Das Bonifatius-Fenster (Detail)
der Pfarrkirche in Gotha
...könnten sie so manches über "St. Bonifatius" in Gotha erzählen...
Mitteilung der Pfarrgemeinde St. Bonifatius, Gotha:*
Wenn Steine reden könnten, dann würden die Steine der katholischen Pfarrkirche über das, was sie in den vergangenen 150 Jahren gesehen und gehört haben, so manche spannende, bedenkenswerte, mutmachende und vielleicht auch für uns unverständliche Geschichte erzählen.
Spannend wäre mit Sicherheit die Geschichte über die Vorarbeiten, die Planungen und den Beginn des Bauens. Bischof Dr. Joachim Wanke schreibt in seinem Grußwort zum Jubiläum: "Es ist ungewöhnlich, dass schon im Jahre 1856 der Bau einer katholischen Pfarrkirche in einer vom reformatorischen Bekenntnis geprägten Residenzstadt Thüringens möglich war." Mutmachend ist das Engagement der damals kleinen Gemeinde, die finanziellen Belastungen und organisatorischen Aufgaben zu schultern.
Bedenkenswert ist die "bewegte Geschichte unserer Stadt und unseres Volkes in den vergangenen 150 Jahren mit ihren Irrungen und Wirren, mit den Aufbrüchen und Hoffnungen", von denen Superintendent Klaus-Ulrich Maneck in seinem Grußwort spricht.
Unverständlich für uns heute ist so manche Begebenheit wie "die Begeisterung eines Teils der Männer, die in den Krieg zogen", von der Pfarrer Reineke in der Chronik der Gemeinde über das Jahr 1914 berichtet oder "das Braun und das Schwarz der N. S. in den Sonntagsgottesdiensten immer häufiger wurde", so Pfarrer Redemann über die 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts.
Wenn Steine reden könnten, dann würden die Steine der Pfarrkirche auch von der wechselvollen Geschichte der katholischen Pfarrgemeinde erzählen. Wie eng diese Geschichte mit der unseres Volkes und der Kirchengeschichte verwoben ist, wird an vielen Stellen der zum Jubiläum herausgegebenen Festschrift deutlich.
1780, ungefähr 250 Jahre nach der Reformation, wurde in Gotha die erste heilige Messe unter vielen Einschränkungen - in einer Privatwohnung, bei verschlossenen Türen, ohne Gesang und ohne Predigt - gefeiert. Herzog Ernst II. zu Gotha-Altenburg hatte in einem Erlass die Feier eines Gottesdienstes alle vier Wochen gestattet. 76 Katholiken trafen sich zum Gottesdienst mit Pater Stanislaus Schönemann vom Augustinerkonvent Erfurt im Mietshaus des ersten Gemeindevorstehers, des herzoglichen Sekretärs Jean Louis Courdel de Hena?t. Bereits 1783 fanden die meisten in der Konzessionsurkunde von 1780 enthaltenen Beschränkungen ihr Ende.
Ü;ber viele Jahre hinweg kamen Priester bei Wind und Wetter zu Fuß von Erfurt, um mit der kleinen Gemeinde Gottesdienst zu feiern. 1812 erhielten die Gothaer Katholiken von Herzog August die Rechte einer Pfarrgemeinde. Jahrzehntelanges Bemühen um die Finanzierung und Errichtung einer Pfarrstelle führten 1851 zum Erfolg. Eine von Pfarrer Liebherr aus Erfurt herausgegebene Broschüre über die Situation der katholischen Gemeinde sorgte für reichliche Spenden. Der Bischof von Paderborn sandte den Missionar Friedrich Cruse nach Gotha. 1855 konnte mit dem Bau einer eigenen Kirche begonnen werden. Sie wurde vom Gothaer Baumeister Gustav Eberhard im neoromanischen Stil errichtet, 1856 fertig gestellt und am 19. Oktober geweiht.
In den folgenden Jahren wuchs die Gemeinde stetig. Die nach der Revolution von 1848 erlangten bürgerlichen Rechte wie Versammlungsfreiheit, Glaubens- und Gewissensfreiheit, das Recht der Religionsgemeinschaften, ihre Angelegenheiten selbstständig zu ordnen und zu verwalten und das Recht, Vereine zu bilden führten auch in der katholischen Gemeinde zu Vereinsbildungen und zu einem umfangreichen Laienengagement. Infolge der Industrialisierung wuchs die Gemeinde überdurchschnittlich durch den Zuzug von Katholiken aus den verschiedenen Teilen Deutschlands.
