Antisemitismus ist ein Krisensymptom unserer Gesellschaft

Grußwort von Bischof Neymeyr.

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Bild: Jens-Ulrich Koch

Grußwort  von Bischof Dr. Ulrich Neymeyr (Erfurt) bei der Internationalen Konferenz „Gegenwart und Zukunft des christlich-jüdischen Dialogs: Historische und theologische Perspektiven“ am 14. Mai 2018 in Frankfurt am Main. 

 

Sehr geehrte Frau Präses Dr. Schwätzer,

sehr geehrter Herr Bürgermeister Becker,
lieber Herr Professor Valentin,
meine sehr verehrten Damen und Herren!

Als  Vorsitzender  der  Unterkommission  für  die  religiösen  Beziehungen  zum Judentum  darf  ich  Ihnen  die  herzlichen  Grüße  der  Deutschen Bischofskonferenz zu dieser Abendveranstaltung überbringen.

Als vor gut 50 Jahren die Konzilserklärung Nostra aetate veröffentlicht wurde, haben wohl auch die größten Optimisten nicht damit gerechnet, dass sich das Verhältnis  der  katholischen  Kirche  zum  Judentum  in  den  folgenden Jahrzehnten so grundlegend ändern würde. Der Weg bis zur Verabschiedung der Erklärung war steinig. Vor allem das vierte Kapitel über die Beziehungen zum Judentum stieß bei einigen Konzilsvätern durchaus auf Widerstand. Auch auf jüdischer Seite waren die Meinungen geteilt. Einige wie Jules Isaac oder Rabbiner  Abraham  Heschel  begrüßten  das  Gesprächsangebot  der  Kirche. Andere blieben anfangs skeptisch. Sie argwöhnten, dass die Kirche von Dialog spreche, aber Mission meine.

Heute erscheinen uns diese Diskussionen wie aus einer anderen Zeit. In den vergangenen  Jahrzehnten hat sich weltweit ein dichtes Netz von christlich-jüdischen Beziehungen gebildet, das  auch Belastungen aushält, ohne zu zerreißen. Es ist für mich fast ein Wunder, dass ein solches Netz christlich-jüdischer Beziehungen auch in Deutschland geknüpft werden konnte, also in dem Land, das für die Shoah verantwortlich ist und dessen Name untilgbar mit der Ermordung der europäischen Juden verbunden bleibt. Es erfüllt mich bis heute mit Dankbarkeit, dass Juden schon wenige Jahre nach der Shoah Christen in diesem Land die Hand zum Dialog und zur Zusammenarbeit  gereicht  haben. Selbstverständlich war das keineswegs!

Mittlerweile hat sich der jüdisch-christliche Dialog auf unterschiedlichen Ebenen etabliert. Ich

möchte hier nur die jährlichen Treffen zwischen Kirchenvertretern und Rabbinern oder die Gespräche zwischen dem Zentralrat der Juden in Deutschland und den beiden großen Kirchen nennen. Daneben gibt es vielfältige wissenschaftliche Kooperationen. Diese internationale Tagung ist ja ein Beispiel für diese Zusammenarbeit. Dank der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit hat der christlich-jüdische Dialog in Deutschland auch eine starke lokale Basis. Man kann deshalb ohne Übertreibung sagen, dass sich in Deutschland eine Kultur des christlichen-jüdischen Dialogs etabliert hat. Das gilt natürlich nicht nur für Deutschland, sondern ebenso für andere Länder.

Eine Frucht dieses Dialogs sind die beiden  jüngsten jüdisch-orthodoxen Erklärungen „Zwischen Jerusalem und Rom“ und „Den Willen unseres Vaters im Himmel tun“. Dass die Europäische  Rabbinerkonferenz,  der  Rabbinische  Rat  von  Amerika  und  das  Israelische Oberrabbinat  eine  gemeinsame  Erklärung  zu  den  jüdisch-christlichen  Beziehungen veröffentlichen, ist allein schon  bemerkenswert. Leider kann ich in einem Grußwort nicht näher auf die Inhalte beider Erklärungen  eingehen und muss mich mit dem Hinweis begnügen, dass in diesen Erklärungen Weichen für die zukünftige Entwicklung der christlich-jüdischen Beziehungen gestellt werden.

Es freut mich deshalb sehr, dass zwei der Initiatoren und Unterzeichner der Erklärung „Den Willen  unseres Vaters im Himmel tun“ heute Abend unter uns sind. Ich grüße Sie sehr herzlich, Rabbiner  Jehoschua Ahrens und Rabbiner Dr. Eugene Korn, und bin gespannt, welche Perspektiven im christlich-jüdischen Dialog Sie für die nächsten 50 Jahre aufzeigen werden.

Vieles hat sich in den vergangenen Jahrzehnten verändert, meine Damen und Herren; eines hat sich  leider nicht verändert. Antisemitismus ist immer noch ein Problem nicht nur in Deutschland, aber eben auch in Deutschland. Auf manchen Schulhöfen ist „Jude“ zu einem Schimpfwort geworden. Jüdische Kinder und Jugendliche werden von Mitschülern gemobbt, weil sie Juden sind. Wer sich öffentlich als Jude zu erkennen gibt, weil er z. B. eine Kippa trägt, läuft Gefahr, verbal oder sogar tätlich angegriffen zu werden. Diskussionen um Israel und den Nahost-Konflikt geraten nach einiger Zeit schnell in antisemitisches Fahrwasser. Das sind nur einige schmerzhafte Erfahrungen, die Juden  heute öfter als in früheren Jahren machen.

Antisemitismus trifft Juden. Aber Antisemitismus ist kein jüdisches Problem. Es ist ein Krisensymptom  unserer Gesellschaft. Die Verachtung anderer, der Hass auf andere – egal gegen wen und egal von wem – zerstören das soziale Vertrauen, ohne das eine freie Gesellschaft nicht existieren kann. Der Kampf gegen Antisemitismus ist ein Kampf für die freie Gesellschaft und ein Bewährungsfeld für die christlich-jüdische Zusammenarbeit.

Moralische Empörung, so berechtigt sie ist, reicht allein nicht aus. Wir müssen konkrete Maßnahmen ergreifen, nicht zuletzt im Bildungsbereich. Hier sehe ich auch eine Aufgabe für  den Religionsunterricht in der Schule und appelliere deshalb an unsere Religionslehrerinnen und  Religionslehrer, noch mehr Aufklärungsarbeit zu leisten, als sie es eh schon tun. Im Unterricht und im Schulleben muss gelten, was Papst Franziskus treffend formuliert hat: „Ein Christ kann kein Antisemit sein!“

Grußwort des Erfurter Bischofs als PDF-Datei

Pressemitteilung der Deutschen Bischofskonferenz