Liebe Wallfahrerinnen,
aus dem Vorbereitungskreis unserer Wallfahrt erhielt ich als Predigtanregung eine kleine Geschichte. Mir gefiel sie sehr. Die Geschichte erzählt von einer Frau, bei der plötzlich eine Krebserkrankung festgestellt wurde. Nach menschlichem Ermessen gab es keine Hilfe mehr. Der Arzt musste ihr sagen, dass sie nur noch wenige Monate zu leben habe.
Die Frau blieb gefasst. Sie bat dann den Pfarrer, einmal zu ihr zu kommen. Sie sprach mit ihm alles über ihre eigene Beerdigung ab: die Lieder, die Schrifttexte, wer etwas sagen sollte, und welches Kleid sie im Sarge tragen wollte. Ja - und da war noch etwas: Sie bat darum, dass man ihr im Sarg einen kleinen Löffel in die Hand geben sollte.
Der Pfarrer war natürlich überrascht und fragte, was das denn zu bedeuten habe. Die Frau sagte ihm: Ich habe mich bei festlichen Essen immer gefreut, wenn es beim Abräumen des Geschirrs hieß: Behalten Sie bitte noch den kleinen Löffel. Es kommt noch etwas Schönes: Leckere Schokoladendesserts, ein Stück Kuchen, ein Apfelstrudel oder Eis. Irgendetwas Wunderbares, was das Mahl abrundete. Ich möchte daher, fuhr die Frau fort, dass die Leute, die mich im Sarg sehen, sich wundern, warum ich den Löffel in der Hand halte. Und ich will, dass Sie den Leuten dann sagen: "Behaltet euren Löffel, das Beste kommt noch!"
Mit dieser "Löffelgeschichte" möchte ich unsere Gedanken auf das Wallfahrtsthema lenken: "Mit dem Himmel beschenkt - einfach nur so...." Was bedeutet eigentlich der schöne Brauch, dass wir uns gegenseitig etwas schenken? Und was sagt uns das über Gott, der uns mit seinem Himmel beschenken will?
"Soll es ein Geschenk sein?" fragt die Verkäuferin. Die Frage zeigt an, dass es bei diesem Einkauf um mehr als eine Ware geht, die man erwirbt, weil man sie braucht oder eben selbst haben will. Hier soll etwas zum Geschenk werden. Die entsprechende Verpackung ist ein Hinweis darauf.
Als das Künstlerehepaar Christo seinerzeit den Reichstag verhüllte, fuhren die Menschen in Scharen nach Berlin. Was wollten sie eigentlich sehen? Die Verhüllung zeigt eine bekannte Sache, aber in einem neuem Licht. Sie signalisiert: "Du weißt von mir, dem verhüllten Gegenstand nicht alles!" Ich bin überzeugt, dass die politische Akzeptanz des in mehrfacher Hinsicht geschichtlich belasteten Reichstagsgebäudes in unserer Bevölkerung nicht zuletzt dieser Verpackungs-Aktion zu verdanken war. Altes neu sehen lernen, in ein neues Licht tauchen: Die Verhüllung enthält eine Verheißung. Sie signalisiert Bedeutungsüberschuss. Sie weckt ein Gespür für das, was man im Alltag oft nicht merkt oder sieht. Ob deswegen Geschenke verpackt werden?
Eine weitere Beobachtung: Eine Verpackung verspricht eine Überraschung. Man soll nicht sofort sehen, was unter der Hülle verborgen ist. Ich weiß noch, wie mir als Kind der lange ersehnte Flitzeroller geschenkt wurde. Normalerweise war bei uns zu Hause über allen Geschenken, die unter dem Christbaum lagen, eine Decke ausgebreitet. Wir Kinder sollten erst andächtig der Verlesung des Weihnachtsevangeliums lauschen und die gewohnten Gebete sprechen. Aber mit meiner Andacht war es dahin: Am Rande der verhüllenden Decke lugte schon der Lenker des Rollers hervor!
Die Verhüllung will andeuten, dass wir im Leben mit Überraschungen rechnen dürfen. Wer das verpackte Geschenk in den Händen hat, hat schon das Geschenk, aber die volle Freude wird sich noch entfalten. Die Verhüllung ist wie ein verzögerndes Element auf dem Weg zur vollen Freude, die unser Herz ersehnt. Sie schafft einer Freude Tiefe, sie gibt die Möglichkeit, Freude auszukosten und durch Sehnsucht zu steigern.
