Herr Bischof, wie würden Sie einem Nichtchristen erklären, was ein Bischof ist und zu tun hat?
WANKE: Ein Bischof ist Leiter einer katholischen Bistumskirche. Dazu hat er einen feierlichen Auftrag (Weihe) empfangen, die ihn mit den ersten Bischöfen aus der Anfangszeit der Kirche (den Aposteln und ihren Nachfolgern) verbindet. Seine Aufgabe besteht in der Sorge für die Pfarrgemeinden, die er regelmäßig besucht. Er spendet dabei häufig das Sakrament der Firmung und spricht mit den Mitarbeitern und den Gremien der Gemeinden. Er hat auch die Kirche in die Öffentlichkeit hinein zu vertreten.
1980, im Jahr ihrer Bischofsweihe, lehrten Sie als Professor für Neues Testament in Erfurt. Was ging ihnen damals durch Kopf und Herz, als Sie Bischof werden sollten?
WANKE: Mein Vorgänger Bischof Hugo Aufderbeck war ein vorbildlicher Seelsorger. Er war in und außerhalb unserer Ortskirche sehr angesehen. Meine Sorge war, ob ich als Professor, ohne längere Erfahrung in der Seelsorge, sein Wirken gut fortsetzen kann.
Mittlerweile sind Sie länger Bischof im geeinten Deutschland als in der DDR, aber immer noch in Thüringen. Was hat sich (für die Kirche) in der Zeit geändert, was ist gleich geblieben?
WANKE: Geändert haben sich drei Dinge. Erstens: Wir sind seit 1994 eigenständiges Bistum Erfurt geworden. Zweitens: Die politische Wende hat die Rahmenbedingungen des kirchlichen Lebens tiefgreifend verändert. Manches ist dadurch leichter geworden, manches auch komplizierter. Drittens: Die Zahl der katholischen Gläubigen ist mit der Gesamtzahl der Thüringer zurückgegangen. Gleich geblieben wie vor der Wende ist die Herausforderung, in einer nichtchristlichen Umwelt klares christliches Profil zu zeigen. Früher gab es für Christen vornehmlich ideologischen Gegenwind. Jetzt bläst der Wind aus unterschiedlichen Richtungen. Manchmal haben wir als katholische Christen auch Rückenwind.
Wie bewerten Sie, der Sie als Bischof auch für die Einheit Ihres Bistums verantwortlich sind, die Anstrengungen um die Einheit Deutschlands?
WANKE: Ich möchte durchaus anerkennen, welch große Anstrengungen zur Vollendung der politischen Einheit Deutschlands in den Jahren nach der Wende gemacht wurden. Aber wir dürfen uns darauf nicht ausruhen. Es sind noch weitere Anstrengungen dringend notwendig. Wer ehrlich ist, muss bekennen: Vieles ist hier im Osten "aufgeblüht". Aber wir im Osten tragen jetzt auch an den Problemen mit, die in der alten Bundesrepublik nicht gelöst waren bzw. nach der Wende offenkundig wurden. Und weil der Osten gleichzeitig aufholen und an den neuen Problemen mittragen muss, tut er sich in seiner Entwicklung schwerer als der Westen.
Deutschland ist - zumindest als Staat - geeint, die Christenheit dagegen noch gespalten. Ein Dauerzustand?
WANKE: Das darf es meiner Ansicht nach nicht sein. Wir Christen sind freilich auch nicht so gespalten wie früher Ost und West. Uns verbindet mehr als uns trennt. Ganz aktuell macht die Ökumene schwierig, dass manche die Ansicht vertreten, man könne mit dem Trennenden doch ganz gut gemeinsam leben. Aber - um ein Bild zu gebrauchen - geht das wirklich: In ganz Deutschland Auto fahren wollen, und in einer Region fahren die Leute rechts, in der anderen links? Irgendwie müssen wir Christen uns auf eine gemeinsame Straßenverkehrsordnung einigen.
Christen und besonders die Katholiken sind in den neuen Bundesländern eine Minderheit. Beschleicht Sie da nicht manchmal der Verdacht, dass es sich auch ohne Glauben gut leben lässt?
WANKE: Nein. Dieser Verdacht beschleicht mich ehrlich gesagt nicht. Im Gegenteil: Ich sehe um mich herum Menschen, die zwar wenig mit Kirche anfangen können, aber durchaus ihre Fragen an ihr Leben und die Welt haben. Sie sind vielleicht näher an Gott dran als sie meinen. Wenn Gott wirklich der "Erfinder" des Lebens ist, kann man ohne ihn gar nicht leben. Wer das Leben wirklich liebt, stößt unweigerlich auf Gott.
