Predigttext: Lk 19,1-10 (Jesus und der
Zöllner Zachäus)
Zachäus ist
zunächst eine Randfigur der Evangelien. Von dem Oberzöllner Zachäus ist ohnehin
nur im Evangelium des Lukas die Rede, ganz abgesehen, dass im Alten Testament
an einer einzigen Stelle der Name Zachäus vorkommt (vgl. 2 Makk 10,19). Der
Evangelist Lukas beschreibt ihn ausführlicher. Er wohnte in Jericho, durch das
Jesus ging. Zachäus war der oberste Zollpächter, Steuereinnehmer, er war ein
reicher Mann. Die Zöllner waren beim Volk verhasst, weil sie als Pächter für
die römische Besatzungsmacht die indirekten Abgaben (Zölle) eintrieben. Dabei
gingen sie oft rücksichtslos und richtig erpresserisch vor, weil sie sich das
den Römern im Voraus entrichtete Geld ohne große Hemmungen zurückholten. Lukas
verwendet im Mund des Zachäus dafür ein kräftiges Wort und spricht regelrecht
von "Abpressen" (19,8). So werden den Zöllnern allgemein Habgier und
ungerechte Geschäftspraktiken zugeschrieben (vgl. 3,12f.). Sie sind deshalb
verhasst und werden verachtet. Außerdem gelten die Zöllner wegen ihres
Kontaktes mit den Heiden besonders den Pharisäern als unrein und somit als
Sünder. Der Oberzöllner Zachäus hatte möglicherweise mehrere Zollstellen
gepachtet und war dadurch zu seinem besonderen Reichtum gekommen. So entsteht
ein großer Zwiespalt: Er ist ein reicher Mann und hat eine gute Stellung, aber
er gehört zu den sozial Deklassierten. Ein gesetzestreuer Jude gibt sich nicht
mit einem Zöllner ab. Dieser Zwiespalt ist im Evangelium wichtig.
Dieser Zachäus
hat von Jesus gehört. Er möchte ihn dringend sehen. Dieses Interesse ist
vielleicht zu einem guten Teil von Neugier bestimmt. Aber dafür nimmt er manche
Mühen in Kauf, um Jesus zu Gesicht zu bekommen. Irgendetwas treibt ihn doch
herum, "wer (denn) dieser Jesus sei" (3). So etwas wie eine innere
Sehnsucht treibt ihn irgendwo an. Die vielen Menschen lassen ihm keinen Platz
und versperren ihm die Sicht, "denn er war klein" (3). Zachäus ist
jedoch erfinderisch. Er läuft dem Zug voraus. In der Zeit, die er dadurch
gewonnen hat, steigt er auf einen relativ bequem zu erkletternden
Maulbeerfeigenbaum, "um Jesus zu sehen, der dort vorbeikommen musste"
(4). Es ist ein geschickter Schachzug, denn in den Zweigen des Baumes kann sich
Zachäus gut verstecken. Er selber sieht gut, kann sich aber auch in den Ästen
etwas verbergen. So bleibt er auch in einer gewissen Distanz.
Da dreht sich die
ganze Geschichte (5). Zachäus sucht aus welchen Motiven immer Jesus. Aber nun
entdeckt Jesus Zachäus auf dem Baum und ruft ihn an. Deshalb spricht man mit
Recht von dieser Erzählung als einer "Suchgeschichte": Zachäus sucht
Jesus, aber Jesus sucht auch Zachäus. Jesus hat ihn wirklich als konkreten
einzelnen Menschen im Blick. Deshalb ruft er ihn mit seinem Namen an. Jesus
holt Zachäus aus seinem Versteck im Baum und lädt sich selbst bei ihm zu Gaste:
"Zachäus, komm schnell herunter! Denn ich muss heute in deinem Haus zu Gast
sein." (5) Jesus hat sich auch sonst im Unterschied zum Verhalten vieler
Menschen von Zöllnern zum Mahl einladen lassen (vgl. 5,27-32; 15,2). Gott hat
auch die Zöllner nicht abgeschrieben. Die Tischgemeinschaft deutet schon an,
dass auch sie zur Gemeinschaft mit Gott gerufen sind. Dies wird noch deutlicher
werden.
In der Erzählung
ist nun die Reaktion der Menschen wichtig. Dabei geht es nicht nur um die
Kritik weniger oder einer Gruppe, wie der Pharisäer. Mehrfach ist von einer "Menschenmenge"
(3), ja von "den Leuten" (7), d.h. von allen die Rede. Sie empörten
sich und murrten: "Er ist bei einem Sünder eingekehrt:" (7) Sie
stehen unübersehbar mit Protest zwischen dem Zöllner und Jesus.
