Plädiert für eine Wiederentdeckung des Advents: Professor Benedikt Kranemann
Interview mit dem Liturgiewissenschaftler Benedikt Kranemann...
Die Weihnachtsmärkte sind eröffnet, die Kaufhäuser geschmückt, und in so mancher Wohnung klingt schon "Fröhliche Weihnacht" aus den Lautsprecherboxen. Dabei beginnt am 3. Dezember erst einmal der Advent. Der Advent?
Gibt es überhaupt noch den Advent?
KRANEMANN: Für einen großen Teil unserer Gesellschaft kann man sicher vom Advent als einer ausgefallenen Jahreszeit sprechen. Er findet als solcher nicht mehr statt, wenn man auf das schaut, was die christliche Tradition damit meint. Allerhöchstens wird noch von der Vor-Weihnachtszeit gesprochen, womit sich allerdings eher zeitliche als inhaltliche Vorstellungen verbinden.
Und wie sehen Christen den Advent?
KRANEMANN: Auch für Christen ist der Advent eine ausgefallene Zeit. Allerdings meine ich damit eine besondere Zeit, weil sie von unterschiedlichen Traditionen geprägt ist und ein reiches Brauchtum kennt.
Was hat den Advent geprägt?
KRANEMANN: Seit dem 4. Jahrhundert ist der Advent eine Vorbereitungszeit, wobei die Akzente unterschiedlich gesetzt waren. In Gallien und Spanien war es unter Einfluss aus dem Orient eher eine Zeit der Vorbereitung auf die Taufe, weil das Hochfest "Epiphanie" (Erscheinung des Herrn) am 6. Januar als wichtiger Tauftermin galt. Durch irische Missionare stand dann in Gallien die Wiederkunft Christi am Jüngsten Tag im Mittelpunkt. Der Advent wurde deshalb als Fasten- und Bußzeit begangen. In Rom hingegen bereiteten sich die Christen im Advent auf Weihnachten als das Geburtsfest des Sohnes Gottes vor. Im 12. und 13. Jahrhundert setzt sich die vierwöchige Adventszeit durch. Ü;brigens kennt die mailändische Ambrosianische Liturgie heute noch eine andere Zeiteinteilung: Sie feiert den Advent sechs Wochen lang.
Und worum geht es der Kirche heute im Advent?
KRANEMANN: Heute lassen sich für die Adventszeit zwei Phasen unterscheiden. Die letzten sieben Tage bis Heiligabend dienen der Vorbereitung auf Weihnachten, an dem wir die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus feiern. Das ist noch das bekannteste Motiv für die Adventszeit. Weniger im Bewusstsein - auch vieler Gläubiger - ist dagegen, dass die Tage bis zum 16. Dezember stärker die Wiederkunft Christi thematisieren. Mit diesen beiden Phasen werden gewissermaßen die Pole christlicher Existenz und Hoffnung beschrieben: Gott will uns nahe sein und ist deshalb Mensch geworden. Und: Gott schenkt uns ewige Zukunft, ihm begegnen wir im Tod, auf ihn hin dürfen wir leben und hoffen.
Eine schöne adventliche Dramaturgie. Aber nicht jeder lässt sich davon beeindrucken.
KRANEMANN: Wer den Advent so feiern will, wird gewiss Christ sein oder dem Christentum nahe stehen. Doch auch Nichtchristen ist die Zeit vor Weihnachten wichtig. Ich denke hier an Stimmungen und Atmosphäre durch die Dunkelheit und - nun ja - die Kälte. Die Zeit gilt als heimelig und gemütlich. Und es ist die Zeit, in der man - tatsächlich - auf das Weihnachtsfest zugeht, auch wenn der christliche Sinn des Festes eher verborgen bleibt.
Aber diese Zeit beginnt bereits im September, zumindest wenn es nach den Händlern geht.
KRANEMANN: Es sind nicht nur Christen, denen das Unbehagen bereitet. Hinter diesem Unwillen, wie ich es einmal nennen möchte, steht eine kulturelle Ur-Erfahrung der Menschheit: Feste haben ihre Zeit. Sie gliedern das Jahr, und nichts ist so langweilig wie eine ewige Feier, weil das Jahr dann keine Höhepunkte mehr hat. Es wäre ein wirklicher Verlust, wenn unsere Gesellschaft dieses Gespür für Feste und Zeiten verlieren würde. Ein Stück Lebensqualität und kultureller Prägung steht in Gefahr. Ich sehe hier so etwas wie ein gemeinsames Anliegen von Christen und Nichtchristen.
Kann man dieser Entwicklung überhaupt noch entgegen wirken?
KRANEMANN: Auf absehbare Zeit wird es nicht gelingen, diesen Trend aufzuhalten oder ihn vielleicht sogar umzukehren. Dass immer mehr Bundesländer Adventssonntage als verkaufsoffen erklären, ist da gewiss keine Hilfe. Man kann sich dem Ganzen natürlich verweigern und nicht schon im September Weihnachtsplätzchen kaufen oder am Adventssonntag einen Einkaufsbummel unternehmen. Doch am hilfreichsten ist es noch, wenn der Advent wirklich als Advent gefeiert wird.
In den Kirchengemeinden?
KRANEMANN: Dort besonders, wobei es viele Gelegenheiten gibt, Einladungen auch an Nichtchristen auszusprechen. Ich denke etwa an Wortgottesdienste, adventliche Konzerte oder Bibel- und Gesprächskreise. Allerdings habe ich manchmal den Verdacht, dass auch unsere Kirchengemeinden das Besondere des Advents wiederentdecken müssen. Der Advent ist ja nicht eine gemütliche Zeit, sondern hat sogar einen herben Charakter, wenn er uns sagt "Gott wird Mensch" und auch das Ende der Zeiten vor Augen stellt. Die Kirchengemeinden könnten mit Blick auf Zeitdeutung und Festpraxis durchaus Avantgarde in der Gesellschaft sein.
Interview: Peter Weidemann
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