Und noch eine Beobachtung: Das verhüllte Geschenk ist manchmal ein Auftakt zu einem Gespräch, zu einer Beziehung oder einer Vertiefung von Beziehung. Der Beschenkte denkt sich angesichts des verpackten Geschenkes: "Was mag das wohl sein?" "Womit will er, womit will sie mich wohl überraschen?" Und der andere überlegt bei sich: "Was wird er, was wird sie wohl zu meinem Geschenk sagen?"
Schenken ist also ein interaktiver Vorgang. Es betrifft immer zwei Seiten: den Schenkenden, der mit seiner Phantasie und seinem Geldbeutel gefordert ist, und den Beschenkten, der ein Geschenk nicht nur rein passiv empfängt, sondern der es sich schenken lässt, der sich gleichsam durch das Geschenk ansprechen und aus der Reserve locken lässt. Und, der aus einem Geschenk - in diesem Falle einem Flitzeroller - etwas macht. Meine zerschrammten Knie zeigten der Mutter, wie sehr das Geschenk angenommen war.
Schenken setzt in Beziehung. Es baut Brücken. Der Volksmund sagt nicht ohne Grund: "Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft!"
Aber da sind wir schon mitten in unserem Wallfahrtsthema. "Mit dem Himmel beschenkt - einfach so...." Was mag das bedeuten?
Mit dem Himmel beschenkt sein heißt: Mit Leben beschenkt sein.
Wenn Gott schenkt, schenkt er nicht nur dies oder das. Er schenkt uns Leben, er schafft Räume des Lebens und Leben-Lassens.
Wenn man ein neugeborenes Kind in den Armen hält, da spürt man es besonders: Leben ist ein Geschenk. Es ist kostbar und durch nichts zu ersetzen. Wir hängen an unserem Leben - auch dann noch, wenn es uns nicht auf Rosen bettet.
"Schön, dass du geboren bist, wir hätten dich sonst sehr vermisst!" singen gern die Kinder des Domkindergartens, wenn sie zum Geburtstagsständchen beim Bischof antreten. Das ungelenke Bild, das sie in Händen haben, die Blümchen, die sie mitbringen, erinnern mich dann daran, das ich im Letzten vor meinem Schöpfer ein Kind bleibe, angewiesen auf Zuwendung und Liebe, auf Fürsorge und Nachsicht.
Jedes echte Geschenk signalisiert einem anderen: Es ist gut, dass es dich gibt. Diese Seligkeit, gewollt zu sein, macht das Glück des Menschen aus. Wahre Liebe und die ihr eigenen Zeichen wollen zum Ausdruck bringen, dass der andere, die andere leben möge, ja möglichst ewig leben möge.
Ist das nur ein frommer Wunsch? Ich meine: Nein. Bei Gott allemal. Aber auch bei uns sind Geschenke mehr als fromme Wünsche. Die in dem Geschenk enthaltene Kraft der Zuneigung, der Solidarität und Liebe schafft in Wirklichkeit, was das Geschenk als gegenständliche Sache anzeigt. Ein Geschenk hat einen "sakramentalen" Charakter. Sakramente sind für den Christen ja nicht nur Symbole, Hinweise oder Wunschbilder, sondern (in diesem Falle ) von Gott gesetzte Wirklichkeit. Sie bewirken, was sie anzeigen, so wie ein Richter mit seinem Freispruch die Gefängnistüren für den Angeklagten öffnet, oder einer, dem ein Wort der Vergebung auch wirklich Vergebung schafft. Ohne das Wort: "Es ist wieder gut! Ich hab Dir vergeben!" gäbe es die Wirklichkeit eines versöhnten Neuanfangs nicht.
Wenn jetzt Opfer von sexuellem Missbrauch den ehemaligen Tätern begegnen sollen, wird das auch eine Rolle spielen müssen: Das Bekennen von Schuld einerseits und das Vergeben-Können andererseits. Es ist nicht von ungefähr, wenn im Neuen Testament das griechische Wort für Schenken: charisomai sowohl schenken als auch vergeben bedeuten kann. "Sünden vergeben" wie: "Leben schenken" sieht der christliche Glaube als zwei Seiten der gleichen Medaille. Wenn Gott uns Leben schenkt, ist das immer auch ein Leben, das auf die Vergebung der eigenen Schuld rechnen darf.
