Mit dem "Weinstock" Christus verbunden bleiben

Hirtenbrief von Bischof Joachim Wanke zur österlichen Bußzeit 2011

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn!

Vor Ihnen liegt ein Faltblatt (bitte anklicken!), dessen erstes Bild einen Weinstock zeigt. Beim Betrachten des Bildes steigen in mir Urlaubserinnerungen auf - schöne Spaziergänge in den Weinbergen an der Mosel. Die Pracht der reifenden Trauben erfreut das Herz. Aber ich denke dabei auch an die intensive Arbeit der Winzer. Ein Weinberg braucht Pflege, braucht Zeit, braucht Geduld. Doch diese Mühe lohnt sich. Gesunde und kräftige Rebstöcke sind Voraussetzung für eine reiche Weinernte - wie man auf den folgenden Seiten unseres Faltblattes sieht.

"Ich bin der Weinstock - ihr seid die Reben!" In dieses Bild fasst der Herr das Geheimnis der Jüngerschaft, zu der er jeden von uns ruft. Damit sich in unserem Leben Wasser in Wein verwandeln kann, Anstrengung in Erntefreude, irdisches Leben in das Leben ewiger Herrlichkeit, braucht es die enge Verbundenheit mit Christus. Die Rebzweige allein vermögen nichts, aber mit dem Weinstock verbunden bringen sie reiche, köstliche Frucht.

Ich stelle Ihnen heute dieses Bild vor Augen, um auf die Herzmitte unseres christlichen Lebens hinzuweisen: Christus in uns - und wir in Ihm. Diese "Weinstock-Verbundenheit" ist der Kraftquell unseres Glaubens, unserer Hoffnung, unserer Gottes- und Nächstenliebe. Davon hängt die geistliche Qualität unserer Ortskirche ab.

Ich schreibe dies besonders im Blick auf den angekündigten Besuch von Papst Benedikt XVI. im kommenden September. Dieser Besuch ist für uns ein Grund zur Freude. Der Heilige Vater setzt ein Zeichen der Gemeinschaft mit unserem Bistum. Das ist nicht selbstverständlich. Mit seinem Besuch will er unseren Glauben stärken. Er möchte uns helfen, in unserer Verbundenheit mit Christus zu wachsen.

Der christliche Glaube ist hierzulande seit über tausend Jahren beheimatet. Es gibt eine reiche katholische und evangelische Frömmigkeitstradition in Thüringen. Doch wer wollte verkennen, dass die Christen insgesamt, evangelische wie katholische in diesem Land in der Minderheit sind. Christsein ist nicht mehr das Selbstverständliche, das von der Tradition Vorgegebene. Wer Christ sein will, kann es nicht aus Gewohnheit sein, nicht in der Diaspora, aber auch nicht im Eichsfeld. Er braucht dazu Mut und Entschiedenheit. Es braucht dazu eine bewährte Glaubenspraxis, Treue im Gottesdienstbesuch und Ausdauer im Gebet.

Wir sind in der gegenwärtigen geschichtlichen Stunde auf dem Weg zu einer neuen Art des Kirche-Seins. Wir sind dabei, eine "Missionskirche unter neuzeitlichen Bedingungen" zu werden. Aus dem Glaubenserbe, das wir von unseren Vorfahren empfangen haben, muss für uns selbst und die Menschen dieses Landes wieder ein neues Angebot werden. Wie kann das geschehen?

Die Voraussetzung dafür ist im Gleichnis vom Weinstock und den Rebzweigen ins Bild gefasst: Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht (Sie können es auf den nächsten Seiten unseres Blattes lesen). Ich möchte unserem Papst bei seinem Besuch eine Kirche vorstellen, die aus dieser lebendigen Erfahrung lebt: Christus in uns - und wir in Ihm! Das Bild vom Weinstock und den Rebzweigen sagt uns:

- Auch eine kleine, in mancher Hinsicht armselige, auch von Schuld und Versagen gezeichnete Kirche vermag das Licht des Evangeliums auf den Leuchter zu stellen. Aber sie kann es nicht allein, aus eigenen Kräften, sondern nur, weil sie mit IHM, dem Herrn, verbunden ist.

- Auch eine Kirche, die eine Minderheit inmitten vieler Andersdenkender ist, vermag mit ihrer Seelsorge auf das Heil zu verweisen, auf die "Lebensfülle", die Gott uns in Taufe und Glauben eröffnet. Aber sie vermag es nur, wenn wir als Glieder dieser Kirche selbst unser Herz in Gott und seiner Verheißung festmachen.

