Das Kirchenrecht hat in den Kanones can. 403-411 festgelegt, was ein Weihbischof – im Kirchenrecht genannt „Auxiliarbischof“ - ist und zu tun hat. Wir lesen dort:
„Wenn die pastoralen Erfordernisse einer Diözese es anraten, können auf Ersuchen des Diözesanbischofs ein oder mehrere Auxiliarbischöfe ernannt werden. Ein Auxiliarbischof besitzt nicht das Recht der Nachfolge. Wenn der Bischofskoadjutor und der Auxiliarbischof nicht rechtmäßig daran gehindert sind, haben sie die Pflicht, sooft der Diözesanbischof dies fordert, Pontifikal- und andere Amtshandlungen, die dem Diözesanbischof obliegen, zu übernehmen.“ Damit wird klar gesagt, was ein Weihbischof zu tun hat. In der Bischofskonferenz kann ich jedoch sehen, wie sich diese Regelung in vielfacher Weise entfaltet hat.
Bischof Joachim Wanke hat mich Anfang Oktober 2005 zu sich gebeten und gesagt: „Der Heilige Vater will dich.“ Darin spürte ich sein großes Vertrauen, was mich auch dazu veranlasste, relativ schnell meine Zustimmung zu geben. Was ein Weihbischof zu tun hat, konnte ich an meinem Vorgänger Weihbischof Hans-Reinhard Koch sehen. Am Silbernen Bischofsjubiläum von Bischof Wanke haben wir dann meine Bischofsweihe anberaumt. Als Mitkonsekratoren wirkten die ehemaligen Weihbischöfe mit, die in Erfurt tätig waren: Kardinal Meisner und Weihbischof Koch. So haben Joachim Wanke und ich den gleichen Weihetag – jedoch immer im Abstand von 25 Jahren.
Was mich bei Bischof Dr. Wanke immer beeindruckt hat, war seine Herzlichkeit im Umgang mit den Mitbrüdern und Verantwortlichen in der Seelsorge der Diözese. Schwere Entscheidungen, die bisweilen nötig waren, hat er mit Mut gefällt – sicherlich immer auch mit der Frage, ob sie gut war. In den Gesprächen über die Mitbrüder im priesterlichen Dienst konnte man immer spüren, dass ihm ihr seelisches und leibliches Wohl am Herzen lag. Heute ist sicherlich auch wieder ein Anlass, ihm dafür von Herzen zu danken.
Wenn ich im Kirchenrecht nachlese, welche Aufgaben ein Weihbischof hat, dann frage ich mich, ob mein bisheriger Dienst dem Kirchenrecht entspricht oder entsprochen hat. Nachdenklich machen mich dann die folgenden Tatsachen:
Ich gehöre zu den Gründungsmitgliedern des Erfurter Lions-Clubs Via Regia. Vor vielen Jahren wurde ich eingeladen, in diesem Wohltätigkeitsverein Mitglied zu werden und ich habe Ja gesagt. Die Motivation für diese Entscheidung kam dadurch dass ich erfuhr, wer in solchen Clubs Mitglied wird: meistens Entscheidungsträger einer Stadt, die mit ihren Beziehungen für Hilfsbedürftige von Künstlern bis Förderschülern Gutes tun wollen. Da wollte ich mich gern mit meinen Möglichkeiten einbringen. Im Club gibt es Kirchgänger, Getaufte und Menschen, die bisher mit Kirche keine Berührung hatten. „Was macht denn ein Bischof in der Woche? Am Sonntag ist er sicherlich in der Kirche, aber sonst?“ so lautete die Frage eines Clubmitglieds, das bisher mit Kirche keinen Kontakt hatte. Mein größter Erfolg war wohl, dass ich den Club für die Restaurierung des romanischen Reliquiars des hl. Bonifatius und des hl. Kilian gewinnen konnte. So steht jetzt dort auch der Name des Clubs eingraviert: „Societas Leoni Via Regia“. Menschen aus der Stadt haben sich damit in den Dom eingebracht und einen Ort geschaffen, an dem für sie wie für alle Stifter gebetet wird. Auch bei der Restaurierung der Nordturmkammer, bei der Restaurierung der Domfenster, des Triangelportals und bei der Finanzierung des Zentralspieltisches konnte ich dafür werben, sich einzubringen und damit einen konkreten Kontakt zu diesem Kirchengebäude herzustellen. Ist das die Aufgabe eines Weihbischofs?
