Zunächst möchte ich Ihnen, meine Damen und Herren aus dem journalistischen Bereich, meinen Dank für Ihre Arbeit zum Ausdruck bringen. Der Jahresempfang des Bistums Erfurt soll ein sichtbares Zeichen für diesen Dank sein. Auch unsere kirchliche Arbeit lebt davon, dass Sie in Ihren jeweiligen Medien über Ereignisse und Entwicklungen in unserem Bistum, aber auch über das Leben in unseren Gemeinden, in den Verbänden, aus der Ökumene und auch aus der Weltkirche berichten. Sachlich gut berichtende und fair kommentierende Medien sind für uns als Kirche wichtig, aber auch für die Gesellschaft insgesamt.
Aus der Vielzahl der derzeit öffentlich diskutierten Themen will ich heute nur wenige herausgreifen. (Dass bei mir die Fußball-Weltmeisterschaft keine Kommentierung findet, wird Ihr Verständnis finden. Wobei auch ich unserer Mannschaft weiterhin alle Daumen drücke!)
Zunächst einige Worte zu der Debatte um offenen und verborgenen Antisemitismus in unserer Gesellschaft. Sie ist durch einen Politiker der FDP und durch das neue Buch von Martin Walser "Tod eines Kritikers" ausgelöst worden. Zu den handelnden Personen und deren Motiven möchte ich mich nicht äußern. Zur Sache aber, um die es geht, möchte ich das Folgende bemerken: Die jüdischen Mitbürger in Deutschland gehören zu uns. Sie sind selbstverständlicher Teil unserer Gesellschaft. Sie haben ein Recht auf Achtung und Solidarität. Gerade wir Deutsche dürfen darüber nicht den geringsten Zweifel aufkommen lassen. Und als katholischer Bischof füge ich hinzu: Die jüdischen Glaubensgenossen sind unsere "älteren Geschwister" im Gottesglauben, wie einmal unser Papst gesagt hat. Wir stehen zu Ihnen, nicht nur um der menschlichen Solidarität willen, sondern auch wegen der Verbundenheit der christlichen mit der jüdischen Religion. Antisemitismus ist nicht nur Dummheit, sondern für einen gläubigen Christen auch eine Sünde. Aber beides hängt ja manchmal eng zusammen.
Derzeit ein wenig in den Hintergrund getreten, aber dennoch von allergrößter Bedeutung ist die Frage, wie es mit dem Lebensschutz in unserer Gesellschaft weitergeht. Wir konnten im April dieses Jahres in Erfurt die bundesweite "Woche (der Kirchen) für das Leben" eröffnen. Die Kirchen werden sehr aufmerksam beobachten, wie es mit der Umsetzung des Stammzellengesetzes weitergeht. Wir werden uns weiterhin für einen konsequenten Schutz des vorgeburtlichen Menschen einsetzen und dafür werben. Dass die Geburt eines behinderten Kindes zu einer Schadensersatzbewilligung durch den Bundesgerichtshof geführt hat, ist Ausdruck der schlimmen Tendenz, behindertes Leben nur als Schadensfall anzusehen. Ich bin dankbar, dass vor kurzem der Deutsche Ärztetag sich gegen die Freigabe der Präimplantationsdiagnostik (PID) ausgesprochen hat. Es darf keine Schlupflöcher geben für die Tendenz, das menschliche Leben von außen her zu bewerten und ihm ggf. das Lebensrecht abzusprechen. Die Euthanasiegesetzgebung in Belgien macht mich, auch angesichts der konkreten Erfahrungen mit der Euthanasiepraxis in den Niederlanden, sehr besorgt.
Auf dem Hintergrund der Erfurter Bluttat im Gutenberg-Gymnasium, aber auch der Ergebnisse der sog. PISA-Studie wird derzeit eine lebhafte Debatte über Bildung und Erziehung geführt.
Ich kann nur begrüßen, dass neben dem Gesichtspunkt des Bildungsauftrags der Schule auch der der Erziehung wieder deutlicher in den Blick rückt. Gery Becker, US-Nobelpreisträger für Wirtschaft, hat einmal geäußert, eine Volkswirtschaft solle 20% ihres Bruttosozialproduktes in die Bildung investieren. Das ist die Sicht eines Volkswirtschaftlers. Doch Bildung allein reicht nicht.
Erziehung ist vemutlich nicht vordergründig eine Frage des Einsatzes von Geldern, wenngleich gerade der Sparzwang in den Schulen und bei der Jugendförderung fatal ist. Schon kleine Schritte könnten weiterhelfen. Ob die Lehrer, besonders die Klassenlehrer nicht doch etwas mehr Zeit haben sollten, sich den Kindern nicht nur fachlich, sondern auch persönlich zuzuwenden? Ist Lehrern noch ein Elternbesuch möglich? Leistungsdruck liegt nicht nur auf den Schülern. Er liegt auch auf Lehrern. Ihre Erziehungsarbeit, die eben nicht durch eine PISA-Studie erfasst wird, muss neben ihrem Bildungsauftrag gebührende gesellschaftliche Anerkennung finden. Erziehung geht aber nicht ohne Begleitung und ohne Einsatz von Zeit. Vor dem Leisten-Können steht die menschliche Annahme eines Kindes, eines Schülers.