- Auch unsere kleinen Zeichen konkreter Nächstenliebe, von Einzelnen und gemeinsam geleistet, können Gottes Erbarmen aufleuchten lassen. Denken wir an das Beispiel der hl. Elisabeth, unserer Bistumspatronin. Aber denken wir auch daran, woraus sie ihre Liebe zum Nächsten immer wieder gespeist hat: Aus der Verbundenheit mit dem Herrn, vor dessen Kreuzesbild sie so häufig gekniet hat.

- Und wenn wir mit unseren Gottesdiensten und unserem Lebensbeispiel auf den "Himmel" verweisen, den Gott uns schon jetzt geschenkt hat, ist das Verkündigung des Evangeliums in einer Welt, die meint, sie habe an sich selbst genug. Aber auch dieses Zeugnis setzt voraus, dass wir mit Jesus Christus verbunden sind, ohne den es diesen Himmel Gottes für uns nicht gäbe.  


Ich lade Sie nun ein, das Bild auf der Rückseite zu betrachten: Eine geöffnete Tür, die einlädt, sie zu durchschreiten. Gott öffnet uns Türen und führt auf neue Wege. Er ist es, der immer wieder durch die Ereignisse der Zeit und besondere Geschehnisse in unserem Leben, auch in unseren Gemeinden die Initiative ergreift. Die innerste Mitte der Kirche ist nicht zuerst das, was wir tun oder in Gang setzen. Gott ist am Handeln, auch heute. Darum ist entscheidend, dass wir aufmerksam bleiben für das, was er mit uns vorhat.

Der Raum, in dem diese Aufmerksamkeit für Gott wachsen kann, ist das Gebet, das persönliche und das gemeinschaftliche Gebet in seinen unterschiedlichen Formen. Ohne dieses "geistliche Grundwasser" kommt in der Kirche nichts zum Blühen, reifen keine Früchte. Darum mein Vorschlag:

Lasst uns in unseren Gemeinden Gruppen bilden, kleine "Gebetsschulen", die sich wieder neu in der Praxis des Gebetes stark machen. Unser diözesanes Exerzitienwerk hat eine Handreichung erarbeitet, die dafür Anregungen geben will. Auf dem Deckblatt dieser Handreichung befindet sich dieses Türbild, das Sie hier auf dem Faltblatt sehen. Dem Betenden öffnet Gott Türen. Er zeigt ihm neue Wege. Die großen Heiligen haben in den Nöten ihrer Zeit nicht mit dem Finger auf die Fehler der anderen gezeigt. Sie haben vielmehr ihr Herz im Gebet festgemacht und haben so geholfen, die Kirche zu erneuern.

Gott will, dass wir uns auf den Weg machen, dass wir in Bewegung kommen - auf ihn hin, unseren Schöpfer und Erlöser. Gerade in den kommenden Jahren wird manches von uns im kirchlichen Leben an Veränderungsbereitschaft verlangt. Diese Herausforderungen bedürfen eines "geistlichen Grundwassers", das sich aus dem Gebet speist. Wir brauchen die Kraft von oben, um das zu tun, was hier und jetzt notwendig ist. Ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, häufig diese beiden Strophen des alten Pfingsthymnus zu beten:

"Gib dem Volk, das dir vertraut, und auf deine Hilfe baut,
deine Gaben zum Geleit.

Lass es in der Zeit bestehn, deines Heils Vollendung sehn
und der Freuden Ewigkeit."

Meine herzliche Bitte: Überlegt und plant gemeinsam mit euren Seelsorgern, wo und bei welchen Gelegenheiten im Gemeindeleben so etwas wie eine "Gebetsschule" möglich sein kann. Eine betende Kirche und eine Kirche der Beter wird auch in diesen Zeiten bestehen und für viele Menschen ein Segen sein.

Nochmals zum Papstbesuch: Dieser Besuch soll ein geistliches Ereignis sein. Darum kann ich mir keine bessere Vorbereitung dieses Besuches denken, als dass wir miteinander neu in die "Schule des Gebets" gehen. So wird das Besuchsereignis zu einer wichtigen Station auf dem geistlichen Weg unserer Ortskirche werden. Denn was kann der Papst uns anderes sagen, als wir eben betrachtet haben: Christus, der Herr, ist unsere Mitte. Ohne ihn vermögen wir nichts. Aber in der Verbundenheit mit IHM, dem lebendigen "Weinstock", kann unsere Kirche auch heute und morgen bestehen und reiche Frucht bringen.

Es segne und behüte Sie alle der gute und mächtige Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist. Amen.

Ihr
Bischof Joachim Wanke