Bischof Wanke (am Altar im grünen Messgewand): "Die Grundaufgabe der Kirche ist es aber, auf den Himmel zu verweisen, auf die Tatsache, dass wir mit uns selbst nicht allein sind, sondern im tiefsten und letzten Sinne ein Gegenüber haben. Darum müssen wir uns mühen."
Sie sind jetzt schon seit einigen Wochen außer Dienst. Wie fühlt man sich da? Können Sie leicht loslassen?
Es ist ein Lernprozess, der für mich aber schon jetzt viel Entlastung bringt.
Seit wann stand für sie eigentlich der Entschluss zum Rücktritt fest?
Das ist ein Prozess gewesen im Rahmen der Überlegungen, die Verantwortung in die Hände der jüngeren Generation zu legen. Ich hatte erwogen, den Schritt schon im vergangenen Jahr zu machen. Aber natürlich hatte der Papst-Besuch dann Vorrang.
Stimmt es, dass Sie dem Papst Ihren Entschluss bei seinem Besuch in Erfurt mitgeteilt haben?
Nein, das war nicht die passende Gelegenheit, derartige Dinge zu besprechen.
Beim Blick zurück: Sie haben zwei unterschiedliche politische Systeme als Bischof erlebt. Die DDR übte massiven Druck auf die Kirche aus, aber auch in der pluralistischen Gesellschaft von heute hat die Kirche ihre Probleme. Wo ist es einfacher für Christen, sich zu behaupten?
Beim Blick zurück bewegt mich vor allem eins: Ich bin unendlich dankbar für die Unterstützung, die ich immer wieder erfahren habe. In der eigenen Arbeit steht man immer auf den Schultern anderer. Dankbar bin ich der Generation, die mich für meinen seelsorgerischen Dienst zugerüstet hat. Ich nenne hier meinen Vorgänger im Amt, Bischof Aufderbeck, und meinen theologischen Lehrer Heinz Schürmann. Beide seien hier stellvertretend für viele andere genannt. Dankbar bin ich aber auch der Generation, die mich begleitet hat. Das eigene Wirken ist ja oft nur das Echo von Anregungen, die jemanden erreichen.
Wie bewerten Sie im Rückblick das Christsein in diesen beiden unterschiedlichen gesellschaftlichen Systemen?
Die Zäsur der friedlichen Revolution hat einen radikalen Wandel der gesellschaftlichen wie auch der kirchlichen Lebensverhältnisse gebracht. Man kann in jeder Zeit Christ sein, mit allen Herausforderungen, Schwierigkeiten und Nöten, die die Lebensverhältnisse mit sich bringen. Die Herausforderung zu DDR-Zeiten war eher eine ideologische. Der Grundvorwurf damals, der Glaube verderbe das Denken. Heute ist es der Vorwurf, der Glaube verderbe das Leben. Manche glauben, jede Bindung schmälere die Lebensfreude. Auch diese Einstellung ist für die Christen eine Herausforderung.
Hat dieser äußere Feind Staat zu DDR-Zeiten die Christen nicht mehr zusammengeschweißt als heute?
Der Außendruck schweißt natürlich zusammen. Aber in jeder Gemeinschaft breitet sich mit neugewonnener Freiheit auch die Vielfalt aus. Man könnte sagen, was vorher tiefgekühlt war, kommt jetzt auf Normaltemperatur.
Haben die Kirchen in Ost- und Westdeutschland voneinander lernen können?
Ja, das war nicht nur ein einseitiger Prozess. Wir haben die Erfahrung eingebracht, dass Kirche auch in einer Minderheitensituation leben kann, dass die Kirche auch wie ein Sauerteig in einer Gesellschaft wirken kann, die eigentlich kirchenfern ist. Es war eine Gratwanderung, weil sich Menschen in der zweiten oder dritten Reihe einbringen wollten für eine menschliche Gesellschaft, zugleich aber sich immer gegen die Gefahr wappnen mussten, ideologisch missbraucht zu werden. Und die katholische Kirche in Ost und West ist in der Nachwendezeit auch deshalb leicht zusammengewachsen, weil wir uns immer zusammengehörig wussten.
