Vor Festtagen wie Ostern werde ich meist von Presseleuten gefragt: "Haben Sie eine Botschaft für unsere Leser?" Ich komme dann immer in eine gewisse Verlegenheit, was ich da sagen soll. Ich habe das dumpfe Gefühl: Die Wiederholung der biblischen Botschaft "Christ ist erstanden!" hilft den Lesern der "Thüringer Allgemeinen" wenig. Und selbst wenn sich der Bischof für das MDR-Fernsehen vor den Wolframleuchter stellt, frage ich mich: Hat Ostern eine Botschaft für Menschen, die nicht mit der Wirklichkeit Gottes rechnen? Wenn es Gott nicht gibt, da kann man doch wirklich nur auf den Fortschritt der Medizin hoffen, aber nicht auf Auferstehung!
Vermutlich muss die Vermittlung der Osterbotschaft noch grundlegender ansetzen. Ich versuche es einmal so: Ostern feiert das Leben.
Ein solcher Satz macht zumindest nachdenklich. Er regt zum Weiterfragen an. Was heißt das: Das Leben feiern? Ist damit gemeint, was unsere nichtreligiösen Landsleute - und ja auch wir gemeinhin unter Feiern verstehen? Die jungen Leute würden sagen: eine Fete abziehen. Wir sagen vielleicht: Feiern - das ist für mich arbeitsfrei haben; ausgehen; etwas Schönes erleben; Kurzurlaub machen; mit Freunden zusammensein.
Das ist zumindest ein Zugang zu einem allerersten Verständnis der Osterbotschaft: Es geht um etwas Schönes, Festliches, etwas Außergewöhnliches, was den grauen Alltag durchbricht. Und wer noch etwas romantisch veranlagt ist, der schaut auf den aufbrechenden Frühling, auf die ersten Knospen und Blüten und hat darin zumindest ein Gleichnis, das man nach langen Wintertagen sich über das frisch aufbrechende Leben freuen kann.
Ostern feiert das Leben.
Eine solche Auskunft weckt freilich auch andere Fragen. Fragen, die auch uns Glaubenden nicht fremd sind. Kann man das Leben wirklich feiern? Hat das Leben nicht auch dunkle, ja schreckliche Seiten?
Ich erinnere nur an die Nachrichten der vergangenen Wochen. Man hat den Eindruck: Ein Menschenleben ist immer weniger wert. Vielen von Ihnen wird es ähnlich ergehen wie mir. Gerade das wahllose Töten von unschuldigen Menschen durch fanatisierte Extremisten wie in Oslo oder jüngst in Toulouse lassen uns innerlich erstarren. Da erschrecken uns Mordtaten aus rechtsradikaler Gesinnung mitten in Deutschland, wahllos herausgesuchte Opfer, deren Leben einfach für nichts und wieder nichts ausgelöscht wird. Da erschießt im kalifornischen Oakland ein Mann seine ehemaligen Mitstudenten, um seinen Frust loszuwerden. Wir werden unmittelbar an das erinnert, was bei uns in Erfurt im Gutenberg-Gymnasium geschah. Ende dieses Monats werden es 10 Jahre her sein. Die Trauer der betroffenen Familien und Freunde der Getöteten, ja unser aller Trauer hält bis heute an.
Das alles und vieles mehr, was uns an Nachrichten beinahe täglich erreicht, enthüllt einen unbegreiflichen Abgrund an Unmenschlichkeit und Brutalität.
Ich höre schon die kritischen Einwände: "Und da wollen Sie uns weismachen, dass man das Leben feiern kann?"
Ich meine, solcher Protest ist heilsamer als ein Ostergefühl, dass sich in einer Osterhasen-Idylle erschöpft und mit belangloser Unterhaltung zufrieden gibt. Wer so kritisch fragt, wer den tiefen Riss spürt, der in ein und demselben Menschenherzen vorhanden ist zwischen Lebenshunger und Lebensverachtung, zwischen Sehnsucht nach Lebenserfüllung und der Verzweiflung angesichts gewaltsam ausgelöschten Lebens, - der fängt an zu erahnen, was der christliche Osterglauben sagen will.
