Erfurt (BiP). Im Alter von 89 Jahren verstarb die Künstlerin Hildegard Hendrichs (*1923) am vergangenen Montag, 4. Februar, in Erfurt. Im Laufe ihrer insgesamt fast 50jährigen künstlerischen Tätigkeit schuf Hendrichs zahlreiche bildnerische Werke verschiedener Genres und bestimmte mit ihren Bildwerken bis in die 1970er Jahre hinein wesentlich die künstlerische Ausstattung katholischer Sakralbauten in Thüringen und auch darüber hinaus.
2003 zeichnete sie der Erfurter Bischof Joachim Wanke mit der Elisabeth-Medaille des Bistums Erfurt aus. Als "Ausdruck ihres Glaubens an den Sieg Christi über Leiden und Tod" würdigte Diözesan-Administrator Weihbischof Reinhard Hauke anlässlich des Todes von Hildegard Hendrichs ihre Kunst, die auch zukünftig die Menschen zum "Schauen, Singen und Leben", so der Titel eines Hendrichs-Buches, einlade.
Das Requiem für Hildegard Hendrichs wird am Montag, 11. Februar, um 10 Uhr in St. Severi, Erfurt, gefeiert. Um 12 Uhr ist die Beerdigung auf dem Erfurter Hauptfriedhof.
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Hildegard Hendrichs
7.6.1923 - 4.2.2013
Ein Nachruf von Dr. Falko Bornschein,
Kunstgutbeauftragter des Bistums Erfurt
Im Alter von 89 Jahren verstarb am Montag, den 4. Februar 2013, in Erfurt Hildegard Hendrichs - eine Künstlerin, die prägte und auch darüber hinaus tätig war.
Im Laufe ihrer insgesamt fast 50jährigen künstlerischen Tätigkeit schuf Hildegard Hendrichs zahlreiche bildnerische Werke verschiedener Genres - vor allem hölzerne Schnitzwerke (Skulpturen und Reliefs), darüber hinaus aber auch Arbeiten in Kupfer, Ölgemälde und Mosaiken. Ihre ausdruckstarken Altarwerke, figürlichen Reliefs und vollplastischen Heiligendarstellungen laden noch heute ein zur Meditation und stiften Zuversicht in das Wirken Gottes in der Welt. Geprägt von dem Ideal franziskanischer Frömmigkeit thematisieren ihre Kunstwerke vor allem das Leben, Leiden und den Opfertod Jesu Christi sowie die dem Leben zugewandte und gleichzeitig tief verinnerlichte Spiritualität Franz von Assisis.
Hildegard Hendrichs wurde am 7. Juni 1923 in Berlin geboren und wuchs im Stadtteil Schöneberg als Älteste von vier Geschwistern auf. Ihre ersten autodidaktischen Erfahrungen als Schnitzerin sammelte sie noch vor ihrem Abitur und dem sich anschließenden Arbeitsdienst. Die Suche nach einer geeigneten Ausbildungsstätte in der Holzbildhauerei führte sie im Jahre 1942 in die Schnitzschule des Ortes Empfertshausen in Thüringen, wo sie sich ihr handwerkliches und künstlerisches Rüstzeug erwarb. Begeistert von der Rhönlandschaft, voll sonniger Heiterkeit und auf der Suche nach dem tieferen Sinn des Lebens wandte sie sich bald religiösen Themen zu. Ihre erste Madonna entstand für die nahegelegene katholische Kirche in Zella. Der dortige Pfarrer vermittelte die talentierte angehende Künstlerin zu einem Herrgottsschnitzer in seinem Heimatort Wüstensachsen, wo die junge Hendrichs ihren ersten Kruzifixus fertigte. Nach dem Zweiten Weltkrieg blieb die damals 22-Jährige, die nach Schließung der Schnitzschule im Jahre 1944 zwischenzeitlich als Volksschullehrerin gearbeitet hatte, als Einzige ihrer Familie im Ostsektor des geteilten Deutschlands.
Zunächst noch in einer kleinen Tischlerwerkstatt in Zella arbeitend, richtete sie sich im Jahre 1946 ein Atelier im nahegelegenen Geisa ein. 1948 zog Hildegard Hendrichs schließlich nach Erfurt. Hendrichs unternahm mehrere langwierige Studienreisen nach Italien und studierte zwei Semester an der Düsseldorfer Kunstakademie.
