Nachfolgend veröffentlichen wir die Predigt, die Altbischof Joachim Wanke bei der St. Ansgar-Vesper am 3. Februar 2014 in Hamburg, in der Hauptkirche St. Petri gehalten hat.
Es ist heilsam und zu gewissen Zeiten immer wieder höchst aktuell, an die folgende Geschichte zu erinnern, die von Jesus im Lukasevangelium erzählt wird:
"Als die Zeit herankam, in der er in den Himmel aufgenommen werden sollte, entschloss sich Jesus, nach Jerusalem zu gehen. Und er schickte Boten vor sich her. Aber man nahm ihn nicht auf, weil er auf dem Weg nach Jerusalem war. Als die Jünger Jakobus und Johannes das sahen, sagten sie: Herr, sollen wir befehlen, dass Feuer vom Himmel fällt und sie vernichtet? Da wandte er sich um und wies sie zurecht. Und sie gingen zusammen in ein anderes Dorf" (Lk 9,51-56).
Es braucht keine lange Erklärung, um die Botschaft dieses Bibeltextes zu erfassen. Samaritaner und Juden, die schon damals eine lange gemeinsame Geschichte hatten, lebten zur Zeit Jesu bekanntlich in Feindschaft, und eine Feindschaft unter Verwandten kann besonders bitter und andauernd sein. Wir Christen haben da auch unsere Erfahrungen. Man findet genügend Beispiele in der Kirchengeschichte - bis in die Gegenwart hinein.
Ich bin sehr froh, diesen Text von der Zurechtweisung der Jünger in der Bibel zu finden - hören wir doch neuerdings verstärkt den Vorwurf, jeder Fromme, der sich bemühe, einigermaßen den Vorschriften seiner Religion gemäß zu leben, sei ein versteckter Taliban, oder zumindest auf dem Weg dazu, einer zu werden.
Es ist leider wahr: Religionen und Konfessionen mussten und müssen sich zu jeder Zeit des politischen Missbrauchs und der Vereinnahmung etwa durch nationalistische und religiöse Extremisten erwehren. Und ein beliebtes Mittel solcher Vereinnahmung von Religion für nichtreligiöse Ziele ist die Verteufelung der Andersglaubenden, der Fremden, der Minderheiten - die dann an allen Übeln schuld sind.
Es ist in der Tat eine Urversuchung des Menschen, was da von den Jüngern Jesu berichtet wird: das Verlangen, Feuer auf die Schismatiker und Ungläubigen, die Abweichler, die Fremden herabregnen zu lassen. Wir wissen: Innergesellschaftliche Probleme werden gern durch aggressives Verhalten nach außen hin kompensiert. Wenn die Argumente ausgehen, müssen die Knüppel her. Und wenn noch fehlendes Selbstwertgefühl dazukommt, hat der Fremdenhass ein leichtes Spiel. Selbst in unserer scheinbar so zivilisierten Gesellschaft lebt sich solches fehlgeleitetes Denken in Hassdelikten aus, wie wir sie immer wieder erleben müssen.
Vor kurzem hat Papst Franziskus für den Mai dieses Jahres eine Reise nach Israel, die Palästinensergebiete und nach Jordanien angekündigt. Er will damit u.a. an die historische Begegnung zwischen einem seiner Vorgänger, Papst Paul VI., und dem Ökumenischen Patriarchen Athenagoras im Jahr 1964 erinnern. Es wird für den Papst angesichts der konkreten Situation im Nahen Osten und der Lage der Christen in den muslimisch dominierten Ländern kein einfacher Besuch werden. Und dennoch: Was kann Papst Franziskus anderes tun, als zur Beendigung von Bürgerkriegen, zur Durchsetzung von Gewaltfreiheit, zur Respektierung der Menschenrechte und zu umfassender Hilfe für alle Bedrängten und Notleidenden aufrufen? Welche Alternative kann es geben für einen umfassenden Dialog, auch in und unter den Religionen - zugunsten der Einsicht, dass Gewalt, gerade auch religiös motivierte Gewalt, keine humane Zukunft schafft?
Natürlich bleibt die Skepsis. Ob die Worte des Papstes und auch anderer besonnener Mahner zu Frieden und Dialog gehört werden? Ob sich politische und wirtschaftliche Druckmittel finden lassen, die Machtinteressen und Raffgier mancher Führungsschichten eindämmen zu können? Ob die Religionsführer die Kraft finden, die Fundamentalisten in ihren eigenen Reihen für das wahre Wesen ihrer Religion neu zu gewinnen? Wohl nur - wenn sich weltweit die "Leidempfindsamkeit" , die Empathie mit dem geschundenen Menschen zu einem entscheidenden Kriterium des politischen Handelns und der Steuerung gesellschaftlicher Prozesse durchsetzt. Könnte das ein Beitrag des Christentums für eine humane Kultur der langsam entstehenden Weltgesellschaft sein?
Fanatismus und wahre Religion schließen einander aus. Für das Christentum stellt das Handeln Jesu eindeutig klar: "Es geht darum, Gott zu dienen, nicht Gott zu spielen" (Franz Kamphaus). Und Gott dient man nicht, indem man andere opfert. Es gilt vielmehr, sich selbst gemäß der Weisung Jesu in den Dienst für den anderen, besonders den Hilfsbedürftigen und Fremden nehmen zu lassen - in freier Hingabe, im Alltag des eigenen Lebens und im politischen und gesellschaftlichen Einsatz zusammen mit anderen.
Weder das Christentum noch der Islam sind von ihrem Wesen her zwangsläufig gewalttätig. Religiöse Entschiedenheit kann durchaus mit Toleranz, Festigkeit im Gottesglauben, mit Zuwendung zum Nächsten zusammengehen. Auch dafür gibt es viele sprechende Beispiele aus Geschichte und Gegenwart, auch im Islam.
"Und Jesus wies die Jünger zurecht." Diese Zurechtweisung durch Jesus ist sehr ernst zu nehmen. Sie wird im Weltgespräch der Religionen, welches das gerade beginnende neue Jahrhundert bestimmen wird, eine wichtige Rolle spielen.
Für den christlichen Glauben gilt: Alle ungerechte Gewalt, die sich gegen den konkreten Menschen richtet, richtet sich gegen Gott, den Schöpfer und Erlöser des Menschen, gegen den - wie ich gern sage -"Liebhaber und Erfinder des Lebens". Gottes Schöpfungsintention ist Leben, nicht Vernichtung und Tod. Er will mit uns, nicht gegen uns Zukunft und Heil schaffen.
Und wenn der eine oder andere unter Ihnen innerlich unsicher ist, ob man realistisch überhaupt mit Gott und seiner Verheißung rechnen kann, dem empfehle ich darüber nachzudenken, ob nicht seine innigsten Wünsche für sich persönlich und für die Zukunft der Menschen, denen er sich verbunden weiß, ja auch die Hoffnungen, die sein politisches und gesellschaftliches Engagement für dieses Land und seine Menschen tragen, nicht doch etwas mit der Hoffnung zu tun haben, die der Glaube an den Gott Jesu schenkt: einen Gott, der nicht Feuer auf die Widerspenstigen fallen lässt, sondern der uns seinen Knecht Jesus sendet. Und der geht den Weg des Mitleids, des Erbarmens, der Solidarität, auf den auch wir Bürger einer zusammenwachsenden Welt, als Einzelne und gemeinsam, voranschreiten können. Die Ökumenearbeit Hamburgs - das ist mein Wunsch - gebe dazu immer wieder neue Impulse!
4.2.2014