Meine lieben Schwestern und Brüder im Herrn,
der heutige Tag hat seinen Namen dem Heiligen Papst Silvester zu verdanken, der am 30. Dezember des Jahres 335 verstorben ist. Dass sein Gedenktag erst einen Tag später begangen wurde, verleiht ihm heute eine große Popularität. Allerdings wissen wir von Papst Silvester nur wenig historisch wirklich Gesichertes, obwohl seine relativ lange Amtszeit von 314 bis 335 in eine äußert wichtige Epoche der Kirchengeschichte fällt, nämlich in die sogenannte Konstantinische Wende. Kaiser Konstantin gewährte den Christen nicht nur die Freiheit der Religionsausübung, sondern er unterstützte sie dabei sehr intensiv. Papst Silvester hatte vor Beginn seines Pontifikates noch die furchtbaren Christenverfolgungen des frühen vierten Jahrhunderts miterlebt und konnte dann als Papst einen unglaublichen Aufbruch des christlichen und kirchlichen Lebens mitgestalten. Überall im Römischen Reich wurden riesige Kirchen gebaut, die dennoch nicht alle Gläubigen fassen konnten. In Rom wurden zur Amtszeit von Papst Silvester die drei großen römischen Basiliken gebaut: St. Johann im Lateran, St. Peter im Vatikan und St. Paul vor den Mauern. Er bezog die Bischofsresidenz im Lateranpalast neben der Lateranbasilika, die als die Mutter aller Kirchen gilt. Hier residierten die Nachfolger Silvesters bis zum 14. Jahrhundert.
Dass wir heute am letzten Tag des Jahres dieses Heiligen Papstes gedenken, kann für uns Anlass sein, uns an die schönen, positiven und erfreulichen Ereignisse und Entwicklungen des zu Ende gehenden Jahres zu erinnern. Dabei sollten wir nicht nur an die großen, einprägsamen Ereignisse denken, wie etwa die Geburt eines Kindes, die Feier der Hochzeit, den guten Abschluss einer Ausbildung oder den erfolgreichen Ausgang einer Operation. Es gibt auch kleine Ereignisse und Entwicklungen, an die wir uns heute nochmals dankbar erinnern sollten, wie zum Beispiel ein erholsamer Urlaub, der gelungene Abschluss eines Projektes, die gute Frucht eines Gespräches und eine Vorsorgeuntersuchung ohne Befund.
In unserem Bistum schaue ich dankbar auf den 103. Deutschen Katholikentag zurück. 20.000 Gästen aus Deutschland und der ganzen Welt haben wir nicht nur unser schönes Erfurt präsentiert, sondern auch die Art, wie wir hier fröhlich als Katholiken leben und unseren Glauben bezeugen. Als Gastgeber des Katholikentags sind wir dem Veranstalter dankbar, auch wenn es nicht immer einfach war, unsere spezifischen Themen zu setzen. Die Gäste konnten erfahren, wie schwierig das Leben für die Katholiken in der Zeit der SED-Diktatur war, wie befreiend die Friedliche Revolution und wie herausfordernd die anschließende politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Transformation. Und wir haben ihnen erzählt, wie wir in einem säkularen Umfeld unseren Glauben leben und bezeugen. Ich habe mich auch sehr gefreut, dass wir uns den Erfurterinnen und Erfurtern so positiv präsentieren konnten. Nach dem Katholikentag haben mir manche Menschen auf der Straße gesagt, dass sie beeindruckt waren über die fröhliche Atmosphäre in der Stadt und über die Aufgeschlossenheit, mit der wir auch den Menschen begegnet sind, in deren Leben der Glaube keine Rolle spielt. Für unser Bistum war es eine ermutigende Erfahrung, dass wir dieses große Ereignis zusammen mit der Geschäftsstelle des Katholikentags vorbereiten und durchführen konnten.
