Statement von Bischof Dr. Joachim Wanke, Erfurt, beim Pressegespräch am Donnerstag, 23. Mai 2002, anlässlich des 50jährigen Jubiläums der Theologischen Fakultät Erfurt. Bischof Wanke ist Magnus Cancellarius der Theologischen Fakultät Erfurt:
50 Jahre für eine Theologische Studieneinrichtung mag eine kurze Zeitspanne sein. Andere Theologische Fakultäten können manchmal auf Jahrhunderte ehrwürdiger Geschichte verweisen.
Doch ist die Anregung, anlässlich des 50. Geburtstags unserer Fakultät und unseres Priesterseminars eine Theologische Woche durchzuführen, von mir gern aufgegriffen und unterstützt worden. Denn es ist nicht selbstverständlich, dass der Gründung dieser Studien- und Ausbildungsstätte der Katholischen Kirche im Osten Deutschlands ein so relativ langes Leben beschieden war.
Die Anfänge damals waren abenteuerlich. Darüber kann Professor Josef Pilvousek, der soeben eine ausführliche Geschichte der Erfurter Theologischen Fakultät vorgelegt hat, berichten.
Die Priesterausbildung garantiert und den Dienst der theologischen Reflexion für eine Kirche unter staatssozialistischen Bedingungen geleistet zu haben, ist das Hauptverdienst unseres "Philosophisch-Theologischen Studiums", wie die Theologische Fakultät bis kurz nach der politischen Wende offiziell hieß. Im Namen "Studium", der an das mittelalterliche studium generale anknüpft, deutete sich schon das Besondere dieser Hochschuleinrichtung an: Sie verstand sich als akademische Ausbildungsstätte, doch entzog sie sich der damaligen staatlichen Hochschulaufsicht und vor allem jedweder ideologischen Einflussnahme. Das war im Einzelnen immer ein schwieriger Balanceakt. Doch er ist gelungen, was alle in Erfurt Studierenden gern bezeugen werden.
Trotz dieser besonderen Situation war das Erfurter "Studium" nicht isoliert. Die enge Verbindung zu anderen katholischen Fakultäten in Deutschland wurde gesucht, wenngleich es bittere Einschränkungen im wissenschaftlichen Austausch gab. Es gelang aber, den Anschluss an die theologischen Entwicklungen im deutschsprachigen und weltkirchlichen Raum zu halten und für die hiesige Region fruchtbar zu machen. Ich denke dabei besonders an die Rezeption des letzten Weltkonzils unserer Kirche, an der Erfurter Professoren in Beratertätigkeit für die hiesigen Bischöfe aktiv mitgewirkt hatten.
Besonders wichtig waren sehr bald Kontakte zu offiziellen und nichtoffiziellen theologischen Ausbildungsstätten in Polen, Ungarn, der damaligen Tschechoslowakei und sogar in Litauen. Wir haben von Erfurt aus den dort Studierenden und Lehrenden auf vielfache Weise helfen können, aber auch selbst durch die Kontakte und Begegnungen viel lernen können.
Besondere Bedeutung hatten auch vielfältige Kontakte zu kirchlich-evangelischen Ausbildungsstätten, etwa die Kirchliche Hochschule in Naumburg. Die staatlichen evangelisch-theologischen Fakultäten mussten sich diesbezüglich zurückhalten, doch gab es natürlich zu einzelnen Fachvertretern wissenschaftliche und persönliche Kontakte. Bedeutsam war, dass regelmäßig evangelische Dozenten im Rahmen des Erfurter Studienprammes zu Vorlesungen kamen und so evangelische Theologie authentisch vortragen konnten. Das hat wesentlich zum gegenseitigen Verständnis der Amtsträger der Kirchen und zu einem guten ökumenischen Klima vor Ort beigetragen.
Theologie ist mehr als nur eine "Theorie", die der "Praxis" des kirchlichen Lebens zugrunde liegt. Sicherlich gilt: Aus einer schlechten Theorie kann nie eine vernünftige Praxis erwachsen. Der Zusammenbruch des Staatssozialismus ist der beste Beweis dafür. So ähnlich ist das mit der Theologie. Theologie gehört zum christlichen Glauben und Leben wie das Atmen zum menschlichen Organismus. Denn der christliche Glaube ist kein "Köhlerglaube". Er dekretiert nicht einfach irgendwelche abstrusen Sachverhalte. Er verweigert sich nicht dem Dialog mit Andersdenkenden. Der christliche Gottesglaube sucht sich vor dem menschlichen Denken zu verantworten, wie ein altes Axiom besagt (Anselm von Canterbury: fides quaerens intellectum), was nicht heißt, dass der Glaube im Denken aufgeht. Aber der Glaube hat "Gründe", die auch heute den Menschen, besonders auch sein "Herz" bewegen, wie schon Pascal erkannte.
Diese theologische Denk- und Reflexionsleistung im ostdeutschen Raum erbracht zu haben, und zwar unter widrigen Bedingungen, verdanken wir einer Reihe hervorragender theologischer Lehrer, denen in diesen Tagen besonders zu danken ist. Unter ihnen möchte ich besonders den Emeritus Professor Dr. mult. Erich Kleineidam hervorheben, dessen Name als Gründungsrektor und Gründungsregens mit unserer Studieneinrichtung und Ausbildungsstätte bleibend verbunden ist. Er lebt noch hochbetagt in unserer Stadt Erfurt.
Dankbar nenne ich aber auch den Namen des damaligen Erfurter Dompropstes und Weihbischofs Josef Freusberg, der seinerzeit den Anfang des Studiums und des Seminars gewagt hat. Sein beherztes Anpacken einer großen Herausforderung hat für die Kirche im ostdeutschen Raum und nicht zuletzt auch für unsere Erfurter Ortskirche viel Segen bewirkt.