Bei meiner Weihe im Jahr 2005 war ich noch Religionslehrer für den Grundkurs im Edith-Stein-Gymnasium. Ich habe gern im Lehrerzimmer mit den Kollegen über den Schulunterricht gesprochen und vor allem war mir der Religionsunterricht für die ungetauften Schülerinnen und Schüler wertvoll. Mit Fünfklässlern das Gleichnis vom barmherzigen Samariter nachspielen, war immer ein Erlebnis auf beiden Seiten. Zum ersten Mal in ihrem Leben hörten diese Kinder mit 12 Jahren von diesem sehr bedeutsamen Gleichnis Jesu und erkannten, was ein Wesenszug der christlichen Religion ist. Sie mussten es nicht glauben, sondern nur wissen und bekamen Zensuren dafür. Immer hatte ich die Hoffnung, dass daraus auch Glaube wird. 1997 war der Kontakt zu diesen Schülerinnen und Schüler, die dann schon nach 3 Schuljahren im katholischen Gymnasium in der 8. Klasse waren, der Auslöser für das Projekt „Feier der Lebenswende“, das bis heute 15jährige ungetaufte Jugendliche dieser Stadt mit ihren Familien in die Kirche bringt und zum Gespräch über Fragen des Lebens einlädt. Da sich dieses Projekt im Osten Deutschlands verbreitet hat, nun schon wissenschaftlich untersucht wurde und auch beim Katholikentag 2024 ein Thema war, kann ich nur Gott danke, dass hier ein kleines Pflänzchen gut gewachsen ist. Ist es die Aufgabe eines Weihbischofs, Religionsunterricht zu geben und sich mit nichtchristlichen Jugendlichen zu beschäftigen? Ich sage deutlich: Ja, wenn es dazu die Gelegenheit gibt. Ich habe dabei gelernt, die katholischen Firmlinge mit anderen Augen zu sehen. Sie sind meistens in der gleichen schulischen und Lebenssituation wie die Jugendlichen in der Lebenswendefeier. Sie haben die gleichen Fragen, jedoch die Möglichkeit, aus dem Glauben heraus zu antworten und mit einem weiten Horizont zu leben, den wohl die Jugendlichen der Lebenswende erahnen, aber noch nicht benennen oder sogar bekennen können.
In der Bischofskonferenz erlebe ich weitere Räume, die für mich interessant sind: Inklusive Pastoral für alle, denen geholfen werden soll, mit ihrer Behinderung am Leben der Gemeinde teilzunehmen. In der Sorge um die Vertriebenen und Aussiedler kann ich helfen, das Schicksal vieler Menschen wahrzunehmen, zu lindern und daraus Schlüsse für das Miteinander der Völker zu ziehen. Die Ursache für Vertreibung ist immer gleich: Machtmissbrauch. Meine Mitarbeit in der Kommission ADVENIAT hat meinen Horizont in Richtung Lateinamerika erweitert. Eine dritte Reise nach Lateinamerika ist für 2026 geplant: Kolumbien. Mit großer Dankbarkeit für das, was dort geschaffen wurde, und mit Dankbarkeit für das, was ich hier in Deutschland vorfinde, kehre ich immer wieder zurück. Ist das die Aufgabe eines Weihbischofs? Ich sage: Ja. Wenn auch dort viele Menschen an Gott glauben – bisweilen auch noch in Verbindung mit ihren ehemaligen Naturreligionen, so zeigen sie mir, wie vielfältig katholischer Glaube ist und vielleicht auch bei uns sein darf.
Wenn ich junge Menschen auf die Taufe vorbereiten darf, dann spüre ich die Sehnsucht, alles kennenzulernen, was katholisch ist. Ich erlebe aber auch eine Religiosität, die bisher nicht unbedingt üblich war: z.B. Anbetung, Schriftgespräch, Exerzitien im täglichen Mitfeiern des Gottesdienstes. Wir hören von zahlreichen Erwachsenen in Frankreich, Belgien und Tschechien, die sich taufen lassen und katholische sein wollen, auch wenn sie vermutlich die bisherigen Gemeindestrukturen nicht unterstützen wollen. Die Taufbewerber und Neugetauften in Erfurt sind bereit, z.B. die verwelkten Blumen aus dem Kolumbarium zu beseitigen, die Kolumbarien zu öffnen und zu schließen, den dortigen Mülleimer mit den verwelkten Blumen und Kerzenresten herauszustellen und natürlich auch zuzupacken, wenn aktuell Hilfe nötig ist. Manche sind in Verbindungen mit franziskanischer Tradition, aber keine Ordensleute. Sie engagieren sich sozial-caritativ, sogar auch dann, wenn sie keine Kirchenmitglieder sind. Sie suchen den Kontakt zum Seelsorger, der auch ein Bischof sein kann. Es besteht die Hoffnung, dass beide Seiten beschenkt werden: und das geschieht immer wieder.
