Meine lieben Schwestern und Brüder im Herrn,
an Heiligabend spielt der Engel eine wichtige Rolle: Er verkündet die Weihnachtsbotschaft: „Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren. Er ist der Christus, der Herr.“ (Lukas 1,11). Bei den unendlich vielen Krippendarstellungen, die es gibt, darf der Engel nicht fehlen und er wird sogar noch unterstützt: „Und plötzlich war bei dem Engel ein großes himmlisches Heer, das Gott lobte und sprach: Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden den Menschen seines Wohlgefallens.“ (Lukas 1,13-14). An Heiligabend können wir das gut hören, ja wir freuen uns darüber, dass die Weihnachtsbotschaft nicht in nüchternem Gewand daherkommt, sondern in einer feierlichen Erscheinung auf den Feldern von Bethlehem.
Bei Tag betrachtet werden manche vielleicht dann doch skeptisch. Passen Engel noch zu unserem heutigen Weltbild? Können wir uns eine dreigeschossige Wirklichkeit vorstellen, in der ganz oben die göttliche Dreifaltigkeit ruht, unten auf der Erde wir Menschen und dazwischen die unzähligen Engel. Für die meisten Christinnen und Christen spielen Engel in ihrem persönlichen Glaubensleben kaum eine Rolle.
Im Gegensatz dazu begegnen uns Engeldarstellungen im Alltag ständig, nicht nur in Kirchen oder auf Weihnachtsmärkten, sondern auch anderswo. Auf Friedhöfen gibt es viele kleine Engel, auch wenn die Menschen, die sie dorthin gestellt haben, keine gläubigen Christen sind; gelbe Engel helfen im Straßenverkehr, blaue Engel weisen auf umweltschonende Produkte hin. In Engelberg in der Schweiz war ich einmal in einem großen Geschäft, das ausschließlich Literatur und Darstellungen von Engeln anbietet. Die Auswahl ist nahezu unüberschaubar. Man könnte den Eindruck haben, Engel sind zwar rational abgeschafft, aber emotional in Mode.
Da ist es durchaus sinnvoll zu fragen, was hat es eigentlich mit dem Engel auf sich, der den Hirten über den Feldern von Bethlehem erschien? Zunächst einmal werden Engel definiert als körperlose Geistwesen, also als Wesen, die - wie wir Menschen auch - geistbegabt sind, aber keine Körper haben, also weder an Raum und Zeit gebunden noch normalerweise sichtbar sind. Der Glaube an die Existenz solcher Wesen gehört nicht zum Zentrum des christlichen Glaubens. Die Bibel geht aber wie selbstverständlich davon aus, dass es Engel gibt. Der Begriff, den die Bibel für diese personalen Geistwesen verwendet, ist sowohl im Hebräischen wie im Griechischen und Lateinischen das Wort für ´Gesandter´ oder ´Bote´. Die Engel sind Bindeglieder zwischen der Welt des Dreifaltigen Gottes und der Welt der Menschen, indem sie den Menschen Offenbarungen aus der Welt Gottes mitteilen oder auch für den Schutz und die Behütung stehen, die die Liebe Gottes uns Menschen gibt. Es gibt drei namentlich bekannte Engel: die Erzengel Michael, Gabriel und Raphael und „Heerscharen“ anderer Engel, wie sie im Weihnachtsevangelium erwähnt werden.
Auch wenn man sich auf den biblischen Engelglauben nicht einlassen will, ist es immer wieder fruchtbar, darüber nachzudenken, was im Weihnachtsevangelium des Lukas´ aus der Welt Gottes in die Menschenwelt tönt: „Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren, er ist der Christus, der Herr. Und das soll euch als Zeichen dienen, ihr werdet ein Kind finden, das in Windeln gewickelt in einer Krippe liegt.“ (Lukas 1,11-12). Den Hirten wird geoffenbart, dass in der Stadt Bethlehem ein ungeheures Ereignis stattgefunden hat. Er ist nicht nur der Retter, der Israel und die Menschen befreien wird, er ist auch nicht nur der ersehnte Christus, der Messias, sondern er ist der Herr. Er ist Gott selbst, der Schöpfer des Himmels und der Erde. Er ist in Bethlehem geboren. Dieser Steigerung nach oben - der Retter, der Christus, der Herr - folgt die Steigerung nach unten: ein Kind, das in Windeln gewickelt in einer Krippe liegt. Es ist ja schon erstaunlich, dass der Retter, der Christus, der Herr, als Kind erscheint. Dass aber noch daraufhin gewiesen wird, dass dieses Kind in Windeln gewickelt werden muss und nicht in einem warmen Bettchen, sondern in einer Holzkrippe liegt, zeigt die Tiefe des Glaubenssatzes an die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus. „Sehet dies Wunder, wie tief sich der Höchste hier beuget.“ (GL 251,3), heißt es in einem Weihnachtslied.
Neben dem Engel, der die Weihnachtsbotschaft von der Menschwerdung Gottes verkündet, offenbaren die himmlischen Heerscharen, was ihre Berufung als geistbegabte Wesen ist: Die erste Berufung für geistbegabte Wesen, gleich ob sie Engel oder Menschen sind, drückt sich im Gotteslob aus: „Ehre sei Gott in der Höhe“ (Lukas 2,14). Es ist geistbegabten Wesen gegeben, die Wirklichkeit Gottes zu erspüren und angesichts dieser Wirklichkeit das Lob Gottes anzustimmen. Es ist nicht das Lob einer überwältigenden Erscheinung, eines großartigen Prinzips oder einer unvorstellbaren Kraft, sondern es ist das Lob einer Person. Engel und Menschen loben den dreifaltigen Gott von Person zu Person. Dies ist die tiefste Ermöglichung für das Folgende: „Frieden auf Erde den Menschen seines Wohlgefallens“ (Lukas 2,14). Menschen wie Engel, die sich dem Lob Gottes in der Dreieinigkeit der drei göttlichen Personen zuwenden, entdecken dabei die Größe und Würde einer jeden Person und erfahren einen Auftrag zum Schutz der Würde einer jeden Person und zum Gelingen der Beziehungen mit anderen Personen trotz aller gegenläufigen Missverständnisse, Abneigungen und Verletzungen. Das himmlische Heer tönt die Botschaft in die Welt hinaus und in die Herzen derer, die sie hören.
Wir machen uns nicht nur an Weihnachten diese Botschaft zu eigen, sondern jedes Mal, wenn wir in der Heiligen Messe das Gloria singen und in den Gesang der Engel einstimmen: „Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden den Menschen seines Wohlgefallens.“ (Lukas 1,14).

