"Wir leben in freiheitlichen Verhältnissen. Das ist nicht selbstverständlich."

Neujahrswort von Bischof Joachim Wanke für die Hörerinnen und Hörer von MDR 1 Radio Thüringen

Das neue Jahr liegt vor uns. Wir haben gefeiert und uns gegenseitig "Prost Neujahr" zugerufen. Allerlei Vorsätze werden gefasst und gute Wünsche ausgesprochen. Kann man auch im Blick auf den politischen Zustand unseres Staates einen Wunsch aussprechen?

Was ich mir wünsche ist, dass wir pfleglicher mit den Institutionen unserer parlamentarischen Demokratie umgehen sollten. Im Vergleich mit anderen Ländern, besonders jenen mit diktatorischem Zuschnitt, leben wir in freiheitlichen Verhältnissen. Das ist nicht selbstverständlich. Wir erleben gerade, wie schmerzhaft der Weg zu einer größeren gesellschaftlichen Freiheit und echter parlamentarischer Demokratie sich gestalten kann, etwa in manchen Ländern der islamischen Welt. Und wir hören Berichte und sehen Bilder von Staaten, in denen hemmungslose Korruption am Werke ist und Menschenrechte mit Füßen getreten werden.

Wir haben allen Grund, für die freiheitliche Grundordnung unseres Staates dankbar zu sein. Und das gilt gerade für uns in den neuen Bundesländern, die wir noch die bedrückende Zeit vor der friedlichen Revolution in Erinnerung haben.

Aber machen wir auch in allem rechten Gebrauch von der neu gewonnenen Freiheit und Rechtssicherheit? Natürlich muss es Kritik und Möglichkeiten des zivilen Protestes geben. Niemand ist ohne Fehler, auch nicht eine staatliche Administration. Deswegen gibt es die Freiheit der Medien, das Demonstrationsrecht und die Möglichkeit, unabhängige Gerichte anzurufen. Aber manchmal habe ich den Eindruck, dass zunehmend Kritik in einer bestimmten Sache übergeht in grundsätzliches Misstrauen gegen staatliche Verantwortungsträger, sei es in der Legislative oder in der Exekutive.  

Darum mein Wunsch: Reden wir unsere parlamentarische Demokratie nicht schlecht. Sie mag manche Schwächen haben. Aber wir hatten in der Geschichte Deutschlands noch keine bessere Verfassung als die gegenwärtige. Und das Handeln staatlicher Verantwortungsträger, die durchaus kontrolliert werden müssen, wird nicht durch generelle Herabsetzung und Dauerverdächtigung besser.

Ich wünsche allen Hörerinnen und Hörern von MDR 1 Radio Thüringen ein gutes und glückliches neues Jahr 2012.

Bischof Joachim Wanke


Gesendet am Neujahrstag 2012 auf MDR 1 Radio Thüringen