Der Erste Weltkrieg brachte den Völkern Europas Tod und Verderben, Angst und Schrecken, Hunger und Elend. Auch die Pfarrgemeinde wurde nicht verschont. Der Mobilmachungsbefehl hatte in der Gemeinde Bestürzung hervorgerufen, ein Teil der Männer aber war begeistert und überzeugt, in einen gerechten Krieg zu ziehen. Mit zunehmender Fortdauer des Krieges änderte sich die Situation. Ein Blick in die Chronik der Gemeinde zeigt das deutlich: "Die Hoffnung, dass der furchtbare Krieg nur wenige Monate dauern würde, erfüllte sich nicht. Mit von Tag zu Tag zunehmender Heftigkeit dauert er fort. Furchtbar sind die Verluste, die er unter Deutschlands Jugend fordert. Auch unsere Gemeinde bleibt nicht verschont. An anderer Stelle werden die Namen der auf dem Felde der Ehre gefallenen Söhne der Gemeinde genannt."
Am 7. Januar 1858 wurde mit Genehmigung des Herzogs von der katholischen Gemeinde eine Privatschule errichtet. Der Unterricht begann mit wenigen Kindern im Pfarrhaus. Im Laufe der Zeit stieg die Zahl der Kinder an, so dass 1884 ein Schulgebäude mit einer Lehrerwohnung gebaut wurde. Um 1900 lernten über 100 Schüler in der katholischen Schule. Trotz intensiven Bemühens der Gemeinde erhielt sie keinerlei staatliche Unterstützung. Auch zur Zeit der Weimarer Republik blieb die Schule das Sorgenkind der Gemeinde. Den Nationalsozialisten waren die katholischen Schulen ein Dorn im Auge. So schlossen sie zu Ostern 1938 alle privaten katholischen Schulen in Thüringen.
Unmittelbar nach der Machtübernahme Hitlers im Januar 1933 begannen die Nationalsozialisten, auf die katholische Gemeinde Druck auszuüben. Der erste Schlag traf den Volksverein. Sein gesamtes Eigentum - Kassenbestand, Bücher und Akten - wurde beschlagnahmt, der Verein verboten. Auch die anderen Vereine mussten sich auflösen, so wurden alle außerkirchlichen Aktivitäten in einem Gemeindeverein organisiert.
Nach vier Jahren überwiegend negativer Erfahrung mit dem Konkordatspartner Hitler entschloss sich Papst Pius XI. im Frühjahr 1937 zur Veröffentlichung der Enzyklika "Mit brennender Sorge" über die Lage der katholischen Kirche im Deutschen Reich. Sie war heimlich verbreitet worden und erreichte die Gemeinde per Kurier aus Fulda. Die Enzyklika wurde am 21. März in allen Gottesdiensten verlesen. Jugendliche aus der Gemeinde begannen sie abzuschreiben und viele Hundert Exemplare an die Gemeindemitglieder zu verteilen. Ebenso wurden Briefe einer Nürnberger Jugendgruppe vervielfältigt und verteilt.
Bei Hausdurchsuchungen fand man die Schriften, Kaplan Paul Hartmann und weitere 14 Gemeindemitglieder wurden verhaftet. Während zehn der Verhafteten nach einigen Tagen frei kamen, wurden Kaplan Hartmann, die Brüder Heinrich und Otto Müller und der Ingenieur Josef Hermanns ein halbes Jahr im Untersuchungsgefängnis Gotha festgesetzt und anschließend in die Konzentrationslager Buchenwald bzw. Sachsenhausen überführt. Dort haben sie Schwerstes erdulden müssen.
Am 1. September 1939 begann Hitlerdeutschland einen verbrecherischen und mörderischen Krieg zunächst gegen Polen, später gegen viele Völker Europas. Schon in den ersten Kriegstagen strömten 11.000 bis 12.000 evakuierte Saarländer in den Pfarrbezirk. Die seelsorgliche Betreuung der zumeist katholischen Evakuierten in Gotha und den umliegenden Orten stellte den Pfarrer vor eine schwierige Aufgabe. Ebenso trafen polnische Kriegsgefangene und ab 1940 französische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter in den Lagern ein. Auch sie brauchten geistlichen Beistand.
Der Krieg hinterließ auch in der katholischen Gemeinde seine tödlichen Spuren. Viele Männer waren an den Fronten in ganz Europa gefallen. Im Februar 1944 begannen in Gotha die Luftangriffe. Die Pfarrkirche und die Christkönigskirche wurden mehrfach beschädigt und notdürftig repariert. Dass Gotha am Ende des Krieges den amerikanischen Truppen kampflos übergeben wurde, ist dem Standortältesten Oberstleutnant der Luftwaffe Josef Ritter von Gadolla, einem österreichischen Katholiken, zu verdanken, der dafür sein Leben opferte.
In den Monaten nach dem Krieg kam ein Strom von Umsiedlern, Flüchtlingen und aus ihrer Heimat Vertriebenen besonders aus Schlesien, Ostpreußen und dem Sudetenland in den Kreis Gotha. Man sprach 1946/47 von etwa 60.000 Personen. Es fehlte den Menschen alles, was zum Leben notwendig war, ein Dach über dem Kopf, Kleidung, Essen und Trinken, Medikamente. Die wichtigsten Aufgaben des Pfarrers der Gemeinde bestanden in der Organisation der Hilfe - zunächst in der Vermittlung von Wohnraum aber auch im Sammeln von Kleidung und Mobiliar, später auch in der Verteilung von Lebensmittelspenden aus dem Ausland - und der Organisation der Seelsorge der vielen Tausend Heimatlosen im ganzen Kreisgebiet.
