Ostern ist eine Einladung Gottes

Predigt von Bischof Ulrich Neymeyr in der Osternacht am 11. April 2020

Bild: Peter Weidemann; In: Pfarrbriefservice.de

ich möchte gerne ein paar erklärende Worte sagen zur zweiten Lesung, die wir in dieser Osternachtfeier gehört haben, zur Erzählung von der Opferung des Isaak. Das ist wirklich eine entsetzliche Geschichte! Ein jüdischer Midrasch erzählt, dass Sara, die Mutter des Isaak, tot umgefallen ist, nachdem ihr Isaak erzählt hat, dass sein Vater Abraham ihn ums Haar auf dem Berg Morijah geschlachtet hätte. Das könnte durchaus zutreffen, denn im Buch Genesis folgt auf den Bericht von der Opferung des Isaak eine kurze Notiz vom Tod Saras. Jedenfalls können wir das Entsetzen Saras gut verstehen.


Für Abraham war die finstere Weisung des Engels, er solle seinen Sohn Isaak als Brandopfer darbringen, eine Prüfung seines gläubigen Vertrauens auf Gott. In diesem gläubigen Vertrauen war er aus seiner Heimat aufgebrochen mit der Zusage Gottes, er werde Stammvater eines großen Volkes werden. Und so fügte er sich in den grausamen Auftrag des Engels ohne den Versuch zu verhandeln, so wie er um Sodom und Gomorra gefeilscht hatte. Die christliche Tradition begründet von Anfang an dieses eigentlich nicht nachvollziehbare Verhalten des Abraham. Schon im Hebräerbrief des Neuen Testaments heißt es: Abraham „verließ sich darauf, dass Gott sogar die Macht hat, Tote zum Leben zu erwecken“ (Hebr 11,17). Augustinus verweist darauf, dass Abraham von Gott die Zusage hatte, dass seine Nachkommen nach Isaak benannt werden (vgl. Gen 21,12). Augustinus schreibt: „und so zweifelte er nicht, dass er den Sohn, den er schon wider alle Hoffnung hatte entgegennehmen dürfen, nach der Opferung neuerdings werde entgegennehmen können“ (De Civitate Dei 16. Buch Kap. 32; zitiert nach BKV II, Reihe 1, Band 1).


Trotzdem bleibt das Unverständnis darüber, dass der Engel Gottes von Abraham überhaupt gefordert hat, seinen Sohn Isaak zu opfern. Denn nach heutiger Forschungslage ist es unwahrscheinlich, dass es im antiken Israel überhaupt Menschenopfer gab. (s. Chr. Frevel, Art. Menschenopfer, LThK Band 7) An mindestens elf Stellen des Alten Testaments werden Kinderopfer anderer Völker sehr deutlich abgelehnt. Umso unverständlicher bleibt die Forderung des Engels. Allerdings berichtet das Buch Richter davon, dass Jiftach gelobt hatte, was immer ihm aus der Tür seines Hauses entgegenkomme, dem Herrn zu opfern. (Ri 11,29-33) Es war seine einzige Tochter. Bei Jiftach zählt die Treue zu seinem Gelübde, bei Abraham die Treue zu seinem Glauben, die die Muslime in ihrem Opferfest feiern.


In der christlichen Tradition spielen die Frage, warum der Engel das grausame Opfer verlangt, und die Glaubenstreue Abrahams keine große Rolle. Von Anfang an verglichen die Christen das Beinahe-Opfer des Isaak auf dem Berg Morijah mit dem Kreuzestod Jesu auf dem Berg Golgota. Schon der Römerbrief des Apostels Paulus deutet das an: Gott „hat seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle hingegeben“ (Röm 8,32). Was Abraham im letzten Moment erspart blieb, hat Gottvater erlitten, nämlich den Opfertod seines Sohnes. Tertullian schreibt im frühen 3. Jahrhundert: Als Isaak das Holz für sich selber trug, hat er „schon damals die Todesart Christi angezeigt, der auch von seinem Vater zum Schlachtopfer hingegeben wurde und das Holz seines Leidens schleppte“ (Adversus Marcionem 3. Buch, Kap. 18; zitiert nach BKV II, Reihe 9, Band 1). Jesus wird mit Isaak verglichen. Häufig wird Jesus auch mit dem Widder verglichen, der anstelle Isaaks als Brandopfer dargebracht wurde. In einer Miniatur, einem kleinen Bild des Ingeborg-Psalters aus dem 13. Jahrhundert, trägt Isaak das Brandholz in Form eines Kreuzes, zugleich hat der Widder sich in einem kreuzförmigen Baum verfangen.


Beim Vergleichen wird auch das Unterschiedliche deutlich: Jesus hätte dem Kreuzestod auch entgehen können. Bei seiner Verhaftung fragte er Petrus: „Glaubst du nicht, mein Vater würde mir sogleich mehr als zwölf Legionen Engel schicken, wenn ich ihn darum bitte?“ (Mt 26,53) Grundlegend unterschiedlich ist das Verständnis des Opfers: Abraham war bereit, seinen Sohn zu opfern als Zeichen dafür, wie wichtig ihm Gott ist. Jesus dagegen opferte sich selbst als Zeichen dafür, wie wichtig ihm die Menschen sind. Denn Jesus erlitt das Schicksal eines Verbrechers, um uns in unseren Sünden und Verbrechen eine Chance zu geben. Er, der aus der Welt Gottes kam, begab sich in die Abgründe der Menschen, um uns ein Heilsangebot zu machen.


Die Geschichte von der Opferung Isaaks hat uns noch einmal die ganze Dramatik des Karfreitags erfahren lassen, bevor wir mit dem Gesang des Gloria und des Halleluja die Feier der Auferstehung Christi begonnen haben.

Ostern ist viel mehr als nur ein happy end für Jesus. Es ist das Angebot, mit Gott versöhnt zu leben, trotz unserer Schuld, unserer Sünden und Verbrechen, weil Jesus „sich unter die Verbrecher rechnen ließ“ (Jes 53,12).

Ostern ist die Einladung Gottes zu einem neuen Leben. In der Epistel aus dem Römerbrief haben wir gehört: „Wir alle, die wir auf Christus Jesus getauft wurden, sind auf seinen Tod getauft worden. Wir wurden mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod; und wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, so sollen auch wir als neue Menschen leben.“ (Röm 6,4)