Ihren ersten offiziellen kirchlichen Auftrag erhielt sie im Jahre 1945 - noch als Lehrerin in Empfertshausen - ein lebensgroßes Kreuz für die katholische Kirche in Ruhla. Zu den frühen Werken der Künstlerin zählen außerdem eine Madonna für die Grotte in Schleid (1946), eine Gottesmutter mit Kind für den Marienbrunnen zu Motzlar (1946), ein zweiteiliges Altarretabel mit dazwischenstehender Kreuzigungsgruppe sowie mehrere Figuren für die kath. Kirche St. Cyriakus zu Heyerode (1946-1948) und eine Kreuzigungsgruppe für die kath. Kirche St. Nikolaus in Erfurt-Melchendorf (1948). 1949 schuf Hildegard Hendrichs den ursprünglich für das Hedwigsheim in Erfurt-Daberstedt bestimmte, später an den Konvent der Karmeliter zu Ohrdruf gelangten Hedwigsaltar. Das aus Eichenholz gearbeitete Werk mit der Darstellung von Flüchtlingen unter dem Kreuz wurde für die im darauffolgenden Jahr stattfindende Ausstellung "Arte Sacra" in Rom ausgewählt - als einziges Werk übrigens aus der damaligen DDR.
Hildegard Hendrichs avancierte in den1950er und 1960er Jahren zu einer gefragten und vielbeschäftigten Künstlerin im Bereich sakraler Kunst in der damaligen DDR. In Erfurt ansässig arbeitete sie vor allem für die Katholische Kirche und stattete vornehmlich Kirchen und Kapellen des heutigen Bistums Erfurt - der damaligen Apostolischen Administration Erfurt-Meiningen - mit Kunstwerken aus. Allein hier finden sich über 70 Werke von ihrer Hand.
Zusammen mit Künstlern wie Werner Schubert-Deister (Friedrichroda 1921-1991), Rudolf Brückner-Fuhlrott (Weißenfels 1908-1984) oder Joseph Richwien (Lengenfeld/Stein 1912-1992 für das Eichsfeld) prägte sie ganz entscheidend die Ausstattung der katholischen Kirchen Thüringens in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg und dem ersten Jahrzehnt nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil.
1951 schuf sie die figürlichen Holzreliefs zum göttlichen Heils- und Erlösungswerk für das Hauptportal der Kirche St. Cyriacus zu Bernterode (bei Martinfeld). Geprägt noch von den frischen Eindrücken ihrer Passionsmeditation auf dem Monte La Verna entstand im darauffolgenden Jahr der Herz-Jesu- Altar mit einem beeindruckenden Schmerzensmann für die Erfurter Severikirche. 1954 kam ihr als Relief geschnitzter Kreuzigungsretabel für die Kapelle in Weida zur Ausführung. Ihren ersten in Kupfer getriebenen Kreuzweg schuf sie im Jahre 1962 für die Filialkirche St. Marien (Mariä Himmelfahrt) in Bad Blankenburg. Weitere, zumeist in der gleichen Technik gefertigte Kreuzwege folgten (Erfurt, Priesterseminar 1963; Gotha, St. Bonifatius um 1963; Erfurt, Schottenkirche 1964; Heiligenstadt, Raphaelsheim 1965; Krombach, St. Bartholomäus um 1965; Dingelstädt, Marienkirche 1966; Ellrich, St. Bonifatius 1970; Stadtilm, St. Marien 1976; Erfurt, St. Georg 1977; Jena, Luisenheim um 1980?; Heldrungen, Kapelle St. Josef 1989).
Für das Erfurter Priesterseminar malte sie im Jahre 1963 einen auf Holz aufgespannten und dadurch wie ein Flachrelief wirkenden überlebensgroßen Gekreuzigten in Öl auf Leinwand. Das Thema des erlösenden Opfertodes Christi wie auch der Titel des Kreuzbildes: "Frohe Botschaft" stehen in gewisser Weise programmatisch für das Schaffen Hendrichs. Zwischen 1945 und 1990 entstanden zahlreiche weitere Werke von ihrer Hand für katholische Kirchen und Kapellen Thüringens.
Auch wenn sich die Arbeiten der Künstlerin vor allem auf die katholischen Kirchen des heutigen Bistums Erfurt konzentrierten, war sie darüber hinaus auch für andere kirchliche Einrichtungen tätig, so für Kirchen in Bad Düben, Berlin, Dessau, Frankfurt/Oder, Halle, Oranienburg, Magdeburg-Sudenburg oder Sangerhausen. 1952 entstand eine Kreuzigungsgruppe für das Collegium Germanicum in Rom; später eine weitere für das Priesterseminar in Fulda. 1954-56 schuf sie ein großes Wandrelief für das Exerzitienhaus der Franziskaner auf dem Monte La Verna (Italien).
