"Das wage ich!"

Predigt von Bischof Joachim Wanke bei der Frauenwallfahrt zum Kerbschen Berg


Predigt von Bischof Wanke bei der Frauenwallfahrt zum Kerbschen Berg

Liebe Wallfahrerinnen!


Schnell begeistert und voller Ungestüm war er schon, Petrus, der erste der Apostel. Das prägt sein Bild in den Berichten der Evangelien. Einmal zog er sogar das Schwert, um Jesus zu verteidigen - aber so ganz konsequent war er dann doch nicht. Als es nach Jerusalem gehen sollte, hat er Jesus versucht davon abzuhalten. Und als es bei der Gefangennahme Jesu hart auf hart kam, hat er Jesus verleugnet, was er dann bitter bereute. Petrus musste sehr mühsam lernen, dass Jesus einen anderen Weg gehen wollte, als Menschen ihn im Sinne haben.


Der Bericht des heutigen Evangeliums passt genau zu diesem Petrusbild der Heiligen Schrift. Sobald Petrus sich sicher ist, dass Jesus am Ufer des Sees steht, will er sofort in seiner Nähe sein. "Befiehl, dass ich auf dem Wasser zu dir komme!" Befiehl, was eigentlich unmöglich ist - auf dem Wasser zu gehen. So groß ist sein Vertrauen - aber so gewaltig auch sein Schrecken, als er merkt: Ich gehe unter.


Was mag Jesus bewogen haben, gerade diesen Hitzkopf, diesen ungestümen Petrus als Felsenmann seiner Kirche zu berufen? Seine Unausgeglichenheit und manchmal unüberlegte Spontaneität waren offensichtlich für Jesus kein Hindernis, auf ihn zu setzen. Jesus hat ihn noch nicht einmal gefragt, ob er seine Fehler und Schwächen, seine Angst und seinen Kleinglauben (vielleicht bei einem Psychologen) gut aufgearbeitet hat. Nein. Nur danach hat er ihn gefragt: "Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich?"


Die Liebe, der Glaube des Petrus an Jesus war das entscheidende Kriterium für den Herrn, um gerade ihn, den scheinbar so Ungeeigneten, zu berufen. Darauf hat Jesus gebaut, darauf hat er seine Hoffnung gerichtet - und das hat Petrus gespürt: Mir wird etwas zugetraut. Darum wage ich JA und AMEN zu sagen. Und das hat dann Petrus auch getan - mit seinem ganzen Leben, bis zum Tod.



"Worauf Gott seine Hoffnung setzt, dass wage ich!"


Dieses Thema hat der Vorbereitungskreis der Frauen für den heutigen Tag formuliert. Dieser Satz bringt uns sofort in die Mitte unseres Christseins. Was wir sind und wagen, haben wir nicht allein aus uns selbst. Uns wird etwas zugetraut - nicht nur von Menschen, sondern von Gott! Weil ER auf mich setzt, wage ich aus dem sicheren Boot zu steigen und über das "Meer" meines Lebens IHM entgegenzugehen.


Auf dem Altarhintergrund haben wir die vielen Gesichter vor uns. Es sind Gesichter von Frauen, Mädchen und Kindern aus unserem Bistum. Jedes Gesicht - ein konkreter Mensch. Jedes Gesicht - eine konkrete Biographie. Bei jedem wiederholt sich dieser Vorgang der Berufung durch den Herrn. Wir sind gefragt, nicht weil wir gut sind, sondern weil er uns etwas zutraut.

Diese Perspektive - so meine ich - kann unser Christsein von Grund auf verändern: weg von einem Angstchristentum, hin zu einem Vertrauenschristentum.


Wir können das noch ein wenig näher entfalten, wenn wir bedenken, was Paulus dem ängstlich und vielleicht auch ein wenig müde gewordenen Bischof Timotheus ins Gedächtnis ruft:

"Entfache die Gnade Gottes wieder, die dir durch die Auflegung meiner Hände zuteil geworden ist!" Und dann heißt es: "Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit."



1.

Man muss den Klang der Worte im Griechischen mithören. Mit Kraft hat Gott uns ausgestattet. Mit Dynamis. Im Wort Dynamit, Inbegriff von Kraft und Energie, steckt das gleiche griechische Wort. In jedem Menschen gibt es Lebenskraft, die freilich unterschiedlich entfaltet, manchmal auch schwach geworden oder gar ganz abgestorben ist.

