Wozu wir taugen sollen



Predigt von Bischof Joachim Wanke am 30. September 2011 im Erfurter Dom in der ökumenischen Abendandacht anlässlich der Tagung zum ehrenamtlichen Engagement in Kirche und Gesellschaft, veranstaltet vom Zentralkomitee deutscher Katholiken (ZdK) und der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD):


Das Evangelium Mt 5,13-16 reiht drei Bildworte aneinander: das Bildwort vom Salz, vom Licht, von der Stadt auf dem Berg. Alle Bilder sind ganz einfach und sofort verständlich. Man erkennt auch sofort, was diese Bilder meinen - und, was sie miteinander verbindet. Es wird von Dingen gesprochen, die nicht um ihrer selbst willen da sind. Das Salz soll die Speisen würzen, das Licht soll die Umgebung ausleuchten, die Stadt ist erhöht gebaut, um sichtbar und wegweisend zu sein.

Natürlich steckt in dem Indikativ ("Ihr seid das Salz der Erde!") ein Imperativ ("Seid Salz der Erde!"). Daran gibt es nichts zu deuteln. Aber beides bedingt einander. Die Jünger können der Aufforderung Jesu nur entsprechen, weil sie die würzende, erhellende und orientierende Botschaft kennen: das Evangelium vom Reich Gottes, in dessen Dienst sie getreten sind. Darum steckt in dem Text nicht nur ein Anspruch, sondern auch ein Zuspruch.

An diesem Punkt muss die Besinnung unserer Kirchen ansetzen. Erfüllen wir den Auftrag, den uns der Herr für diese Zeit und Stunde hierzulande gibt? Taugen wir als Kirche? Verweist unser kirchliches Leben in all seinen Facetten letztlich auf Jesus Christus und seine Verheißung?

Diesem Anspruch gerecht zu werden mühen sich unsere Priester und Pastoren, unsere Diakone und alle hauptamtlich in Seelsorge und Diakonie Tätigen. Dieser stille und meist unspektakuläre Alltagsdienst in Seelsorge und Caritas verdient höchste Anerkennung. Und dazu rechne ich auch allen ehrenamtlichen Dienst in den Gemeinden und in der säkularen Gesellschaft. Es gibt gottlob viele, zu denen andere sagen: "Es ist ein Geschenk des Himmels, dass es dich gibt!" Dieser vielgestaltige Einsatz, dieses aus christlicher Gesinnung geleistete Ehrenamt ist unendlich wertvoll.

Wir sollten es nicht vergessen - und daran will diese Tagung erinnern: Wir alle sind "Platzhalter Gottes" in unserer Gesellschaft, jeder auf seine Weise, im hauptamtlichen Dienst seiner Kirche und im ehrenamtlichen Engagement. Salz, Licht und Stadt auf dem Berg zu sein ist unsere gemeinsame Aufgabe, jeder in seiner besonderen Lebenssituation, als Eheleute, als Väter und Mütter, in unseren Pfarreien und Gemeinschaften, Gruppen und Verbänden, als Christen mitten in der Welt.

Meine Mitchristen bitte ich um zwei Dinge. Zum einen bitte ich sie, an die hauptamtlich in der Kirche Tätigen mit der Erwartung heranzutreten: Zeigt uns Jesus Christus! Seid nicht nur Organisatoren eines vielgestaltigen Gemeindelebens, einer lebensnahen Caritas und Diakonie, sondern seid noch mehr "Geistliche", die helfen, Jesus Christus und sein Evangelium im Blick zu behalten. Für das Management so mancher Dinge im Gemeindealltag, die auch notwendig sind, für die Organisation sinnvoller und kontinuierlicher Ehrenamtsarbeit  braucht man keine Weihe oder Ordination. Hierin sollten wir die weniger werdenden Geistlichen entlasten. Aber wir sollten sie nicht aus ihrer Verpflichtung entlassen, für den geistlichen Grundwasserspiegel in unseren Kirchen zu sorgen.

Und meine zweite Bitte geht in diese Richtung: Wir selbst sollen und dürfen füreinander Salz, Licht und Stadt auf dem Berge werden, dann nämlich, wenn das Evangelium in unseren Worten und noch mehr in unserem Leben erkennbar wird. Die Art, wie wir leben, wie wir miteinander umgehen (z. B. in Zeiten des Sparen-Müssens!), wie wir uns in das öffentliche Gespräch einmischen, wichtige Entscheidungen treffen, Prioritäten setzen, die ökumenische Verbundenheit leben  - das alles kann und wird das eigentliche Profil von Kirche in den Blick treten lassen: den Lebensstil Jesu zur Darstellung zu bringen, seine "Gesinnung", seine Ausrichtung auf den Vater im Himmel, seine Erwartung der kommenden Welt.

Ich nenne ein praktisches Beispiel: Bekanntlich wird das Netz unserer Gemeindestrukturen weitmaschiger. Vielerorts können hauptamtliche kirchliche Kräfte nicht mehr Präsenz zeigen. Wenn an einem Ort kein Priester oder Pastor, keine Katechetin oder Gemeindereferentin mehr zur Verfügung steht: Heißt das, dass dann keiner mehr die Kinder beten lehrt? Erkennen christliche Eltern ihre Aufgabe, die ersten und wichtigsten Lehrer ihrer Kinder in der Kunst des Betens zu sein? Und wenn es die Eltern nicht können oder nicht wollen: Findet sich dann keiner in der Gemeinde, der sich der Kinder annimmt, um sie mit Gott in Berührung zu bringen?
 
Genau das, was jetzt schon erfreulicherweise in vielen Gemeinden und kirchlichen Gruppen geschieht: die Stärkung der Eigeninitiative, des ehrenamtlichen Tuns in Seelsorge und Diakonie - das alles soll weiter wachsen und noch selbstverständlicher werden. Dazu müssen wir tauglich werden wie kräftiges Salz, das das Ganze einer Speise würzt und schmackhaft macht.

Einander helfen, Gott im Blick zu behalten und ihn der Welt durch unser Tun und Wirken bekannt zu machen - wem das zum Herzensanliegen wird, bei dem ist das Wort des Evangeliums angekommen. Möge unser abendliches Beten, möge unsere Tagung und noch mehr unser Leben insgesamt dem dienen. Amen.