Dem Schöpfer danken

Ansprache von Bischof Ulrich Neymeyr im ökumenischen Gottesdienst beim thüringischen Landeserntedankfest am Samstag, 10. Oktober 2015 in Altenburg





Das Erntedankfest erfreut sich wachsender Beliebtheit. In fast allen Kirchen unseres Landes werden oft mit viel Geschick und Kreativität Erntedank-Altäre geschaffen, und im Gottesdienst dankt die Gemeinde Gott für die Gaben seiner Schöpfung. Auch außerhalb der Kirchen entfaltet sich zunehmend ein wachsendes Erntedank-Brauchtum. Mancherorts gibt es eigene Erntedankvereine, die große Umzüge organisieren. Es ist ein gutes Zeichen, dass die Aufmerksamkeit für das Erntedankfest wächst. In der Kirche ist ein Erntedankfest seit dem 3. Jahrhundert belegt. Die kirchliche Erntedankfeier ist in den Gottesdienst integriert; Erntegaben schmücken den Altar. In vielen Gemeinden ist dieser Gottesdienst auch mit einer Solidaritätsaktion zugunsten hungernder Menschen verbunden.

Es ist eine gute und wichtige Tradition, dass auch Sie als thüringische Landwirte sich zum Landeserntedank versammeln. Auch für Landwirte kann das Bewusstsein dafür schwinden, dass alles, was geerntet wird, verdankt ist. Die vielen technischen Gerätschaften in der Landwirtschaft ersetzen eine mühsame körperliche Arbeit, die mitunter auch gesundheitsschädlich war. Die vielen technischen Geräte in der Landwirtschaft haben aber auch dazu geführt, dass sich der Sprachgebrauch etabliert hat, von landwirtschaftlichen Produkten zu sprechen. Nun ist das, was auf den Feldern und Bäumen gereift ist, nicht Ergebnis einer industriellen Produktion. Die Kunst des Landwirts produziert nichts, sondern schützt und fördert das natürliche Wachstum. Die Verwendung von Spritz- und Düngemitteln, in denen viel wissenschaftliche Erfahrung und Kreativität steckt, kann ebenfalls das Bewusstsein fördern, es ließen sich Früchte der Erde machen. Während früher große Unwetter die Existenz mancher landwirtschaftlicher Betriebe gefährden konnten, wird dies heute durch Versicherungen weitestgehend verhindert. Diese Entwicklung ist natürlich sehr zu begrüßen, sie könnte aber auch dazu führen, dass die Landwirte den Dank an Gott vergessen.

Dass Sie sich heute in so großer Zahl hier versammeln, zeigt, dass Sie dieser Gefahr nicht erliegen, sondern dass Sie sich bewusst bleiben, dass Sie als Landwirte zwar pflanzen, die Pflanzen umhegen und schließlich ernten, aber dass Sie nicht etwas wachsen lassen können. In einem sehr alten Erntedankgebet aus dem 3. Jahrhundert heißt es: "Wir sagen dir Dank, Gott, und bringen dir die Erstlinge der Früchte, die du uns gegeben hast, damit wir davon kosten. Sie wurden zur Reife geführt durch dein Wort, das der Erde befohlen hat, Früchte aller Art hervorzubringen zur Freude und zur Nahrung der Menschen und aller Tiere." Schon in der Antike waren sich die glaubenden Menschen bewusst, dass Gott nicht unmittelbar jede einzelne Pflanze wachsen lässt, vielmehr hat er mit seinem schöpferischen Wort nicht nur alle Lebewesen, auch die Pflanzen, ins Leben gerufen, sondern ihnen auch die Kraft des Wachsens zugesprochen. So ist es für uns als glaubende Menschen immer noch ein wichtiges Anliegen, Gott für die Früchte der Erde zu danken. Gott hat uns Menschen die Schöpfung mit ihrer Kraft zum Wachsen und Reifen anvertraut. Im ersten Kapitel der Bibel heißt es: "Hiermit übergebe ich euch alle Pflanzen auf der ganzen Erde, die Samen tragen, und alle Bäume mit samenhaltigen Früchten. Euch sollen sie zur Nahrung dienen." (Gen 1,29) Dieses gläubige Verständnis der Natur als Schöpfung Gottes mahnt uns nicht nur zum Erntedank. Sie ruft uns auch die Verantwortung der Menschen für die Gaben der Schöpfung ins Bewusstsein. So müssen wir an die Menschen denken, die Hunger leiden müssen. Sei es, weil es bei ihnen nicht genügend nährende Früchte der Erde gibt oder sei es, weil sie nicht das Geld haben, um Lebensmittel zu kaufen. Wir müssen aber auch an die Landwirte denken, die für die Früchte ihrer Arbeit nicht gerecht entlohnt werden. So mündet unser Beten auch ein in das Gebet für diejenigen, die Verantwortung haben für die gerechte Verteilung der Gaben der Schöpfung auf der ganzen Erde. Möge Gott ihnen die Wege weisen, dass überall auf der ganzen Erde die Menschen von Herzen Erntedank feiern können und dass sich überall auf der ganzen Erde die Landwirte über die Früchte und den Ertrag ihrer Arbeit von Herzen freuen und Gott dafür danken können.


Die Ansprache wurde den Medien vorab zur Verfügung gestellt. Es gilt das gesprochene Wort!

09.10.2015