Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Althaus,
verehrte Frau Landtagspräsidentin Professor Schipanski,
sehr geehrter Herr Verfassungsgerichtspräsident Dr. Bauer,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Ruge,
sehr geehrte Damen und Herren aus dem politischen, gesellschaftlichen und kirchlichen Leben unseres Landes,
am Vorabend des Festes der heiligen Elisabeth - der Patronin unseres Bistums, deren 800. Geburtstag im Jahr 2007 näher rückt - heiße ich Sie alle ganz herzlich willkommen.
Gerade in schwieriger Zeit, wenn öffentliche Haushalte aufgestellt und beraten werden, wenn schmerzhafte Einschnitte und Neustrukturierungen vorgenommen werden, sind offene und kontinuierliche Gespräche miteinander wichtig. Das über die Jahre gewachsene Vertrauen muss sich immer wieder neu bewähren.
Auch wenn die Kommunal- und Landtagswahlen schon einige Monate zurückliegen, möchte ich an den Beginn meiner Ansprache ein Wort des Dankes und der Ermutigung stellen:
Mein Dank und meine Anerkennung gilt den Kommunalpolitikern und den Abgeordneten des Thüringer Landtages, die in der letzten Legislatur politische Verantwortung getragen haben. So habe ich heute ausdrücklich auch die Abgeordneten eingeladen, die nicht mehr im Landtag vertreten sind. Stellvertretend für alle möchte ich namentlich der bisherigen Landtagspräsidentin Frau Lieberknecht danken. Auch die parlamentarischen Entscheidungen in der 3. Legislatur haben unser freiheitlich-demokratisches Gemeinwesen gestärkt und weiterentwickelt.
Der Arbeit des neu gewählten Parlamentes mit seiner Präsidentin Frau Professor Schipanski und all seinen Fraktionen gelten meine guten Wünsche und meine Bitte um Gottes Segen für den Dienst aller Abgeordneten.
Erlauben Sie mir an dieser Stelle eine Bemerkung: Ich bin sehr froh, dass rechtsradikale Parteien mit ihren demokratiefeindlichen und Grundwerte gefährdenden Programmen nicht in den Thüringer Landtag eingezogen sind. Das heißt nicht, dass wir uns nun erleichtert zurücklehnen können. Besonders im Gespräch mit jungen Menschen und deren Eltern ist die inhaltliche Auseinandersetzung mit rechtsradikalem Gedankengut umso notwendiger.
Ich möchte es hier nicht versäumen, den Bürgern von Leinefelde und allen Verantwortlichen für die klare Haltung zu danken, als es galt, sich mit dem NPD-Bundesparteitag im Eichsfeld auseinander zu setzen. Auch aus der Geschichte des Eichsfeldes können wir für heute einiges lernen. Wenn am Ende der Weimarer Republik überall in Deutschland so gewählt worden wäre wie im Eichsfeld, wäre uns das 3. Reich erspart geblieben!
Mein Dank geht aber nicht nur an die Parlamentarier der vergangenen Legislatur. Dank und Anerkennung gilt in gleicher Weise der alten Landesregierung, die bemüht war, unser Land Thüringen mit voranzubringen, die den Dialog und die Kooperation mit den Kirchen geführt und weiter ausgestaltet hat. Ich erwähne dabei ausdrücklich noch einmal den Vertrag über die Integration der Theologischen Fakultät in die Universität Erfurt.
So danke ich an dieser Stelle ganz besonders dem damaligen Ministerpräsidenten Dr. Bernhard Vogel, der über viele Jahre mit Umsicht und hohem persönlichen Engagement die Entwicklung Thüringens wesentlich mit geprägt hat. Ihnen, Herr Ministerpräsident Althaus und der ganzen Landesregierung wünsche ich in einer Zeit, in der politischer Dienst immer schwerer wird, eine glückliche Hand, Gottes Segen, sowie Kraft und Zuversicht auch in niederdrückenden Situationen.
Ich bin sicher, dass auch in dieser Legislatur die Kontakte und Gespräche mit Abgeordneten und Regierung dazu beitragen werden, das konstruktive Verhältnis zwischen Kirche, Politik und Gesellschaft in Thüringen zu pflegen und auch in schwierigen Zeiten zu vertiefen.
