Wie kann ich in der gegenwärtigen Situation unserer Kirche eine Osterpredigt beginnen? Ich habe in den Jahren meines Bischofsdienstes meist versucht, bei den Predigten an Fragen und Herausforderungen der jeweiligen Gegenwart anzuknüpfen - damals in den Jahren des Kommunismus etwa an den weltanschaulichen Auseinandersetzungen. Wir erinnern uns: Religion und Glaube, auch der Glaube an eine Auferstehung galten als Köhlerglaube, als unwissenschaftlich und rettungslos überholt. Oder ich denke an die Jahre nach der friedlichen Revolution, wo Sekten und alle möglichen Esoterik-Kulte zu uns nach dem Osten kamen und den christlichen Glauben von einer ganz anderer Seite her in Frage stellten.
Auch die Osterpredigt dieses Jahres kann ich nicht beginnen, ohne Bezug zu nehmen zu dem, was uns und viele Menschen bewegt. Und diesmal kommt die Infragestellung unseres Glaubens und Gottvertrauens von innen, aus der Mitte der Kirche selbst.
Unsere Kirche bietet derzeit kein gutes Bild. Die öffentlich gewordenen Fälle von Kindesmissbrauch durch Geistliche und Ordensleute verdunkeln ihr Ansehen und belasten ihre Verkündigung. Selbst wenn es solche Fälle auch anderswo gibt - sie machen mich dennoch besonders traurig und beschämt. Denn in der Kirche sollte es eigentlich anders sein. Das hohe Vertrauen, das Seelsorger im allgemeinen bei Menschen haben und auch kirchliche Schulen und Einrichtungen im besonderen, wird durch das schlimme Tun Einzelner tief erschüttert. Das spürt wohl auch jeder katholische Christ, der von anderen angefragt wird und sich für seine Zugehörigkeit zur Kirche womöglich noch rechtfertigen muss.
In diesen Tagen ist mir wieder deutlich geworden, wie sehr wir nicht nur die heilige Kirche Gottes sind, sondern auch eine Kirche der Sünder. Wir sind, wie der Apostel Paulus sagt, zerbrechliche, manchmal auch untaugliche Gefäße für das kostbare Evangelium, das uns von Gott geschenkt ist. Darum gilt es ernst zu machen mit der Aufgabe, nicht uns zu verkünden, sondern die Gnade Gottes, die auch wir Priester und Seelsorger selbst bitter nötig haben.
Und dennoch dürfen, ja müssen wir Ostern feiern, das Fest der Auferstehung Jesu Christi. Die Botschaft dieses Festes lautet: Das Böse, die Schuld, der Tod - sie behalten nicht das letzte Wort über unser Leben. Und darum gilt die Einladung, die Resignation und die damit verbundene Lähmung zu überwinden - innerhalb unserer Kirche und auch außerhalb, in der Gesellschaft, die bekanntlich auch unter vielen Übeln leidet. Davon bin ich überzeugt: Der christliche Osterglaube ist eine Kraftquelle für alle, die an das Leben und sein Gelingen glauben.
Bedenken wir heute einmal besonders, dass Ostern und die in diesem Festgeheimnis angezeigte Wirklichkeit ein Geschenk ist, das wir uns nicht selbst verschaffen können. Noch pointierter gesagt: Ostern gibt es nicht, weil wir das bewirken - Ostern kommt von oben, kommt als Gabe. Dass es österliche Hoffnung, dass es die Wirklichkeit gelingenden Lebens durch Gottes Heilswillen gibt, das liegt nicht an uns. Ostern, die Auferstehung Christi und die damit für uns eröffnete Lebensperspektive ist göttliches Gnadengeschenk.
Für mich ist das regelmäßig wiederkommende kalendarische Osterfest dafür ein sprechendes Zeichen. Nach einem langen, strengen Winter freuen wir uns, dass Ostern einfach wieder kommt - zuverlässig und sicher wie in jedem Jahr, auch ohne unser Zutun. Es tut einfach gut, die Heizungen zurückzudrehen und sich den jetzt wieder wärmenden Strahlen der Sonne auszusetzen. Mitten im tiefsten Schnee und Dauerfrost hat man es manchmal in den vergangenen Monaten kaum geglaubt, dass es auch wieder einmal wärmer werden könnte.
So wie das Kalenderdatum Ostern treu und zuverlässig immer wieder sich einstellt, so sicher dürfen wir in jeder Phase unseres Lebens, als Einzelne und ganz persönlich, aber auch in den unterschiedlichen Erfahrungen der Kirchengeschichte mit ihren Höhe- und Tiefpunkten sicher sein: Weil es Gottes Treue gibt, dürfen wir uns mit neuem Vertrauen auf das Leben einlassen. Weil es Christi Auferstehung gibt, gilt auch uns die Zusage der Auferstehung, auf die wir in Hoffnung und Zuversicht zugehen.