Diese sieghafte Zuversicht der Glaubenden kommt in dem wunderbaren Wort des Apostels Paulus im Römerbrief zum Ausdruck, das mir persönlich viel bedeutet. Paulus fragt, was uns eigentlich erschrecken könnte. Und dann zählt er auf: Bedrängnis, Not, Verfolgung, Hunger oder Kälte, Gefahr oder Schwert, um dann sieghaft auszurufen: Nichts, "weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Gewalten der Höhe oder Tiefe noch irgend eine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Jesus Christus ist, unserem Herrn" (Röm 8,35ff). Und Paulus begründet diese Zuversicht mit der Aussage: "Wenn Gott für uns ist, wer ist dann gegen uns? Er hat seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle hingegeben - wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?" (Röm 8,32)
Ja, Paulus wusste, was das bedeutet: schon jetzt mit dem Himmel Gottes beschenkt zu sein.
Ein zweiter Hinweis. Mit dem Himmel beschenkt sein heißt: eine Verheißung von Größerem empfangen, als wir jetzt erfassen oder begreifen können.
Ich erinnere an den kleinen Löffel der tapferen Frau aus der Eingangsgeschichte.
Wir haben diesen Gedanken schon am Anfang in den Blick genommen, als vom Verpacken der Geschenke die Rede war. Das verhüllte Geschenk ist ein Bild für noch ausstehende Herrlichkeit - ob das nun Kinderherrlichkeit ist oder Vorfreude über die noch ausstehende schöne Reise, die ich erst in Gestalt eines Gutscheins in Händen halte oder ob es um die Herrlichkeit geht, von der die Schrift spricht, wenn sie uns im Wasser der Taufe Anteil am Wasser des Lebens verspricht, das jeden Lebensdurst zu stillen vermag.
Ich finde: Ein Geschenk ist dann wirklich echt, zutiefst menschlich, wenn es Verweischarakter hat, wenn es anzeigt: In dieser Gabe steckt mehr. Darin zeigt sich Dir gegenüber meine Hochschätzung, meine Zuneigung, meine Dankbarkeit, ja meine Liebe. Geschenke, über die man sich freut, signalisieren etwas Größeres, eine Wirklichkeit, die sich nicht in Zahlen oder gar in Geldwert ausdrücken lässt. Darum können auch kleine Geschenke sprechend sein.
Im Evangelium wird berichtet, was Jesus über eine arme Frau sagte, die zwei kleine Münzen in den Opferkasten am Tempel als Gabe hineinwarf. Und er macht seine Jünger darauf aufmerksam und bewertet diese Opfergabe mit den Worten: "Amen, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Opferkasten hineingeworfen als alle anderen. Denn sie alle haben nur etwas von ihrem Überfluss hergegeben; diese Frau aber, die kaum das Nötigste zum Leben hat, sie hat alles gegeben, was sie besaß, ihren ganzen Lebensunterhalt" (Mk 12, 43f).
Wir werden damit nicht aufgefordert, den ganzen Lebensunterhalt herzugeben. Aber manchmal wird von einzelnen Menschen sehr viel gefordert: Zeit etwa, Nervenkraft, Bereitschaft zur Pflege eines Angehörigen, Offenheit für ein Menschenleben, das sich ungeplant anmeldet und zu leben begehrt. Aber wir wollen hier gar nicht so große Dinge nennen. Es geht manchmal in der Tat um kleine Zeichen einer Zuwendung zum Mitmenschen. Diese Zuwendung muss in der Tat "sprechend" werden, in Worten und Zeichen, etwa auch in einer materiellen Gabe, die dann eine Botschaft für Größeres, im Letzten Unsagbares ist. "Du bist gewollt!" "Du bist von mir angenommen!" "Du hast bei mir Heimat und Geborgenheit!" "Ich freue mich, dass es dich gibt!" Das sind die Botschaften guter Geschenke, die wir Menschen in ihrem Verheißungscharakter oft nicht ganz einlösen können, die aber dem anderen etwas signalisieren von dem, wonach das menschliche Herz verlangt.
Für mich enthalten alle Geschenke, auch die kleinsten, einen Hinweis auf Gott. Wenn er schenkt, schenkt er nicht nur Dinge. Er schenkt sich selbst, sein Herz, seine Liebe. Wir in unserer menschlichen Armseligkeit können das immer nur annäherungsweise. Gott tut das ganz und gar, in Fülle und ohne Reue. Jede hl. Kommunion z. B. ist schon geschenkter Himmel, weil Gott sich in diesem Zeichen des eucharistischen Brotes uns ganz gibt - sicher: verborgen, verhüllt, aber doch, wie uns der Glaube lehrt, in Wirklichkeit.
Also: Mit dem Himmel beschenkt - das ist keine Fata Morgana, keine Illusion, sondern eine Verheißung, die jetzt schon Kraft und Zuversicht gibt.