Sehr geehrte Damen und Herren,
in den letzten Tagen ist viel über den Mauerfall vor 15 Jahren und über die damit verbundenen Folgen gedacht und diskutiert worden.
Nach wie vor sind Maueröffnung und Wiedervereinigung für mich Grund zur Dankbarkeit und zur Freude.
Bundespräsident Köhler hat dafür in seiner Rede am Tag der Deutschen Einheit in Erfurt eine gute Formulierung gefunden. Im Blick auf die Wendeereignisse sagte er:
"Die Menschen in der DDR haben damit eines der schönsten Kapitel der deutschen Geschichte geschrieben und sie haben es uns allen in Deutschland geschenkt."
Aber es gibt nicht nur Grund zur Freude und des Dankes.
Ich sehe sehr wohl auch die gegenwärtigen Schwierigkeiten und Probleme. Für die Freiheit kämpfen, kostet sicher auch Kraft und Mut. Aber noch mehr Kraft und Mut gehören dazu, die Freiheit in rechter Weise zu gestalten. Freiheit und soziale Verantwortung gehören zusammen. Das muss von uns allen verinnerlicht und im Lebensalltag erfahrbar werden.
Der individuelle und gesellschaftliche Lernprozess, der mit der Wende eingesetzt hat, ist nicht zu Ende, sondern bedarf der Vertiefung. Erstmals in der deutschen Nachkriegsgeschichte müssen sich Freiheit und Demokratie unter stagnierenden, dringend reformbedürftigen Verhältnissen bewähren.
Angesichts der Sorgen, die sich die Menschen um die Zukunft des Gemeinwesens machen, der nach wie vor hohen Arbeitslosigkeit, der beängstigenden Verschuldung der öffentlichen Haushalte und der ausstehenden Reformen der sozialen Sicherungssysteme müssen wir mittel- und langfristig "das Soziale neu denken": (Ich beziehe mich dabei auf jüngste Ü;berlegungen der deutschen Bischöfe, die unter dem Titel "Das Soziale neu denken" das gemeinsame Wort der Kirchen "Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit" von 1997 fortschreiben.)
Ich möchte meine Ü;berlegungen anhand dreier Aussagen entfalten und diese mit einigen aktuellen Themen verbinden, die Ihnen sicherlich aus Ihrem politischen Alltag vertraut sind.
1.
Es geht um den Menschen und nicht um den Vorrang von partikularen Interessen
Für die Meinungsbildung und Entscheidungsfindung in einer offenen Gesellschaft ist es unverzichtbar, dass sich Gruppierungen und Verbände organisieren, um sich in der öffentlichen Diskussion bemerkbar zu machen.
Besonders in Deutschland werden über einflussreiche Verbände und ihre Vertreter Interessen an die Politiker herangetragen. (Auch wir als Kirche haben dies in den zurückliegenden Jahren gelernt.) Wer dabei gut "aufgestellt" ist, kann seine Anliegen deutlicher zum Ausdruck bringen. Dabei besteht freilich die Gefahr, dass berechtigte Interessen unorganisierter Gruppen in den Hintergrund treten und laut vorgetragene Partikularinteressen sich am Gemeinwohl vorbei durchsetzen.
Deshalb müssen notwendige Reformen des Sozialstaates die Würde des Menschen zum Maßstab haben. Eine Reform ist um der Menschen willen da und nicht die Menschen um der Reform willen.
Das Recht der Menschen auf Teilhabe an den öffentlichen Gütern verlangt auch die Perspektive derjenigen einzunehmen, die sich - aus welchen Gründen auch immer - nicht selbst oder als Gruppe einbringen können.
Besonders in den letzten Wochen hat die geplante Umstellung auf das Arbeitslosengeld II Verunsicherung ausgelöst, aber auch den Agenturen für Arbeit viel abverlangt.
Positiv zu werten ist das Ziel der Gesetzgebung, den Arbeitssuchenden durch Beratung, Förderung und verbesserte Vermittlung schneller zu einer Beschäftigung zu verhelfen, sowie die erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger in die Arbeitsvermittlung einzubeziehen.
