Unterwegs sein in Thüringen als Pilger der Hoffnung

Ansprache von Bischof Ulrich Neymeyr zum Elisabeth-Empfang am 20. November 2025 in Erfurt

Bild: Peter Weidemann; In: Pfarrbriefservice.de

das Jahr 2025 ist in unserer Kirche ein Heiliges Jahr. Alle 25 Jahre werden die Heiligen Pforten an den römischen Hauptkirchen geöffnet und die Pilgerinnen und Pilger kommen nach Rom, um Gottes Segen für die nächsten 25 Jahre zu erbitten und für seine Behütung in den zurückliegenden 25 Jahren zu danken. Das Heilige Jahr 2025 hat Papst Franziskus unter das Leitwort „Pilger der Hoffnung“ gestellt. Es ist ein Leitwort, das nicht nur diejenigen ermutigen kann, die nach Rom pilgern. Ich war im März mit einer Gruppe von 120 Erwachsenen in Rom und in den Herbstferien mit 250 Messdienerinnen und Messdienern. Das Leitwort „Pilger der Hoffnung“ hat diese Pilgerfahrten inhaltlich geprägt. Das Leitwort „Pilger der Hoffnung“ ist aber nicht nur für Katholiken oder für Rom-Pilger bedeutungsvoll, sondern es gibt auch wichtige Impulse für alle Menschen in unserer Zeit.

Weit über den Raum der Christenheit hinaus ist das Wort ´Hoffnung´ für viele Menschen ein wichtiger Begriff geworden, über den viel nachgedacht wird. Hoffnung ist nicht nur eine christliche Tugend, sondern eine allgemeine Lebenshaltung, die in unserer Zeit sehr angefragt ist. Wir leben im Zeitalter der Krisen: Wirtschaftskrise, Flüchtlingskrise, Corona-Krise, Krieg in der Ukraine und in Israel: Eine Hiobsbotschaft jagt die nächste. Dazu kommt die Sorge, dass einige wenige amerikanische Tech-Konzerne ihre Marktmacht benutzen, um die Meinung der Menschen zu beeinflussen und dass sie dabei einen Raum der Straffreiheit haben, der auch Lügen und Beleidigungen ermöglicht. Für mich ist beängstigend, dass auch angeblich stramme Katholiken das Ende der Datenschutzgrundverordnung fordern und ein Verständnis von Meinungsfreiheit haben, das auch Sünden nicht unter Strafe stellt, nämlich die Sünde der Lüge und die Sünde der Beleidigung. Es sind düstere Zeiten, in denen es Pilger der Hoffnung umso dringender braucht.

Dass Hoffnung nicht nur eine christliche Tugend ist, belegt das berühmte Zitat des tschechischen Dramatikers, Menschenrechtlers und Präsidenten Václav Havel: „Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.“ Hoffnung ist also nicht die Haltung, in der man sich grundlos zusagt: „Alles wird gut.“ Hoffnung ist vielmehr die Haltung, dass es Sinn macht, was wir tun und was wir lassen. Dabei muss natürlich ständig hinterfragt werden, ob das, was wir tun und lassen, sinnvoll ist. Und es braucht den Diskurs mit Menschen, die anderer Meinung sind, was denn sinnvoll ist. Dieser Diskurs muss von gegenseitiger Achtung und Respekt geprägt sein, damit er fruchtbar ist und Hoffnung macht. Ich danke Ihnen, dass Sie in dem Verantwortungsbereich, in dem Sie tätig sind, diese Haltung leben und auch anderen vor-leben.

Für uns Christen ist die Hoffnung in unserem Glauben begründet. Papst Franziskus zitiert in seiner Eröffnungsbulle für das Heilige Jahr 2025 den Apostel Paulus: „Die Hoffnung lässt nicht zugrunde gehen, denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist.“ (Röm 5,1-5). Diese Haltung hat Pater Alfred Delp großartig übersetzt: „Lasst uns dem Leben trauen, weil wir es nicht alleine leben, sondern weil Gott es mit uns lebt.“