„Der Gott des Friedens heilige euch!“ mit diesem Wahlspruch habe ich meinen Dienst als Bischof angetreten. Der Apostel Paulus mahnt zu einem Leben, das der Berufung durch Gott würdig ist. Die Sorge um die Armen, Ängstlichen und Schwachen soll diese Berufung deutlich machen, denn unser Gott ist ein Gott, der den Frieden äußerlich und innerlich wünscht. In der Position des Personalverantwortlichen für Priester und Diakone bedarf es eines guten Gespürs für die unterschiedlichen Charismen, aber auch für die Probleme, die sich in einem Leben zeigen, das ganz für den Dienst in der Kirche da sein möchte. Einsamkeit der Priester, die ganz verstreut in der Diaspora Dienst tun, kann zu einem Problem werden. Ich bin froh, wenn sich unsere Priester treffen – sei es zum geistlichen Tun oder auch zum Doppelkopf. Sich über die seelsorglichen Fragen austauschen ist meistens nur im Kreis der Seelsorger und Seelsorgerinnen möglich. Viele andere Gemeindemitglieder sehen zwar das äußerliche Wirken, aber haben kaum Zugang zu den seelischen Zuständen und Nöten der Pastoralen Mitarbeiter, weil diese ja nicht „zum Markt getragen“ werden. Ich bin froh, jetzt auch drei Priester im Bistum gefunden zu haben, an die sich Senioren- Priester wenden können, wenn sie nicht gleich zu mir kommen wollen. Wir alle wollen als Seelsorger Friedensboten sein, um etwas von diesem Gott des Friedens spürbar zu machen. Dabei sind wir keine Macher, sondern Beter und Bittende, denn die Kraft und Wirkung zum Frieden kommt allein von Gott.
Der heutige Tag des Dankes bezieht auch alle mit ein, die mich auf meinem Weg begleitet haben. Ich danke meinen Haushälterinnen – meiner Schwester Marlies, die schon in der Ewigkeit ist, meine Schwägerin Annerose Hauke und meiner derzeitigen Haushälterin Christine Bielefeld. Alle mussten und müssen mich und meiner Ungeduld ertragen. Danke! Ich danke meinen Freunden im priesterlichen und bischöflichen Dienst. Ich danke allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hier auf dem Domberg und im Ordinariat, sowie in der Bischofskonferenz. Ich danke meiner Familie. Von uns 6 Geschwistern sind schon 3 im Himmel und wir haben dort gute Fürsprecher mit meinen Eltern zusammen. Ich danke allen, die trotz aller Krisen in der Kirche treu zum Glauben stehen und zu denjenigen, die in der Kirche Verantwortung übernommen haben.
Ich danke besonders meinen Bischöfen hier in Erfurt: Joachim Wanke und Ulrich Neymeyr. Gern bin ich mit euch am Überlegen und Planen, aber auch beim Beten um eine gute Zukunft für unser Bistum Erfurt. Ich freue mich besonders, heute mit Bischof Joachim Wanke dieses Weihejubiläum feiern zu können. Sein bischöflicher Wahlspruch „Den Spuren Christi folgen“ hat er nunmehr in 45 Jahren gelebt und anschaulich gemacht. Dieser Wahlspruch macht deutlich, dass der HERR uns immer ein Stück voraus ist und wir eigentlich nur schauen müssen, welche Spuren er gelegt hat. Manchmal sind wir in der Versuchung, eigene Spuren zu legen und die Mitchristen einzuladen, diesen Spuren zu folgen. Das kann niemals gut gehen, denn damit spielen wir uns als die Macher der Kirche auf. Unser Dienst und Auftrag ist es, selbst zu erkennen, welche Spuren der HERR gelegt hat, diese selbst zu gehen und andere dazu einzuladen. So wie Jesus oftmals im Zickzack durch das Heilige Land gepilgert ist, so kann es auch bei uns sein. Er hat nicht dazu aufgerufen, Kirchen und Gemeindehäuser zu bauen, sondern unterwegs zu sein, um alle Menschen zu finden, die von seinem himmlischen Vater gerufen worden sind, am Gottesreich mitzubauen. Diese Orte können durchaus unsere Schulen, Krankenhäuser, Kindergärten und auch Gemeindehäuser sein. Sie können sich aber auch bei den Domstufenfestspielen oder auf dem Weihnachtsmarkt befinden, wo Menschen sich anrühren lassen, über den Sinn ihres Lebens, Leidens und Sterbens nachzudenken.
So erhoffe ich mir z.B. von den Domstufenfestspielen 2026 mit dem Musical „Jesu Christ Superstar“ die Öffnung des Blickes der Gäste für die Person Jesus Christus, der immer in der Spannung zwischen Superstar und Revolutionär stand. Ich erhoffe mir vom Weihnachtssingen auf den Domstufen am 22. Dezember für alle, die dazu kommen, die Erfahrung, dass Weihnachten mehr ist als „Jingle Bells“, sondern der Segen Gottes handgreiflich im Kind in der Krippe zu uns gekommen ist. Wir sollen und wollen den Himmel in Thüringen offenhalten. Wir sind dabei nur schwache Werkzeuge Gottes, aber wir wissen, dass wir den hinter uns haben, der stärker ist als alle Kräfte in der Welt und der alleinige Erlöser und Heiland ist. Möge er uns alle weiterhin mit seinem liebenden Schutz umgeben. Amen.

