Liebe Schwestern und Brüder im Herrn,
vor wenigen Tagen ist zum ersten Mal eine Anzeige gegen einen Priester unseres Bistums wegen sexueller Nötigung Jugendlicher öffentlich geworden. Jetzt erst hat sich ein Betroffener bereit erklärt, die Taten, die schon länger zurückliegen, auf unsere Veranlassung hin zur Anzeige zu bringen. Ohne die konkreten Umstände des Falles hier darlegen zu wollen, der jetzt staatsanwaltschaftlich untersucht wird, möchte ich doch die Tatsache einer solchen Anzeige zum Anlass nehmen, an die katholischen Gläubigen unseres Bistums ein Wort zu richten.
Mit tiefer Beschämung schreibe ich diese Zeilen. Ich weiß durch viele Briefe, Anrufe und Gebetsversicherungen, dass die Priester, die Diakone, alle bei uns in der Seelsorge Tätigen und auch die Gläubigen diese Beschämung und Erschütterung teilen. Es ist unser aller Kirche, die derzeit an vielen aufgedeckten Wunden leidet. Das ist ein Leid, das wir derzeit gemeinsam tragen.
Von Vertretern der Kirche ist an jungen, unschuldigen Menschen Schlimmes verübt worden. Mag es auch Abstufungen geben, mag es auch solche Dinge anderswo geben: Es bleibt eine besonders bittere Tatsache, dass solche Taten in unserer Kirche passiert sind. Es sind Taten, die besonders verletzend und zerstörerisch wirken, weil sie aus einem seelsorglichen Vertrauensverhältnis mit Schutzbefohlenen heraus begangen wurden.
Darum gilt in erster Linie meine Anteilnahme allen, die durch solche Übergriffe an Leib und Seele geschädigt wurden. Als Bischof bitte ich dafür um Vergebung. Mir ist bewusst, dass Wiedergutmachung und Hilfe den Opfern gegenüber oft nur unzureichend den Schaden beheben können, der angerichtet wurde.
Ich möchte klar sagen: Solche Taten, in und außerhalb der Kirche, auch wenn sie nicht öffentlich werden, sind Sünden gegen Gottes heiligen Willen und gegen die Würde junger Menschen. Gerade Seelsorge ist ihrem ganzen Wesen nach Sorge um den Menschen, Sorge um sein irdisches und ewiges Heil. Wenn das Vertrauen in diese treu durchgehaltene Grundhaltung selbstloser Zuwendung zu den Menschen unter uns schwindet, ist das Fundament des kirchlichen Wirkens zerstört. Darum gilt in dieser Stunde mein Dank all denen, die in Treue und mit geduldigem Einsatz in Seelsorge, Erziehung und Caritas für andere tätig sind, sei es haupt- oder ehrenamtlich. Von diesem Einsatz lebt die Kirche. Dazu ist sie da. Ich danke dafür, dass so viele ihre Verkündigung durch ihr selbstloses Tun und Handeln als wahrhaftig ausweisen.
Ich muss bekennen, dass ich in der letzten Zeit viel gelernt habe. Mit dem Wissen von heute hätte ich die eine oder andere Entscheidung in der Vergangenheit anders gefällt. Pädophilie ist wie eine Sucht, die nur schwer beherrschbar ist. Auch strenge Verweise, auch die beim Täter vorhandene Reue und die Einsicht in sein Fehlverhalten, auch gerichtsmedizinische Gutachten und dienstliche Auflagen können keine Sicherheit garantieren. Es bleiben trotz aller Vorsicht durch den so Veranlagten Gefährdungen bestehen, wie ich jetzt erkennen muss. Dieser Einsicht stelle ich mich.
Was ich als Bischof heute tun kann: Ich gehe allen Hinweisen sexuellen Missbrauchs im Bereich des Bistums nach, soweit das irgend möglich ist. Schwierig ist es freilich mit anonymen Anzeigen. Sie bieten keine wirkliche Hilfe, die Wahrheit zu finden, an der mir aber gelegen ist. Wir sind uns darin einig: Ein falsch verstandenes Ansehen der Kirche darf nicht über das Leid der Opfer gestellt werden. Schmerzliche und bittere Wahrheiten müssen angeschaut werden, auch wenn das weh tut - sowohl denen, die einst geschädigt wurden als auch den Tätern. Es tut auch allen in unseren Gemeinden weh, die eigentlich unbeteiligt sind, aber die dennoch als Mitglieder der Kirche durch solche Taten mit in Haftung genommen werden.
In meinem Verhalten richte ich mich nach einer kirchlichen Ordnung, die bei Straftaten von Klerikern und kirchlichen Mitarbeitern ein geregeltes Verfahren kennt. Bei dessen Durchführung wird mir von erfahrenen Fachleuten geholfen. Ich unterstütze auch vorbehaltlos die staatlichen Strafverfolgungsbehörden. Liegen Anhaltspunkte für eine Tat vor, gehe ich den Weg staatsanwaltschaftlicher Anzeige, wenn nicht der ausdrückliche Wille des Opfers entgegensteht. Auf jeden Fall wird dem Opfer nahe gelegt, den Weg zur Staatsanwaltschaft zu gehen. Die im Namen der Kirche Handelnden sind nicht dem staatlichen Strafrecht entzogen.
Wir haben in der Bistumsleitung eine bestimmte Vorgehensweise festgelegt: Zunächst nimmt der Beauftragte unseres Bistums für diese Fragen, Herr Dr. med. Rudolf Arnrich, mit dem Anzeigenden und dem Beschuldigten Kontakt auf und versucht die Tatbestände zu erheben und ggf. falsche Verdächtigungen auszusondern. In einem zweiten Schritt begutachtet eine von mir beauftragte Kommission, in der juristischer und auch medizinischer Sachverstand mit herangezogen werden, den vorgelegten Befund und veranlasst ggf. weitere kirchliche Befragungen, die dann in einem dritten Schritt zu einer Anzeige bei der Staatsanwaltschaft und (bei Klerikern) zusätzlich zu einem kirchlichen Verfahren führen können.
Ich möchte betonen, dass bei aller Konsequenz, die in der Behandlung solcher Fälle zum Zuge kommen soll, mich auch die Frage bewegt, wie ein schuldig Gewordener weiter mit seiner Schuld leben kann. Hier gilt es Wege der Versöhnung aufzuzeigen mit denen, die durch den Täter Unrecht erlitten haben und mit Gott. Schwierig sind jene Fälle, die jetzt aus einer länger zurückliegenden Zeit angezeigt werden. Aber auch hier wird das Aussprechen der Wahrheit eine reinigende und vielleicht auch heilende Funktion haben.
Liebe Schwestern und Brüder im Herrn,
es ist mir nicht leicht gefallen, diese Worte an Sie zu richten. Aber ich meine: Diese Worte sind jetzt fällig. Und im Übrigen haben wir das Evangelium und unser an Gottes Gebot geschultes Gewissen, um das rechte Urteil zu finden. Zudem dürfen wir Gott um seine Hilfe bitten - für jene, denen schweres Unrecht und Leid zugefügt wurde wie für die schuldig Gewordenen. Aber auch wir selbst wollen uns dem Erbarmen Gottes anvertrauen, dessen wir alle bedürfen.
Mit österlichen Segensgrüßen
Euer
Bischof Joachim Wanke
Das Bischofswort wurde am Sonntag, 18. April 2010 in allen heiligen Messen im Bistum Erfurt verlesen.
Bischof Wanke zum Thema im MDR (Text-, Audio- und Videobeiträge)