Ich weiß: Manche Menschen können das nicht mehr glauben. Ihnen ist einfach dieses Vertrauen in die Gabe des Lebens verloren gegangen, oder sie haben dieses Vertrauen auf Gott, der unser Leben heil machen kann, nie richtig aufbringen können. Mancherlei Gründe gibt es dafür: Da ist zum einen der Einfluss der vergangenen atheistischen Großideologien zu nennen, die Religion als falsches Denken, als Opium für das Volk oder auch als Ressentiment der Zu-Kurz-Gekommenen diskreditierten. Da wären zum anderen auch die schrecklichen Erfahrungen gerade des 20. Jahrhunderts zu nennen, die Gräuel der Kriege und die ungeheuren Verbrechen, die den Glauben an einen guten und menschenfreundlichen Gott bis in die Wurzel erschütterten. Und da ist eben auch die jetzt so bittere Erfahrung, dass Vertreter der Kirche selbst versagt und die Botschaft von Ostern durch ihr gegenteiliges Tun verdunkelt haben.
Und so sagen manche Zeitgenossen: Es ist wohl doch so, dass es mit Ostern nichts ist, dass mit dem Tode wohl doch alles aus ist. Sie meinen: Unsere Sehnsucht nach Leben in Fülle und auf Dauer sei nur eine lllusion der Natur, ein Trick unserer Gene, um uns für den an sich sinnlosen Überlebenskampf zu trimmen.
Was können wir dazu sagen?
Ich halte es da mit dem französische Mathematiker und Philosophen Blaise Pascal. Mit ihm wette ich auf das Leben, nicht auf den Tod. Verliere ich diese Wette, ist ohnehin nichts verloren; gewinne ich aber, gewinne ich alles - und zudem schon jetzt eine irdische Standfestigkeit, die mich auch bitteren und schmerzhaften Erfahrungen standhalten lässt.
Aber mehr noch als dieser einfachen Überlegung traue ich der biblischen Botschaft: Wenn der am Kreuz Gestorbene lebt, dann gibt es auch für mich Hoffnung. Das meint der Apostel Paulus, wenn er uns auf unser in Christus verborgenes Leben hinweist (vgl. Kolosserbrief 3,3). Es gilt, den Blick auf unser endgültiges Ziel, auf "das Himmlische" zu richten, damit wir nicht beim Nachdenken über unser irdisches Geschick in Hoffnungslosigkeit verfallen.
Und auch das möchte ich als eine dritte Antwort hinzufügen: Ja - es gibt Gefährdungen des Lebens. Es gibt die Anfälligkeit für das Böse. Es gibt Schuld und Versagen. Aber es gibt gottlob auch das andere: Menschen, die sich für das Leben einsetzen. Es gibt die große Zahl derer, die anderen sagen: Ich stehe dir bei. Ich helfe dir. Ich habe dich gern. Auch in unserer Kirche.
Diese österlich glaubenden und handelnden Menschen sehe ich vor mir - jetzt hier im Gottesdienst und bei den vielen Begegnungen in den Gemeinden unseres Bistums. Vor kurzem erst habe ich Einrichtungen unserer katholischen Jugendsozialarbeit in Mühlhausen und Erfurt besucht, wo Frauen und Männer Tag für Tag jungen Menschen beistehen, die sonst kaum Chancen für ein gelingendes Leben hätten.
So gilt mein Dank an diesem Osterfest den vielen Priestern, Ordensleuten und den Frauen und Männern im Dienst unserer Kirche, die durch ihren vorbildlichen Einsatz anderen österliche Zuversicht vermitteln. Ich bitte die Gläubigen, unsere Priester und alle in der Pastoral und Caritas Tätigen durch ihr Gebet und ihr Vertrauen mitzutragen und geistlich zu stützen.
Mein Dank gilt an diesem Osterfest allen Menschen in unserem Land, die sich beruflich und ehrenamtlich für andere einsetzen. Was wäre unser Leben ohne den Einsatz etwa von Ärzten, Schwestern, Rettungskräften, von Kindergärtnerinnen, Lehrern und Seelsorgern? Auch solche Menschen, innerhalb und außerhalb unserer Kirche brauchen unser fürbittendes Gebet - und unsere Anerkennung. Solche Menschen helfen mir, an das Leben zu glauben. Sie helfen mir, an die Auferstehung zu glauben.
So gilt, eben weil wir Gottes Kraft vertrauen, die österliche Bitte, die das heutige Tagesgebet uns sprechen lässt: "Schaffe, Herr, uns neu durch deinen Geist, damit auch wir auferstehen und im Licht des Lebens wandeln!" Amen.