Doch dürfte klar sein: Die "Hartz-Gesetze" allein werden die Beschäftigungsprobleme in Deutschland nicht lösen können. Besonders in den ostdeutschen Bundesländern muss auch die Frage der Vermittelbarkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt beachtet werden. Der hiesige Arbeitsmarkt bietet kaum Möglichkeiten der Beschäftigung, insbesondere für ältere Arbeitnehmer. Inwieweit sich die Arbeitsmarktreformen als osttauglich erweisen werden, ist aus meiner Sicht eine offene Frage.
Zum Ganzen einige konkrete Hinweise:
- Mir scheint beispielsweise die Differenzierung des Regelsatzes des Arbeitslosengeldes II nach Ost und West überdenkenswert. Es wäre zu prüfen, ob nicht eine Differenzierung nach regionalen Gesichtspunkten - auch innerhalb der west- und ostdeutschen Bundesländer - sachgerechter wäre und die Ost/West-Problematik entschärfen könnte.
- Auch eine verbesserte Vermögensanrechnung für das Alter - besonders bei den Lebensversicherungen - könnte einer drohenden Altersarmut entgegen wirken.
- Was die Arbeitsgelegenheiten für Erwerbsfähige, die keine Arbeit finden - die sogenannten Ein-Euro-Jobs - betrifft, so dürften solche Arbeitsgelegenheiten keine regulären Arbeitsplätze vernichten. Darüber hinaus sollten - soweit als möglich - auch Wahlmöglichkeiten, Begleitung und Anleitung bei diesen Jobs gegeben bleiben.
- Insbesondere bei jungen Menschen müssen Aus- und Weiterbildung für den ersten Arbeitsmarkt weiter gefördert werden. Der Ein-Euro-Job muss als Ü;bergangs- und nicht als Dauerzustand verstanden werden. Die Eingliederung bzw. Wiedereingliederung erwerbsfähiger Arbeitsloser muss oberstes Ziel bleiben.
2.
Das Soziale zielt vorrangig auf Beteiligungsgerechtigkeit und ist damit mehr als Verteilungspolitik
Die Erfahrung zeigt: Eine gerechte soziale Verteilung erwächst nicht allein aus der Dynamik der Wirtschaft. Diese muss vielmehr durch eine soziale Rahmenordnung mit Gesetzeskraft ergänzt werden.
Primär ging es früher in der "sozialen Frage" um ein Verteilungsproblem. Sich daraus entwickelnde soziale Leistungen werden bis heute weithin als Rechtsansprüche auf Geldtransfers verteilungspolitisch wahrgenommen. Unter diesem Blickwinkel stehen in Zeiten knapper Kassen, verschuldeter öffentlicher Haushalte und zurückgehender Steuereinnahmen auch notwendige Sozialleistungen auf dem Prüfstand. Wenn es nicht gelingt, beispielsweise Familien-, Bildungs- oder Berufsbildungsförderung auch als eine investive, produktive Aufgabe zu betrachten, bleibt die sozialpolitische Diskussion in den gegenwärtigen Verteilungskonflikten stecken.
Soziale Gerechtigkeit wird heute weniger durch Verteilung, als vielmehr durch Beteiligung gefördert. Wenn wir den vorhandenen ethischen und sozialen Ressourcen in der Gesellschaft Aufmerksamkeit und Anerkennung entgegenbringen, wenn wir die Zugänge und Teilhabe-Chancen für Bildung, Arbeit, Demokratie und Kultur offen halten, dann schaffen wir die Voraussetzungen für eine erneuerte Sozialkultur auch angesichts der Sparzwänge.
Der sorgsame Umgang mit unserer sozialen Infrastruktur ist kein Luxus, den wir uns leisten, sondern eine Pflichtaufgabe, die gerade in Zeiten knapper Kassen zwischen den Beteiligten (Land, Kommunen und freien Trägern) verantwortungsvoll ausgelotet und gewichtet werden muss.
Das heißt konkret, dass anstehende Entscheidungen in den öffentlichen Haushalten rechtzeitig (!) erkennbar und berechenbar mit uns bzw. anderen gesellschaftlichen Akteuren besprochen werden müssen. Ü;ber Kürzungen und Schwerpunktsetzungen dürfen wir als kirchliche Träger z. B. nicht im unklaren gelassen werden, insbesondere dann, wenn wir für das nächste Haushaltsjahr mit unseren personellen Verpflichtungen allein zurechtkommen müssen.