Welche Rolle kann Kirche denn in einer weitgehend säkularen Gesellschaft spielen? Oft wird nur ihr soziales Engagement hervorgehoben.
Man sollte das soziale Engagement der Kirche nicht kleinreden. Die Grundaufgabe der Kirche ist es aber, auf den Himmel zu verweisen, auf die Tatsache, dass wir mit uns selbst nicht allein sind, sondern im tiefsten und letzten Sinne ein Gegenüber haben. Darum müssen wir uns mühen. Wir haben als Kirche eine Aufgabe für alle Menschen. Ich spreche gerne von einer neuen missionarischen Präsenz der Kirche in der Gesellschaft.
Wie meinen Sie das?
Das Elisabeth-Jahr 2007 war für mich ein gelungenes Beispiel dafür. Anhand der Biografie der heiligen Elisabeth kann man sehr deutlich machen, dass man die Erde nicht vernachlässigt, wenn man sich um den Himmel kümmert. Diese Frau hat den Himmel über Thüringen offen gehalten. Sie war als Politikerin und Mystikerin gleichzeitig ein leuchtendes Beispiel menschlicher Barmherzigkeit. Darum geht es: Den Himmel über Thüringen offen halten und sich um die Menschen in Not kümmern, ihnen zuhören, mit ihnen ein Stück ihres Weges gehen.
Hat Kirche die Aufgabe, den Armen und Benachteiligten eine Stimme zu geben?
Natürlich. Die Caritas, das Katholische Büro und der Katholikenrat melden sich da ja immer zu Wort. Allerdings ist es mitunter durchaus schwer, mit einer differenzierten Sicht auf die Dinge durchzudringen. Hier ist es Aufgabe der Kirche, auf bleibende Werte zu verweisen und nicht nur auf das schnell Machbare zu schauen. Eine solche Sicht der Dinge vermisse ich in vielen Bereichen, auch in Teilen des Bildungswesens.
Welche gesellschaftliche Entwicklung bereitet Ihnen die größte Sorge?
Die Vereinsamung und Isolierung der Menschen. Der soziale Kitt in der Gesellschaft geht ein Stück weit verloren, wenn Freiheit völlige Bindungslosigkeit bedeutet, wenn der Einzelne allein gelassen wird, wenn man den Blick für den anderen verliert oder sich selbst isoliert. Aber natürlich muss man auch hier differenzieren: Es gibt gut funktionierende Gemeinschaften, Nachbarschaften. Hier wird in Thüringen privat und ehrenamtlich viel geleistet, was der Sozialstaat so gar nicht schultern könnte. Viele Menschen wissen um den Wert guter Beziehungen.
Wo sehen Sie große Chancen für Kirche im gesellschaftlichen Bereich?
Sie muss an vielen Stellen eine helfende und dienende Kirche sein, die mit dazu beiträgt, dass unsere Gesellschaft menschlich und die Zukunft offen bleibt. Jüngst hat mich ein Fernsehbericht erschüttert. Da wurde eine alte Frau mit Alzheimer in ein Pflegeheim nach Tschechien gegeben - aus finanziellen Gründen, die vielleicht sogar nachvollziehbar sind, weil eine Pflege in Deutschland für den Sohn nicht zu bezahlen war. Solche Entscheidungen zeigen eine Fehlentwicklung an, weil die Ökonomie zum Maß aller Dinge geworden ist und dadurch das Menschliche auf der Strecke bleibt. Bei solchen Fragen kann die Kirche auf der kulturell-reflexiven Schiene dabei mithelfen, die Menschenwürde zu wahren, den Reichtum des Lebens neu zu entdecken und die Beziehungskultur zu pflegen.