Von wenigen Ausnahmen abgesehen, befinden sich die meisten ihrer o. g. Werke nach wie vor noch in situ und haben ihren Platz und ihre Funktion in den Gotteshäusern, für die sie bestimmt waren.
Zeigen die Werke Hildegard Hendrichs der 1940er Jahre noch eine starke Anlehnung an die äußere Realität des Figürlichen, so intensiviert sie sowohl den körperlichen als auch den seelischen Ausdruck ihrer Figuren später durch abstrahierende Vereinfachung des Gegenständlichen und Betonung insbesondere der Augen und Hände. Hendrichs entwickelte eine expressive Formensprache die oft mit einer Milde und Heiterkeit oder in sich gewandter meditativer Versenkung in der Mimik korreliert. Die meditative Verinnerlichung oder freundliche Offenheit vieler ihrer Figuren ist meist mit einer hageren Körperlichkeit gepaart, insbesondere bei Themen der Passion. Ihre Werke sind von prägnanter Zeichenhaftigkeit: klare Geste z. T. in Kombination mit symbolischen Motiven oder Inschriften bestimmen ihre Darstellungen, die stets Kontakt mit dem Betrachter suchen.
Ihre in der Oberfläche kleinteilig modellierten Holzskulpturen sind oft materialsichtig. Andere wurden partiell mit tönenden Lasuren oder Vergoldungen versehen - entweder aus gestalterischen Gründen, etwa zur Absetzung der Figur vom Hintergrund, oder aus inhaltlichen Ü;berlegungen heraus (z. B. zur Betonung von Augen, Nimben, bestimmter Symbole, Inschriften etc.). Mitunter trägt die gesamte Oberfläche einen transparenten Ü;berzug.
Während die Holz- und Kupferarbeiten der Künstlerin von einer äußersten Zurückhaltung in Bezug auf farbige Fassung gekennzeichnet sind, erscheinen ihre Ölmalereien weitaus farbenfroher. Erdige Inkarnattöne und gebrochene relativ kontrastreiche Farben kennzeichnen ihre Malereien. Mit auf wenige Töne beschränkter Palette sind sie in ähnlicher Binnenstruktur aufgebracht, die auch ihre Schnitzereien oder getriebenen Kupferreliefs aufweisen. Sie sind differenzierend gestupft, gestrichelt, gespachtelt oder gewischt aufgetragen. Rahmende Konturlinien verleihen den Figuren Festigkeit. Letztere stehen meist mehr oder weniger flächig vor einem ohne Raumillusion wiedergegebenen, mehr den seelischen Ausdruck der Figuren unterstützenden Hintergrund. Gewisse Lichteffekte in der Art von Nimben, Gloriolen oder einer Aura tragen nicht unwesentlich zur Vertiefung der Wirkung der Darstellungen bei.
Ähnlich dem Entstehungsprozess historischer Ikonen entstanden viele ihrer Kunstwerke nach bzw. im Zusammenhang mit meditativen Andachten oder Gebet. Zu Andacht und Gebet sollen sie auch anregen - der Interpretationsspielraum der Darstellungen ist dementsprechend offen angelegt.
Geprägt von franziskanischer Passionsfrömmigkeit (Hendrichs war Mitglied des Dritten Ordens der Franziskaner) empfing die Künstlerin durch Christus Trost, Liebe und Zuversicht in allen Dingen - eine Botschaft, die sie auch durch ihre Werke zu vermitteln versucht. Dem franziskanischen Armutsideal folgend, arbeitete sie dabei oft nur für Kost und Logie.
Parallel zu ihrem bildkünstlerischen Schaffen hielt die tief gläubige Katholikin zahlreiche Vorträge in der Art von Bildmeditationen zu ihren Werken. Auf dieser Grundlage verfasste sie schließlich auch eine Reihe von Andachtsblättern und Andachtsbüchlein sowie heitere Melodien und meditative Instrumentalstücke.
Auf Grund ihrer Verdienste wurde die Künstlerin im Jahre 2003 durch den damaligen Erfurter Bischof Joachim Wanke mit der Elisabeth-Medaille des Bistums Erfurt ausgezeichnet.
Ihr Geist lebt nicht zuletzt auch in ihren Werken fort.
6.2.2013