Ich habe diese Klarheit in den letzten Wochen teilweise vermisst, besonders im karitativen Bereich und in der Erwachsenenbildung. Es erschwert den uns aufgetragenen gemeinsamen Dienst an den Menschen in unserem Land. Die Höhe der vorgesehenen Kürzungen in der Erwachsenenbildung und der Telefonseelsorge stellt unser kirchliches Engagement in diesen Bereichen in Frage.
Ich hoffe darauf, dass wir recht bald gemeinsam die angesprochenen Probleme klären können. Es haben inzwischen Gespräche stattgefunden, die ich als positive Anzeichen betrachte.
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich schließe mit einer 3. Aussage:
3.
Erkennbare Verantwortlichkeiten stärken das Vertrauen in die freiheitlich-demokratische Grundordnung
Schon seit geraumer Zeit verfolge ich mit Aufmerksamkeit, wie sich die föderale Ordnung in Deutschland weiterentwickelt und welche Tendenzen sich dabei abzeichnen. Der Thüringer Landtag hat sich mit dieser Thematik befasst.
Auch die Landesregierung ist in die Arbeit der gemeinsamen Kommission von Bundestag und Bundesrat eingebunden. Es gilt nach wie vor, Wege und Mittel zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung zu finden.
Nicht zuletzt auf Grund schmerzhafter Erfahrungen mit einem totalitären Zentralstaat ist die föderale Ordnung der Bundesrepublik grundgesetzlich verankert.
Der Föderalismus hat nach der friedlichen Revolution im Osten Deutschlands sicher mit dazu beigetragen, dass sich die Identität und das Selbstbewusstsein der neuen Länder überraschend schnell ausbilden konnte.
Jedoch stellen sich zunehmend Fragen an die föderale Ordnung, wenn notwendige Reformen auf Grund fehlender handlungsfähiger Mehrheiten eher erschwert werden bzw. wenn zusätzliche Kompetenzverschränkungen zwischen Kommunen, Bund und Ländern zu undurchsichtigen Verantwortlichkeiten führen.
Nicht nur die Kirchen und ihre sozialen Einrichtungen, sondern alle gesellschaftlichen Akteure profitieren von einer klaren Grenzziehung der Kompetenzen und einer Verringerung der Politikverflechtung. Das Subsidiaritätsprinzip gilt im personalen und gesellschaftlichen Bereich.
Ich möchte alle politisch Verantwortlichen, die an dieser Baustelle mitarbeiten, ermutigen, im Interesse des Gemeinwohls nicht nachzulassen, für erkennbare Verantwortlichkeiten zu streiten, damit Vertrauen in die Politik wieder wachsen kann.
Wenn ich dies so formuliere, bin ich mir allerdings darüber im Klaren, dass die tatsächlichen Wurzeln für das Problem in einer schwächer werdenden Ü;bereinstimmung in politischen und auch ethischen Grundfragen in der Gesellschaft zu suchen sind. Das mindert die Bereitschaft zu tragfähigen Konsensen. Hier ist meines Erachtens der eigentliche Knackpunkt. Bioethische Fragen, Fragen des Lebensschutzes etwa dürfen kein Spielball zwischen Bund und Ländern werden.
Das illustriert auch das Zuwanderungsgesetz. Die Erarbeitung dieses Gesetzes war wirklich eine schwere Geburt. Aber gottlob, hier zeigte sich: Es gab bei allen Akteuren letztlich einen sozialethischen Grundkonsens, um die schwierigen Integrationsfragen und die Probleme um Asylgründe und Härtefall-Regelungen klären zu können.
An dieser Stelle möchte ich den Landespolitikern danken, die sich für das Zustandekommen der Härtefallkommission und der Schulpflicht für Asylbewerberkinder eingesetzt haben.
Sehr geehrte Damen und Herren,
damit die Menschen, für die wir in je unterschiedlicher Weise gemeinsame Verantwortung tragen, Hoffnung und Zukunft auch in Thüringen haben, müssen wir "das Soziale neu denken".
Ich danke Ihnen für Ihr Kommen und dass Sie meiner Ansprache Ihre Aufmerksamkeit geschenkt haben.
Und am Schluss nur noch dieses: Hände weg von unseren Feiertagen! Wir schaffen doch auch nicht unsere Orchester und Museen ab. Oder sollten wir doch den Erfurter Dom abreißen? Er hält die Leute nur vom Arbeiten ab!