Äußeres Hören und inneres Hören

Beitrag von Weihbischof Reinhard Hauke für die Thüringer Allgemeine

Die Arbeitsleistung meines Gehörs ist beeindruckend. Rund um die Uhr ist das Gehör in Funktion - sogar im Schlaf. Ein Vortrag über den Aufbau des Gehörs und die Funktion der einzelnen Organe hat mich sehr beeindruckt, denn es handelt sich um einen "Mikrokosmos", der aus Teilen in der Größe von Stecknadelköpfen besteht. Hammer, Trommelfell, Gleichgewichtsorgan u.v.a.m. müssen gut funktionieren, wenn aus dem äußeren Geräusch ein Signal an das Gehirn werden soll, dass dann zu einer Information wird. Dem Fachmann ging es darum, die möglichen Verletzungen und Krankheitsbilder zu nennen, um dann auch die möglichen Hilfen mit Prothesen oder Hilfsgeräten zu beschreiben. "Wenn rechtzeitig vor dem Erlernen der Sprache etwas unternommen wird, kann fast immer geholfen werden!"

Viele Jahre habe ich als Gehörlosenseelsorger gearbeitet. Ich habe erlebt, wie junge Eltern nach der Geburt ihrer Kinder sehr daran interessiert waren, etwas über die Hörfähigkeit der Neugeborenen zu erfahren. Wichtig war dann natürlich auch die Frage, wie die hörenden und nicht geschädigten Kinder das richtige Sprechen lernen können. Eine gute Hilfe wird dann durch das Jugendamt angeboten. Der "Makrokosmos der Gesellschaft" muss sich darum sorgen, dass der "Mikrokosmos des Gehörs" sich gut entwickeln kann.

Das äußere Hören braucht auch ein inneres Hören. "Höre Israel, der Herr, dein Gott, ist ein einziger Gott!" Dieses urtümliche Gebet der Juden meint das äußere und innere Hören. Diese Aufforderung gilt auch für die Christen, die jetzt wieder am Sonntag zum Hören des Wortes Gottes in die Kirche eingeladen sind. Manchmal dringen Worte Gottes auch an die Ohren derjenigen, die sich bisher noch nicht für ein "inneres Hören" entscheiden konnten.

In Sprichwörtern, die aus der Bibel stammen, drückt sich aus, dass wir in unserer Gesellschaft durchaus solche Worte schon gehört haben und gebrauchen, z.B.: "Was du nicht willst, dass man dir tu’, das füg’ auch keinem andern zu!" Wir kennen dieses Wort in der positiven Version als "Goldene Regel" aus dem Matthäusevangelium (Mt 7,12), wo es heißt: "Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen!" Die negative Version ist dem Buch Tobit entlehnt (Tob 4,16). Durch die Knöchelchen unseres Gehörs dringen diese Worte als Schwingungen und möchten in uns ein Hören bewirken, dass unsere Gesinnung verändert. Ich wünsche uns Mut zum Hören der Worte aus der Bibel und Mut zur Veränderung, wenn wir z.B. spüren, dass die "Goldene Regel" bei uns noch nicht zur Regel im Miteinander geworden ist.


Erschienen am 29.1.2011