Papst Franziskus wird in der Eröffnungsbulle für das Heilige Jahr 2025 konkret. Er benennt nämlich acht Bereiche, in denen sich die Hoffnung in unserer Zeit bewähren muss und nennt diese „Zeichen der Hoffnung“. 
Er schreibt: „Das erste Zeichen der Hoffnung möge sich als Frieden für die Welt verwirklichen, die sich wieder einmal inmitten der Tragödie des Krieges befindet. Weil die Menschheit die Dramen der Vergangenheit vergisst, wird sie von einer neuen, schwierigen Prüfung heimgesucht, bei der viele Völker von der Brutalität der Gewalt getroffen werden. Was steht diesen Völkern denn noch bevor, was sie nicht schon erlitten hätten? Wie ist es möglich, dass ihr verzweifelter Hilfeschrei die Verantwortlichen der Nationen nicht dazu bewegt, den allzu vielen regionalen Konflikten ein Ende zu setzen, wohl wissend um die Folgen, die sich weltweit aus ihnen ergeben könnten? Ist es ein zu großer Traum, dass die Waffen schweigen und aufhören, Zerstörung und Tod zu bringen?“ Der Papst fordert, dass die Diplomatie in ihrem Bemühen nicht nachlassen darf. Angesichts der Politik der Mächtigen unserer Tage ist dies sicher eine große Herausforderung und allen, die in ihrem Bemühen um Diplomatie nicht nachlassen, gebührt unser Respekt. Papst Franziskus erinnert daran, dass diejenigen, die Frieden stiften, Kinder Gottes genannt werden, wie es in der Bergpredigt heißt. Leider mussten wir lernen, dass der Frieden und die Freiheit bei uns nur durch solide Verteidigungsmaßnahmen sichergestellt werden kann. Wehrhaftigkeit sichert den Frieden. Ich danke allen Verantwortlichen in der Bundeswehr und in der Militärseelsorge, die kritisch reflektieren, was nun geboten ist.

Das zweite Zeichen der Hoffnung sieht Papst Franziskus in der frohen Bereitschaft junger Menschen, als Ausdruck der Fruchtbarkeit ihrer Liebe, Kinder zu zeugen und so teilzuhaben am Schöpfungshandeln Gottes. Er wünscht ein soziales Bündnis für die Hoffnung und gegen den Rückgang der Geburtenrate und beklagt „hektische Lebensrhythmen, Zukunftsängste, fehlende Garantien für einen Arbeitsplatz und eine angemessene soziale Absicherung sowie Gesellschaftsmodelle, in denen statt der Pflege menschlicher Beziehungen das Streben nach Profit die Agenda bestimmt.“ Ich bitte alle politisch Verantwortlichen, ihren Teil dazu beizutragen, dass Paare den Mut finden, dem Leben zu trauen und sich auf das „Wagnis Kind“ einzulassen.

Überraschend ist das dritte Zeichen der Hoffnung, das Papst Franziskus benennt. Er denkt „an die Gefangenen, die bei Entzug ihrer Freiheit, jeden Tag neben der Härte der Haft auch die emotionale Leere, die auferlegten Einschränkungen und in nicht wenigen Fällen einen Mangel an Respekt erleben.“ Ich danke allen, die im Justizvollzug beschäftigt sind und allen Gefängnisseelsorgern, die in einer Welt arbeiten, in der die Wahrung der Menschenwürde eine große Herausforderung darstellt. Papst Franziskus schlägt darüber hinaus den Regierungen vor, „im Heiligen Jahr Initiativen zu ergreifen, die Hoffnung zurückgeben; Formen der Amnestie oder des Straferlasses, um den Menschen zu helfen, das Vertrauen in sich selbst und in die Gesellschaft zurückzugewinnen“. Zugleich fordert er erneut die Abschaffung der Todesstrafe, die „eine Maßnahme darstellt, die dem christlichen Glauben entgegensteht und jegliche Hoffnung auf Vergebung und Erneuerung zunichtemacht.“ In diesem Jahrhundert hat sich die Sicht der katholischen Kirche auf die Beurteilung der Todesstrafe weiterentwickelt. Papst Johannes Paul II. war der erste Papst, der sich gegen die Todesstrafe ausgesprochen hat. Allerdings hat er dies als eine persönliche Meinung gekennzeichnet. Ebenso Papst Benedikt XVI. Papst Franziskus hat schließlich nicht nur die Todesstrafe abgelehnt, sondern veranlasst, dass sich die katholische Kirche weltweit für die Abschaffung der Todesstrafe einsetzt. Das ist insofern beachtlich, als es in unserer katholischen Kirche – vor allem in den Vereinigten Staaten von Amerika – einflussreiche Befürworter der Todesstrafe gibt.

Als viertes Zeichen der Hoffnung benennt Papst Franziskus die Sorge um die Kranken: „Es darf nicht an umfassender Aufmerksamkeit für diejenigen fehlen, die unter besonders schwierigen Lebensbedingungen die eigene Schwäche erfahren, insbesondere wenn sie an Krankheiten oder Behinderungen leiden, die ihre persönliche Autonomie stark einschränken. Für sie zu sorgen ist wie ein Lobgesang auf die Menschenwürde, ein Lied der Hoffnung, das das Zusammenspiel der gesamten Gesellschaft erfordert.“ Hier sei ein herzliches Dankeschön all denen gesagt, die in diesem Geist in der Medizin und in der Pflege tätig sind und haupt- wie ehrenamtlich als Seelsorgerinnen und Seelsorger die Menschen begleiten. Besonders danke ich auch jenen, die aus anderen Ländern zu uns gekommen sind und mithelfen, dass in einer Gesellschaft, in der die Menschen immer älter werden, alle versorgt werden können. Wir könnten unsere Freude darüber, dass sie da sind, vielleicht manchmal etwas deutlicher zeigen.