Sicher: Das kann Schule allein nicht leisten. Darum gehört für mich die Situation unserer Familien mit zu den wichtigsten Fragen unserer Gesellschaft. Als Seelsorger sind wir auch kirchlich an der Stabilität der Ehen und Familien interessiert. Ein Großteil unserer kirchlichen Arbeit gilt den Ehen und Familien. Darum zu diesem Themenfeld einige wenige Anmerkungen.
1. Ich bemerke in der Politik die Tendenz, die Ehe nicht mehr als selbstverständliche Grundlage der Familie anzusehen. Dem entspricht, dass die Familienpolitik zunehmend zum Thema Partnerschaft und Ehe schweigt. Man sagt: Die Menschen sollen jeder nach ihrer eigenen Facon leben! Die Politik gehe das nichts an.
Das halte ich für eine kurzschlüssige Ansicht. Zudem widerspricht sie auch der Meinung der überwältigenden Mehrheit in der Bevölkerung, die durchaus für die Ehe ist und diese Lebensform hochschätzt. Ü;ber 80% der Kinder wachsen in Famlien auf, die auf Ehen gegründet sind.
Darum fordere ich von den Parteien deutlich zu machen, wie sie es mit der Ehe halten. Die auf einem öffentlichen Bekenntnis zueinander begründete Ehe hat mehr Gewicht als nur ein privates Versprechen. Alle menschlichen Kulturen wussten das. Sie haben dafür entsprechende Riten entwickelt. Kinder brauchen Verlässlichkeit. Warum wollen wir diese ihnen vorenthalten? Ü;brigens brauchen auch Erwachsene diese Verlässlichkeit und Treue, die auch dann nicht aufhört, wenn es im Leben einmal schwierig wird.
Auf die Bedeutung der Ehe für die Familie zu pochen, ist darum nicht nur ein kirchliches Sonderanliegen. Den Trauschein als Bagatelle abzutun, ist Torheit. Nochmals: Die Mehrzahl der Menschen, auch der jungen Menschen möchten eine Verbindung in Treue und lebenslanger Verlässlichkeit. Warum schämen sich Politiker, dafür auch politisch einzustehen?
2. Speziell zur Familie: Die auf Ehe gegründete Familie ist die - im Blick auf andere Partnerschaftsformen - weitaus stabilste Grundlage für das menschliche Zusammenleben. Zudem ist sie die beste Voraussetzung für die Erziehung von Kindern. Das brauche ich nicht lang und breit zu begründen. Das liegt auf der Hand und wird immer wieder von allen Erziehungswissenschaftlern bestätigt.
Diese Aussage ist keine Diskriminierung anderer Familienformen, besonders der Gruppe der Alleinerziehenden. Diesen gebührt Achtung, Respekt und Unterstützung. Doch gerade im Blick auf die Erziehung, die Vorsorge und Entwicklung der Kinder und junger Menschen - und darum geht es ja in der derzeitigen Debatte - halte ich es für verhängnisvoll, die auf Ehe gegründete Familie als Leitbild von Familie abzulösen. Das im vergangenen Jahr beschlossene Gesetz zur Eintragung von Lebenspartnerschaften verändert das Bewusstsein in diese Richtung. "Und das ist nicht gut so!"
3. Weiterhin muss es eine gerechte Anerkennung der Leistungen der Familie geben. Es muss eine horizontale Gerechtigkeit geben, die auf die gerechte Behandlung von Familien im Verhältnis zu Kinderlosen innerhalb einer Einkommensschicht Bezug nimmt. Es muss aber auch eine vertikale Gerechtigkeit geben, die die Verteilung der Mittel zwischen den verschiedenen Einkommensschichten sicherstellt. Auch Menschen unterer Einkommen muss es möglich sein, Familie zu leben, ohne in Armut zu geraten.
Die rechtlichen Maßstäbe für eine angemessene steuerliche Behandlung der Familie hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 10.11.1998 aufgezeigt. Die Umsetzung dieser Beschlüsse ist m. E. nur in Ansätzen gelungen. Sie ist beileibe noch nicht zufriedenstellend.
Defizite bestehen auch in den Sozialversicherungen. Der Geldbeitrag einer Person, die im Beruf steht, wird m. E. immer noch höher bewertet als der Beitrag, der durch Erziehungsleistungen erbracht wird. Besonders bei den Rentenversicherungen müssen Erziehungsleistungen stärker als bisher berücksichtigt werden.
