Abbildung rechts: Philipp Melanchthon, Gemälde (Detail) von Lucas Cranach d. Ä., 1543; Quelle: wikipedia.
Sehr geehrte Damen und Herren,
herzlichen Dank für die Einladung und für die Gelegenheit, bei der Eröffnung der Melanchthon-Ausstellung im Augustinerkloster ein Grußwort zu sprechen!
In der Kürze, die die literarische Art eines Grußwortes zulässt, möchte ich auf zwei für die Ökumene wichtigen Grundhaltungen aufmerksam machen, die von Melanchthon zu lernen sind:
· zum einen die Bereitschaft, sich die Stichworte und die Systematik des theologischen Nachdenkens von den biblischen Quellen her vorgeben zu lassen,
· zum anderen beharrlich und geduldig theologische und geistliche Bildung einzufordern.
Melanchthon hat mit entscheidender Langzeitwirkung Bildung befördert. Das braucht vor diesem Gremium nicht näher erläutert zu werden. Seine loci communes von 1521 sind nicht nur das erste systematische Lehrbuch reformatorischer Theologie, sondern mehr noch Lesehilfe für die Bildung des Menschen am Wort Gottes. Melanchthon hat dieses Lehrbuch nach den theologischen Stichworten des Römerbriefes geordnet. Er lässt sich also die Stichworte und die Systematik seines theologischen Fragens von der Heiligen Schrift vorgeben. So versucht er, fremden oder eigenen Vorfestlegungen zu entkommen.
Dieser theologische und geistliche Bildungsprozess von den biblischen Quellen her hat nachhaltig gewirkt. Er hat sich für die ökumenischen Dialoge bewährt, die m. E. nur tragfähig werden, wenn sie sich vom Wort Gottes inspirieren lassen. In der Gemeinsamen Erklärung von Lutheranern und Katholiken zur Rechtfertigungslehre z. B. hat sich diese Quellen- und Schriftbestimmtheit positiv ausgewirkt. Ohne ein gemeinsames Schriftstudium der Dialogpartner wäre diese Erklärung nicht zustande gekommen. Nur so konnten gegensätzliche Perspektiven bzw. Lesarten der Schrift in Bezug auf die gemeinte Sache miteinander kompatibel werden.
Melanchthon hat die ökumenische Fruchtbarkeit seiner an der Schrift selbst erworbenen und dann weitergegebenen Bildung und Methodik auch im Bekenntnis unter Beweis gestellt. Nicht Luther, sondern er ist derjenige, der die Confessio Augustana erarbeitet und vertreten und dann in der Apologie ausführlich begründet und verteidigt hat. Sie ist bis heute die grundlegende Lutherische Bekenntnisschrift, nach der sich viele Kirchen, als Kirchen der Augsburger Konfession, sogar benennen. Auch wenn er Späteren als "Leisetreter" galt: Seine Formulierungen bilden hier und später die Grundformulierung lutherischen Bekenntnisses.
Dabei ist wichtig, dass dieses zweifelsfrei lutherische Bekenntnis beansprucht, katholisch zu sein, nicht im konfessionellen, sondern theologisch-qualitativen Sinn, nämlich den einen katholischen Glauben zu bekennen. Es will in der Sache die Einheit aller Christen befördern. Melanchthon will gerade keine neue, schon gar keine andere Kirche begründen, sondern verbindend wirken. Erst in der Nichtannahme durch den Kaiser wurde aus diesem katholischen und ökumenischen Bekenntnis ein konfessionelles Bekenntnis. Mit gewissem Recht ist darum Melanchthon als erster Ökumeniker der Reformationszeit bezeichnet worden.
Die Melanchthon-Ausstellung findet im Erfurter Augustinerkloster statt. Das Augustinerkloster war das Kloster der strengsten Regel-Observanz, in das Luther eingetreten ist, um entschieden und bewusst Christ zu werden und als Christ zu leben. Hier wollte er lernen, was reformatio, was Erneuerung des Lebens und des Christseins bedeutet.
Melanchthon war nie im Kloster, war nie Asket, war nie Kleriker oder ordiniert, noch nicht einmal ausgebildeter Theologe. Er ist nicht so in der Auseinandersetzung groß geworden wie Luther. Er bringt einen anderen Weg der Reform, den Humanismus, das Prinzip "ad fontes". "zurück zu den Quellen" in die Reformation ein und damit auf ganz andere Weise als Luther die Rolle der Sprache und den Sinn für die ursprüngliche Bedeutung des überlieferten Wortes.
Auch deswegen freue ich mich, dass mit der Melanchthon-Ausstellung hier in Erfurt Humanismus und Bildung als wesentlicher Bestandteil und als Folgewirkung der Reformation zur Darstellung kommt.
In gewissem Sinn ist das Augustinerkloster den Weg von Luther zu Melanchthon gegangen, nämlich den Weg vom Kloster zur Schule, den Weg von der geistlichen Selbstbildung zum Dienst an der Bildung anderer. Das wird bis heute durch die Bibliothek des "Ministeriums" sichtbar und gepflegt, aber auch durch den Dienst der Schwesterngemeinschaft vom Casteller Ring für die Menschen unserer Stadt..
Wir sollten wieder in der Ökumene das Stichwort Bildung ganz groß schreiben. Es gibt keinen Fortschritt in der Ökumene ohne Bildung der Beteiligten am Wort Gottes, ohne Bildung in der Theologie und im geistlichen Leben, ohne ein tieferes Verstehen der unterschiedlichen Sichtweisen, die sich gerade aus der gemeinsamen, miteinander verbindenden Quelle ergeben können. Konfessioneller Fundamentalismus oder bewusste Ignoranz, die den Standpunkt des anderen nicht kennt oder nicht kennen will, sind tödliche Gegenkräfte der Ökumene.
Solche notwendige Bildung hat Melanchthon befördert. Solche Bildung lehrt uns, Gottes Willen reicher, tiefer, differenzierter zu erkennen. Sie hilft, die legitimen Unterschiede von den trennenden Unterschieden zu unterscheiden. Sie lehrt im Verschiedenen das Verbindende, die Einheit der Quelle in der Differenz ihrer Bezeugungen zu entdecken und vermag so Getrenntes zusammenzuführen. Solche Bildung vermag zu vereinfachen, ohne zu simplifizieren, vermag zusammenzuführen, ohne zu absorbieren; sie vermag den Reichtum der Verschiedenheiten dank des gemeinsamen Grundes zu entdecken, statt die Spannungen sprengend werden zu lassen.
Darum ist es aus meiner Sicht gut, dass wir es in der Wittenberger Reformation nicht nur mit Luther, sondern auch mit Melanchthon zu tun haben. Ich hoffe, dass viele von Ihnen diese Sicht teilen können.
Grußwort gesprochen am 19.2.2010
Die Ausstellung der Europäischen Melanchthon-Akademie Bretten mit dem Titel "Melanchthon - Grenzen überwinden - Die Bedeutung Philipp Melanchthons für Europa" kann vom 20. Februar bis 18. März 2010 im Augustinerkloster besichtigt werden. Öffnungszeiten: Montag - Freitag von 10 Uhr bis 17 Uhr, Samstag und Sonntag von 10 Uhr bis 15 Uhr.