Lassen Sie mich bitte noch einmal zu Papst Silvester zurückkehren. Es erstaunt die Kirchenhistoriker, dass Papst Silvester in seiner langen, fast 22-jährigen Amtszeit stets eine große Distanz zu Kaiser Konstantin wahrte. Die geschichtlichen Quellen schweigen über ein Zusammenwirken des ersten Kaisers, der der Kirche Freiheit gewährte, mit dem Bischof der Reichshauptstadt Rom. Die Historiker gehen davon aus, dass sich Kaiser Konstantin und Papst Silvester allenfalls ein- oder zweimal gesehen haben. Erst die Legenden des fünften Jahrhunderts erzählen davon, dass es Papst Silvester war, der Kaiser Konstantin taufte und dass die beiden in gutem Einvernehmen miteinander standen. Papst Silvester hat nicht an den Kirchenversammlungen seiner Zeit teilgenommen, auch nicht am bedeutenden Konzil von Nicäa in Kleinasien im Jahre 325, dessen 1.700-jähriges Jubiläum wir im neuen Jahr feiern. Da es üblich war, dass jeweils der Bischof des Versammlungsortes den Vorsitz führte, wollte möglicherweise der Bischof von Rom als Nachfolger des Heiligen Petrus nicht einem anderen Bischof den Vorsitz überlassen. Vielleicht war es Papst Silvester aber auch suspekt, dass die Einladungen zu den Synoden vom Kaiser ausgegeben wurden, der um die Einheit seines Reiches besorgt war. Dann hätte Papst Silvester ein gutes Gespür gehabt für Entwicklungen, die für das Evangelium und die Botschaft Christi schwierig werden könnten.
Dies lädt uns dazu ein, auf das neue Jahr 2025 zu schauen. Wir beten nicht nur darum, dass wir vor Unglück bewahrt werden und uns viele schöne Ereignisse und Entwicklungen bevorstehen, sondern wir bitten auch darum, dass wir die Zeichen der Zeit recht zu deuten wissen und dass die Entscheidungen, die wir treffen und die Ratschläge, die wir geben, zum Guten führen. Wir beten in diesem Jahr mit besonderer Dringlichkeit für die Politikerinnen und Politiker, die in unserem Land aber auch in aller Welt Verantwortung für die Menschen haben. Wir leiden mit den Menschen in den Kriegsgebieten unserer Erde und flehen mit ihnen um ein Ende der Kämpfe und um Frieden. Wir hoffen, dass die Spaltungen in unserem Land im Wahlkampf nicht noch tiefer werden und dass die Menschen, die in politische Verantwortung gewählt werden, nicht nur auf das Wohl ihres Landes bedacht sind, sondern auch das Schicksal der gesamten Weltbevölkerung bedenken.
Auch für unsere Kirche bitten wir darum, dass wir die Zeichen der Zeit recht zu deuten wissen und dass die Entscheidungen, die wir treffen und die Ratschläge, die wir geben, zum Guten führen. Was will uns die stark rückläufige Zahl von Priesterberufungen sagen? Welche Bedeutung haben Taufe und Firmung nicht nur für das Leben der Christen und für ihr Zeugnis in die Welt, sondern auch für den Auftrag, mitzubauen am Aufbau des Reiches Gottes? Wie können wir die Hauskirche stärken und welche Bedeutung hat es, dass auch eine konfessionsverbindende Ehe auf dem katholischen Sakrament der Ehe fußt? Es ist wichtig, die Zeichen der Zeit richtig zu deuten, mit einer gesunden Skepsis gegenüber dem Zeitgeist.
Den Dank für alles Gelungene im zu Ende gehenden Jahr und die Bitte um den Beistand Gottes und seines Heiligen Geistes im neuen Jahr binden wir ein in die Feier der Heiligen Eucharistie heute am Fest des Heiligen Papstes Silvester.
Lesung: Phil 4,4-7
Schwestern und Brüder! Freut euch im Herrn zu jeder Zeit! Noch einmal sage ich: Freut euch! Eure Güte werde allen Menschen bekannt. Der Herr ist nahe. Sorgt euch um nichts, sondern bringt in jeder Lage betend und flehend eure Bitten mit Dank vor Gott! Und der Friede Gottes, der alles Verstehen übersteigt, wird eure Herzen und eure Gedanken in Christus Jesus bewahren.