Bei Kindern, bei jungen Menschen merkt man, was Lebensdynamis ist. Wenn Kinder zu Laufen beginnen und ihre Umwelt entdecken, da ist keine Schranktür und keine Steckdose vor ihrer Neugier sicher.

Und wenn das Lernalter einsetzt und die Freude, etwas zu begreifen, etwas zu können, etwas anzustellen: Ich bin immer froh, dass Eltern meist noch jung und strapazierfähig genug sind, um die Quecksilbrigkeit und Lebendigkeit ihrer Sprösslinge auszuhalten. Ich selbst müsste schon bald die Waffen strecken!

Oder denken wir, wie energisch Menschen Ziele verfolgen können, mit Einsatz und Phantasie, mit Mut und Zähigkeit, wie sie gleichsam an Aufgaben wachsen und reifen - große Wissenschaftler, Erzieher, Politiker, Seelsorger, Frauen und Männer in vielen Bereichen des Lebens.


Mit dieser Dynamis hat Gott uns ausgestattet, aber eben nicht nur mit einer natürlichen Kraft, sondern mit der Kraft seines Geistes. In Taufe und Firmung ist uns diese Dynamis von oben geschenkt worden, die uns fähig macht, diese Welt und ihre Herausforderungen zu meistern und das große Ziel unserer Erdenjahre anzustreben: einmal ganz bei Gott anzukommen. Wenn wir beten, wenn wir unser Herz dem Wort Gottes öffnen, wenn wir die heilige Messe mitfeiern und die Sakramente empfangen - da erneuert sich diese Kraft von oben. Darum lädt die Kirche ein, immer wieder die Begegnung mit Gott zu suchen, um diese Kraft nicht verkümmern zu lassen. Zu Ostern haben wir soeben unsere Taufe erneuert. Pfingsten ist eine Einladung, uns auf unsere Firmung zu besinnen. Ein Eheversprechen, ein Ordensgelübde, die Weihegnade des Priestertums - das alles bleibt nur dann lebendig, wenn ich immer wieder neu dazu stehe. Jede Gabe, auch Gottes Gaben sind keine Ruhekissen, sondern Einladungen, daraus etwas zu machen.


Darauf baut Gott. Wir sind von ihm mit Kraft, mit Dynamis ausgestattet. Er traut uns zu, dass wir sie einsetzen und immer neu aktivieren - darum können wir unser Leben, unser Christsein wagen.



2.

Und er hat uns den Geist der Liebe gegeben. Da steht das griechische Wort Agape. Damit ist in der Heilige Schrift nicht die rein menschliche Liebe gemeint, der Eros, um dessen Schönheit und Macht die Bibel durchaus auch weiß. Der Apostel erinnert uns an jene Agape-Liebe, die - wie Paulus einmal schön formuliert hat - "Gott in unsere Herzen ausgegossen hat durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist" (vgl. Röm 5,5).


Dass wir geliebt werden, bringt uns in Bewegung. Nicht nur an Nahrungsmangel und fehlender Pflege können Säuglinge sterben. Kinder können an fehlender Liebe zugrunde gehen -Jugendliche auf die schiefe Bahn kommen, weil ihnen die Geborgenheit und Wärme einer guten Familie fehlt.


Diese urmenschlichen Erfahrungen lassen sich auf unser Verhältnis zu Gott übertragen. Gott ist an uns interessiert, so wie einer lebendiges Interesse hat am Weg seiner Kinder, am Wohlergehen der Familie, am Geschick der Freunde. Wir sind Gott nicht gleichgültig, etwa nach dem Motto: "Wenn?s schief geht, ist es auch nicht schlimm: Da gibt?s ja Ersatz ...!"


Nein. Jeder Mensch ist in den Augen Gottes einmalig. Das mag angesichts der Milliarden von Menschen unglaublich klingen. Aber wir reden hier ja nicht von einem Computer, der Daten speichert, sondern von dem lebendigen Gott, der Himmel und Erde erschaffen hat! Er hat auch mich erschaffen, so wie ich bin - und seine unergründliche Liebe meint mich, ganz persönlich.

Ich bekenne: Dieses Glaubenswissen trägt mich. Darauf berufe ich mich, jeden Morgen neu. Und darum wage ich immer neu das zu tun, was mir heute aufgetragen ist, auch wenn es sehr alltäglich ist und keiner mir dauernd Danke sagt. Ich wage es, weil er es mit mir wagt!