Unser Glaube weiß um die Abgründe des Menschenherzens. Da braucht man nur in die Bibel schauen. Die Bibel redet das Böse nicht weg. Es ist für sie eine Realität. Und doch kann Psalm 8 vom Menschen sagen: "Was ist der Mensch, dass du (Gott) an ihn denkst, des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst!" Ein Loblied auf den Menschen, auch und gerade auf dem Hintergrund des Wissens, wie rätselhaft klein, begrenzt und hilflos dessen Leben ist angesichts des unfassbaren Universums, aber auch angesichts des Bösen in uns und um uns.
Für uns gestorben: Jesus im Schoß seiner Mutter, Szene bei der Heiligenstädter Leidensprozession am Palmsonntag dieses Jahres
Ostern feiert das Leben!
Das zielt auf den Kern des christlichen Osterfestes. Ostern erinnert uns ja ebenfalls an ein schreckliches Sterben. Jesus Christus weicht dem Bösen nicht aus. Er erträgt das Böse bis zur Hingabe des eigenen Lebens - und zerbricht es so. Wie wenn, im Bild gesprochen, ein Eisbrecher eine vereiste Fahrrinne aufbricht, damit dann andere Schiffe in seinem Gefolge zu ihrem Ziel gelangen - so überwindet hier einer den menschenmörderischen Hass stellvertretend für uns alle durch Gewaltlosigkeit und Liebe.
Warum hört ein Kind in den Armen seiner Mutter zu weinen auf? Warum wird ein Sterbender ruhig, wenn jemand bei ihm ist und ihm die Hand hält? Warum wird Trauer leichter, wenn andere meine Trauer teilen?
Ja, wir dürfen das Leben feiern. Das Leben ist wunderbar - und abgründig tief zugleich. Ich gebe zu: Es ist oft mehr eine Frage als eine Antwort. Es ist für mich, auch ganz persönlich, manchmal mehr eine Verheißung als immer und in allem schon eine Erfüllung. Wer schon einmal auf einer Intensivstation eines Krankenhauses gelegen hat, weiß, wovon ich rede.
Ostern feiert das Leben.
Darum ist wichtig, dass wir nicht nur auf die lebensrettenden Intensivstationen der Krankenhäuser vertrauen. Die Kirche lädt in diesen österlichen Tagen zum Empfang der Sakramente ein. Sie sind gleichsam die Intensivstationen Gottes. Sie sind die Orte einer gnadenhaften Umwandlung unseres sterblichen Lebens in das neue, göttliche Leben. Denn die österlichen Sakramente, diese Kraftquellen, gespeist aus dem österlichen Sieg Christi über Sünde und Tod therapieren nicht nur, sie schaffen das Leben neu - jetzt im Vorgriff eines österlichen Verhaltens, das uns nicht immer leicht fällt, und dann einmal in der Seligkeit einer Lebensfülle, auf die wir in Hoffnung zugehen.
Jetzt verstehen wir vielleicht ein wenig besser, was Ostern für eine Botschaft hat. Und auch, was wir zur ihrer Weitergabe tun können. Denn das ist es, was unsere Kirche, was wir, jeder Getaufte und Gefirmte braucht: nicht nur Anstrahlung, sondern Ausstrahlung. Nicht ein selbstzufriedenes, rein persönliches Sich-Sonnen im Osterglauben, sondern die Weitergabe, das Ausstrahlen des Osterglaubens in einem österlichen Leben.
Darum: Jede noch so kleine Tat der Nächstenliebe und Freundlichkeit für andere, jede Bereitschaft, auch den Fremden und Flüchtlingen unter uns Heimat und Lebensrecht zu gönnen, jeder Einsatz für Gerechtigkeit und Frieden gibt der Welt österliches Licht. Dieses Licht ist die Sehnsucht vieler, auch in unserem säkularen Land. Das ist meine feste Überzeugung. Wir Christen sind mit unserer Osterhoffnung nicht allein, wir gehen nur voran. Darum lasst uns voll Freude Ostern feiern - und mit Ostern das Leben. Amen.
Predigt gehalten im Erfurter Dom St. Marien