Von den gesellschaftlichen Fragen noch einmal zurück zur Kirche: Derzeit wird häufig an das Zweite Vatikanische Konzil vor 50 Jahren erinnert. Sehen Sie die Gefahr, dass die damalige Öffnung der Kirche wieder zurückgeschraubt wird?
Es wird zum Teil zurückgeschraubt. Ein kleines Beispiel ist die Liturgiesprache. Mit der engen Anlehnung an das Kirchenlatein versucht man zu zeigen, dass man Weltkirche ist. Sicher muss man Grundgebete wiedererkennen können und die katholischen Traditionen bewahren. Aber ob man wirklich mit der lateinischen Grammatik die Einheit der Kirche rettet?
Worauf führen Sie das zurück?
In Zeiten der Unsicherheiten ist die Versuchung groß, sich auf einen bürokratischen Zentralismus zu verlassen. Aber die Ortskirchen in der Welt haben gottlob eine starke eigene Dynamik entwickelt.
Wenn Sie von Zeiten der Unsicherheit reden: Kann man aus der Tatsache, wie die Kirche hier und beispielsweise in Polen die kommunistischen Diktaturen überlebt hat, nicht schließen, dass man keine Angst zu haben braucht?
Man soll sich nicht selbst zu viel auf die Schulter klopfen. Aber natürlich haben diese Jahre gezeigt, dass ein kirchliches Leben auch in der Diaspora und in einer Gesellschaft, die Kirche gegenüber feindlich eingestellt ist, möglich ist.
Kirche muss sich auch auf neue Herausforderungen einrichten. Wie schwer ist es gefallen, dem Bistum ein neues Kleid in Gestalt größerer Pfarreien zu schneidern?
Es ist ein schwieriger Prozess. Wenn Vertrautes zerbricht, entsteht Unsicherheit. Auch heute gibt es noch Gesprächsbedarf in den Gemeinden. Aber für alle ist jetzt die Perspektive für die nächsten Jahre klar. Und dieses Vorgehen hat sich bewährt. Wichtig ist mir, die Struktur mit den Inhalten zusammenzuhalten. Wenn der Wind aus anderer Richtung wehrt, muss man die Segel neu setzen. Kirche heute muss eine Missionskirche sein. Die Lufthansa hatte mal einen schönen Werbespruch: Damit der Himmel offen bleibt, haben wir auf Erden viel zu tun. Das gilt auch für die Kirche.
In den Kirchen wird derzeit um einen guten neuen Bischof gebetet. Gibt es für Sie Kriterien, die Sie an einen neuen Bischof anlegen würden?
Er muss die die Menschen vor Ort gern haben. Er muss, wenn er aus einer größeren Ortskirche kommen sollte, sich auf die Situation hier in der Diaspora einlassen können. Er sollte ein guter Theologe sein, der aus der Theologie heraus Wegweisungen für die Praxis geben kann. Und für ein Leitungsamt sind auch gute kommunikative Eigenschaften unersetzlich.
Wünschen Sie sich eine schnelle Entscheidung?
Es sollte sich nicht zu lange hinziehen. Ein dreiviertel Jahr wäre aus meiner Sicht ein angemessener Zeitraum.
Was macht ein Bischof im Ruhestand?
Er ist froh, dass manche Verpflichtungen wegfallen. Er freut sich über die Entlastungen. Aber natürlich will ich auch weiter in der Seelsorge mithelfen. Und dann kann man natürlich sich mehr Zeit nehmen für Dinge, die bisher zu kurz gekommen sind. Ich würde das zusammenfassen mit den Worten: Ich fühle mich entlastet, aber nicht müde.
Interview: Hartmut Kaczmarek
Erschienen in der Thüringischen Landeszeitung (TLZ) vom 10.11.2012
Erfurter Bischof Joachim Wanke geht in den Ruhestand