Das fünfte Zeichen der Hoffnung fordert Papst Franziskus für die jungen Menschen: „Die Illusion der Drogen, das Risiko der Grenzüberschreitung und das Streben nach dem Kurzlebigen sorgen bei ihnen für mehr Verwirrung als bei anderen und verdecken die Schönheit und den Sinn des Lebens, sie lassen sie in dunkle Abgründe abgleiten und verleiten sie zu selbstzerstörerischen Handlungen. Deshalb möge das Heilige Jahr in der Kirche auch zu einem neuen Elan ihnen gegenüber führen: Nehmen wir uns mit neuer Leidenschaft der jungen Menschen an, der Studenten, der Verlobten, der jungen Generationen!“ Ich danke allen Jugendseelsorgerinnen und Jugendseelsorgern und bedaure, dass wir nicht genügend junge pastorale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben. Umso mehr freut es mich, dass auch andere Haupt- wie Ehrenamtliche für junge Menschen Angebote in unserer Kirche machen. 

Als sechstes fordert Papst Franziskus Zeichen der Hoffnung für Migrantinnen und Migranten. „Ein Empfang mit weit geöffneten Armen, wie es der Würde eines jeden entspricht, muss mit Verantwortungsbewusstsein einhergehen, damit niemandem das Recht verwehrt wird, sich eine bessere Zukunft aufzubauen.“ Dahinter verbirgt sich die kritische Reflektion, inwieweit unser Land Menschen aus anderen Ländern die Möglichkeit bieten kann, sich eine bessere Zukunft aufzubauen. Dabei dürfen wir nicht blauäugig sein; Migration braucht einen ordnenden Rahmen und die Integration ist eine komplexe Aufgabe. Aber wir sollten uns davor hüten, die Migration für alles verantwortlich zu machen, was in unserem Land „schiefläuft“. Für mich ist darüber hinaus wichtig, dass das Asylrecht ein heiliges Recht ist, dessen Anwendung sorgfältig geprüft werden muss, auch wenn wir Deutsche aus der Geschichte die besondere Verpflichtung haben, Menschen aufzunehmen, die in ihrem Land an Leib und Leben bedroht werden.

Das siebte Zeichen der Hoffnung verdienen für Papst Franziskus die älteren Menschen, die oft Einsamkeit und Verlassenheit erfahren. Er ermutigt besonders die Großeltern zur Sorge um ihre Enkelkinder und zur „Weitergabe des Glaubens und der Lebensweisheit an die jüngeren Generationen“. Für meine Generation der Babyboomer kann dies heißen: Enkeldienst statt Wohnmobil.

Schließlich legt Papst Franziskus uns als achtes Zeichen der Hoffnung die Milliarden an armen Menschen ans Herz, denen oft das Lebensnotwendige fehlt. Es ist denjenigen zu danken, die sich in internationalen Hilfsorganisationen engagieren oder sie durch Spenden unterstützen. Das ist derzeit umso herausfordernder, seit die USA als bisher mit Abstand größtes Geberland mittlerweile komplett ausfallen. Aber Papst Franziskus erinnert auch daran, dass wir „jeden Tag armen oder verarmten Menschen begegnen, bisweilen können das gar unsere Nachbarn sein.“

Am Schluss richtet Papst Franziskus einen eindringlichen Appell an die reichen Nationen und bittet sie, in guter alter, biblischer Tradition, im Gnadenjahr - oder im Heiligen Jahr - „denjenigen Ländern die Schulden zu erlassen, die sie niemals zurückzahlen könnten.“ Er schreibt, dabei handele es „sich nicht so sehr um eine Frage der Großmut, sondern der Gerechtigkeit, die heute durch eine neue Form der Ungerechtigkeit verschärft wird, derer wir uns bewusst geworden sind: Denn es gibt eine wirkliche ´ökologische Schuld´ – besonders zwischen dem Norden und dem Süden – im Zusammenhang mit Ungleichgewichten im Handel und deren Konsequenzen im ökologischen Bereich wie auch mit dem im Laufe der Geschichte von einigen Ländern praktizierten unproportionierten Verbrauch der natürlichen Ressourcen.“ Wir sollten den Blick für diese Probleme nicht verlieren, denn es sind letztlich auch unsere Probleme.

Papst Franziskus schließt mit der Aufmunterung: „Lassen wir uns fortan von der Hoffnung anziehen und lassen wir zu, dass sie durch uns auf jene überspringt, die sich nach ihr sehnen.“ Ich wünsche Ihnen in Ihren politischen Ämtern und Funktionen, auch in diesen Zeiten die Hoffnung nicht zu verlieren. Lassen Sie uns weiterhin miteinander als Pilger der Hoffnung hier in unserem Land Thüringen unterwegs sein.