4. Die Familien sollten in ihrer Erziehungskompetenz gestärkt werden. Da junge Eltern meist nicht mehr auf die selbstverständliche Hilfe von Verwandten, Nachbarn und Freunden bauen können, brauchen sie mehr als früher Unterstützung beim Umgang und bei der Erziehung ihrer Kinder. Niederschwellige Angebote der Familienbildung, die die Erziehungskompetenz stärken, sind heute sehr gefragt. (Ich weise hier auf die erfolgreiche Arbeit unserer Familienbildungsstätten in Uder und auf dem Kerbschen Berg bei Dingelstädt/Eichsfeld hin. Im Bereich der Seelsorge führen wir jetzt schon zum zweiten mal ein Programm "Familientraining" durch, bei dem es um Qualifizierung von Familien geht, die andere in diesen Fragen beraten und begleiten können).
5. Erfreulich ist, dass wohl bei allen Parteien und darüber hinaus das Problem gesehen wird, in der Gestaltung des Familienlebens Erwerbsarbeit und Familienarbeit noch besser zu verbinden. Dazu gibt es durchaus bedenkenswerte Vorschläge. Ich verweise z. B. auf den Vorschlag eines steuer- und sozialabgabenfreien "Familiengeldes". Die Frage bleibt natürlich, woher die dazu notwendigen Milliarden kommen können. Doch bleibt es dabei: was an den Familien gespart wird, wird dann für soziale Feuerwehrprogramme notwendig, die den Ausfall von Familienleistung kompensieren sollen. Das müsste man einmal gegenrechnen, nicht nur finanziell, sondern auch vom gewünschten Effekt her. Ü;brigens: Jetzt sind auf einmal einige Milliarden für die Ganztagsschulen da. Woher mögen die kommen?
Das Bild der Vollerwerbstätigkeit beider Eltern sollte m. E. nicht normativ werden. Die Einschränkung des Ehegattensplittings, wie derzeit von den Regierungsparteien geplant, zielt in diese Richtung. Das führt dazu, dass Familien mit gleichem Einkommen je nach Verteilung des Einkommens auf Vater und Mutter ungleich besteuert werden.
Zudem höre ich von manchen jüngeren Müttern, dass sie durchaus auch Zeit für ihre Kinder in den ersten Jahren haben möchten. Es gibt eben beides: den Wunsch der Verbindung von Erwerbsarbeit und Mutterschaft als Lebensperspektive, aber es gibt auch eine Mehrheit von Eltern, die das Modell der Vollerwerbstätigkeit von Vater und Mutter (besonders wenn die Kinder klein sind) nicht für erstrebenswert hält - eben wenn die Rahmenbedingungen nur einigermaßen stimmen würden.
Ich sage es immer wieder: Wir müssen den Lebensbedingungen von Familien die gleiche Aufmerksamkeit schenken (wenn nicht gar mehr) wie etwa den Standortbedingungen der Wirtschaft. Kirchlicherseits werden wir mit unseren - freilich begrenzten - Erfahrungen aus der Familienarbeit und dem Schulbereich Wege begleiten und unterstützen, die zu einer Stabilisierung unserer Familien und in einen fruchtbaren Diskurs über Erziehung und Bildung führen, etwa eine Enquetekommission zu Erziehung und Bildung in Thüringen.
6. Zum Schluss noch diese Bemerkung, die auf eine besonders hier im ehemaligen Osten immer noch verbreitete Meinung zielt: Der Staat muss sich, eben anders als der alte DDR-Staat, in den weltanschaulichen Fragen der Erziehung und sittlichen Bildung, also den Fragen nach dem "guten Leben", den Fragen des Menschen- und Weltbildes und auch der Religion zurückhalten. Darin hat er nur eine subsidiäre Funktion. Konkret: In Fragen der Familienbildung und Familienberatung sollte er den freien Trägern den Vorrang lassen und diese in ihrer pluralen Bildungs- und Beratungsarbeit unterstützen. Lebenswissen, das aus Erziehung gespeist wird, - daran sei hier ausdrücklich erinnert - gewinnt ja erst vor einem umfassenderen Sinn- und Wertehorizont seine überzeugende Kraft. Ich illustriere das einmal so: Alpinistische Fähigkeiten erlernt man am besten unter Menschen, die Berge gern haben. Und die 10 Gebote sind vermutlich dort am überzeugendsten zu vermitteln, wo mit Gott als Realität gerechnet wird. Schwierig wird Erziehung dort, wo an nichts mehr geglaubt wird. Aber das ist noch einmal eine andere Frage.
Ich habe mich heute relativ breit mit der Lage von Ehe und Familie in unserer Gesellschaft auseinandergesetzt. Die Sorge um die Ehen und Familien gehört zu den Schwerpunkten unserer kirchlichen Arbeit. Intakte Ehen und Familien sind für die Kirche wichtig, aber ebenso und noch mehr für die Gesellschaft insgesamt. Ich hoffe, dass die Familienpolitik als Grundlage vieler anderer gesellschaftlicher Brennpunkte im Wahlkampf gebührende Aufmerksamkeit findet. Und hoffentlich auch in der Zeit nach den Wahlen. Und es ist sicher ein Gewinn für unser Gemeinwesen, wenn Sie in den jeweiligen Medien sachbezogen und kompetent über Familie, Bildung und Erziehung berichten.
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