3.

Und dann lesen wir ein merkwürdiges Wort. Gott hat uns geschenkt den Geist der ... - ja, wie soll man dieses Wort übersetzen: sophronismos? Wörtlich: den Geist des Weise-Denkens. Meist wird übersetzt: der Besonnenheit. Aber damit ist nicht gemeint eine Zurückhaltung, die überhaupt nichts wagt, weil damit ja ein Risiko verbunden sein könnte. In der Tat: Wenn man tiefes Wasser meidet, kann man nicht ertrinken. Und wer ein JA-Wort fürs Leben verweigert, der geht kein Scheidungsrisiko ein.


Nein, das wäre ein fataler Geist von Risiko-Feigheit, der nichts gewinnen kann, weil er nichts wagt. Besonnenheit meint hier etwas anderes: Sie meint die Lebensklugheit, die weiß, wie hoch im Leben normalerweise die Bäume wachsen. Sie meint die Fähigkeit, die mit den eigenen Kräften rechnet und mit ihnen haushält. Sie meint die Voraussicht, die aus Erfahrung weiß, welche Folgen bei diesem oder jenem Verhalten sich im Normalfall einstellen.


Auf diese Lebensklugheit baut Gott, auf diesen Geist der rechten Selbsteinschätzung und Durchsicht, der eine kostbare Gabe Gottes ist und nicht von den Jahren abhängt, die einer die Schulbank gedrückt hat. Ich kenne manche Akademiker, denen diese Besonnenheit fehlt, und manche einfache Menschen, von denen Hochgebildete diesbezüglich manches lernen könnten.


Ich möchte euch Mut zusprechen, eure wahren Begabungen zu erkennen, eure Charismen, wie die Schrift sagt. In unserer Mitte gibt es einen wahren Schatz an Gaben der Besonnenheit, der Weisheit, der Lebensklugheit, der nicht vergraben bleiben darf. Sie sind Gaben nicht nur für dich allein! Besinnt euch auf diese Gaben, wenn ihr angefragt seid, eine Aufgabe, eine Verantwortung zu übernehmen, in der Nachbarschaft, in einer Verbandsgruppe, in der Kommune, in der Pfarrgemeinde. Eure Lebenserfahrung, euer Gespür für das jetzt Richtige und Angemessene, eure Fähigkeit, die Folgen abzuschätzen - auch was passiert, wenn nichts passiert! - all das und noch viel mehr ist in diesem Wort enthalten: Besonnenheit, Klugheit, die aus christlicher Lebenserfahrung und aus der Kraft des Glaubens erwächst, die Gott verleiht.


Ich möchte ausdrücklich auch auf das hinweisen, was oft nicht so im Rampenlicht des öffentlichen Interesses steht:

die alltäglich, wiederholten Dienste, etwa als Lektorin, beim Blumenschmuck in der Kirche, als Kommunionhelferin, als Rendantin, das Mittun in einer Verbandsgruppe, als Mitglied im Gemeinderat, sei es in der Pfarrei oder in der Kommune;

oder ich denke an die einfachen wiederholten Hilfen, ohne die z. B. die alten Nachbarn nicht zurechtkämen,

ich denke an den Einsatz im Kreis der Elisabethfrauen, die an die Kranken und Alleinstehenden im Ort denken und sie besuchen. Noch vieles andere wäre hier aufzuzählen!


Und wenn du meinst: Was ist das schon Besonderes? Dann frage dich: Wer wird des täglichen Brotes überdrüssig? Oder wer möchte das wiederholte Durchatmen vermissen? Mit unrealistischen Phantasten, mit Leuten, die von großen Dingen nur reden, und bei kleinen Dingen kneifen, kann Gott keine menschliche Welt bauen - und auch keine Kirche, die zukunftsfähig ist. Der Herr baut auf unsere auch ganz alltäglichen Gaben, mit Selbstbewusstsein eingesetzt und in Treue durchgetragen, im Großen wie im Kleinen.


Liebe Wallfahrerinnen!

Damit rechnet Gott: mit dem Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit - und von jedem hat er uns eine hinreichende Portion mitgeteilt. Ich kann nur immer wieder staunen, was ich in den Gemeinden unseres Bistums erlebe und mitbekomme. Das vergangene Elisabethjahr mit seinen vielen Initiativen und Projekten hat mir bestätigt, wie reich die Gaben und Fähigkeiten unter uns von Gott verteilt sind.



