Als Kirche gefordert

Grußwort von Bischof Dr. Ulrich Neymeyr, Erfurt.

Es gilt das gesprochene Wort!

Bistum Erfurt; in: Pfarrbriefservice.de

Grußwort
von Bischof Dr. Ulrich Neymeyr (Erfurt), Vorsitzender der Unterkommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum der Deutschen Bischofskonferenz, beim Treffen von Vertretern der Deutschen Bischofskonferenz,  des Rates der EKD,  der Allgemeinen Rabbinerkonferenz Deutschlands (ARK) und  der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschlands (ORD) am 12. März 2018 in Recklinghausen
 
 
Wenn Populismus populär wird
 
Sehr geehrter Herr Landrat Süberkrüb,
sehr geehrter Herr Landesbischof, lieber Bruder Meister,
sehr geehrte Herrn Rabbiner, lieber Rabbiner Radbil,
meine sehr verehrten Damen und Herren!
 
Es  freut  mich,  Sie  heute  hier  in  Recklinghausen  zu  dieser  gemeinsamen Veranstaltung  der  Allgemeinen  und  der  Orthodoxen  Rabbinerkonferenz,  der Evangelischen  Kirche  in  Deutschland  und  der  Deutschen  Bischofskonferenz begrüßen  zu  können,  auch  wenn  das  Thema,  das  uns  zusammenführt,  alles andere  als  erfreulich  ist. 

In  den  vergangen  Jahren  haben  sich rechtspopulistische Bewegungen und Parteien in der politischen Öffentlichkeit etabliert  und  mit  ihrer  aggressiven  Rhetorik  eine  Zustimmung  in  Teilen  der Bevölkerung gefunden, die viele von uns überrascht und erschreckt hat. Diese besorgniserregende Entwicklung können wir nicht nur in Deutschland, sondern auch in vielen anderen europäischen Ländern beobachten. 

Über das europaweite Phänomen des Rechtspopulismus werden Landesbischof Meister und Rabbiner Radbil gleich ausführlich sprechen. Ich möchte mich auf einen  Aspekt  dieses  Phänomens  konzentrieren,  der  mir  besondere  Sorge bereitet. 

Ich meine  die  aggressive  Rhetorik dieser Gruppen, die  geeignet ist, die  Kultur  öffentlicher  Debatten  und  das  gesellschaftliche  Zusammenleben nachhaltig  zu  beschädigen.  Es  gehört  zu  den  Eigenarten  rechtspopulistischer  Rhetorik,  das nicht  nur  bestimmte  Meinungen  oder  Handlungen  kritisiert  werden,  was  in  einer  freien Gesellschaft legitim ist. Sie zielt vielmehr auf die moralische Integrität von Menschen. Wer die Positionen rechtspopulistischer Politiker nicht teilt, wird von diesen als Person moralisch
abqualifiziert. Ja, ganze Gruppen werden auf diese Weise diffamiert und sozial ausgegrenzt.
Die schlechten Beispiele sind Ihnen allen bekannt. Ich muss sie hier nicht wiederholen.
 
Legitimiert wird diese im Wortsinn menschenverachtende Rhetorik mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung,  das  man  sich  von  niemandem  nehmen  lassen  wolle.  Nicht  selten stilisieren  sich  rechtspopulistische  Politiker  auf  diese  Weise  zu  Helden  der  Freiheit.  Diese Pose  dürfen  wir  nicht  unwidersprochen  hinnehmen. 

Die  Freiheitsrechte  sind  Ausdruck  der Würde des Menschen. In der Achtung der Freiheitsrechtsrechte konkretisiert sich der Respekt vor der gleichen Würde aller Bürgerinnen und Bürger. Wer die Würde einzelner Menschen oder  ganzer  Gruppen  verletzt,  andere  abwertet  oder  diffamiert,  missbraucht  das  Recht  auf freie  Meinungsäußerung.  Fremdenfeindlichkeit,  Rassismus  und  blanker  Hass  sind  keine
legitimen  Meinungsäußerungen,  sondern  Angriffe  auf  die  Würde  von  Menschen.  Diesen
Angriffen  entschieden  zu  widersprechen,  ist  unsere  Pflicht  als  Bürger  und  als  Christen.
Deshalb haben wir als Kirchen in den vergangenen Jahren und Monaten nicht geschwiegen
und werden es auch zukünftig nicht tun.
 
In diesen Kontext entgleisender öffentlicher Debatten, gezielter Tabubrüche und kalkulierter Angriffe auf die Menschenwürde gehören auch antisemitische Beleidigungen und Straftaten, die  in  den  vergangenen  Jahren  in  erschreckendem  Maße  zugenommen  haben.  Dass  „Jude“ wieder zum Schimpfwort auf manchen deutschen Schulhöfen geworden ist oder dass Juden sich aus Sorge vor Spott oder Gewalt scheuen, in der Öffentlichkeit die Kippa zu tragen, ist nicht weniger besorgniserregend wie der israelbezogene Antisemitismus, der keineswegs nur in  rechtsradikalen  oder  islamistischen  Milieus  beheimatet  ist. 

Die  Päpstliche  Kommission Justitia et Pax hat in ihrer Erklärung Die Kirche und der Rassismus schon 1988 festgestellt: „Manchmal dient der Antizionismus (…) als Mäntelchen für den Antisemitismus, nährt sich
aus ihm oder führt zu ihm.“ (Nr. 15)

Diese Feststellung ist auch 30 Jahre später immer noch aktuell. Es ist eine gute Entscheidung der Bundesregierung, einen Antisemitismusbeauftragten zu  ernennen.  Doch  wir  dürfen  den  Kampf  gegen  antijüdische  Vorurteile  wie  gegen  jede andere  Form  der  Verletzung  von  Menschenrechten  nicht  allein  den  staatlichen  Stellen überlassen. Hier sind wir als Bürger und auch als Kirche gefordert.
 
Die Unterscheidung von Person und Meinung, von Person und Handlung ist unverzichtbar für
eine  faire  öffentliche  Debatte.  Wir  dürfen nicht  zulassen, dass der Respekt, den  wir jedem
Menschen schulden, als „Gutmenschentum“ oder „politische Korrektheit“ lächerlich gemacht
wird.  Die  Achtung  vor  der  Würde  des  Menschen  ist  kein  Tabu,  das  es  zu  brechen  gelte,
sondern die moralische Grundlage unseres Zusammenlebens.

Grußwort des Erfurter Bischofs als PDF-Datei


Pressemitteilung der Deutschen Bischofskonferenz zur Christlich-Jüdischen Begegnung