Und schließlich nenne ich als Letztes:
Gottes Schenken ist zweckfrei. Gott hat bei seinem Schenken keine Hintergedanken. Der Himmel ist nicht in erster Linie Belohnung, sondern dem Schenken einer Liebe vergleichbar, die den anderen um seiner selbst willen meint. So wie manchmal Mütter gerade ihre Sorgenkinder besonders gern haben - weil sie wissen: Die brauchen meine Zuwendung mehr noch als die anderen.
Unter Menschen gibt es ja manchmal diese Haltung, sich durch Geschenke die Zuneigung von anderen zu erkaufen. Eugen Roth hat es in seiner Art treffend in diesem Vers so zum Ausdruck gebracht.
"Ein Mensch, der was geschenkt kriegt, denke:
Nichts zahlt man teurer als Geschenke!"
Geschenke können und wollen manchmal auch abhängig machen. Mit ihrer Hilfe will man bestechen oder geheime Macht ausüben
Auf Seiten des Beschenkten entspricht dem die Ahnung, dass Geschenke "verpflichten" - wie wir sagen. Dem will man sich häufig gern entziehen. Manchmal heißt es: "Von persönlichen Geschenken bitten wir abzusehen." Peinlich ist es nur, wenn auf der Einladung zur Geburtstagfeier aber dann doch unten dezent ein Spendenkonto für einen guten Zweck angegeben wird. Was soll man da machen? Man "muss" halt zahlen!
Nein: Gottes Geschenk ist wirklich "umsonst". Sein Himmel ist weder von uns zu kaufen, noch will er uns damit kaufen. Gottes Liebe ist in einem ganz tiefen Sinn "nutzlos".
Aber unsere Erfahrung sagt: Am schönsten sind jene Geschenke, die möglichst nicht auf der ohnehin verabredeten Anschaffungsliste für den Haushalt stehen. Es gibt Gaben, die eine Beziehung schön und eine Stunde der Gemeinsamkeit festlich machen: Weil sich in ihnen das große "Umsonst" einer Liebe widerspiegelt, die man sich nicht kaufen, nicht verdienen, nicht ertrotzen kann, sondern die man eben geschenkt bekommt.
Und da sind wir bei der Erfahrung, dass Geschenke Brücken bauen, Beziehungen schaffen und Beziehungen vertiefen. Es gibt Menschen, die das nicht mögen. Die dürfen sich in der Tat nichts schenken lassen. Aber bleiben sie dann nicht in einem doppelten Sinn arm?
Ich erinnere an eine wunderbare Stelle aus dem Propheten Hosea, wo es von Gottes Zuneigung zu Israel, seinem erwählten Volk heißt: "Mit menschlichen Fesseln zog ich sie an mich, mit den Ketten der Liebe" (Hos 11,4). Es gibt die wunderbare Erfahrung, dass ich mich - durch ein Geschenk angeregt und gelockt - einer Beziehung anvertraue, die mich freisetzt, die mich mutig macht, die mir Leben und Zukunft schenkt. So sehe ich meine Beziehung zu Gott: Auch für diese Beziehung zu Gott gilt: "Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft!" - die kleinen Liebeszeichen, die er mir zukommen lässt, und jene, mit denen ich ihm Signale der Zuneigung aus meinem Alltag gebe. Bleiben wir aufmerksam für diesen seligen Austausch. Gott, "von dem jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk kommt" (vgl. Jak 1,17), wird nicht kärglich antworten, wenn wir nach ihm Ausschau halten.
Mit dem Himmel beschenkt - einfach so.... Das waren meine drei Gedanken zum Thema Schenken:
· Es ist Gottes Geschenk, dass wir leben und in seinem Erbarmen geborgen sind.
· Gott schenkt so, dass wir das Größere erahnen, dass in seinen vorläufigen irdischen Gaben eine Verheißung aufleuchtet: Gott selbst, die zeitlose Gemeinschaft mit ihm in der Seligkeit des Himmels.
· Und er schenkt ohne Hintergedanken. Er schenkt umsonst, ohne unser Verdienst. Gerade dem, der sich selbst ganz leer fühlt, armselig und geplagt - vielleicht ist der am meisten dem Herzen Gottes nahe.
So sich von Gott beschenken, so lieben zu lassen, das ist der Inbegriff dessen, wozu uns das Evangelium einlädt. Und wenn wir wieder einmal einem anderen etwas schenken oder selbst beschenkt werden: Denken wir an die heutige Predigt. Halten wir den "Löffel" fest - im Leben und im Sterben. Amen.
Predigt gehalten am 16.5.2010