Doch möchte ich auch diese Erfahrung des Petrus ansprechen: "Als er sah, wie heftig der Wind war, bekam er Angst und begann unterzugehen. Er schrie: Herr, rette mich!"


Auch das gehört zu unserem Leben, auch zu meinem Leben: Die Stunden der Verzagtheit und der Angst. Wir sollen uns das nicht wegreden. Mancher Mensch ist schwer belastet - und da hilft auch nicht das Kleinreden der Probleme. Aber was hilft, ist das, was Petrus tut: Er schreit zum Herrn. Er verschließt seine Not nicht im eigenen Innern, sondern er ruft sie hinaus, er trägt sie hin vor den Gott, der auch mich kennt und sieht - und der nicht will, dass ich über meine Kräfte erprobt werde. Suche gerade in solchen Ölbergstunden dich Jesus zuzugesellen, dem nicht fremd ist, was du gerade erfährst.


Und uns allen gebe Gott die Aufmerksamkeit des Herzens, solchen Mitmenschen in Herzens- und Leibesnot hilfreich nahe zu sein, manchmal nur, um mitzuleiden und wortlos mit auszuhalten, was auch wir nicht ändern können.


"Jesus streckte sofort die Hand aus, ergriff sie und sagte zu Petrus: Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?" Wir können nicht bestimmen, wann wir diese Worte hören dürfen. Aber da steht im Evangelium: "Sofort". Und darauf sollten wir uns im Gebet berufen.



Liebe Wallfahrerinnen!

Worauf der Bischof seine Hoffnung setzt - das stand als Frage auf dem Vorbereitungsblatt der Frauengruppe für meine heutige Predigt. Was soll ich auf diese Frage antworten? Dass der Heilige Vater ins Eichsfeld kommt? Dazu habe ich am Donnerstag den Männern das Notwendige gesagt. Lasst es euch von ihnen berichten. Nein, nicht der Papstbesuch wird die Probleme lösen, die vor uns liegen, noch sonst ein geschicktes Organisieren, Strukturieren und etappenweises "Anpassen kirchlicher Kleider" an veränderte Zeiten. So sehr das alles auch sein muss!


Ich möchte an diesem Tag auch euch Frauen, wie den Männern am Himmelfahrtstag, danken, dass ihr mit den veränderten Verhältnissen in den größer gewordenen Pfarreien mit ihren Filialgemeinden nicht hadert, sondern das Beste daraus zu machen sucht. Ihr wisst um die Probleme, die der Bischof hat. Helft weiter mit, die vielen Möglichkeiten des religiösen Lebens, die gerade auch hier im Eichsfeld bestehen, zu nutzen und zu erhalten. Es ist besser, ein Licht anzuzünden - auch wenn?s nur ein kleines ist -, als über die Dunkelheit zu jammern.


Und da bin ich bei dem, was mir als Bischof Hoffnung gibt.

Seht noch einmal auf die Gesichter hinten an der Altarwand. Jedes Gesicht ist anders - und doch sind alle verbunden im Glauben an den Herrn. Ich sehe euch hier vor mir - in eurer Unterschiedlichkeit, und doch als eine Gemeinde im gemeinsamen Lobpreis Gottes um den Altar versammelt. Das ist meine Hoffnung: die vielen Frauen und Männer in den Gemeinden, Verbänden, Bewegungen, die Helferinnen und Helfer in Seelsorge und Caritas, die Kirche vor Ort mitbauen, mitgestalten und ihr das eigene Gesicht geben.


Gott hat unseren Vorfahren in weitaus dunkleren Zeiten zugetraut, am Glauben und Gottvertrauen festzuhalten. Warum sollten wir es nicht auch heute können?


Maria, die Mutter des Herrn, sagt den ratlosen Dienern, als diese merkten, dass der Wein ausging: "Was er euch sagt, das tut!" Sie verweist auf den Herrn. Und dies gilt auch uns heute, die wir so ängstlich fragen, wie alles weitergehen kann. Schauen wir auf Jesus! Nehmen wir uns Petrus zum Vorbild, der im Untergehen gehalten wurde. Sagen wir wie er zu Jesus: "Herr, du weißt alles, du weißt auch, dass ich dich liebe!" Auf solchen Menschen kann der Herr auch in Zukunft seine Kirche bauen. Amen.



Gehalten am 4. Mai 2008

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