Mit ihren 64 Lebensjahren gehören Sie immer noch zu den jüngeren Bischöfen in Deutschland. Als wie agil erleben Sie den deutschen Katholizismus, 15 Jahre nach der Einheit?
WANKE: Die Kirche ist immer eine durchwachsene Größe. Da gibt es Starke und Schwache, Mutige und Verzagte. Wenn ich auf unsere Ortskirche in Thüringen schaue, bin ich dankbar, was ich in den Jahren meines Bischofsdienstes an Engagement und Einsatzfreude bei unseren katholischen Christen erlebt habe. Natürlich sind wir als kleine Kirche manchmal auch ängstlich und verzagt. Da gibt es Kleinmut und auch echtes Versagen. Aber dann staunen wir, dass die scheinbar so mächtige Ideologie der alten Partei sich einfach in Luft aufgelöst hat (nicht ohne fatale Folgen in den Köpfen zu hinterlassen). Ich wünschte unserer ganzen katholischen Kirche in Deutschland mehr Mut, "Salz" in der gesellschaftlichen Suppe zu sein.
Sie sind 25 Jahre Bischof. Worauf wird es in den nächsten 25 Jahren ankommen, damit die Kirche in Deutschland die Herausforderungen der Zeit bestreiten kann?
WANKE: Wir brauchen ein neues Gleichgewicht zwischen der (territorial denkenden) Pfarreiseelsorge und der Präsenz von Kirche in den Lebensräumen der heutigen Zeitgenossen. Wir müssen neue "Beteilungsmöglichkeiten" am Leben der Kirche schaffen. In Erfurt bemühen wir uns ja mit einigen Projekten darum, etwa der Feier der Lebenswende für ungetaufte Jugendliche, dem monatlichen Totengedenken im Dom, der Segnungsfeier am Valentinstag u.a. mehr. Da muss uns freilich noch mehr einfallen.
Ferner braucht es unter uns Christen ein neues "demütiges Selbstbewusstsein". Dort, wo alle Katzen grau sind, fällt das Unterscheidende auf, besonders wenn es mit Liebenswürdigkeit und Entschiedenheit gelebt wird. Vielleicht kommen wieder Zeiten, wo es durchaus interessant ist, nur einmal im Leben verheiratet zu sein. Es ist wie in der Industrie: Die beste Werbung ist auf Dauer - Qualität. Alles andere hilft nur kurzfristig.
Und schließlich bedarf es in unserer Kirche vermehrt Menschen, die mit nichtreligiösen Mitmenschen echt ins Gespräch kommen können. Unsere Pfarrer, die ein gutes Jahr mit jungen Leuten bei der Bundeswehr zusammen sind, staunen oft, wie gut das gelingen kann. Das bedarf freilich der Bereitschaft, sich auf die Fragen und Erfahrungen junger Menschen wirklich einzulassen. Und wenn ein Pfarrer "handfest" ist, wenn er so redet, dass man ihn versteht und so lebt, wie er redet, da passieren erstaunlich Dinge. Diesen Mut zum Dialog wünschte ich mir noch mehr - nicht nur bei Pfarrern.
Am Tag ihres silbernen Bischofsjubiläums weihen Sie einen neuen Bischof. Was geben Sie Domkapitular Hauke, der als Weihbischof im Bistum Erfurt arbeiten wird, mit auf den Weg?
WANKE: Ich sage ihm, was seinerzeit der Apostel Paulus einem jungen Bischof ins Stammbuch geschrieben hat: "Gott hat uns (Bischöfen) nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit" ( 2. Timotheusbrief 1,7). Man könnte das auch so ausdrücken: "Habe die Menschen gern - und hilf ihnen dabei, Gott zu entdecken!"
Man kennt Joachim Wanke als Bischof von Erfurt. Wie darf man sich Joachim Wanke privat vorstellen?
WANKE: Schrecklich normal! Er hat Stärken und macht Fehler, er hat Freunde und manche mögen ihn auch nicht so sehr. Vor allem aber hat er ein prima Bistum und gute Mitarbeiter in seiner Umgebung - und da lässt sich leicht Bischof sein.
Fragen: Peter Weidemann
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