifatius Europa entscheidend mitgeprägt, und zwar durch die von ihm bewusst geprägte Ausrichtung auf Rom als geistliches Zentrum. Rom wurde in dieser Zeit zum Symbol und Fundament der Einheit der Christen in den sich entwickelnden Strukturen einer "neuen Welt". Die Herstellung einer Einheit zur Feier der Gottesdienste, die Festlegung eines gleichen Termins für das Osterfest, allgemeingültige Regeln klösterlicher Disziplin und ein überall geltender ethischer Forderungskatalog gehören hierzu.


Greifen unsere Gedanken zu weit?

Erfurt eine kleine Stadt "ehemaliger ackerbautreibender Heiden" im Wirkfeld europäischer, ja globaler Geschichte? Und mitten in diesen geschichtlichen Abläufen ein Mann, der sich gerufen weiß, zu "allen Völkern zu gehen und alle Menschen zu Jüngern zu machen und sie zu taufen, auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes", wie es am Ende des Matthäus-Evangeliums heißt. Ein Mann, der diesen Ruf so ernst nimmt, dass er sich ganz von der schützenden und tröstenden Heimat löst. Sein Lebensmotto ist: peregrinatio. Diese Pilgerschaft bedeutet, alles zurücklassen, alle Orte gleich fremd finden, für den Ruf Gottes ganz frei werden.


Unter diesem Motto hat Bonifatius über alle organisatorischen und kirchenpolitischen Aufgaben hinaus, sein eigentliches Ziel nie aus den Augen verloren: die Missionsarbeit. Die Sehnsucht nach diesem Ziel führt ihn 754 nach Friesland, wo er bei Dokkum ums Leben kommt.


Neben der Prägung durch die peregrinatio kann uns Bonifatius auch in einer anderen Haltung Vorbild sein: in seiner Leidenschaft für den Glauben. In dieser Leidenschaft ist er durchaus seinen Mitbischöfen und auch den Päpsten nicht immer ein angenehmer Korrespondenzpartner gewesen. Leidenschaft für den Glauben gilt heute vielleicht nicht gerade als gesellschaftlich korrekt. Sie scheint nicht zu unserer liberalen und toleranten Einstellung zu passen, die sich oft nur als Angst vor Belästigung erweist. Der Andere ist einem recht, solange er nicht wirklich anders ist.


Vielleicht fehlt uns heute etwas von diesem Mut zur Leidenschaft, zum Anderssein und auch zur Auseinandersetzung.


Was uns Christen der Gegenwart mit Bonifatius und seinen Gefährten auch vereint, ist und bleibt die Sorge um das Heil der Menschen. Das ist der letzte Grund aller missionarischen Bemühungen. Dabei steht damals wie heute die Feier des Gottesdienstes im Zentrum des kirchlichen Lebens.


Jeder Gottesdienst ist ein Segen für die Stadt Erfurt, das Land Thüringen und seine Menschen - ob sie Christen sind oder nicht. Deswegen bleibt für die Christen die Mahnung von Bonifatius aus dem Jahr 742 bestehen: "Wir wollen nicht stumme Hunde sein, nicht schweigende Späher, nicht Mietlinge, die vor dem Wolf fliehen, sondern besorgte Hirten, die über die Herde Christi wachen, die dem Großen und dem Kleinen, dem Reichen und dem Armen, jedem Stand uns Alter, gelegen oder ungelegen, den Rat Gottes verkünden."



Festakademie eröffnet das Erfurter Bonifatiusjahr