Mit der Gründung der DDR 1949 und dem Beschluss des Aufbaues des Sozialismus 1952 wurde die Lage der Kirchen wiederum schwierig. Die atheistische Erziehung der Kinder und Jugendlichen durch das sozialistische Bildungssystem, der Anspruch des Staates, alle Lebensbereiche der Menschen zu dirigieren und zu kontrollieren führten zu einem Exodus von Millionen Menschen in Richtung Westen.
Die Behinderung von Veranstaltungen in der Gemeinde, die rigide Einführung der Jugendweihe, das Verbot des Religionsunterrichtes in Schulen, die Bespitzelung von Gruppen, Priestern und Laien durch die Stasi, all das erlebten die Gemeindemitglieder. Trotz dieser Repressionen trafen sich die verschiedenen Gruppen und Kreise der Gemeinde regelmäßig. Pfarrgemeinderat, Kirchenvorstand und viele Ehrenamtliche arbeiteten intensiv an der Gestaltung des Gemeindelebens. Seit 1967 feierten Diakonatshelfer Wortgottesdienste mit den Gläubigen in der Christkönigskirche und auf den Außenstationen und besuchten Kranke.
Seit dem Sommer 1989 verschärfte sich die politische Lage in der DDR dramatisch. Viele Menschen flohen über die österreichisch-ungarische Grenze, andere versuchten über die Botschaft der BRD in Prag in den Westen zu gelangen. Die Friedensgebete in der Nikolaikirche in Leipzig und die "Montagsdemonstrationen" brachten eine Lawine ins Rollen, die von den Machthabern nicht mehr aufgehalten werden konnte.
Aus der katholischen Gemeinde beteiligten sich sehr viele Mitglieder an den Friedensgebeten in der Augustinerkirche, den Demonstrationen, den Diskussionen am "Runden Tisch", bei der Auflösung der Kreisdienststelle der Staatssicherheit und vielen weiteren Aktionen. Einen beträchtlichen Anteil an einem friedlichen Wechsel des politischen Systems hatte der damalige Pfarrer der Gemeinde Udo Montag. Nach der politischen Wende übernahmen auch Gemeindemitglieder Verantwortung in den Kommunen und im Land Thüringen.
Wenn Steine der 150jährigen Pfarrkirche reden könnten, sie würden auch von der christlichen Hoffnung und Freude erzählen, aus der die Gemeinde heute lebt. Die Gemeinde versucht, sich an dem Wort aus dem 1. Petrusbrief zu orientieren, in dem es heißt: "Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt."
Die Gemeinde will - wie in den zurückliegenden 220 Jahren unter ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Verhältnissen - hier in Gotha und den umliegenden Orten "Kirche sein", das heißt: Teil des Volkes Gottes, das in dieser Welt unterwegs ist. Christen sind heute in der Stadt Gotha eine Minderheit. Von den 48.000 Einwohnern der Stadt gehören etwa 9.000 zu den evangelischen Gemeinden, 2.500 zur katholischen Kirche. Gemeinsam mit den evangelischen Gemeinden der Stadt möchte sie Menschen für die christliche Botschaft hellhörig machen.
Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus schreibt in seinem Grußwort: "Das 150. Weihejubiläum einer Kirche ist etwas ganz Besonderes. Seit anderthalb Jahrhunderten kommen hier Menschen zusammen, um zu beten, Trost zu suchen oder Gemeinschaft zu finden. Gerade in unserer schnelllebigen Welt suchen Menschen Halt und Orientierung. Und deshalb ist es wichtig, dass christliche Werte vorgelebt werden und von den Kirchen Signale von Glaube, Hoffnung und Liebe ausgehen."
Wenn Steine reden könnten, so würden die Steine der katholischen Pfarrkirche "St. Bonifatius" auch von der gelungenen Sanierung und Restaurierung in den Jahren 2004 und 2005 erzählen. Mit einem hohen Kostenaufwand wurden das Interieur der Kirche neu gestaltet, die farbigen Glasfenster der heiligen Radegundis, des heiligen Bonifatius und der heiligen Elisabeth restauriert und die gelben Seeberger Sandsteine der Außenmauern erstrahlen in hellem Licht.
Die Türen der Kirche und des Gemeindehauses stehen allen Menschen offen, die an der christlichen Botschaft interessiert sind.
Interessierte können die Festschrift zum 150-jährigen Jubiläum der Pfarrkirche "St. Bonifatius" im Pfarrbüro (bitte anklicken) erwerben.
Gotha, den 13.09.06
Helmut Groß
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