Nun geht alles
sehr schnell. Jesus sagt: Zachäus komm schnell
herunter! Unmittelbar danach heißt es: "Da stieg er schnell herunter und nahm Jesus freudig bei sich auf." Zachäus
achtet nicht auf das Gerede der Leute. Auch Jesus lässt sich durch das Urteil
der Menge nicht von seinem Vorhaben abbringen, selbst wenn er sich den Unwillen
der Leute zuzieht. Jesus weist die Härte der Menschen ab. Hinter dem raschen
Handeln beider steht so etwas wie ein höheres Drängen, fast schon ein
göttlicher Ansporn zum baldigen Handeln. Ohne Umschweife kehrt Zachäus von
seinem bisherigen Weg um. Rasch erklärt er Jesus, dass er sich seiner ethischen
Verantwortung bewusst ist: "Herr - er nennt ihn also ganz bewusst ‚Kyrios‘
-, die Hälfte meines Vermögens will ich den Armen geben, und wenn ich von
jemand zu viel gefordert habe, gebe ich ihm das Vierfache zurück." (8)
Jetzt wird diese
Geschichte in einzigartiger Weise geradezu spannend. Zachäus wird ja kein
Jünger, wie andere, die alles aufgeben und ihm nachfolgen. Er behält
offensichtlich auch sein Eigentum, selbst wenn er zum Teilen bereit ist. Der
Wunsch des Zachäus, Jesus zu sehen, wird mehr als erfüllt. Es ist von Freude
die Rede. Er findet zu tatkräftiger Umkehr. Zachäus wird durch Jesus Rettung
zuteil: "Heute ist diesem Haus das Heil geschenkt worden, weil auch dieser
Mann ein Sohn Abrahams ist." (9) Kurz vorher hatte Jesus ja noch einem der
führenden Männer gesagt, er solle alles verkaufen. Dieser war auch sehr reich.
Dazu Jesus: "Wie schwer ist es für Menschen, die viel besitzen, in das
Reich Gottes zu kommen!" (18,24) Und die Leute sagten: "Wer kann dann
noch gerettet werden?" (18,26). Aber Jesus bleibt im Blick auf Zachäus bei
seinem Wort: "Heute ist diesem Haus das Heil geschenkt worden." (9) Heute - jetzt ist es real möglich.
Zachäus steht
hier nicht allein. Dies gilt gerade heute. Es gibt viele Suchende, Zweifelnde,
Abständige, Distanzierte, ja vielleicht sogar solche, die sich für Atheisten
halten. Wir haben oft ein fertiges Urteil über sie. Jesus verurteilt sie nicht.
Er lässt sie suchen. Er entdeckt sie, auch wenn sie sich verstecken. Ihre
Wahrheit ist mit dem, wie sie sich selbst bisher einschätzen und wofür sie von
anderen gehalten werden, noch nicht zu Ende. Gott hat Zeit mit uns Menschen. Er
hat viel mehr Geduld, als wir ahnen. Der Weg kann weit sein. Niemand ist ganz
verloren. Auch Hindernisse lassen sich überwinden: Zachäus muss auf einen Baum
steigen; er ist in seiner kleinen Gestalt benachteiligt; die Menschen murren.
Aber da ist einer, der alle sucht, der für den Einzelnen - gerade wenn er von
anderen verachtet wird - Zeit hat. Mit ihm kann man ein neues Leben beginnen,
auch wenn es belastet ist. Auch die Heiden im Vorhof des Tempels haben eine
Chance. Es ist wie im Gleichnis vom verlorenen Sohn, wo der Vater sagt: "Denn
mein Sohn war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wiedergefunden
worden." (vgl. 15,24.32)
Man hat diese
Erzählung, die vieles aus dem Lukasevangelium zu einem Höhepunkt bringt, das "Evangelium
der Ausgestoßenen" genannt (vgl. auch 5,27-32). Es wird durch den
programmatischen Satz Jesu am Ende der Erzählung auf einen Höhepunkt gebracht: "Denn der Menschensohn ist gekommen, um zu
suchen und zu retten, was verloren ist." (10; vgl. 5,32; Mt 9,13; Mk
2,17) So können wir auch verstehen, warum diese für den ersten Anschein
nebensächliche Randfigur Zachäus eine große Rolle spielen kann und dass er in
der christlichen Bildgeschichte auf den Sakrophagen, den Evangeliaren und auch
in Fresken oft dargestellt worden ist. Luther sieht in ihm den Menschen als "simul
iustus et peccator", als gerecht und Sünder zugleich.
Dieses Evangelium
entspricht in ganz besonderer Weise dem Leben und Wirken des Bischofs Joachim
Wanke. Als Schüler und Nachfolger des großen Exegeten Heinrich Schürmann hat er
sich in der Schriftauslegung besonders dem Lukasevangelium gewidmet, aber auch
sein gesamter pastoraler Einsatz ist von dieser Haltung des Guten Hirten
geprägt. Er wusste dieses Evangelium ganz besonders unter den Bedingungen des
kirchlichen Lebens in kommunistischer Zeit zu verkündigen und auszulegen. Dabei
hat die recht verstandene missionarische Perspektive im Sinne einer Einladung
an alle einen zentralen Ort inne. Dies hat er nach der deutschen Einigung immer
wieder auch in unsere nun gesamtdeutsche Bischofskonferenz eingebracht,
besonders als langjähriger Vorsitzender der Pastoralkommission. So wollen wir
Bischof Dr. Joachim Wanke für den über 30 Jahre währenden Dienst als ein
Bischof, der in diesem Sinne das Evangelium Jesu Christi verkündete, ein
herzliches Vergelt´s Gott sagen und für die Zukunft Gottes Segen erbitten. Amen.
Predigt gehalten im
Wortgottesdienst beim Elisabethempfang am 20.11.2012 im Rahmen der politischen
und gesellschaftlichen Öffentlichkeit des Freistaates Thüringen anlässlich der Verabschiedung
von Bischof Dr. Joachim Wanke in St. Nicolai und Jacobi (Schottenkirche), Erfurt.
Die in Klammern gesetzten
Zahlen beziehen sich auf die jeweiligen Verse im o.g. Predigttext.
20.11.2012